Kategorie: Allgemein

Rezension: Shadowrun – “Iwans Weg” von David Grade

Der Pegasus-Spieleverlag versucht sich am Neustart einer Shadowrun-Rollenspiel-Romanserie – geschrieben von deutschen Autoren. Den Anfang macht mit David Grade ein bisher in der SF-Szene eher unbeschriebenes Blatt – daher sind wir auf das Ergebnis ganz besonders gespannt.

“Iwans Weg” spielt vollständig im Dortmund der “Sechsten Welt” anno 2077/78, also einer düsteren Cyberpunk-Zukunft mit Fantasy-Elementen. Die Titelfigur, alles andere als ein strahlender Held, gerät zwischen die Fronten eines gnadenlosen Kampfes: Letztlich sind es zwei Feenwesen, die ihre Konflikte statt in ihrer eigenen Welt in der Menschenwelt austragen, sich metamenschliche Handlanger suchen, und dabei auf keinerlei Kollateralschäden Rücksicht nehmen.

Der Roman ist hart, dreckig, blutig (aber nicht blutrünstig) und das genaue Gegenteil einer romantischen Zukunftsvision. Aber das ist eben Shadowrun.

Dass es sich um ein Rollenspiel-Universum handelt, fällt – im Gegensatz zu anderen Werken – dem Leser nicht negativ auf. Natürlich verwendet der Roman die üblichen Begriffe und Elemente wie Decks und Komms, Runs und Chummer (es gibt im Anhang ein Glossar und eine kurze Einführung in die Welt). Aber an keiner Stelle hat man das Gefühl, als hätte der Autor wie in einem Rollenspiel das Ergebnis eines Kampfes ausgewürfelt, oder trifft auf Verhältnisse, die nur Eingeweihte nachvollziehen können. Lediglich die kapitelweise wechselnde Figurenperspektive erinnert an ein Rollenspiel, das von mehreren Spielern getragen wird, aber das ist wegen der durchaus unterschiedlichen Handlungsträger sogar von Vorteil. Dabei sind Story und Handlungsweise der Figuren in sich plausibel, was man gar nicht genug betonen kann, wenn man sich anschaut, was für Aneinanderreihungen von Plot-Holes dem SF-Fan üblicherweise etwa in aktuellen SF-Filmen aufgetischt werden.

Es ist deutlich hervorzuheben, dass dieser Roman keinesfalls nur für Fans oder Kenner von Shadowrun zu empfehlen ist. Er geht inhaltlich weit über ein oder zwei Runs – also Abenteuermissionen – hinaus. Der Autor nimmt sich viel Zeit, um seinen Figuren, insbesondere Iwan, Tiefe zu verleihen. Die meisten schleppen üble persönliche Probleme mit sich herum, die durchaus relevant für die Handlung sind. Dabei versteht der Autor, wovon er redet, denn er arbeitet als Therapeut in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie, mit einem Schwerpunkt auf posttraumatischen Belastungsstörungen.

Wer einen temporeichen, dreckigen, coolen Cyberpunk-Roman mit Tiefgang und authentischem Ruhrpott-Lokalkolorit lesen möchte, ist hier genau richtig.

Den 344 Seiten starken Roman gibt es für €12,95 überall, wo es Bücher gibt. Infos beim Verlag.

Natürlich sind wir nach diesem gelungenen Neustart der Shadowrun-Romanserie sehr gespannt auf weitere Bände, die bereits angekündigt sind. Wir werden das Thema in naher Zukunft mit Interviews und weiteren Artikeln im Auge behalten.

Unterhaltung:

Anspruch:

Originalität:

Game-Test: “Surviving Mars”

Habt ihr auch den Eindruck, als wäre der erste bemannte Flug zum Mars das “nächste große Ding” der Menschheit? Seit dem Film “Der Marsianer” wirkt das gar nicht mehr so weit weg. Da wundert es nicht, wenn sich einer der großen Macher von Strategiespielen – Paradox Interactive – auf das Thema stürzt und ein Aufbauspiel herausbringt, das uns in die gar nicht so ferne Zukunft befördert, um den Mars tatsächlich zu besiedeln. Genau darum geht es in “Surviving Mars”. Weiterlesen

Interview mit Marcus Hammerschmitt

Marcus Hammerschmitt ist mit Sicherheit einer der interessanten deutschen SF-Autoren der Gegenwart. Mit seinen oft anspruchsvollen Erzählungen und Romanen greift er aktuelle Fragestellungen auf und projiziert sie in eine Realität abseits der unsrigen. Wir haben mit ihm u. a. über Wissenschaft, die Maya und Ostdeutschland gesprochen.

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Rezension: “Neanderthal” von Jens Lubbadeh

Diktatur der Fürsorge

Haben Sie Kinder? Wenn ja, dann kennen Sie das: Gehen Sie mit Ihren Kleinen auf den Spielplatz, Fahrrad mit Stützrädern im Gepäck. Lassen Sie die Kleinen dort fahren, aber bitte schön immer mit Helm, die Verletzungsgefahr ist sonst zu groß. Wagen Sie es nicht, den Helm (evtl. auf Bitten oder Quengeln) der Kinder abzusetzen, die soziale Kontrolle funktioniert! Die Eltern der anderen werden über Sie tuscheln oder Sie gar darauf hinweisen, dass es doch gefährlich ist, so ohne …

Nun, meine Kinder fuhren immer ohne Helm, wie auch ich selbst das tue. Die Gefahr (auf dem Kinderspielplatz!!!) ist doch nun wirklich äußerst gering, die Fallhöhe sowieso und die Stützräder tun ihres dazu … Viel sinnvoller wäre es da doch, dass die Erwachsenen unisono beim Spazierengehen, ja sogar in der Wohnung einen Schutzhelm tragen sollten, die Fallhöhe und Wahrscheinlichkeit einer Verletzung ist deutlich höher, als in dem oben beschriebenen Beispiel. Zumindest sollten die Kleinen aber doch bei ihren ersten Gehversuchen einen solchen tragen, auch da ist Wahrscheinlichkeit und Fallhöhe zumindest gleich der, die in dem oben beschriebenen Szenario geschildert wurde.

Nun, seltsamerweise werden diese Schutzmaßnahmen komplett abgelehnt – noch!

Warum habe ich diesen Einstieg gewählt?

Nun, weil Jens Lubbadeh uns in eine Welt entführt, die sich aus der unseren entwickelt hat. Sie liegt gerade mal ein paar Jahrzehnte in der Zukunft. In einer Zukunft, in der es zum guten Ton gehört, sich gegen alle möglichen Risiken abzusichern, in der Zuschläge zur Krankenversicherung kassiert werden, wenn man das nicht tut. In einer Zukunft, in der fast jedes ungeborene Kind einer Genanalyse unterzogen wird. In einer Zukunft, in der die Designer für jede (oder eben nur fast jede) Krankheit, die durch Gene verursacht werden könnte, eine Antwort haben. Schädliche Gene müssen aus dem Genpool ausgemerzt werden. Sie verursachen Krankheiten und schädigen somit die Gesellschaft genauso, wie Rauchen, Alkohol trinken, die Einnahme sonstiger Drogen und eben das ungeschützte Fahrradfahren schon der Allerkleinsten (der Einschub ist von mir, ich gestatte dem Autor gerne, das bei einer zweiten Auflage seines Werkes mit einzubauen). Schadhaft ist jedes Gen, das im Verdacht steht, eine Krankheit auslösen zu können und sei es auch nur die 10%ige Wahrscheinlichkeit an Heuschnupfen zu erkranken. Für Vieles werden die 1-2% Neandertalergene verantwortlich gemacht, die jeder Europäer und Asiate noch heute in sich trägt. Im späteren Verlauf der Handlung treten dann plötzlich neue Volkskrankheiten auf, von denen vermutet wird, dass sie Folge der Genhygiene sein könnten.

Daneben ist die soziale Kontrolle immens. Sich in der Öffentlichkeit ohne Fitnesstracker zu bewegen ist für die Karriere auf gar keinen Fall förderlich. Lubbadeh schildert uns hier eine Gesellschaft, deren Entwicklung wir im Hier und Heute bereits in den Anfängen (s. o.) miterleben können.

Und bevor jetzt eben diese Gesellschaft einen Shitstorm über mich hereinbrechen lässt: Selbstredend ist es vernünftig nicht zu Rauchen und keine anderen Drogen zu konsumieren und es ist auch vernünftig, beim Radfahren einen Helm zu tragen (als Radrennfahrer laufe ich ansonsten Gefahr, mich ernsthaft zu verletzen), aber man sollte doch das Risiko abwägen und dann erst eine Entscheidung treffen und nicht pauschalieren.

Und da sind wir wieder bei Lubbadeh, er zieht hier zu Felde gegen jegliche Art der Pauschalierung, der Verallgemeinerung und zeigt uns anschaulich, welche Strömungen sich da in der Gesellschaft auftun.

Das alles verpackt er in einer Science-Thriller-Umgebung (früher hätte man Science Fiction dazu gesagt).

Der Roman beginnt damit, dass Polizisten eine Leiche zu untersuchen haben, eine Leiche, die Absonderlichkeiten aufweist. Ein Behinderter? So was gibt es noch?! Ja, aber selten, sehr selten, weil eben die Genhygiene eigentlich alles abfedert.

Zweifel schleichen sich ein, als auf seinem Smart(phone) eine Datei entdeckt wird, die zu einem Massengrab im Neandertal führt. Ein Massengrab, in dem sich merkwürdige Knochen befinden. Die hinzugezogenen Experten (einer davon gehörlos, sprich behindert!) bestätigen: Neandertaler. Und das ausgerechnet an dem Fundort, der wohl weltweit zu den am besten archäologisch dokumentierten Stätten gehört. In der Folge stellt sich heraus, dass die Knochen gar nicht so alt sind, wie sie sein sollten. Nicht einmal 100 Jahre ist es her, dass man sie im Boden verscharrte. Die C14 Methode ist ungenau, bei solchen Zeitabschnitten.

Nun geht es Schlag auf Schlag, Spannung kommt auf. Protagonisten verschwinden und werden durch andere ersetzt. Es gibt eine Rückblende in die Urzeit, die uns mit der Frage konfrontiert, warum die Neandertaler, unsere Vettern, denn nun wirklich ausgestorben sind. Hat der Homo Sapiens sie ermordet? Der erste Genozid? Haben unsere Vorfahren sie gar als Eiweißquelle benutzt, sie gegessen?

Nun, in den Protagonisten liegt eine gewisse Schwäche des Romans. Nicht unbedingt in der Charakterisierung, sondern eher darin, dass gut eingeführte Personen (der Kommissar beispielsweise) an Stellen aus dem Spiel genommen werden, an denen es unnötig war, das zu tun. Er hätte einen würdigeren Abgang verdient gehabt.

Was mich ebenfalls gestört hat, war die Darstellung der Antagonisten. Die kamen für mich nicht wirklich glaubhaft rüber. Abgrundtief böse, mit nicht dem Mainstream entsprechenden sexuellen Neigungen, das war für mich zu viel des Guten (ähm, Bösen). Da bevorzuge ich Gegenspieler, deren Motive für mich als Leser nachvollziehbar sind und bleiben (aber deshalb lese ich ja auch keine Horrorromane).

Sei es drum, das Buch ist ein eindrucksvolles Plädoyer für die Vielfalt jeglicher Art begonnen im Kleinsten Baustein, in unseren Genen. Ein Thema, das mir aus dem Herzen spricht.

Und wer wissen will, warum nun die Neandertaler ausgestorben sind, der muss sich bis fast zur letzten Seite gedulden. Auch das eine eindrucksvolle Lösung des Rätsels und wenn man mich fragt, durchaus eine wahrscheinliche.

Lubbadeh hat sich in meiner Wahrnehmung mit diesem Roman sehr gesteigert. Habe ich für seinen Erstling noch drei Sterne vergeben (das war auch nicht schlecht!), vergebe ich hier vier.

Passend zum Roman gibt es auch ein Interview mit dem Autor auf unserer Seite.

Unterhaltung:

Anspruch:

Originalität:

Interview: Jens Lubbadeh

Jens Lubbadeh (Credit: Christina Körte/Random House)

dsf: Hallo Jens. Zuallererst möchte ich mich für deine Bereitschaft bedanken, mir für ein Interview zur Verfügung zu stehen.

Wer ist Jens Lubbadeh? Gibst du uns einen kleinen Überblick über deine Vita? Hast du Kinder?

Lubbadeh: Hallo, ich freue mich auch über das Interview. Ich lebe seit knapp 20 Jahren in Hamburg (trotz des Wetters), bin 44 Jahre alt und arbeite seit vielen Jahren hauptberuflich als Wissenschaftsjournalist. Kinder habe ich noch keine.

dsf: Wählen wir einen etwas ungewöhnlichen Einstieg: Wie hältst du es mit dem Helm beim Radfahren?

Lubbadeh: Ich denke, wir sollten den Lesern kurz diesen Einstieg erklären: „Neanderthal“ spielt in einem zukünftigen Deutschland, das von Gesundheit und Selbstoptimierung besessen ist. Niemand will mehr ein Risiko eingehen, vor allem nicht beim eigenen Nachwuchs. Ungeborene Kinder werden auf Krankheiten gescannt und genetisch optimiert, lebende Kinder überbehütet. Das haben wir ja jetzt schon: Helikoptereltern, die ihre Kinder im SUV bis vor die Schultür fahren, ihnen die Ranzen in die Klasse tragen und ihre Kinder permanent per Smartphone überwachen. Mit dem Fahrradhelm spielst du auf eben genau diese Nullrisiko-Mentalität an. Nun aber zu deiner Frage: Ich weiß, dass es vernünftig wäre, einen zu tragen, vor allem, weil ich viel Rad fahre. Aber ich gestehe: Ich trage keinen Helm. Das hat zwei Gründe: Erstens ist es in Hamburg oft kalt und regnerisch und man kann Helme schlecht mit Mützen kombinieren. Die sind mir schlicht zu kalt. Und zweitens: Fahrradhelme sind hässlich und unpraktisch im Anketten.

dsf: Erzählst du uns etwas über deinen Werdegang? Ich meine, du bist mir in der SF erstmalig aufgefallen, als du deinen Roman “Unsterblich” veröffentlicht hast. Wie bist du zur SF gekommen?

Lubbadeh: Ich bin in Rom geboren – mein Vater war Diplomat und meine Eltern sind daher viel gereist. Aufgewachsen bin ich aber im beschaulichen Städtchen Gießen, in Hessen. Ich habe dann im noch beschaulicheren Tübingen Biologie studiert und bin dann nach Hamburg gezogen, weil ich Journalist werden wollte.

Sci-Fi habe ich schon immer geliebt und viel gelesen und gesehen, das ging schon im Kindesalter los. Sehr zum Verdruss meiner Mutter 😉

dsf: Warum gerade SF? Ich meine, es gibt immense andere Literaturströmungen. Den Mainstream beispielsweise. Was hebt für dich die SF von den anderen Strömungen ab?

Lubbadeh: Ich sehe das etwas anders. Scifi ist nach meinem Empfinden sehr im Mainstream verankert und das ist auch gut so. Das Problem ist nur, dass sie vor allem in Deutschland von den Wächtern der Hochliteratur nicht akzeptiert wird, was ich sehr ärgerlich finde, weil sie so wichtig ist – Qualität und Schrott gibt es in jeder Literaturgattung, da sollte man nicht so tun, als sei das ein gattungsimmanentes Problem. „1984“ ist ein Klassiker der Weltliteratur, ein Schlüsselroman des 20. Jahrhunderts „The Circle“ von Dave Eggers war ein Welterfolg und ist in meinen Augen der wichtigste Scifi-Roman der letzten Zeit, das 1984 unserer Zeit sozusagen. Und Hollywood plündert seit Jahren das opulente Werk von Philip K. Dick für große Produktionen. Mehr Mainstream geht doch nicht.

Warum nicht Scifi? Ich liebe Gedankenexperimente, stelle mir oft Was-wäre-wenn-Fragen, liebe es, fantasievoll über die Zukunft der Welt und der Menschheit nachzudenken.

dsf: Auf Spiegel online ist vor einiger Zeit (Herbst 2017) ein Artikel erschienen, in dem gesagt wird, dass es heutzutage Eskapismus sei, SF nicht zu lesen. Begründet wird das damit, dass dies die einzige Literaturgattung ist, die sich mit den Problemen der Zukunft befasst, bevor sie entstanden sind. Wie siehst du das? Ist es wirklich die Extrapolation oder werden nicht vielmehr häufig unsere Probleme der Jetztzeit lediglich verfremdet dargestellt?

Lubbadeh: Das sehe ich genauso. Indem Science-Fiction mögliche Zukunftsszenarien extrapoliert, schärft sie unseren Blick für die Gegenwart, zwingt uns zum Nachdenken und Diskutieren über den Status Quo und macht uns bewusst, dass wir die Zukunft machen und nicht die Zukunft gemacht wird. Wir haben es in der Hand, wo wir als Gesellschaft hinsteuern und ob wir dorthin steuern wollen.

Manchmal werden Probleme der Jetztzeit tatsächlich in der Scifi verfremdet dargestellt. Das finde ich aber in Ordnung, es kann ja helfen, Berührungsängste und Tabus zu überwinden, insbesondere in unfreieren Gesellschaften kann die Scifi da ein wichtiges Medium sein.

dsf: Wie läuft denn dein Arbeitstag ab? Haben wir uns das so vorzustellen, dass du regelmäßige Stundeneinteilungen am Tag hast? Gönnst du dir ein freies Wochenende?

Lubbadeh: Ich bin freiberuflicher Journalist. Wenn ich kein Buch schreibe, dann recherchiere und schreibe ich Artikel zu Themen aus Wissenschaft, Technik und Medizin für Magazine, Zeitungen und Online-Portale. Das ist auch meine Haupt-Ideenquelle für meine Romane.

Wenn ich ein Buch schreibe, mache ich nichts anderes nebenher. Ich orientiere mich da an der Arbeitsweise von Stephen King und setze mir ein Tagessoll von etwa 1000 bis 2000 Wörtern. Wenn ich das geschafft habe, ist Feierabend. Ich brauche diese Disziplin. Würde ich jeden Tag darauf warten, dass die Muse mich küsst, würde ich Jahre für ein Buch brauchen – und überhaupt immer wieder aus der Konzentration kommen und jede Gelegenheit zur Prokrastination nutzen. Aber natürlich gibt es solche und solche Tage. Manchmal schafft man mehr. Manchmal schafft man weniger. Wichtig ist, dass man gütig ist mit sich.

Ich gönne mir freie Wochenenden, aber es ist tatsächlich schwierig, am Montag wieder in diese Konzentration und in diese Schreibstimmung zu kommen. Ein Plot wird ja immer komplexer, man muss den Überblick behalten über die Handlung, die Figuren, im Kopf behalten, wer gerade wo in seiner Entwicklung steht. Nach einer Auszeit, und sei es nur das Wochenende, muss man sich da jedesmal wieder reinarbeiten und vor allem reinfühlen.

dsf: Wie lange sitzt du durchschnittlich an der Recherche/Planung eines Buches? Und wie viel Zeit benötigst du im Vergleich dazu dann mit dem Niederschreiben?

Lubbadeh: Die Recherchen mache ich meistens schon im Zuge meiner journalistischen Arbeit. Für das Schreiben meiner beiden letzten Bücher habe ich jeweils etwa sechs Monate gebraucht. Aber die Entwicklung des Exposés, des Plots, die Nachbearbeitung, Lektorat, Korrekturen brauchen auch viel Zeit. Vielleicht noch einmal zwei Monate.

dsf: Kannst du dir deine Projekte frei wählen? Oder musst du, wie Verschwörungstheoretiker in der Szene gerne kolportieren, „Auftragsarbeiten“ für den Verlag erledigen?

Lubbadeh: Ja, kann ich. Aber natürlich spreche ich mit meiner Agentin und meinem Lektor über die Ideen und Exposés. Dabei kommen oft noch gute Ideen mit rein.

Aufträge hatte ich noch nicht, weiß aber, dass es das gibt. Ich finde das aber nicht verwerflich. Wenn mich das Thema reizen würde – warum nicht?

dsf: Wie projektierst du deine Romane? Ich meine, es gibt ja so viele verschiedene Herangehensweisen an das Schreiben eines Buches. Manche Autoren machen sich einen ausführlichen Szenenplan, andere fangen einfach an und schreiben drauflos. Wie machst du das?

Lubbadeh: Bei „Unsterblich“ hatte ich mich an Stephen King orientiert, der die Position vertritt, die Geschichte über die Figuren entwickeln zu lassen. Ich hatte anfangs nur einen groben Plan. Dann habe ich aber ziemlich schnell gemerkt, dass das wirklich schwierig ist. Für einen erfahrenen Autoren wie King mag das funktionieren, für einen Neuling ist es schwer, sich ganz ohne Karte in der Wildnis zurechtzufinden. Ich habe dann angefangen, einen Szenenplan zu machen, mir aber trotzdem noch die Flexibilität vorbehalten, jederzeit Änderungen vorzunehmen, falls sich irgendwas nicht stimmig anfühlte. Bei „Neanderthal“ bin ich gleich so vorgegangen, aber noch viel mehr Augenmerk auf die Figuren gelegt. Ich denke, jeder Autor muss herausfinden, was für ihn am besten funktioniert.

dsf: Gibt es wirklich die Verlagsvorgaben, was die Seitenzahlen (Stichwort Ziegelstein) eines Romans angeht oder ist das ein modernes Märchen?

Lubbadeh: Habe ich so nicht erlebt. In der Kalkulation des Umfangs war ich völlig frei.

dsf: Gibt es auch Kurzgeschichten aus deiner Feder?

Lubbadeh: Noch nicht, aber ich würde gerne welche schreiben. Ich habe ständig neue Ideen, bei manchen bin ich aber nicht sicher, ob sie für ein Buch tragen würden – die könnte man in einer Kurzgeschichte ausprobieren.

dsf: Was macht Jens Lubbadeh in seiner Freizeit? Liest er auch andere Autoren? Falls ja, welche? Und in welchem Umfang? Ich meine damit, es gibt Menschen, mich eingeschlossen, die lesen pro Woche mindestens ein Buch, wie sieht das bei dir aus?

Lubbadeh: Ich bin ein sehr neugieriger Mensch, interessiere mich für so ziemlich alles… außer vielleicht Formel 1 und Aktien. Ich reise gerne, liebe Wandern und Radfahren, bin gerne in der Natur, aber ich mag auch die Stadt und entdecke einfach gerne Neues. Klar lese ich viel, ich mag Dave Eggers, Khaled Hosseini, Paul Auster, William Gibson, Stephen King, T.C. Boyle, um spontan mal ein paar zu nennen. Mein Problem ist: Ich muss beruflich sehr viel lesen, Artikel, wissenschaftliche Veröffentlichungen. Daher brauche ich abends oft einfach einen Medienwechsel und lese nicht so viel wie ich eigentlich gerne würde.

dsf: Kommen wir zu deinem neuesten Werk: Neanderthal. Du kennst meine Rezension. Ich habe da als Manko die Charakterisierung deiner Bösewichte genannt. Was hat dich dazu bewogen, z. B. Eva-Marie Mercure so darzustellen?

Lubbadeh: Es freut mich, dass dir das Buch so gut gefallen hat! Ich wollte einen weiblichen Bösewicht, Mercure sollte aber auch menschliche, schwache Seiten haben. Sie ist Epileptikerin, ihre Krankheit versteckt sie, weil sie sich im gesundheitsoptimierten Deutschland keine Blöße geben will. Im Laufe des Buchs entwickelt sie sich, sie wird selbst zum Opfer und wechselt am Ende die Seiten.

dsf: Warum hast du den Kommissar so sang und klanglos aus der Handlung genommen? Ich hätte mir gewünscht mehr über ihn und vor allem seinen Umgang mit der Gesellschaft zu erfahren.

Lubbadeh: Das hat sich einfach so entwickelt. Nach und nach haben sich Max Stiller und Sarah Weiss als die wahren Hauptfiguren herausgeschält.

dsf: Bist du eigentlich schon einmal auf einer Con (Science Fiction Convention) in Erscheinung getreten? Ich habe dich nicht wahrgenommen. Evtl. als unauffälliger Besucher?

Lubbadeh: Nein, ich war nie Teil der Szene und empfinde mich selbst auch nicht als Scifi-Nerd. Wie ich schon sagte, sehe ich die Science-Fiction als wichtigen Teil unserer Kultur und finde, dass sie omnipräsent ist.

dsf: Viele Menschen begegnen mir mit der These: Wenn ich mal viel Zeit habe, so als Rentner, dann schreibe ich auch ein Buch. Ideen habe ich ja genug. Ich entgegne dann immer: Die Zeit ist nicht der Faktor. Andere Menschen haben auch Hobbies, die sie täglich bedienen, die Zeit kann man auch in ein Buchprojekt stecken. Ich muss vielmehr etwas zu erzählen haben. Was würdest du einem angehenden Autor raten, wie sollte er vorgehen?

Lubbadeh: Mich hat Stephen Kings Buch „On Writing“ sehr inspiriert und motiviert. Ich würde jedem angehenden Autor raten, es zu lesen (auch wenn er Kings Romane nicht mag). Sein autobiographisches Buch darüber, wie er schreibt und wie er das Schreiben sieht und empfindet, ist sehr hilfreich und gültig für alle Autoren.

King sagt: “You got to talk the talk and walk the walk”. Irgendwann einmal ein Buch schreiben zu wollen ist das Eine. Es zu tun, das andere. Ein Buch zu schreiben, ist viel Arbeit und erfordert viel Disziplin und Durchhaltevermögen. Vielleicht ist dafür nicht jeder gemacht. Aber tatsächlich sehe ich es auch so, dass man als Autor die Motivation in sich verspüren muss, etwas zu erzählen zu haben. Ein Buch nur aus Selbstzweck zu schreiben, halte ich für reine Egobefriedigung.

dsf: Wie weit ist dein Vorlauf? Wie viele Bücher sind bereits fertig, wenn eines erscheint? Schreibst du an einem weiteren Buch?

Lubbadeh: Ich habe bereits eine konkrete Idee für das dritte Buch. Und eigentlich auch schon Ideen für Buch 4 und 5. Ich habe noch viel vor….

dsf: Kannst/darfst du uns einen Ausblick geben, was wir in naher Zukunft aus deiner Feder zu erwarten haben?

Lubbadeh: Ich finde die Kombination Journalist/Schriftsteller sehr spannend und in beiden Richtungen sehr befruchtend. Als Journalist bin ich am Puls der Gegenwart, der Schriftsteller in mir macht sich Gedanken darüber, wie diese Aktualität sich in die nahe Zukunft übersetzen könnte. Umgekehrt hat das belletristische Schreiben mein journalistisches Schreiben bereichert. Ich schaue mehr auf die Geschichte, auf Dramaturgie und die Personen. Wenn weiterhin alles gut läuft, wird es von mir hoffentlich noch viele weitere Wissenschafts-Scifi-Thriller geben. Aber ich bin offen für alles. Vielleicht habe ich ja mal Lust, einen Horror-Roman zu schreiben? Oder ein Theaterstück? Wer weiß….

dsf: Ich vergleiche das Schreiben eines Buches gerne mit der Zeugung und Geburt eines Kindes. Der Beginn ist wunderschön, zum Ende hin wird es immer beschwerlicher und der Schluss ist häufig Schmerz pur. Dann kommt die plötzliche Erleichterung und der Autor fällt in ein Loch. Kannst du dich in dieser Beschreibung wiederfinden?

Lubbadeh: Ich habe noch kein Kind gezeugt, kann diese Analogie also nicht überprüfen. Ich starte gerne in eine neue Geschichte. Der Schreibprozess selbst hat viele Höhen und Tiefen, jeder Tag ist anders. An jedem Morgen beginnt der Kampf gegen das weiße Blatt Papier, gegen die Angst in einem, die fragt: Oh Gott, was soll ich jetzt tun? Wie geht’s jetzt weiter? Oder gar: Kann ich das überhaupt? An anderen Tagen flutscht es wie von selbst und abends bin ich voller Euphorie und befriedigt, etwas Gutes geschafft zu haben.

Prinzipiell ist der Moment, wenn man das Manuskript zuende geschrieben hat, ein sehr schöner, ich verspüre dann tiefe Befriedigung und Stolz. Also würde ich für mich sagen: Der Anfang ist schön, die Mitte eine Achterbahnfahrt und das Ende fühlt sich wieder gut an. Eigentlich wie das Leben selbst, oder?

dsf: Wie gut bist du in der Szene vernetzt? Ich meine, ist Jens Lubbadeh eher ein Einzelkämpfer oder gibt es da Zusammenkünfte mit anderen Autoren, quasi ein Austausch/Brainstorming?

Lubbadeh: Ich stehe in Kontakt mit anderen Autoren, meine Literaturagentur macht jedes Jahr ein Sommerfest, da lernt man viele Kollegen kennen. Auf der Buchmesse habe ich außerdem andere Autoren vom Heyne-Verlag kennengelernt. Das ist ein sehr nettes Miteinander und der Austausch total fruchtbar. Autoren sind eine nette Spezies, finde ich.

dsf: Gibt es Zeiten, in denen du eine Schreibblockade hast? Ich kenne zum Beispiel Situationen, in denen ich zwar weiß, wie die Geschichte weitergehen soll, ich aber einfach nicht die Worte finde, dies zu schreiben. Nun ist das bei mir unspektakulär, ich kann den Text dann einfach mal Wochen oder Monate liegen lassen. Wie gehst du mit solchen Situationen um?

Lubbadeh: Eine richtige, wochenlange Blockade hatte ich noch nicht. Aber es gibt Tage, wo einfach kaum was rauskommt. Ich zwinge mich dann dennoch zum Schreiben. Was hilft, ist, morgens vor der Arbeit die sogenannten Morgenseiten zu schreiben – einfach wahllos drei Seiten zu füllen, mit irgendwas, mit allem, was einem in den Sinn kommt. Das entleert den Geist von Müll und Banalem und macht die Synapsen warm für den eigentlichen Schreibprozess.

dsf: Könntest du dir auch Projekte mit anderen Autoren vorstellen? Ich stelle mir das schwierig bis unmöglich vor, will ich doch immer meine Ideen umsetzen und nicht die der anderen. In der Szene gibt es aber genügend Beispiele. Angefangen vom Schreiben nach Exposé bis hin zu echten Kooperationen zwischen zwei oder mehr Autoren. Wie siehst du so ein Projekt?

Lubbadeh: Ja, kann ich mir vorstellen. Aber die Chemie muss stimmen und die Herangehensweise und die Schreibstile müssen einigermaßen kompatibel sein. Der Leser sollte nicht das Gefühl haben, dass das Buch stilistisch auseinanderfällt.

dsf: In der Literatur gibt es genügend Beispiele, dass das Alterswerk eines Autors nicht mehr die Qualität hat, die der Autor auf dem Höhepunkt seines Schaffens hatte. Stellvertretend seien hier nur Karl May, Robert Heinlein oder Isaac Asimov erwähnt. Hast du vor einer solchen Entwicklung Angst? Ich hoffe darauf, dass man mich darauf hinweist, wenn es so weit ist. Wie siehst du das?

Lubbadeh: Also, ich habe ja gerade erst als Schriftsteller begonnen. Über sowas kann man sich Gedanken machen, wenn man viele Jahre im Geschäft ist und einiges geschafft hat.

dsf: Wie siehst du überhaupt dein Schaffen? Gibt es da Personen deines Vertrauens, die dir ehrlich ihre Meinung sagen? Oder gibt es da kein Korrektiv?

Lubbadeh: Klar, die gibt es. Freunden und Kollegen gebe ich Sachen zu lesen, schon während des Schreibprozesses. Dennoch haben die einen Bias, weil diese Leute dir persönlich wohlgesonnen sind und sich womöglich mit Kritikpunkten zurückhalten. Am besten wäre es, Fremden vorab das Manuskript zu zeigen. Ich suche noch nach geeigneten Personen.

dsf: Wenn ich einen Text fertiggestellt habe, bin ich in der Sekunde des Abschlusses euphorisch. Endlich geschafft …, und überzeugt davon, etwas absolut geniales verfasst zu haben. In der Sekunde danach kommt dann immer der Absturz, die Selbstzweifel. Ich überlege dann, ob das Werk überhaupt jemals das Licht der Öffentlichkeit erreichen darf, weil ich mir urplötzlich aller Schwächen bewusst werde (ob berechtigt oder nicht sei mal dahingestellt). Kennst du solche Zustände auch und falls ja, wie meisterst du sie?

Lubbadeh:. Im Moment des Abschlusses bin ich auch euphorisch. Für genial halte ich mich nicht, aber in der Regel bin ich sehr stolz auf mein Schaffen. Die Selbstzweifel habe ich natürlich auch, die sind immer wieder da, mal mehr, mal weniger. Ich denke, als Autor muss man das aushalten lernen, das gehört dazu. Und wenn du den Schritt in die Öffentlichkeit machst, muss dir klar sein, dass es immer Leute geben wird, die es nicht mögen werden, was du geschrieben hast. If you can’t stand the heat, get out of the kitchen. Sonst macht man sich nur kaputt.

Mein Vorteil ist: Von meiner journalistischen Arbeit her bin ich Kritik und Öffentlichkeit gewohnt. Aber klar, ein Roman ist nochmal was anderes als ein Artikel, er ist persönlicher, in ihn sind mehr Arbeit und Herzblut geflossen, da ist man verletzlicher.

dsf: Die SF-Literatur scheint sich im Niedergang zu befinden. In anderen Medien (Film, Computerspiel) ist eher das Gegenteil der Fall. Warum ist das deiner Meinung nach so? Ist es überhaupt so?

Lubbadeh: Die SF-Literatur befindet sich nicht im Niedergang. Das Problem, was ich sehe: Ihre Akzeptanz ist in Deutschland leider gering. In den USA ist das anders.

dsf: Es gibt mehrere deutsche SF-Literaturpreise, die in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit ein Schattendasein frönen. Gibt es deiner Meinung nach Möglichkeiten, das zu ändern?

Lubbadeh: Am liebsten hätte ich es, wenn es solche Genre-Preise gar nicht nötig hätte. Es sollte Literaturpreise geben und die sollten nicht nach dem jetzigen Klassensystem nur vermeintlicher Hochliteratur verbehalten sein, sondern jeglicher Literatur.

dsf: In diesem Zusammenhang: Dein aktuelles Buch „Neanderthal“ wird als Thriller und nicht als SF angeboten. Ist es wirklich in der Literatur „verkaufsschädigend“, wenn auf einem Buch das Label SF erscheint? In anderen Medien (Film/Computerspiel) scheint mir das eher ein Gütesiegel zu sein.

Lubbadeh:  Verkaufsschädigend würde ich nicht sagen, ich denke, das ist eher eine Vertriebsentscheidung des Verlags, für welche Leserschichten das Buch passen könnte. „Neanderthal“ ist ein Mix aus Science-Fiction, Thriller, Krimi und richtet sich nicht nur an Science-Fiction-Liebhaber. Das können auch Thriller- und Krimi-Freunde gut lesen, daher steht wohl Thriller drauf.

dsf: Lieber Jens, ich möchte mich an dieser Stelle recht herzlich für das Interview bedanken.

Zu diesem Artikel gibt es einen Diskussionsthread im SF-Netzwerk.

Retro-SF in frischem Gewand

Was 60 Jahre alte elektrische Träume uns lehren können

Betrachtet man die zeitgenössische Science Fiction, kann einem angst und bange werden. Nicht, weil diverse Dystopien das Ende der Welt, zumindest aber das des freien Willens oder des physischen Sexualverkehrs vorhersagen. Vielmehr verbirgt sich hinter einer bunten Fassade aus aufwändigen Special Effects häufig – rein gar nichts. Jedenfalls nicht der Grund, wegen dem die SF eine Sonderstellung in Literatur und Medien einnimmt: Das Genre eignet sich mehr als andere, um dem Jetzt den Zerrspiegel vor die Nase zu halten, um soziale Probleme zu extrapolieren oder philosophische Fragen zur Verortung des Menschen im Universum zu stellen.

Kein Wunder, dass Fans heute immer noch uralte Schmöker oder Filme abfeiern, wenn man sie nach den Highlights des Genres fragt: Retro geht immer.

Aber war früher wirklich alles besser? Wohl kaum. Besteigen wir doch eine Zeitmaschine, wahlweise in Form einer blauen Telefonzelle, und reisen Genre-standesgemäß in die Vergangenheit.

Sie haben kein solches Gerät zur Verfügung? Dabei sollte es doch einem Lieferdienst der Zukunft ohne weiteres möglich sein, Ihnen eines zuzustellen, oder? Na, lassen wir das. Den umgekehrten Weg zu nutzen, ist viel leichter, weil jemand freundlicherweise kürzlich einen Haufen Retro-SF in unsere Gegenwart katapultiert hat. Die Rede ist natürlich von »Electric Dreams«, der Anthologie-Serie von Channel 4 und Sony Pictures Television, die unter anderem bei Amazon Prime zu sehen ist. Die Macher haben sich 10 Kurzgeschichten von Genre-Legende Philip K. Dick vorgenommen, die alle Mitte der 50er Jahre entstanden sind, und sie modernisiert. Mister Dick, hinlänglich bekannt als geistiger Vater von Bladerunner oder The Man In The High Castle, hat also keineswegs SUVs, Smartphones oder Twitter vorhergesagt, die in den Episoden durchaus vorkommen. Das ist letztlich eine modernisierte Fassade, hinter der sich allerdings immer humanistische Fragen verbergen und nicht nur die nächste Tüte Popcorn:

Wie erkennen wir eigentlich die »echte« Wirklichkeit, wenn es zwei gibt, die sich beide verdammt real anfühlen? Können, dürfen oder sollten Roboter lügen, um Menschen vor unangenehmen Wahrheiten zu schützen? Und was ist so schlimm daran, Menschen durch Maschinen zu ersetzen, wenn die sich viel menschlicher verhalten als die Menschen selbst?

An solchen Fragen – auf die es freilich ganz unterschiedliche Antworten geben kann – kann sich eine gute Geschichte messen lassen, und in dieser Hinsicht schneiden die 60 Jahre alten Storys von PKD deutlich besser ab als das meiste, was uns heutzutage unter dem Label SF aufgetischt wird.

Das sieht in Buchform nicht viel anders aus: Dicke Wälzer mit Raumschiffen vor einem Sternenhimmel sind nicht selten so leer wie das abgebildete Vakuum, wenn man nach Substanz, Humanismus oder gar Sozialkritik sucht.

Nicht zuletzt deshalb verorten manche Zeitgenossen die SF längst auf dem Müllhaufen der Geschichte – Gebrauchs- oder Wegwerfliteratur. Und: Nein, Raumschiff Enterprise hat nicht das Smartphone in Form des Tricorders vorhergesagt. Allzu groß ist die Ähnlichkeit tatsächlich nicht: Oder können Sie Ihr Handy zu einem Hyperphasenwellenmodulator umbauen, wohlgemerkt ausschließlich unter Verwendung einer zum Lötkolben umfunktionierten Phaserpistole?

Sicher dienen mehr oder weniger verschmitzte Pointen rund um verwirrte Lieferdrohnen und sprechende Autos, mit etwas Glück auch über Psycho-Bots, tschuldigung, Apps zur psychologischen Betreuung, durchaus der Unterhaltung. Kurzgeschichten mit solchen Inhalten findet man zuhauf in einschlägigen Anthologien oder Magazinen (z.B. in EXODUS). Dass die SF an sich viel mehr kann als seichte Pointen, vergessen manche Autoren leider häufig. Auf dem Altar des nächsten Spezialeffekts oder Cliffhangers wird bisweilen sogar jegliche Plausibilität geopfert. Beispiele dafür fallen sicher jedem Fan zur Genüge ein der ST: Discovery nicht durch die Trekker-Brille geschaut hat.

Vielleicht ist nach 60 Jahren dank »Electric Dreams« die Zeit gekommen, erneut hinter der bunten Fassade einer knackigen Geschichte so etwas wie Substanz zu verstecken. Natürlich kann es dabei nicht schaden, Stars wie Geraldine Chaplin, Liam Cunningham und Richard Madden im Cast zu haben. Aber eine gute Story schafft es auch ohne bekannte Schauspieler, im Gedächtnis zu bleiben.

Das zeigen auch Autoren hierzulande, sei es in Form von Romanen (z.B. »Qualityland« von Marc-Uwe Kling), Kurzgeschichten oder youtube-Filmen wie diesem.

SF muss nicht entweder kreischbunt oder intelligent sein. Es geht auch beides gleichzeitig.

Das ist der Traum von Philip K. Dick und auch der meiner Wenigkeit.

Interview: Bernd Behr und die Storys in c’t

Bernd Behr ist vielen Insidern der Szene gut bekannt: Jahrzehntelang war er beim c’t-Magazin für die Story-Rubrik zuständig, d.h. er war Ansprechpartner für all die Autoren, die SF-Kurzgeschichten im c’t-Magazin unterbrachten – wohlgemerkt gegen ordentliches Honorar und in hoher Auflage, was im deutschen Sprachraum so ziemlich einzigartig ist. Nun ist Bernd Behr in den Ruhestand gegangen – höchste Zeit, ihm einige Frage zu seiner Tätigkeit zu stellen.

dsf: Lieber Bernd, hast Du eigentlich irgendeine Ahnung, wie viele
eingesendete Storys Du in der ganzen Zeit gelesen hast? Und wieviele
Jahre waren diese “ganze Zeit” insgesamt eigentlich?

bb: Gefühlt an die zehntausend in genau 30 Jahren. Aber ich habe mal überschlagen, dass wir mehr als 500 Storys seit November 1987 in c’t veröffentlicht haben müssen. Bei einem geschätzten Verhältnis von eingehenden Manuskripten und tatsächlich gedruckten von 10:1 müsste ich dann etwa 5000 Manuskripte gelesen haben.

dsf: Wie fing das alles eigentlich an? Wie kamt ihr auf die Idee,
ausgerechnet in einer Computerzeitschrift Kurzgeschichten abzudrucken?

bb: Die Idee hatte einer der beiden Chefredakteure, Detlef Grell – selbst ein eingefleischter SF-Fan. Er hatte Kontakt zu ein paar Hannoverschen SF-Autoren, und wir trafen uns zu einer Besprechung mit Gero Reimann und Winfried Czech in einer Kneipe, wo bei einigen Bierchen das Projekt geboren wurde. Nachdem die Redaktionsleitung zugestimmt hatte, habe ich dann die Betreuung des Projekts übernommen. Es hatte natürlich nur eine Chance, indem wir uns von vornherein auf Story-Inhalte beschränkten, die mit IT zu tun hatten.

dsf: Gibt es eigentlich viel Feedback von den Lesern? Negativ kann es ja grundsätzlich nicht sein, sonst gäbe es die Rubrik sicher längst nicht mehr …

bb: In den ersten Jahren gab es häufiger positives Feedback, später, als die c’t-Story zur Selbstverständlichkeit wurde, nur noch selten. Kritik gab es eher versteckt, direkt an die Chefredaktion herangetragen. Als Folge davon wurde ich dann angewiesen, die Themeneinschränkung enger zu ziehen. Es hatten sich wohl einflussreichere c’t-Leser beschwert, dass Fiktion in einem technischen Magazin, das vorwiegend von Ingenieuren gelesen wird, nichts zu suchen habe.

dsf: Oft sind die Illustrationen zu den Geschichten nicht weniger
kreativ als die Texte selbst. Gehört das zum künstlerischen Gesamtkonzept?

bb: Absicht war, dass die Story-Aufmachung sich deutlich von den Fachartikeln unterschied. Die Illustratoren Susanne Wustmann und Michael Thiele waren schon für den Verlag tätig. So lag es nahe, sie mit Illustrationen für die Storys zu beauftragen. Die Zusammenarbeit mit den beiden war 30 Jahre lang sehr fruchtbar.

dsf: Die c’t ist eine der ganz wenigen Möglichkeiten für deutsche SF-Autoren, Kurzgeschichten gegen ein ordentliches Honorar zu veröffentlichen. Gibt es eigentlich Vorgaben für Einsendungen? Müssen Texte mit Computern, Games oder Robotern zu tun haben?

bb: Wie schon früher gesagt, ist die c’t ein knallhartes Technik-Magazin. Wenn schon Fiktion darin erscheint, muss sie wenigstens von den Magazin-Themen ableitbar sein. Das einzige Argument gegenüber den Kritikern. So hatte dann auch Computer-Fantasy selten eine Chance auf Abdruck.

dsf: Angenommen, ein eifriger Autor liest diese Zeilen und möchte unbedingt sein Werk einsenden. Ist das überhaupt erwünscht? Und, wenn ja: Wohin soll er es schicken und was passiert dann als nächstes?

bb: Es war und ist weiterhin erwünscht, und zwar am besten per E-Mail an story (at) heise.de. Auf jede Zusendung gab es mindestens eine Eingangsbestätigung, später meist auch eine Ablehnungsbegründung. Und mein Nachfolger in der Redaktion wird es wohl auch so halten.

dsf: Welche Anekdoten rund um die c’t-Kurzgeschichten kannst Du zum besten geben? Gab es besondere Highlights oder gar Lieblingsgeschichten?

bb: Die Erfolgreichste c’t-Story, was die Leserreaktionen betraf, war “Der Dialog der Schwestern” von Carsten Elsner. Darin ging es um RSA-Kodierung, und den Schluss der Story konnten die Leser nur entziffern, indem sie die RSA-Kodierung aufgrund der in der Story gelieferten Informationen knackten. Es kamen viele Zuschriften, die entweder erzählten, dass sie wieder aus dem Bett springen mussten, um das Rätsel zu lösen, oder die einfach nur baten, das Ende zu verraten. Einer der Leser hat sogar eine Internetseite mit einem Tool zur Dekodierung eingerichtet.

Auf eine Geschichte von Josella Playton in den 90er Jahren hin, gab es Aufregung im Verlag. Der Vorstand der Deutschen Bank hatte sich beim Verlagschef Christian Heise beschwert, und eine Rüge wälzte sich durch die Instanzen bis zu mir. In der Geschichte verabredeten sich einige Hacker auf den Servern der Deutschen Bank zu einer Straftat. Die Herren von der Bank entrüsteten sich darüber, dass man Mitarbeitern der Bank solches unterstellte. Von der Redaktion instruiert konnte unser Chef die Herren dann in die Abgründe der Vernetzung einführen. In den 90er waren die Chefetagen in dieser Beziehung noch ahnungslos.

dsf: Du hast jetzt im Ruhestand sicher eine Menge Zeit, sozusagen SF “außer Konkurrenz” zu lesen. Würdest Du Dich als SF-Fan bezeichnen? Zu welchen Romanen oder Autoren greifst Du?

bb: Ein richtiger SF-Fan bin ich wohl nicht, dafür lese ich zu wenig. In den 30 Story-Jahren war ich mit den Manuskripten SF-mäßig ausgelastet, darüber hinaus habe ich nur ein paar SF-Bestseller gelesen. Aber ich bin ein Mensch, der eher in die Zukunft blickt als zurück. Insofern ist das Weiterdenken dessen, was an technischem Wissen vorliegt, genau mein Ding. Was und wieviel ich im Ruhestand lesen werde – keine Ahnung. Auf jeden Fall muss es weiterhin ein einigermaßen realistisches Szenario bieten.

dsf: Vielen Dank für das Gespräch!

 

Zu diesem Interview gibt es einen Diskussionsthread im SF-Netzwerk.

 

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