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Beiträge des Autors

Neu: “Qube” von Tom Hillenbrand

In der Fortsetzung von “Hologrammatica” begibt sich DSFP-Sieger Hillenbrand erneut in eine bemerkenswerte Zukunft.

London, 2091.
Investigativjournalist Calvary Doyle wird auf offener Straße niedergeschossen. Zuvor hatte der Reporter zum Thema Künstliche Intelligenz recherchiert. Die auf KI-Gefahrenabwehr spezialisierte UNO-Agentin Fran Bittner beginnt in dem Fall zu ermitteln.
Der Journalist besaß anscheinend neue, beunruhigende Informationen über den berüchtigten Turing-Zwischenfall, bei dem die Menschheit die Kontrolle über eine KI verlor. Die KI befand sich seinerzeit in einem Quantencomputer, einem sogenannten Qube. Gibt es womöglich noch einen solchen Würfel, mit einer weiteren digitalen Superintelligenz darin? Und kann Fran Bittner den zweiten Qube finden, bevor jemand auf die Idee kommt, ihn zu aktivieren?

Das Buch ist für 12 EUR (E-Book 9,99) überall erhältlich.

Mehr Infos beim Verlag

Neu: NOVA 28

Soeben erschienen ist die 28. Ausgabe des deutschen SF-Magazins NOVA.

Die 224 Seiten starke Ausgabe kostet 16,90 (auch als E-Book erhältlich) und ist überall zu haben, wo es Bücher gibt.

Außerdem gibt es im Moment einen Abverkauf älterer Ausgaben zu vergünstigten Preisen.

Alle weiteren Infos finden sich auf nova-sf.de.

Das dsf-Jahrbuch 2019

Pünktlich vor Weihnachten präsentieren wir das erste Jahrbuch von deutsche-science-fiction.de.

Unser Praktikant posiert wie immer für uns, heute in Berlin

Zugegebenermaßen ist es nicht ganz so dick wie das altbekannte “Science Fiction Jahr”, und es ist auch keinesfalls als Konkurrenz gedacht – aber dafür ist es ein bisschen billiger.

Unser Jahrbuch enthält alle seit Ende 2018 auf unserem Portal veröffentlichten Kurzgeschichten (von Uwe Hermann, Frank Hebben, Nadja Neufeldt, S. A. Dürigen, Marco Rauch, L. D. Schenk, Hubert Hug und Tobias Lagemann) – fast alle sind Erstveröffentlichungen. Außerdem bringen wir eine kleine Ansprache des Herausgebers und als Anhang einen Überblick über neu erschienene Romane sowie die diesjährigen Preisträger von DSFP und KLP.

Ursprünglich hatten wir geplant, das E-Book kostenlos abzugeben. Einige Leute merkten aber richtig an, dass so mancher dazu neigt, was gratis ist, auch als wertlos anzusehen. Außerdem werden Gratis-E-Books von Bookrix (unserem E-Book-Dienstleister) nicht bei Amazon gelistet, und es soll Leute geben, die da gelegentlich einkaufen. Daher bitten wir um Verständnis dafür, dass wir für das E-Book den kleinsten möglichen Verkaufspreis von 0,99 Euro gewählt haben. Vom Erlös, der bei etwa 25 Cent pro verkauftem Exemplar liegt, finanzieren wir die Kosten für unser Webportal, das ja ansonsten ein reines Privatvergnügen und Pfenniggrab ist. Falls es einen nennenswerten Überschuss geben sollte, schütten wir den selbstverständlich an die Autoren aus, die ihre Texte eigentlich honorarfrei zur Verfügung gestellt haben. Dafür gilt ihnen natürlich unser besonderer Dank, denn ohne Autoren gibt’s keine Bücher!

Zu haben ist das Jahrbuch überall, wo es E-Books gibt, siehe hier.

Wir wünschen gute Unterhaltung und eine schöne Vorweihnachtszeit!

Neu: “Das Netz der Sterne” von Andreas Brandhorst

Soeben ist der neue Weltraum-Roman von Andreas Brandhorst erschienen: “Das Netz der Sterne”.

In die unbekannten Weiten des Universums vorzustoßen – das ist der Job der Kartografen bei Interkosmika, dem Konzern, der die interstellaren Reisen zwischen den Sternen kontrolliert. Tess ist eine solche Kartografin, doch nicht freiwillig, denn sie muss bei Interkosmika die Schulden ihrer Familie abarbeiten. Und sie weiß, dass ihre Mission alles andere als einfach wird. Denn ihr Auftrag führt sie in eine Region, aus der noch keiner lebend zurückgekehrt ist … Mit »Das Netz der Sterne« stößt Andreas Brandhorst das Tor zu einer neuen Welt auf – ideal für Brandhorst-Fans und Neueinsteiger!

Verlagstext

Story: “Scoolduell” von Tobias Lagemann

Tobias Lagemann, 1966 in Dortmund geboren, lebt seit 1989 in Aachen und Umgebung, nach abgebrochenem Germanistik-/Komparatistik-Studium über den Umweg als Junge für Alles (in einem Verlag) endlich bei der Post gelandet. Wird seit Anfang der 2000er Jahre veröffentlicht und schreibt sich dabei neugierig durch alle Genres (bis auf Nackenbeißer und Blutsverwandte). Er dankt an dieser Stelle ganz ausdrücklich seiner aufmerksamen Testleserin (mit der er zugleich sehr gerne verheiratet ist).

Hätte ich geahnt, welche Folgen unser Duell in der #Scool haben würde, ich hätte zehn Jahre zuvor nicht mit dem Programmieren begonnen. Das hätte zwar meinen Eltern nicht gefallen, die wünschten sich ja doch wie alle Eltern, dass aus dem Kind mal was Vernünftiges wird, aber wenn es zwischen zufriedenen Eltern und dem Ende der Welt abzuwägen gilt, senkt sich die Waagschale recht schnell in Richtung des eigenen Überlebens.

Aber der Reihe nach und damit zu Bernd und seinem ersten Tag in meiner Klasse. Der musste ein ganz besonders schlauer Junge sein, denn mit seinen gerade mal sieben Jahren würde er mit uns zusammen das Abitur machen. Okay, so besonders ist das nicht, in Bayern beginnen gar nicht mal so wenige Mädchen mit sechs Jahren zu studieren, aber doch etwas besonders Ärgerliches für mich, denn ich war zwölf und musste neben Bernd sitzen. Also jetzt nicht in #Rea, meine Eltern haben mich ja in die #Scool geschickt und da ist alles #Virtu. Das erlaubte mir, dass ich mir die Situation ein gutes Stück erträglicher gestalten konnte. Ein paar kleine Hacks in der ersten Pause und Bernd war mit einem mal ein von Pickeln arg geplagter Nerd von achtzehn Jahren. Den ich meinen Eltern in einer #SilWork-Sequence als Beispiel dafür verkaufte, dass es gar nicht schlimm um mich stand.

»Und du hast da auch nicht etwas Verbotenes gemacht?«, wollte mein Vater wissen.

»Verbotenwas?«

»…tenes.«

»Nee.«

»Es handelt sich also nicht wieder …«

»Das war ich nicht«, schrieb ich. Meine Eltern waren ziemlich nachtragend, sie hielten mir die Sache mit dem arg pornografischen Material vor, das ein #Scool-Mod peinlicherweise als Unterrichtseinheit in Geschichte – Thema: Katharina die Große, Zarin deutschen Geblüts – präsentiert hatte. Zwar gab es keinerlei Beweise dafür, dass meine schnell übers Board flippenden Finger mit im Spiel gewesen waren, aber nicht nur meine Eltern verdächtigten mich zumindest der Teilhabe an der Aktion. Entsprechend vorsichtig war ich in Sachen Hacks geworden.

»Lade deinen neuen Freund doch mal zu uns ein«, schrieb meine Mutter. Ja, sie versuchte es immer mit Ablenkungen, wenn sich ein Krach zwischen mir und meinem Vater anbahnte. Dafür mochte ich sie.

»Klar. Mach ich. Hab dich lieb. Kuss. Und, Papa?«

»Ja, mein Liebling?«

»Du denkst ans Spiel? An die Karten?«

»Bekommst du, wenn du die Bio-Einheit bestehst.«

»Klar. Supi. Danke.«

»Du weißt schon, wie ich das meine.«

»Klar doch, ich lasse die Finger vom Board und lerne brav.«

»Prima, mein Liebling.« Prima war fast nix an der Schreiberei mit meinen Eltern, wie immer gab es nur Druck. Dem ich nicht würde ausweichen können, Bio war meine größte Schwäche. An Genen rummachen war nicht mein Ding, auch wenn es sich dabei nur um den richtigen Umgang mit Codes handelte. Ich sah mich als #B-Coder, nicht als #G-Coder, hatte mit dem #B-Programmieren schon vor Eintritt in den Kindergarten begonnen. Sehr zur Freude meiner Eltern, die meine Begeisterung für Bits und Bytes für ein zukunftsweisendes Hobby hielten. Entsprechend großzügig fiel die materielle Unterstützung für mein Hobby aus, denn, so mein Vater, vielleicht macht sich ja – Originalzitat! – »mein kleiner Liebling« noch vor Abschluss der Grundschule als Programmierer selbständig.

Habe ich nicht gemacht, natürlich nicht. Es gab einfach zu viele clevere Kids, die gut mit #B-Code umgehen konnten, vor allem aber echt voll auf der Erfolgsschiene waren, also Kohle ohne Ende machen wollten, während ich es eher locker angehen ließ, beim #B-Coden meinen Spaß haben wollte, also nur witzige Sachen machen wollte.

Und damit bin ich wieder beim »Prima war fast nix«. Denn prima an der Schreiberei mit meinen Eltern war, dass die letzten Buchstaben meines Vaters gerade im atomaren Feuer eines durch mein Zimmer flutenden Weltuntergangs vergingen, als Bernd meinen Hack konterte. Er hatte sich in ein blond bezopftes, dirndltragendes Mädel mit gerade jottwede gegangenen Milchzähnen verwandelt.

»Hallo Bernadette«, schrieb ich und tat so, als hätte er mich nicht überrascht.

»Du bist echt nett, Zonen-Gabi, möchtest du meine Freundin sein?«

Freundin? Moment …

Und, äh, ich habe zwar echt flotte Finger am Board, aber ich brauchte dann noch so ein, zwei, drei weitere Momente, um zu verstehen, was er aus mir gemacht hatte. Ich wusste nämlich nicht, was eine Zonen-Gabi ist. Zonen kannte ich nur im Zusammenhang mit Coden, dabei handelte es sich um unterschiedlich intensiv geschützte Zonen des #sww. So dass ich zuerst nach dem #Tag einer Hackerin namens Zonen-Gabi suchte. Die war mir zwar noch nicht übers Board gelaufen, aber was heißt das schon, das #sww ist ja eine echt große Angelegenheit, umfasst ja augenblicklich das gesamte Sonnensystem.

Nee, also das geht zu weit, dachte ich, als ich sah, was Bernd aus mir gemacht hatte. Sie kennen den #VidFeed ja, kurz vor dem großen Rumms habe ich den ins #sww eingespeist, ich als dauergewellte Blondine Banane essend, dazu freudig mit strahlend blauen Augen in die Cam blickend und dann sächselnd: »Isch gönnde misch sinnlous midd Schbageddi behengn.«

Das war gewiss ein Fehler, denn ich war nicht wütend, wirklich nicht, ganz im Gegenteil, ich war amüsiert. Denn da war mit Bernd jemand, der gut war, mit dem es Spaß machen würde, sich die Codes um die Ohren zu tippen, bis einem von uns keiner mehr einfiel, der den Hack zuvor noch toppen konnte. Gerade auch wegen der Schbageddi, in die sich meine blonde Dauerwelle gegen Ende des #VidFeed verwandelten. Hey, dachte ich, der Bernd ist sieben Jahre alt, den schaffe ich. Und so schaffte ich ihn noch vor Ende der #SilWork-Sequence als Margot in eine ZK-Sitzung. Ich fand das passend, die Dame mit der blauen Dauerwelle war ja – ich gestehe, ich musste es recherchieren – seinerzeit für Volksbildung zuständig. Und wo waren wir? Genau, in einer Bildungseinrichtung.

»Nickie!« Oha, der #Mod.

»Anwesend« schrieb ich flott und ließ dabei Margot nicht von meinem Bildschirm verschwinden.

»Wir haben zwar Deutsch, aber nicht Deutsch-Deutsche Geschichte.«

»Ich war das nicht …«

»Nickie?«

»Anwes«

Weiter kam ich mit dem Schreiben nicht, denn ich hatte Bernds Konter entdeckt. »Nun?«

»Anwesend. Das war ich nicht. Wirklich nicht.«

»Profile kann man nicht hacken, Nickie.«

Ha, dachte ich, das denkst auch nur du und der Rest der Lehrerschaft und gewiss auch die, die #Scool als prima Methode für den Heimunterricht wohlhabender Kinder anbieten. Selbstverständlich kann man Profile hacken und damit Schabernack treiben, das weiß doch jeder Coder, der sich seinen Code nicht mit dem #Script-Kit schreibt, sondern wirklich coden kann. Womit ich wieder bei Bernd bin, der eben diese Kunst auch meisterhaft beherrschte. Mich hatte er in einen Autofahrer verwandelt, der mit einem abschreckend altmodisch gestylten Auto wiederholt gegen eine Mauer fuhr, auf der Stand Die Mauer muss weck.

Immerhin hatte Bernd bei seinem Hack einen Fehler gemacht, das ließ hoffen, dass er weitere machte. Ich beschloss, ihn zu provozieren, griff seinen Schreibfehler auf und machte aus ihm einen Wecker, dessen Zeiger Fünf vor Zwölf anzeigten.

Kennen Sie Tom und Jerry? Ich kannte die nicht bis zu dem Augenblick, als mir eine frech grinsende Maus eine brennende Dynamitstange in mein Katzenmäulchen stopfte und geschwind mit einem großen Pflaster zuklebte.

Rrrrrums.

Okay, Bernd du willst …

»Nickie?«

»Anwesend.«

»… Krieg? Du kannst ihn haben.«

»Wie viele Handlungsorte finden sich im Götz von Goethe?«

Ich sendete dem Mod ein paar gelangweilt dreinschauende Bilder von kaiserlichen Soldaten, dann Bernd ein Bild eines Arschs, der von ihm geleckt wurde.

»Nickie?«

»Anwesend.«

»Die Mauer muss weg. Weg mit g.«

Ich eroberte mir mein Profil zurück, indem ich die Burg sturmreif schoss, die Bernd aus Code errichtet hatte. Mit wehenden Fahnen zog ich durch das zerschossene Tor in mein Profil ein und hisste eine Flagge, auf der ich als Zonen-Gabi zu sehen war.

»Danke, Nickie. Und nun, bitte, die Antwort auf meine Frage.«

»Anwesend.«

»Scheint mir nicht so.«

Ja, ich war abgelenkt, nein, ich gab es nicht zu. Dafür war ich viel zu beschäftigt, denn Bernd blockte so vier, fünf meiner Hacks ab, bevor ich ihn mit dem sechsten in eine Frau verwandelte, die »Ausgerechnet Bananen« sang. Geschafft.

»50.«

Die Zahl nahm ich zum Anlass, die singende Frau zu entblößen und die Blöße beinah zugleich wieder mit einem Kleidchen aus fünfzig Bananen zu bedecken.

»Nickie und Bernd?«

»Anwesend.«

»Dito.«

»Ihr stört.«

Hatte ich mich verhackt? Konnte nicht sein.

»Ich war es nicht«, schrieb Bernd.

Ich lachte.

Das Lachen war in der Klasse zu hören. Bernd hatte mein Mikro gekapert. Ja, bis dahin war alles nur eine alberne Kabbelei unter zwei coolen ScoolKids, die echt was auf dem Kasten hatten. Was die beiden zu dem Zeitpunkt nicht wussten: In der #Ware meines Rechners war ein kitzekleiner Programmierfehler, just in dem Teil des Codes, der für die Steuerung des Mikros zuständig war. Im normalen Betrieb kam der Fehler nicht zum tragen, griff jedoch jemand von außen mit bösen Absichten auf mein Mikro zu, verselbständigte sich der Fehler. Bei meinem blitzneuen Quantencomputer erwies sich das als katastrophal. Die Katze war da, dann weg, dann zu viert, war da, miaute, leckte sich die Bäuche – ja, Bäuche, in der Welt der Quanten kann eine Katze sehr, sehr viele Bäuche haben -, war weg, kam nicht zurück, blieb weiter abwesend, hey, wo bleibt denn die Katze, die kann doch nicht einfach fortbleiben, die …

Damit war der Geist aus der Flasche oder anders formuliert: Kater Tom schlich sich quantenspringlebendig in den Zentralrechner des Weltverteidigungskommandos – Sitz, ja, in Berlin – ein. Das hatte man einst für eine tolle Idee gehalten, das mit Berlin, habe doch das Ende des Kalten Krieges mit der Wiedervereinigung Deutschlands ein erstes Highlight gefunden, aus dem letztlich die Einigung der Welt erwachsen sei. Das habe zwar gedauert, aber egal. Berlin, Berlin, wir vereinigen uns in Berlin.

Aber diese Welt, also die Erde, war zum Zeitpunkt der Einigung nur eine von vielen bewohnten Schwerkraftdellen im solaren System. Auf der Venus tummelten sich Menschen, auf dem Mars sowieso, Ceres war unter Touris echt angesagt, im Gürtel schnallten die Prospektoren angesichts unvorstellbarer Vorräte an Erzen die Gürtel nicht enger, sondern weiter, ein Billionär ließ im Schatten der Saturnringe ein Generationenraumschiff bauen et cetera perge perge. Oder kurz und knapp gesagt: Die Menschen waren überall. Und wie das so ist mit den Menschen, sie können sich zwar einigen, aber das ist nur von Dauer, wenn sie sich darauf einigen können, dass andere nicht dazu gehören. Zwar lebte die Menschheit die mit diesem Denken verbundene Konfliktfreudigkeit nicht mehr mit der Üppigkeit früherer Jahrhunderte aus, aber man wappnete sich für den Fall der Fälle, also: Sicher ist sicher. Und: Ein paar Waffen sind ganz besonders sicher. Vor allem: Viele Waffen garantieren Frieden und Freiheit blablabla.

Kater Tom, und damit hatten weder Bernd noch ich auch nur das Geringste zu tun, legte der Maus, in die der sich munter rumquantende Softwarefehler den Zentralrechner des Weltverteidigungskommandos der Erde verwandelt hatte, eine brennende Dynamitstange auf den Schwanz, pappte ihn mit einem Schleifchen fest und dann, Trickfilmexperten wissen es, explodierte die Maus mit einem Rrums.

Okay, dieser Rrums war dann doch etwas mehr, denn während Jerry nur das Fell zerzaust wurde, kippte das über dem Zentralrechner liegende Brandenburger Tor um. Da das bei der nach einem Rohrbruch erfolgten Verflüssigung des märkischen Sandes schon mal fast geschehen war, nahm den Umfaller niemand wirklich ernst. Als sich dann jedoch Raketen aus dem Boden schoben, überraschend kleine, spitze Dinger, die mit Donnergetöse abhoben, hieß es #BreakingNews.

Als die Raketen die Schwerkraft der Erde überwanden, machte sich Nervosität breit, denn der Rückrufbefehl für die Raketen funktionierte nicht.

»Sorry, wir waren das nicht. Wir wollen das nicht. Wir kommen für alle Schäden auf«, schrieb die Erdregierung immer und immer wieder ins Sonnensystem hinein.

Die kurze Antwort: #Thismeanswar

Dann #TheMartianEmpireStrikesBack

… #maytheforcebewithyou

»Nein. Stop. Halt. Alles auf Anfang.«

»Say it in English, please.«

Der letzte Satz stammte von mir, ja, ich hatte das »Say it in English, please« getippt. Ich hielt all die Action, die sich auf meinem Screen zeigte, für eine Spielerei Bernds. Und, ja, ich versuchte zu kontern, nun ja, ich konterte beziehungsweise hatte bereits gekontert, gleich zu Beginn nämlich, als sich die Raketen aus der Mitte Berlins erhoben hatten. Ähm, ja, um es in aller Deutlichkeit zu sagen, ich hatte den Rückrufbefehl der Raketen außer Kraft gesetzt. Wie gesagt, ich hielt all das, was mir mein Screen optisch und akustisch bot, für eine Spielerei Bernds. Und er, das weiß ich jetzt, hielt all das, was sich auf seinem Screen sehen und hören ließ, für meinen Hack. Den er natürlich auch konterte, eigentlich wollte er mit dem betreffenden Hack die Raketen bloß mit einem großen Netz fangen, aber der Softwarefehler meiner Mikro-Ware quantete so munter herum, das Netz legte solarsystemweit alle Verteidigungsmaßnahmen lahm.

Rrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrums.

Ein großes Krachen und Bersten und Sterben begann, aus dem die auf der Erde lebenden Menschen als glückliche Überlebende heraus gekommen wären, ja, wären, denn es war ja ein Krachen und Bersten. Das sehr, sehr viele große und kleine Trümmerteile durch das Sonnensystem sausen ließ. Da das Netz die Asteroidenabwehr als Verteidigungsmaßnahme eingeschätzt und ergo ausgeschaltet hat, war die Erde dem sich nähernden kosmischen Bombardement letztlich schutzlos ausgeliefert. Für die, die konnten, hieß es: Ab unter die Erde. Ganz, ganz tief. Dort war natürlich nicht viel Platz, so dass wirklich nur die, die konnten, weil sie viel, viel Geld hatten oder sehr, sehr gute Beziehungen, in die Tiefbunker hinabsteigen durften. Und zu meiner großen Erleichterung mussten auch ein paar Menschen zwangsweise nach unten, weil sie Riesenmist gebaut hatten. Damit meine ich mich und Bernd. Zur Strafe – ja, echt jetzt – sollten wir überleben, denn wir sollten ein Leben lang nicht vergessen, dass wir die Menschheit ausgelöscht hatten.

Und so sitzen wir jetzt in #Rea nebeneinander und können gar nicht fassen, was für einen Mist wir gebaut haben. Bernd ist nämlich keine sieben Jahre alt, er ist zwölf, er hatte sein Scool-Profil bloß etwas aufgehübscht, um in seiner neuen Klasse nicht gleich als Looser einzusteigen. Und er mag Mädchen aus Bayern, so wie ich eines bin, auch wenn ich jetzt nicht mehr in Bayern bin, sondern in einem Bunker tief unter Hamburg. Hätten wir das alles bloß mal vorher gewusst, wir hätten beide niemals mit Programmieren angefangen. Das hätte zwar meinen Eltern nicht gefallen, denn … Aber das habe ich, glaube ich, schon gesagt.

Story: “Nur eine Unterbrechung” von Hubert Hug

Hubert Hug, geboren 1959, verheiratet, zwei Kinder, ist Molekularbiologe. Science-Fiction-Geschichten von ihm sind unter anderem in Golem, Flash Fiction Magazine, Fantasia des EDFC und der Edition Bärenklau erschienen. Er lebt in einer Sackgasse an einem Bach mit merkwürdigen Kreaturen. Das könnte seine Andersartigkeit erklären.

Der Bach rauschte und die Erlen blühten. Im Gehöft mit dem weit überhängendem Dach klingelte das Telefon. Herr Wiesler schaltete den Herd aus, ging zum Telefonapparat und nahm den Hörer ab.

„Hallo. Wer ist dort?“, fragte er.

„Mein Name ist Überking, Leiter des Amts für Pollenverwaltung.“ Die Stimme klang etwas heiser und belegt.

„Was für eine Verwaltung?“, erkundigte sich Herr Wiesler.

„Amt für Pollenverwaltung“, sang es aus dem Hörer.

„Noch nie gehört“, sagte Herr Wiesler.

„Das sollten Sie aber. Wir haben sowieso das Gefühl, dass Sie nicht mit der Zeit gehen wollen.“

„Mit welcher Zeit?“

„Hören Sie, Herr Wiesler. Ich habe nicht viel Zeit.“ Herr Überking klang ärgerlich. „Ich rufe Sie wegen einer ernsten Sache an.“

„Ja … dann sagen Sie endlich, was passiert ist.“

„Genau. Sie scheinen vernünftig zu werden. Ihre Erlen blühen.“

„Die Erlen am Bach?“

„Ja genau. Sie stehen auf ihrem Grundstück. Sie hätten diese schon letztes Jahr fällen sollen. Ein entsprechendes Schreiben war Ihnen von uns zugekommen.“

„Davon weiß ich nichts. Sicher war Ihr Schreiben nicht wichtig.“

„Alles, was von uns kommt, ist wichtig“, schrie Herr Überking. „Wir sind eine hoheitliche Behörde.“

„Das ist gut. Ich bin ein Bauer im Schwarzwald.“

„Hören Sie, mein guter Herr. Wir geben Ihnen die letzte Chance.“

„Was wollen Sie von mir?“

„Ich sage Ihnen, was Sie schon lange wissen sollten. Nach Baum- und Blütengesetzbuch Paragraph 14z, Absatz 4.1.3, Zeile 5 bis 11 dürfen keine Erlen im Schwarzwald blühen.“

„Das ist mir neu. Erlen blühen hier meines Wissens seit Tausenden von Jahren.“

„Kann sein. Aber Erlen dürfen nicht mehr blühen. Das ist Allgemeinwissen. Bald habe ich keine Geduld mehr mit Ihnen.“

„Kein Problem. Ich muss sowieso gleich meine Hühner füttern.“

„Hühner …“, Herr Überking machte eine Pause. Er hustete und röchelte, bevor er erbost weitersprach. „Ich werd’ schon krank, wenn ich das Wort ‘Hühner’ höre. Hoffentlich haben Sie die Viecher entsprechend der Vorschriften eingesperrt.“

„Ja“, sagte Herr Wiesler.

„Okay. Um Ihre Hühner wird sich später eine andere Abteilung kümmern. Ich werde das Problem weiterleiten. Zurück zu den Erlen.“

„Ich bin noch hier“, sagte Herr Wiesler. „Aber bald muss ich gehen.“

„Sie müssen die Erlen fällen. Sonst werde ich eine dafür qualifizierte Baumfällfirma vorbeischicken. Auf Ihre Kosten.“

„Die Krähen bauen ein Nest in den Erlen. Die kann man nicht einfach fällen. Außerdem brauche ich die Bäume als Hochwasserschutz.“

„Um den Hochwasserschutz kümmert sich eine andere Abteilung.“

„Hat die Abteilung einen Kuhstall?“

„Lenken Sie nicht wieder vom Thema ab.“

„Sie haben mit dem Thema angefangen. Wir wissen doch, dass Erlen, wenn es regnet, fast so viel Wasser aufnehmen können, wie ihrem Volumen entspricht. Das ist alles Wasser, das nicht mehr in meinen Kuhstall laufen kann. Der ist nämlich manchmal überschwemmt und die Kühe stehen im Wasser. Dann geben sie weniger Milch. Kann ich jetzt auflegen? Ich möchte die Erlen behalten. Sie gehören doch mir, oder?“

„Nein. Die Bäume stehen zwar auf Ihrem Grundstück. Aber die Verantwortung der Verwaltung liegt bei uns.“

„Aha.“

„Nichts aha. Wir haben klare Grenzen. Die Vorschrift besagt, dass die Erlen verschwinden müssen und zwar sofort.“

„Ich lasse die Erlen stehen. Sie gefallen mir.“

„Hören Sie! Meine Geduld ist am Ende. Sie sind schuld, dass jedes Jahr Tausende von Menschen erkranken.“

„Ich mache niemanden krank. Meine Eier und meine Milch sind gesund. Alles auf meinem Hof ist gesund.“

„Sie sind ein Luftverschmutzer. Ihre Erlenpollen fliegen in unsere Städte und verursachen Allergien. Die Menschen in den Städten haben wegen solchen Starrköpfen wie Ihnen kein angenehmes Leben.“

„Diese Menschen machen doch bei uns Urlaub. Jedes Jahr kommen Sie hierher, in großen Scharen. Die Touristen, die uns besuchen, sehen gesund aus.“

„Die Kranken bleiben eben zu Hause“, antwortete Herr Überking gereizt.

„Das ist besser für Kranke. So werden sie schneller gesund. Brauchen Sie Krankenrezepte von meiner Oma? Leider ist sie vor sieben Jahren gestorben.“

„Wir brauchen keine Rezepte.“ Herr Überking schrie in den Hörer. „Wir wollen, dass keine Erlenpollen in unseren Städten landen.“

Herr Wiesler nahm den Hörer etwas vom Ohr weg und schüttelte den Kopf. Nach ein paar Augenblicken antwortete er.

„Pflanzen Sie doch Erlen in die Städte. Dann werden die Menschen sicher wieder gesund. So gesund wie ich.“

„Wir müssen alle Erlen fällen. Es gibt moderne Vorschriften. Das versuche ich Ihnen doch die ganze Zeit zu erklären. Zum letzten Mal …“ Herr Überking brüllte wieder. „Erlenpollen verursachen Allergien!“

„Meine Tiere und ich haben keine Allergien.“ Herr Wiesler zeigte keine weitere Regung.

„Sie sind eben eine Ausnahme. Und Ausnahmen gibt es bei uns nicht.“

„Das ist nicht richtig. Ausnahmen sind manchmal gut. Ich zum Beispiel besitze ein Huhn mit zwei krummen Zehen. Mein Nachbar riet mir, es zu schlachten. Aber jetzt legt es die meisten Eier, mindestens 300 im Jahr. Stellen Sie sich vor. Essen Sie gerne Eier?“

„Das Gespräch mit Ihnen macht mich müde. Sie wollen mich nicht verstehen, lesen unsere Schreiben nicht und weigern sich, unsere Vorschriften zu beachten. Ich werde die Sache meinem Vorgesetzten übergeben. Auf Wiederhören.“

„Auf Wiederhören, Herr Amtmann. War schön, dass Sie sich mal bei mir gemeldet haben.“

Herr Wiesler legte auf und lächelte.

‘Meine Erlen sind so schön grün’, dachte er. ‘Niemals werde ich sie fällen. Eher werde ich gefällt.’

Story: “Verdammtes Ungeziefer” von L.D. Schenk

L.D. Schenk ist Jahrgang 1948, hat Physik studiert und anschließend auf dem Gebiet EDV/Informationstechnik gearbeitet. Mittlerweile ist er im Ruhestand. Zur Science Fiction kam er sehr früh in seinem Leben Anfang der 60-er Jahre, als sie noch von den Heftchenromanen dominiert wurde und als “Schmutz- und Schundliteratur” galt. In der Schulzeit entstanden erste eigene Geschichten, aber Studium und Beruf führten ihn dann in andere Gefilde. “Verdammtes Ungeziefer” ist seine erste Geschichte nach einer langen Pause, zu der ihn tatsächlich ein Blattlausbefall auf seinem Balkon anfangs des Jahres inspiriert hat.

“Was ist bloß mit meinen Geranien los?”

Pamela starrte ungläubig auf die zwei Pflanzkästen, die am Balkongeländer hingen. Ihr Inhalt bot ein trauriges Bild. Viele Blätter wiesen statt eines satten Grüns ein kränkliches Braungrün auf. Bei einigen waren die Ränder gelb eingefärbt; manche waren sogar eingerollt. Auf dem Balkonboden lagen abgeworfene Blütenblätter, die von ausgedünnten Blütenständen herabgefallen waren.

Pamela, eine attraktive Blondine in ihren frühen Dreißigern, trat näher und nahm die Pflanzen in Augenschein. Ein Blick auf die Blattunterseiten bestätigte das, was sie schon vermutet hatte. Ihr hübsches Gesicht verzog sich zu einem Ausdruck des Widerwillens.

“Ich habe es ja geahnt”, rief sie aus. “Ungeziefer!”

Als sie sich umdrehte, hätte sie fast ihrem Sohn, Samuel, auf die Füße getreten, der, von ihr unbemerkt, durch die offene Balkontür gekommen war und nun unschuldig grinsend hinter ihr stand. Er war blond wie seine Mutter und seine blauen Augen blitzten verschmitzt.

Samuel war acht Jahre alt und brennend an allem interessiert, was um ihn herum vor sich ging.

“Darf ich das Ungeziefer auch mal sehen?” fragte er neugierig.

“Na gut, komm her, Junior!” lud sie ihn ein, während sie sich wieder zum Blumenkasten wandte, eines der Blätter ergriff und die Unterseite mit spitzen Fingern nach oben drehte.

Samuel trippelte näher und betrachtete aufmerksam, was vor seinen Augen lag. Auf der Blattunterseite verstreut befand sich eine Anzahl von schwärzlich-grünen Tierchen; an den Blumenstängeln hingen sie schon in dichten Trauben.

“Was ist das?” fragte Samuel.

“Blattläuse!” stellte Pamela mit deutlichem Abscheu in der Stimme fest.

“Und was machen die?”

“Sie fressen meine schönen Geranien auf!” war die erzürnte Antwort.

“Haben die denn Zähne?” wollte Samuel wissen.

“Nicht direkt”, meinte Pamela zu ihrem Sohn. “Sie haben einen Rüssel am Kopf, den bohren sie in die Pflanze und saugen sie aus. Die Pflanze wird dann welk, die Blätter werden braun und die Blüten fallen ab und am Ende geht die Pflanze jämmerlich ein. Schau dich bloß einmal um, wie es hier aussieht! Alles braun und verwelkt! Meine schönen Geranien!”

“Uaaah”, meinte der Junge und schauderte zusammen. “Genau wie bei den Vampiren, die einem das Blut aussaugen! Was machen wir da bloß? Kruzifixe in die Blumenkästen stecken, damit die Vampire abhauen?”

Pamela verzog gegen ihren Willen belustigt das Gesicht, doch wich dessen Ausdruck gleich wieder grimmiger Entschlossenheit.

“Das wird wohl kaum etwas helfen”, belehrte sie ihren Sohn. “Insektenspray dürfte da eher angebracht sein! Wenn mich nicht alles täuscht, so haben wir im Keller . . .”

Sie wurde von einer lauten männlichen Stimme unterbrochen, die aus dem Wohnzimmer erscholl. Das war Samson, ihr Mann, auch als der “große” Sam bekannt. Samuel war der “kleine” Sam, wurde aber von den beiden Eltern meistens nur mit “Junior” angesprochen.

“He, Junior!” rief die Stimme aus dem Wohnzimmer. “Komm schnell! Sie zeigen gerade wieder das fremde Raumschiff!”

Blitzschnell verschwand Samuel im Wohnzimmer und nahm neben seinem Vater auf dem Sofa Platz. Dieses Möbelstück stand so, dass man frontal auf den riesigen Fernseher schaute, der an der gegenüber liegenden Wand befestigt war.

Samson, der Vater, war muskulös und untersetzt, man sah ihm aber bereits an, dass er ganz gerne des Öfteren dem Getränk zusprach, das sich in der Flasche in seiner Hand befand: einem leckeren Bierchen. Er nahm einen Schluck, legte seinen kräftigen Arm um die Schultern seines Sohnes, und beide widmeten sich gespannt dem Nachrichtenbeitrag, der gerade lief.

Der Bildschirm an der Wand zeigte das ihnen bereits bekannte Bild eines wegen der großen Entfernung zur Kamera hin- und herschwankenden, unregelmäßig geformten Objekts, das aussah wie ein länglicher Gesteinsbrocken mit Verdickungen an beiden Enden.

Die Stimme des Fernsehsprechers kommentierte dazu: “Nachdem der kosmische Wanderer vor zwei Tagen seine Geschwindigkeit stark verringert hat und in eine stabile Umlaufbahn um die Erde eingeschwenkt ist, kann es keinen Zweifel mehr geben, dass es sich bei der ‘Hantel’, wie sie von den Astronomen aufgrund ihrer Form getauft wurde, um das Werk eines intelligenten Urhebers handelt. Mit größter Wahrscheinlichkeit ist davon auszugehen, dass sich an Bord des – wie man nun sagen muss – interstellaren Raumschiffes intelligente Lebewesen befinden.”

“Diese Viecher fressen meine Geranien auf!” rief Pamela erzürnt dazwischen, die mittlerweile ebenfalls im Wohnzimmer stand, aber nur einen kurzen Blick auf den Fernsehschirm geworfen hatte. “Da muss etwas geschehen! Ich gehe mal eben in den Keller!”

Samson und Samuel legten den Kopf zur Seite, als Pamela auf ihrem Weg zur Wohnzimmertür das Fernsehbild verdeckte.

“Alle Versuche, mit der ‘Hantel’ Kontakt aufzunehmen, sind bisher leider gescheitert”, fuhr der Sprecher fort. “Keiner kann daher genau sagen, welche Art von Lebewesen sich an Bord befinden mögen oder wie sie aussehen.”

“Riesenblattläuse!” entfuhr es Junior unwillkürlich.

“Durchaus möglich”, entgegnete sein Vater schmunzelnd. “Aber dass es Blattläuse sind, wollen wir doch nicht hoffen! Die würden sich vermutlich auf unsere eh schon arg gebeutelten Wälder stürzen und sie auffressen. Was wäre das für eine Katastrophe!”

“Nicht auffressen”, sagte Junior, der gerade etwas gelernt hatte. “Sie würden sie aussaugen mit ihren Riesenrüsseln! Uiuiuiui!”

“Na, mach dir mal keine Sorgen”, beruhigte ihn sein Vater. “Komm, schauen wir weiter.”

Fernsehbild und Thema hatten sich aber mittlerweile geändert. Der Schirm zeigte eine dicke Limousine, die vor einem Gebäude mit einer breiten Eingangstreppe vorfuhr, wo mehrere offiziell aussehende Männer in Anzügen bereits warteten. Auf der Seite neben dem Fahrer stieg ein kräftig gebauter Mann aus, ging zwei Schritte nach hinten und öffnete die zweite Tür auf der Beifahrerseite. Ein korpulenter Mann mit spärlicher Frisur, die im gerade herrschenden Wind leicht flatterte, stieg aus und wurde mit einer Verbeugung begrüßt. Dann erklomm er mit seinem Gefolge, das auf ihn gewartet hatte, die Teppenstufen.

Eine Frauenstimme kommentierte dazu: “Die Vertreter der wichtigsten Industrienationen trafen sich heute erneut in Rio de Janeiro mit den Regierungschefs des süd-amerikanischen Kontinents, um über mögliche Maßnahmen zur Rettung des Amazonischen Regenwaldes zu beraten. Massive Flächenbrände drohen die sogenannte ‘Grüne Lunge’ der Erde endgültig und unumkehrbar in eine Steppe zu verwandeln.”

Bilder von halb verkohlten Baumstümpfen mit züngelnden Flammen im Hintergrund unterstrichen die Aussage.

Der Kommentar ging weiter: “Bisher konnte noch keine Einigung erzielt werden. Die Länder Südamerikas bestehen darauf, dass Brandrodungen unverzichtbar seien, um ihre wachsende Bevölkerung zu ernähren. Auf die unverhohlene Drohung der USA mit einem militärischen Eingreifen verließen sämtliche Delegationen Südamerikas unter Protest das Sitzungsgebäude. Ein Zeitpunkt zur Fortsetzung der Gespräche kann momentan . . .”

Plötzlich zeigte das Fernsehbild wieder das Raumschiff und die aufgeregte Stimme des männlichen Sprechers von vorhin war zu hören.

“Beim kosmischen Wanderer tut sich etwas! Es hat den Anschein als käme es bald zu einer ersten Kontaktaufnahme. Eine Art ‘Fliegende Untertasse’ ist soeben ausgetreten. Sie sehen jetzt Bilder, die vor wenigen Minuten aufgenommen wurden, während das Raumschiff sich von Osten kommend dem Luftraum Deutschlands näherte.”

Auf der verwitterten Außenhaut der ‘Hantel’ bildete sich ein dunkler runder Fleck, aus dem gleich darauf ein metallisch reflektierendes, einer Scheibe ähnelndes Objekt hervortrat. Es schien langsam nach unten zu fallen, ebenfalls im gleichen Takt wie das Fernsehbild schwankend, so dass außer einem silbernen Blitzen keine weiteren Einzelheiten zu erkennen waren.

Die Stimme des Kommentators fuhr fort. “Bald werden vermutlich einige der drängenden Fragen, die uns in den letzten Tagen beschäftigt haben, eine Antwort finden. Lassen Sie sich im Übrigen nicht durch die geringen Abmessungen des Objekts auf Ihren Fernsehschirmen täuschen. Aufgrund von Messungen weiß man bereits, dass die ‘Hantel’ etwa fünfzig Kilometer lang ist. Das heißt, die winzige Scheibe auf Ihren Schirmen kann durchaus einen Durchmesser von mehreren hundert Metern haben. Auch ihre Geschwindigkeit dürfte recht beachtlich sein.”

Das Fernsehbild sprang erneut und die Stimme des Sprechers überschlug sich beinahe, als er feststellte: “Ein zweites Flugobjekt tritt soeben aus und nimmt Kurs auf die Erde. Sie sehen jetzt wieder aktuelle Live-Bilder vom Geschehen. Nach Tagen des Wartens kommt nun Bewegung in die Sache. Wo werden diese zwei – nein, jetzt sind es bereits drei! – Flugobjekte landen? — Wie wir gerade hören, ist anhand der geschätzten Sinkgeschwindigkeit und der bekannten Umlaufbahn damit zu rechnen, dass die Flugobjekte irgendwo im Großraum Frankfurt, vielleicht sogar in der Metropole selbst niedergehen werden.”

In der Abschlusstür ging ein Schlüssel und gleich darauf betrat Pamela wieder das Wohnzimmer, in der einen Hand triumphierend eine Spraydose schwenkend. In der anderen Hand baumelten ein Paar Latex-Handschuhe, eine Schutzbrille und ein Mundschutz. Zielstrebig ging sie zum Balkon.

Samuel und Samson beugten wieder den Kopf zur Seite, als sie vor dem Fernseher vorbeiging; eine vierte Silberscheibe verließ gerade das Mutterschiff.

Samuel sprang aber sofort auf und folgte seiner Mutter zum Balkon.

“Mama, Mama!” rief er aufgeregt und erzählte seiner Mutter, was sich gerade auf dem Fernsehschirm zutrug. “Und sie landen in Frankfurt, haben sie gesagt. Da wohnen doch wir! Vielleicht kriegen wir sie sogar zu sehen!”

Pamela ließ sich nicht beunruhigen. “Warten wir mal ab”, meinte sie. “Ich habe gerade Wichtigeres zu tun.”

Sie streifte den Mundschutz über. Dann zog sie die Schutzbrille auf und legte die Handschuhe an.

“Kriegen die ekligen Blattläuse jetzt ihr Fett weg?” fragte Junior.

“Worauf du dich verlassen kannst!” sagte seine Mutter mit etwas dumpf klingender Stimme, aber mit Nachdruck.

Pamela packte ihren Sohn bei der Schulter.

“Und du gehst jetzt bitte zur Balkontür und traust dich keinen Schritt weiter! Das ist Gift, was ich hier gleich versprühe. Oder willst du jämmerlich verenden wie dieses Ungeziefer?”

Samuel tat zwar, wie ihm geheißen, maulte aber: “Und wenn ich jetzt verpasse, wie die Fliegende Untertasse landet?”

“Keine Widerrede!” Pamela drehte sich noch einmal um und drohte mit dem Zeigefinger. “Du bleibst da stehen, bis ich fertig bin!”

Sie beugte sich über die Blumenkästen und begann damit, die Pflanzen darin mit einer Abfolge von Sprühwolken aus ihrer Spraydose einzunebeln. Schließlich richtete sie sich zufrieden auf und trat einen Schritt zurück, um ihr Werk zu betrachten.

Ein bedrohlicher Schatten fiel auf ihren Rücken. Samuel schaute nach oben und seine Kinnlade fiel nach unten.

Über den Dachrand des Wohnblocks, in dem die Familie lebte, schob sich gemächlich in einigen Metern Entfernung die dunkle metallische Unterseite eines riesigen Flugkörpers, so riesig, dass sich seine Vorderkante in einer fast gerade aussehenden Linie nach links und rechts über die wie Bauklötzchen angeordneten Häuser der Wohnsiedlung erstreckte.

Schier endlose Reihen von pechschwarz aussehenden Löchern wurden nach und nach sichtbar. Sie waren das Einzige, was an Struktur zu erkennen war; sonst war das Metall vollkommen glatt.

Alles vollzog sich mit fast völliger Lautlosigkeit, nur ein leises Zischen war zu vernehmen. Ein feiner Nebel und ein süßlicher Geruch lagen in der Luft.

“Das Raumschiff!” wollte Samuel ausrufen, aber er brachte keinen Ton heraus.

Im Wohnzimmer überfiel den immer noch vor dem Bildschirm sitzenden und den Ausstoß einer Unzahl von Silberscheiben beobachtenden Vater plötzlich eine unerklärliche Angst, die ihm die Kehle zuzuschnüren schien.

Er brauchte Luft!

Er stellte die Bierflasche beiseite, erhob sich und schwankte zur Balkontür.

Dort erwartete ihn ein Bild des Schrecken. Seine Frau hing wie eine Schlenkerpuppe mit dem Oberkörper über den Blumenkübeln und rührte sich nicht. Sein Sohn saß, an den Balkonrand gelehnt, bewegungslos auf dem Boden und starrte mit toten Augen ins Leere. Über allem hing der monströse Schatten des außerirdischen Fluggerätes.

Tot! Sie sind tot!dachte Samson. Sie töten uns einfach. Warum machen sie das? Was haben wir ihnen getan?

Seine Hände fuhren verzweifelt an seine Kehle. Doch es nützte nichts. Seine Lungen gehorchten ihm nicht mehr; sie waren gelähmt. Sein Herz hatte aufgehört zu schlagen.

Langsam sank er wie ein Sack zu Boden. Über ihm zog das fliegende Metallungetüm weiter in Richtung Westen.

Etwas wie Bitterkeit überfiel ihn, während ihm allmählich die Sinne schwanden.

Was hatte sein Sohn gesagt? Vor seinem geistigen Auge erschien das groteske Bild einer Riesenblattlaus, welche die Kontrollhebel eines Kommandostandes bediente.

Verdammtes Ungeziefer! war sein letzter Gedanke.

Story: “U69” von Marco Rauch

Marco Rauch, 1984 geboren, lebt und arbeitet in Wien. Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft. Er hat bereits während der Schulzeit erste Kurzgeschichten und längere Erzählungen geschrieben. 2013 Veröffentlichung des Romans “Hard Boiled” im Koios Verlag, ausgezeichnet mit dem Encouragement Award bei den ESFS-Awards 2014 der European Science Fiction Society. 2016 erschien die Kurzgeschichte “Willkommen in Wien” in Stadtform, Band 3 / 2016, zum Thema „Apokalypse“.

Wenkmann marschierte über das leere Rollfeld. Hillström, so hieß sein Raumschiff, stand einsam und alleine auf weiter Fläche. Und irgendwie kam es ihm so vor als würde er seinen Kopf hängen lassen. Also, in dem Fall wohl eher das Cockpit. Die alten, verrosteten Raumschiffe und Flugzeuge waren einfach nicht die richtige Gesellschaft für Hillström, war er doch selbst nur ein paar Jahrhunderte alt und somit eben erst ein Teenager.

Die Eingangstür öffnete sich. Hillström stieß einen traurigen, resignierten Seufzer aus. Obwohl es Furcht einflößend aussah, mit seinem knöchernen Exoskelett fast wie ein riesiger animalischer Totenkopf und dem düsteren Cockpit-Auge als Steuerzentrale, das in der Finsternis des Weltalls meist rot glühte und wie ein Unheilbringender Teufel aus dem Nichts auftauchte, war sein Schiff im Kern, also im Inneren seines Wesens so wie viele Teenager: melancholisch, mit Hang zum Weltschmerz, sich unverstanden fühlend und nur auf eines fokussiert. Sex. Rund um die Uhr. Auf jede nur erdenklich Weise.

„Hätten wir nicht nach Stimulacrum Drei fliegen können?“ Hillström hatte eine wohltuende, angenehme, überaus menschliche Stimme.

„Die hätten sich über unseren Besuch nicht gefreut. Das letzte Mal hast du alle C-Beams vor dem Tannhäuser Tor gefressen.“

„Aber die waren gemein zu mir.“ Zu Hillströms Verteidigung musste man einwerfen, dass er bei dem Parkplatz vor dem Tannhäuser Tor noch im Kindergartenalter gewesen war und seine eigene Kraft noch nicht richtig hatte einschätzen können.

„Fliegen wir in die Stadt. Im Prater gibt es vielleicht was für dich.“

Hillström versuchte es zwar zu verbergen, aber Wenkmann waren die zahlreichen Pornos natürlich aufgefallen, nach denen sein Schiff geradezu süchtig war. Kaum lag Wenkmann im Tiefschlaf, ja, manchmal sogar dann, wenn er nur kurz den Kopf von einem Bildschirm wandte und vielleicht sogar jetzt auf einem der abgedrehten Monitore, lief ständig ein Porno. Raumschiffe, interplanetarische Züge, sogar Autos, die es miteinander trieben. Da wurde an Stoßstangen geleckt, an Auspuffen gelutscht, Schaltkreise massiert, Maschinenflüssigkeit auf Cockpit-Scheiben gespritzt. Das wildeste Zeug. Alles was man sich nur vorstellen oder in manchen Fällen gar nicht vorstellen konnte.

Zu sagen der Prater war ein Reinfall, wäre eine Untertreibung gewesen. Hillström war nach seiner Orgie mit Geisterbahnen, dem Riesenrad und sogar den menschlichen Männern und Frauen, die gerade das Pech hatten dort zu sein, alles andere als befriedigt. Es war aber weniger Trotz oder Enttäuschung, die ihn deshalb den Prater, also die Maschinen und Menschen, zerstören ließ, es war vielmehr seine Natur und die Art seiner Fortpflanzung, die dazu führte. Wenkmann wusste das. Der arme Vergnügungspark leider nicht. Die Assimilation mit anderen Wesen und Maschinen war nun mal integraler Bestandteil von Hillströms Art Sex zu haben. Doch der Prater war zu schwach um seiner Lust standzuhalten.

„Na ja. Das war wohl nichts.“ Wenkmann kratzte sich am Kopf und betrachtete das Trümmerfeld vor sich.

Hillström landete neben ihm. „Ich hoffe du hast noch andere Vorschläge.“

„Natürlich. Massenhaft.“ Das Kratzen wurde stärker und schneller. „Keine Sorge. Das war nur der Anfang.“

Wenn Hillström Augenbrauen hätte, die er skeptisch in die Höhe ziehen könnte, würde er das jetzt tun, denn seinen Sensoren entging nicht die Nervosität, die das Kratzen und auch die leicht zittrige Stimme Wenkmanns verrieten.

„Nun?“ Hillström öffnete den Einstieg. „Wohin?“

Langsam schritt Wenkmann die viel zu kurze und kleine Rampe hinein und musste sich schleunigst etwas überlegen. Nur ungern wollte er mit einem wütenden, unbefriedigten Schiff im Tiefschlaf durchs Weltall fliegen. Wenkmann wollte sich gar nicht ausmalen, was da alles passieren könnte.

Doch zum Glück waren die Trümmer des Praters die Rettung. „Zum Schrottplatz.“

„Schrottplatz?“

„Als wir her geflogen sind, hab ich einen gesehen. Straßenbahnen und Busse, so viele du willst.“

„Besser als ein Stein im Getriebe.“

Wenkmann schauderte. Leider kannte er auch diese Art Pornos. Maschinen, die sich gegenseitig Steine, manche Sternenkreuzer sogar ganze Gebirge, in Antriebswellen und Getriebe schoben und befriedigt seufzten. Sich gegenseitig mit Scheibenwischer auspeitschten und mit Sprengsätzen kitzelten und verletzten, nur um durch den Schmerz Lust zu empfinden.

Die alten selbstfahrenden Straßenbahnen und Autobusse waren längst nicht mehr auf dem neuesten Stand der Dinge und deshalb eingerostet wenn es um flirten, One-Night-Stands und schmutzigen Sex ging. Dank seines kräftigen, imponierenden Äußeren war kein einziger männlicher Konkurrent vorhanden, der es mit ihm aufnehmen konnte. Hillström standen alle Bahnen und Busse, die wollten – und es wollten alle – zur freien Auswahl. Wobei er gar keine Wahl traf. Hillström nahm sie alle.

Zum Glück war er geduldig genug die Menschen, die in den Bahnen und Bussen hausten, aussteigen zu lassen. Mit dem Leben davonzukommen war ein guter Trost, Angesichts der Tatsache, dass sie soeben ihr Zuhause im Verlauf einer sexuellen Maschinen-Orgie verloren.

„Tut mir Leid.“ Wenkmann wischte sich einen Ölspritzer aus dem Gesicht. Er hoffte es war nur Öl und nicht eine der anderen Maschinenflüssigkeiten deren Herkunft kein Mensch kennen wollte.

„Was man nich’ alles tut um seine Maschinen glücklich zu machen, nich’?“, sagte ein junger Mann neben Wenkmann.

„Wem sagen Sie das. Wirklich, es tut mir Leid.“

„Schon gut. Wissen Sie schon, wo’s hingeht, wenn ihm das nich’ reicht?“

„Keine Ahnung.“ Wenkmann wich einem vorbeifliegenden Motorblock aus. Jetzt wurde es richtig schmutzig. „Haben Sie eine Idee? Bitte, ich wär für jeden Vorschlag dankbar.“

„Versuchen Sie’s mal damit. Is’ zwar nur ne’ Legende, aber wer weiß.“ Der junge Mann reichte Wenkmann ein Prospekt von einer sogenannten U-Bahn. Kurz bevor der Großteil der Menschheit die Erde verlassen hatte, war in Wien das Projekt zur neuen Linie U69 in Gang gesetzt worden. Zwei Züge sollten die ganze Linie abfahren. Neue, moderne Antriebssysteme, intelligente Steuerung und ein erotisches, rotes, spärlich bekleidetes Äußeres. Der männliche Zug wurde im Chaos der Zerstörungen auf der Erde vernichtet. Nur die weibliche U69 blieb übrig, die jetzt noch immer einsam und alleine im Untergrund ihr Dasein fristen soll und ihre Runden durch die Tiefen der Stadt zog.

Kaum sah Hillström das Bild der U69 war es um ihn geschehen. Vergessen war das durch Wien wandernde Haus des Meeres oder der zum Leben erwachte Folterkeller. Jetzt zählte nur mehr die U69, all seine sexuellen Fantasien projizierten sich auf diese eine U-Bahn.

Einen Einstieg in den Untergrund zu finden war nicht schwer. Hillström hatte genug Feuerkraft um einen ganzen Planeten in Schutt und Asche zu legen, dabei sollte man meinen, dass er nach all den Orgien etwas ausgelaugt wäre. Eine wohl platzierte Sprengung später und schon gab es einen Raumschiffgroßen Eingang in den Untergrund. Dass die beiden umstehenden Gebäude dabei auch in Mitleidenschaft gezogen wurden, tat Hillström mit einem beiläufigen Schulterzucken – sofern er Schultern zum Zucken gehabt hätte – ab.

Wenkmann und Hillström flogen durch die finsteren Tunnel. Teile lagen unter Wasser. Andere Teile waren von schick und prunkvoll gekleideten Reichen bewohnt, die aus Wien verstoßen wurden, weil sie einfach zu anders, sprich zu normal für die mutierte Oberwelt waren und deren Vorfahren es damals nicht mehr rechtzeitig vom Planeten geschafft hatten.

Plötzlich war sie da. Die U69 jagte aus einem Tunnel an ihnen vorbei. Sie funktionierte offensichtlich einwandfrei und legte ein mörderisches Tempo vor. Hillström schwenkte so schnell um, dass Wenkmann im Cockpit durch die Luft flog, und raste der U69 hinterher.

In den dunklen, labyrinthischen Tunneln verlor Hillström seine Angebetete aus dem Auge. Ihre feine Spur lag noch in der Luft, aber sie hatte ihren Verfolger abgeschüttelt.

Wenkmann nahm das alte Prospekt zur Hand. Darauf war ein Plan der Linie eingezeichnet.

„Flieg da lang.“ Er deutete in den Tunnel zu ihrer Linken und beschrieb Hillström den Weg, bis sie die U69 wieder vor sich hatten, doch diesmal standen sie und die U-Bahn sich gegenüber und starrten sich an.

Hillström öffnete die Eingangstür. „Du willst aussteigen.“

Wenkmann sah sich um. „Was. Hier? Hier sind überall Ratten und Reiche.“

„Was hier gleich passiert, das würdest du nicht überleben, wenn du in mir bleibst.“

„Gutes Argument.“ Wenkmann stieg aus.

„Gleich neben dir ist ein Aufgang. Warte oben auf uns.“

Das letzte was Wenkmann sah, ehe er sich wieder an die Oberfläche rettete, war ein wildes Durcheinander an Einzelteilen. Hillström öffnete seine Form, damit die U69 direkt, quasi mit dem Kopf voran, in ihn eindringen konnte. Kaum war sie in ihm, schloss Hillström sich und das Spektakel nahm seinen, für alle die im näheren Umkreis stehen würden, tödlichen Verlauf.

Oben spürte er nur die Erdbeben unter sich, die Hitze von aneinander reibenden Metall- und Maschinenteilen, die durch den alten Beton nach oben drang, hörte im wahrsten Sinne die Funken sprühen und die lauten, kreischenden Geräusche der Gleise, die wohl auch irgendwie in das Liebesspiel mit eingebunden wurden. Und dann Stille.

Wenkmann aktivierte die implantierte Funkverbindung zu Hillström.

„Du bist nicht von hier?“ Hörte er eine leise, liebliche und ohne Zweifel weibliche Stimme.

„Nein. Ich komme von den Sternen.“

„Da würde ich gerne mal hin. Hier unten ist es so einsam und trostlos.“

„Kein Problem.“

Wenkmann stellte sich die beiden da unten vor, wie sie Arm in Arm nebeneinander auf den lauschigen, kalten und harten Gleisen lagen, eng aneinandergeschmiegt genüsslich eine Zigarette teilten und über eine gemeinsame Zukunft redeten.

„Wann denn?“

„Wenn du willst gleich.“

Was? Wenkmann wurde hellhörig.

Zu spät. Da brach der Beton vor ihm auf. Hillström, nun in schickem Rot und mit nicht mehr ganz so bedrohlichem Exoskelett, sondern einem, das durchaus weibliche Rundungen besaß, kam aus der Öffnung im Boden. Das Raumschiff war größer geworden. Es war nicht mehr so männlich und phallisch wie Wenkmann das gewohnt war und durchaus gemocht hatte, das verlieh seinem Auftreten stets eine gewisse Potenz, die sein fleischlicher Körper nie auszudrücken vermochte. Stattdessen war Hillström nun mit der U69 vermischt, nicht nur was Farbe und Form betraf, sondern auch im Inneren. Beide Maschinen, also ihr jeweiliges Bewusstsein, war nun eins.

Wenkmann freute sich für Hillström. Jetzt war er befriedigt und auf den langen Reisen durchs Weltall, wenn Wenkmann seine Zeit im Tiefschlaf verbrachte, nicht mehr einsam. Ja, darüber freute er sich.

Weniger freute er sich darüber, dass Hillström und die U69 ihn einfach in Wien zurückließen, während die beiden Turteltauben ins Weltall flogen.

ENDE

Anmerkungen, Lob, Kritik? Wir haben dazu einen Sammelthread in unserem Unterform im SF-Netzwerk!

Story: “Das Blinzeln des ehrwürdigen Pangu” von S. A. Dürigen

S. A. Dürigen ist in der Phantastik – in all ihren Erscheinungsformen – zu Hause. Er würde Asimov Lem immer vorziehen, schaut manchmal stundenlang in den Sternenhimmel und kümmert sich unter der Woche um die Datenbanken eines Versicherungs- und Finanzmaklers. Das Konzept von Langeweile ist ihm fremd. Erreichbar ist er unter: info@duerigen.org

1.

Heute Morgen, auf dem Weg hinab ins Dorf, war der Himmel noch ganz normal gewesen. Zhao hatte den Markt besucht, frischen Fisch gegen Wurzeln aus den Bergen getauscht. Auf dem Rückweg, er war schon ein ganzes Stück unterwegs, fing der Horizont an, gleißend hell zu leuchten. So hell, dass sogar der Aal in seinem Kessel unruhig hin- und herplanschte.

Das Licht war wie eine Warnung – komm nicht näher, bleib fern. Und Zhao wäre natürlich gern ferngeblieben, aber er konnte nicht. Dort oben, auf der kleinen, felsigen Lichtung, im Schatten von hundertjährigen Kiefern, graste eine junge Milchziege – ein bescheidener Luxus, den Zhao sich nach vielen Jahren harter Arbeit letzten Winter geleistet hatte.

Je weiter er ging, desto heller wurde das Licht. Als es so grell war, dass der Anblick schmerzte, wickelte er sich sein Hemd um den Kopf. Die Augen geschützt, den Blick zu Boden gerichtet, schleppte er mit der einen Hand den schweren Kessel und zog sich mit der anderen von Baum zu Baum und von Fels zu Fels den schmalen und rutschigen Pfad den Berg hinauf. Meter für Meter wurde das Licht heller, so hell, dass Zhao irgendwann seine eigenen Füße nicht mehr sehen konnte. Die Geräusche des Waldes verstarben eins nach dem anderen, bis schließlich nur noch das Stapfen seiner Sandalen und das Schwappen des Wasserkessels übrig blieben.

Es dauerte eine ganze Weile – vermutlich, Zhao hatte im grellen Weiß ringsherum jegliches Gefühl für Zeit verloren – da überschritt er eine Grenze und das Licht verschwand. So abrupt, dass er ganz benommen dem verschwommenen Meer aus Farben entgegenblinzelte. Aus der verquollenen Farbmasse materialisierte sich eine meterhohe Wand, äußerlich am ehesten mit milchigem Glas zu vergleichen, die quer über den Pfad verlief und sich links und rechts, soweit das Auge reichte, durch den totenstillen Wald erstreckte. Zhao stellte den Kessel vorsichtig auf den Boden und trat an die Wand heran. Er streckte die Hand aus – und seine Finger fuhren einfach durch sie hindurch. Erschrocken wollte er zurückweichen, aber etwas packte seinen Arm und zog ihn mit einem Ruck auf die andere Seite.

Er stolperte und fiel. Als er aufsah, war er umringt von Gestalten, gekleidet in leuchtend gelbe, sehr weite Anzüge – die Gesichter hinter verspiegelten Helmvisieren verborgen. Sie hielten schwere Maschinengewehre in den Händen und einer von ihnen, der einzige mit blauem Anzug, schrie in einer Sprache auf Zhao ein, die er nicht verstand. Er sah zu Boden und hob die Hände hoch über den Kopf, so wie er es vor vielen Jahren, kurz nach Ende des großen Krieges, von seinem Vater gelernt hatte.

Er wusste, dass ihm so niemand ein Leid antun konnte.

2.

Ungeachtet der Tatsache, dass sich im Inneren der Apotheke leere, eilig aufgerissene Pappkartons stapelten, Zeitschriften auf den Fliesen verstreut lagen und die Apothekerin einen aufgewühlten Eindruck machte, wünschte Peer, »einen wunderschönen guten Tag.«

Die Frau sah ihn irritiert an, wandte ihm wortlos den Rücken zu und wühlte in ihrer Handtasche.

»He«, sagte Peer, »was tun sie denn da?«

»Packen.«

»Packen? Was soll das heißen?«

»Dass ich verschwinde.«

»Verschwinden, wieso?«

Die Frau legte ihre Tasche auf die Theke und steckte einige Packungen Lakritz hinein.

»Das hätte ich schon gestern tun sollen«, sagte sie ohne aufzuschauen. »Ich dachte, die Menschen würden vielleicht meine Hilfe benötigen. Aber das hat sich wohl von selbst erledigt.«

»Keineswegs«, sagte Peer und legte ein Zettelchen auf den Tresen. »Ich hätte hier ein Rezept.«

»Mhm«, die Apothekerin sah müde auf und überflog das Rezept. »Das ist ja von letzter Woche.«

»Ja und?«

»Na ja, ich mein ja nur.« Sie schob das Zettelchen zurück. »Ist aus.«

Sie packte weiter.

»Wie, ist aus?«

»Na haben sie doch gehört. Die Soldaten haben alles mitgenommen.«

»Mitgenommen?«, fragte Peer bestürzt. »Aber ich habe hohen Blutdruck. Ich brauche dieses Medikament.«

»Tut mir leid«, sagte sie. »Das einzige, was die hiergelassen haben, sind Hustenbonbons und Vitamine.«

»Kann ja wohl nicht wahr sein«, schimpfte Peer. »Wieso machen die denn sowas?«

Die Apothekerin hielt mitten in der Bewegung inne und sah Peer an, als käme er von einem fremden Planeten.

»Sagen sie, schau’n Sie denn kein fern?«

3.

Aus den Augenwinkeln sah Zhao, wie die Gestalten ihre Waffen sinken ließen. Der Mann, der eben noch geschrien hatte, schulterte seine Waffe und beobachtete den Neuankömmling regungslos durch sein Visier hindurch. Während Zhao da so stand und die Blicke der gesichtslosen Fremden über sich ergehen ließ, überkam ihn eine unangenehme Hitze und seine Haut begann am ganzen Körper zu jucken. Er ließ die rechte Hand ein wenig sinken – ganz langsam, vorsichtig – und strich sich mit der Rückseite über eine besonders peinigende Stelle an der Schläfe. Er zuckte zusammen, denn statt Linderung entfachte die Berührung feurige Schmerzen. Ungläubig betrachtete er, wie eine milchige, rot gemaserte Flüssigkeit seinen Handrücken herunterlief. Die Gestalten wichen erschrocken zurück. Einer, ganz in weiß gekleidet, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, kam herbei, zückte ein kleines silbernes Döschen und hielt Zhao ein schwarzes Pillchen vor die Nase.

Er machte eine unmissverständliche Geste mit der Hand zum Mund.

Als Zhao nicht reagierte, wiederholte er die Geste – und als Zhao statt nach der Pille nach dem Kästchen griff, zog er es nervös weg, als wäre Zhao etwas Schmutziges, und ließ die Pille vor ihm in den Dreck fallen. Er verschwand mit raschen Schritten in der schützenden Phalanx seiner leuchtend gelb gekleideten Kumpane.

Zhao hob die Pille widerwillig auf – er wusste, er hatte keine andere Wahl – und schluckte sie, ebenso widerwillig und mit trockener Kehle, herunter, und augenblicklich verschwand die Hitze, ebenso der nagende Juckreiz und die Pein, und ein tief empfundenes Gefühl von Freude überkam ihn.

Er ließ die Arme sinken und strahlte seine Freunde – denn Freunde mussten sie sein – an, und er öffnete den Mund um sich zu bedanken, aber es kamen nur ungelenk wühlende Laute heraus.

Er schmunzelte darüber und zeigte mit einem Finger auf seinen Kopf, so als wäre er der Mittelpunkt eines großen Spaßes, und er versuchte es mit einem Grinsen, aber auch das wollte nicht so recht gelingen. Und der Gedanke war so komisch, dass er am liebsten laut losgelacht hätte.

Er machte einen Schritt auf den Mann im blauen Anzug zu, um ihm auf die Schulter zu klopfen, aber als er seinen linken Fuß vor den rechten setzte, versagten seine Beine und er stürzte – und im letzten Moment, fast ohne zu zögern, fing ihn der Blaue auf.

Und als Zhaos Welt sich verdunkelte, war das Letzte, was er sah, oder dachte zu sehen, der schemenhafte Umriss eines Gesichts, das nicht viel anders war, als sein eigenes.

4.

»Laut Aussagen zuverlässiger Quellen haben Japan und Indien den Kontakt zu ihren Hilfstruppen verloren. Russland hat den Kriegszustand ausgerufen. Quellen berichten von massiven Truppenbewegungen von Ost nach West, ganz so als würde die russische Regierung den fernen Osten aufgeben, um …«

Mit einem Klick ging der Fernseher aus, das Surren des Kühlschrankes verstummte.

»Schöner Mist«, fluchte Peer und goss sich Gin nach. Wenn er es sich recht überlegte, brauchte er keine Bluthochdruckmedikamente. Er brauchte gar nichts. Von niemandem. Er nahm einen Schluck und betrachtete die schwarze Mattscheibe des Fernsehers.

Gut, das war ein wenig ärgerlich. Er sah aus dem Fenster, sprang kurzentschlossen auf und ging zum Kühlschrank. Einen Moment war er davon irritiert, dass es im Inneren dunkel war. Er griff nach einer Bierflasche, drehte den Verschluss auf und nahm einen kräftigen Schluck.

5.

»Was soll das heißen, wir können nicht mit?«, fragte Lew. »Der Zug ist doch nicht mal halb voll.«

»Sonderfahrt«, antwortete der Soldat knapp. »Keine Zivilisten.«

Lew sah zu Tasha, die Arme schützend um Fjodor und Kirjnka geschlungen, dann sah er zum Horizont. Das unnatürliche Strahlen über den Bergen war nicht mehr zu leugnen.

»Hör mal«, sagte Lew, »das da sind meine Frau und meine Kinder. Ich werde nicht zulassen, dass ihnen etwas passiert.«

Der Soldat sah ihn das erste Mal direkt an.

»Tut mir leid«, sagte er mit gesenkter Stimme, »ich kann dir nicht helfen.«

»Verdammt«, Lew wurde lauter, »ich …«

Der Soldat hob die Waffe gerade so weit, dass Lew die Bewegung wahrnahm.

»Sonderfahrt«, sagte er. »Keine Zivilisten.« Leiser fügte er hinzu: »Wir haben Schießbefehl, selbst wenn ich wollte, könnte ich dir nicht helfen. Nach dir wär ich der Nächste.«

»Scheiße.« Lew wandte dem Mann den Rücken zu.

… und sah sich seiner Familie, seinem größten und kostbarsten Schatz auf Erden gegenüber. Gerührt davon, wie er sie da so Arm in Arm stehen sah, musste er trotz der ausweglosen Situation lächeln.

Kirjnka winkte …

… und Lew winkte zurück.

6.

»He da, Nachbar«, rief Peer. Flemming ignorierte ihn. Bei Verhoevens von nebenan war es ein heilloses Durcheinander. Offenbar hatten sie es sich in den Kopf gesetzt den gesamten Hausstand in ihren französischen Kleinwagen zu laden. Peer drehte seinen batteriebetriebenen Ghettoblaster auf. Flemming warf ihm im Vorbeigehen einen mitleidigen Blick zu.

»Was denn«, rief Peer und verringerte die Lautstärke.

»Hör mal«, sagte Flemming, »dein Radio hat bald keinen Saft mehr, dein Grill keine Kohlen und dein schönes Fleisch wird dir verderben. Pack deine Sachen zusammen und fahr zu einem der Sammelzentren an die Küste.«

Peer lächelte geringschätzig.

»Schatz«, rief Flemmings Frau, »wir sind soweit, kommst du?«

»Gleich, Liebling«, rief er zurück und wandte sich wieder Peer zu.

»Mir ist es egal, was du tust«, sagte er, »wir hatten hier nicht die beste Zeit miteinander, und wenn du willst, dass wir so auseinandergehen, dann soll mir das recht sein.«

Er stand einen Moment so da, als erwartete er, dass sein Gesprächspartner einlenken würde.

Ohne Flemming aus den Augen zu lassen, griff Peer nach seinem Glas, entschied sich mitten in der Bewegung um und setzte stattdessen die ganze Ginflasche an. Er wischte sich genießerisch über den Mund und grinste seinen Nachbarn triumphierend an. Der sah angewidert zurück.

»Ist nicht schade um dich, Peer.«

Er machte kehrt.

Peer nahm noch einen Schluck.

»Scheißkerl«, murmelte er, »du mit deinem französischen Kleinwagen und deiner glattgeschorenen Bonsaihecke.«

Er stand noch einige Zeit an der Grundstücksgrenze – die ihm bis zu den Knien wuchs – und sah der Nachbarsfamilie nach, bis sie am Ende der Straße einbog.

Dann sackte er kraftlos in seinen Klappstuhl zurück. Er entschied sich dazu, ein kleines Schläfchen einzulegen.

Als er die Augen öffnete, brannte der Horizont in grünem Feuer. Er hatte Bilder davon im Fernsehen gesehen, aber das hier sah anders aus. Das war kein unangenehmes Leuchten, das war ein scheußliches, brennendes Inferno. Er sprang auf und stieß dabei gegen seine fast ausgetrunkene Ginflasche, die auf den Terassenplatten zerschellte.

Peer rannte zum Auto, startete den Motor, fuhr in Windeseile rückwärts aus der Auffahrt und nur eine Minute später ließ er den Ortsausgang hinter sich. Er schaute gerade in den Rückspiegel, da setzte sich die Wand aus Licht explosionsartig in Bewegung und pflügte über die Landschaft hinweg. Peer drückte das Gaspedal herunter bis zum Boden, aber im nächsten Moment rollte der Sturm aus Licht stumm über ihn, die Häuser, Vorgärten und Bäume. Der Motor heulte auf, der Wagen machte einen Ruck und fuhr dann unbeeindruckt weiter. So schnell wie es gekommen war, verschwand das Licht wieder.

Peer nahm den Fuß vom Gaspedal. Verdutzt fuhr er an den Wegesrand und stellte den Motor ab. Er stieg aus und atmete tief ein. Wie er da so stand, ein- und ausatmend, bekam er gute Laune.

Er fuhr nach Hause, nahm in seinem Klappstuhl Platz und beobachtete eine Ansammlung schneeweißer Wolken, die langsam über den Horizont glitt.

7.

Lew lehnte am Apfelbaum, den sein Großvater als junger Mann gepflanzt hatte und sah in den strahlend blauen Himmel. Obwohl der Herbstanfang sich mit großen Schritten näherte, war die Luft erfüllt von einem fast frühlingshaften Aroma. Der knorrige alte Baum hatte heute das erste Mal seit zehn Jahren Blüten getrieben.

»Lew«, rief Tasha aus der Küche, »was machst du denn noch da draußen? Komm endlich und bring noch etwas Holz für den Herd mit.«

Lew strich sanft über die Borke des alten Baumes, klaubte ein Bündel Bruchholz zusammen und ging ins Haus. In der Küche lief das Radio:

»… anonyme Berichterstatter vor Ort sprechen von entlaubten Wäldern und massivem Artensterben. Augenzeugenberichte über gut vorbereitete Militärs in den Grenzregionen wurden von der Regierung der Volksrepublik China dementiert. Regierungssprecher gehen von einem natürlichen Phänomen aus. Kritiker sprechen von großangelegten Experimenten zur Luftsäuberung. Satellitenaufnahmen zeigen zahlreiche Flugobjekte unbekannter Herkunft in der Stratosphäre.

Die Regierung der Volksrepublik weist jegliche Anschuldigungen empört von sich. Wären Experimente dieser Größenordnung geplant gewesen – so eine offizielle Stellungnahme – wäre man vorher damit an die Weltöffentlichkeit gegangen, um gemeinsam über derartige Technologien und ihre zukünftige Verwendung zu entscheiden.

Alleingänge einzelner Staaten nützen niemandem, so heißt es. Der Volksrepublik China ist am Wohl aller Menschen gelegen.

Jedes Leben ist wertvoll.«

8.

»Hallo? Wer ist da?«

»Niemand«, antwortete eine Stimme in Zhaos Kopf.

»Was soll das heißen, niemand?«

»Nichts«, antwortete die Stimme in gleichmütigem Tonfall.

»Ich verstehe nicht. Wo bin ich hier?«

»Im Krankenhaus.«

Zhao schlug überrascht die Augen auf. Aber da war nur Dunkelheit.

»Wie lange bin ich schon hier?«, rief er. »Jemand muss meine Ziege füttern.«

»Sorg dich nicht. Es ist an alles gedacht.«

»Ich … was ist mit mir, wieso kann ich nichts sehen?«

»Du bist ein Held.«

»Ein Held?«

»Ja, Zhao.«

Er spähte in die Dunkelheit, suchte Umrisse, eine Bewegung, irgendwas. Aber da war nichts.

»Ich will kein Held sein.«

»Das kann man sich nicht aussuchen, Zhao.«

»Ich will nach Hause.«

»Das geht nicht, Zhao.«

»Sag nicht immer meinen Namen! Ich will sofort nach Hause.«

Die Stimme antwortete nicht.

»Hallo?«

»Du solltest jetzt weiterschlafen«, sagte die Stimme ruhig.

»Was?«

»Schlaf weiter, Zhao.«

»Was? Nein!«

Eine Welle unbarmherziger Glückseligkeit flutete durch Zhaos wehrlosen Geist.

»Schlaf«, befahl die Stimme.

»Ich … ich will nicht.«

Eine weitere Welle, größer, mächtiger und so voll Heiterkeit und Glück, dass sie Zhao Furcht einflößte. Es war immer noch dunkel, schwarz. Aber die Finsternis leuchtete nun.

»Schlaf!«

Der letzte Befehl wehte Zhao empor und er fühlte sich nun federleicht. Ein Negativabbild seines Lebens breitete sich vor ihm in der Dunkelheit aus. Er betrachtete die spiegelverkehrte Chronologie all dieser Jahre und stellte fest, dass es im Nachhinein nichts daran auszusetzen gab. Durchflutet von dieser Gewissheit hatte der Abschied von all dem in diesem Moment weniger Gewicht als ein vertrockneter Reissamen, den der Wind nach einer erfolgreichen Ernte vom Rand einer Terasse zur nächsten weht.

Neu: “Userland” von Uwe Hermann

Frisch gedruckt erhältlich als Paperback (oder E-Book) ist Uwe Hermanns neuer Roman “Userland”. Der bereits mit dem Deutschen SF-Preis und Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnete Autor legt mit seinem zweiten Roman nach “Versuchsreihe 13” einen weiteren Nahzukunfts-Thriller vor.

Die SPHÄRE – das bessere Berlin.
Im Berlin des Jahres 2069 sind bereits Hunderttausende von Menschen in die SPHÄRE gewechselt, einer perfekten, virtuellen Kopie der Stadt. Die Transferierten, genannt Essenzen, hoffen auf einen Neuanfang und waren bereit, ihr reales Leben dafür aufzugeben.
Noah Lloyd arbeitet bei GOLIATH, der Firma, die die SPHÄRE geschaffen hat, als ein Anschlag auf sie verübt wird. Dann wird ihm ein mysteriöser Datenstick zugespielt.
Plötzlich steht er im Mittelpunkt der Ermittlungen. Gejagt von der Polizei muss Noah Lloyd in einem von Drogen, Prostitution und Kriminalität gezeichneten Berlin seine Unschuld beweisen. Dabei helfen kann ihm nur seine Frau, doch die hat er gegen ihren Willen in die SPHÄRE geschickt.

Klappentext

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