Kategorie: Rezensionen

Rezension: “Die Reinsten” von Thore D. Hansen

Nach einer globalen Katastrophe – Atomkrieg, Seuchen, Klimawandel – haben die überlebenden Menschen die Macht über die Welt an eine gewaltige KI namens Askit abgegeben, die daraufhin über mehrere Generationen hinweg die Reste der alten Zivilisation recycelt und den Menschen in einigen großen, geschützten Refugien Sicherheit und Überleben bietet. Die Elite bilden die “Reinsten”, die dank Cyber-Implantat ständig mit Askit verbunden sind, gescannt und mit Punktzahlen bewertet werden. Die “Reinsten” sind Wissenschaftler, die gemeinsam mit Askit an der Wiederherstellung der Welt arbeiten. Allerdings beantwortet Askit, anders als sein Name suggeriert, keineswegs alle Fragen der Menschen, sondern scheint einen eigenen, undurchschaubaren Plan zu verfolgen. Als eine der Reinsten, Eve, aus “Paradise” (!) und damit dem Einflussbereich von Askit flieht, trifft sie weit weg auf von Askit geduldete Kolonisten, die der postapokalyptischen Welt auf ihre eigene Weise Lebensraum abgerungen haben. Dort werden nach und nach Geheimnisse der Vergangenheit gelüftet, aus denen sich dramatische Zukunftsfragen ergeben.

Der soweit durchaus reizvolle Ansatz hat in der Romanumsetzung leider gleich mehrere Probleme. Das größte davon ist Askit. Die undurchschaubare KI ist nichts anderes als ein gigantischer deus ex machina. Zu keinem Zeitpunkt haben die menschlichen Figuren irgendeine Chance, die genauen Pläne von Askit zu erkennen, Gründe für seine Handlungen nachzuvollziehen oder gar Einfluss auf es (Askit ist sächlichen Geschlechts) zu nehmen. Die “Reinsten”, die an sich Wissenschaftler sein sollen, handeln zumindest nach heutigen Maßstäben nicht wie solche. Sie reden viel und viel aneinander vorbei, sie reisen umher, debattieren über vage Vermutungen, ohne Tiefgang, ohne Erkenntnisgewinn. Erst nach einem Drittel des Romans kommt die Handlung richtig in Gang. Den zu diesem Zeitpunkt “Verstoßenen” (laut Klappentext; in Wirklichkeit läuft Eve aus eigenem Antrieb vor Askit weg) bleibt nichts anderes übrig, als wild über Askits Entstehung, Aufbau und Absichten zu spekulieren. Dabei wird auf plausible Argumentationsketten weitgehend verzichtet, stattdessen wird “vertrau mir bitte” gesagt oder ein ernsthaftes Gesicht aufgesetzt. Wilde Vermutungen werden teils mehrfach wiederholt, überprüfen kann sie niemand, da sich Askit jeglicher Frage nach Belieben entziehen kann (oder sie mit wenig hilfreichem Geschwurbel beantwortet) und anscheinend auch alle Wissensdatenbanken der Welt kontrolliert. Keiner der Wissenschaftler kommt auf die Idee, mal nach Beweisen für seine Vermutungen zu suchen, oder andere Figuren, die irgendwelche Behauptungen aufstellen, nach stichhaltigen Beweisen für ihre Thesen zu fragen. Als dann die zunehmend weinerliche, in Extremsituationen auch mal in Ohnmacht fallende Protagonistin (die eigentlich durch Genmanipulation emotional optimiert sein soll) auch noch anfängt, einen stattlichen, kernigen Kolonisten anzuschmachten, ist der Rezensent geneigt, das Buch in die Ecke zu pfeffern. Zum Glück vermeidet es der Roman so gerade noch, in eine banale Liebesgeschichte abzugleiten.

Auffällig ist, dass die Figuren sehr viel nonverbal kommunizieren, während sie kaum einen längeren Gedankengang nachvollziehbar in Worte fassen können, ohne mittendrin das Thema zu wechseln. Ersatzweise werden Fäuste geballt, tief geseufzt, besorgt gefragt, die Augen aufgerissen, oder Figuren richten sich nach dem vagen Gefühl, ihr Gegenüber verfolge irgendeinen Plan (den sie selbst definitiv nicht haben). Da der größte Teil des Textes aus Dialogen (verbal und nonverbal) besteht, ist es bisweilen schwierig, Beweggründe der Figuren nachzuvollziehen, sich mit ihnen zu identifizieren. Das alles untergräbt nachhaltig die Glaubwürdigkeit der ganzen Weltkonstruktion.

Keinesfalls geht das Buch als Wissenschaftsthriller durch. Für einen Thriller ist es schlicht nicht spannend genug, und wissenschaftlich bleibt es arg oberflächlich. Wenn von Quantencomputern, Viren, Kryptologie oder Hydroponik die Rede ist, dann klingt das eher nach ein paar aus einschlägigen Artikeln zusammengeklaubten Begriffen als nach einem konsistenten, durchdachten Weltentwurf. Als solcher taugt das Buch einfach nicht: Wir bewegen uns fast nur in wenigen recht abgeschlossenen Milieus und erfahren wenig bis nichts über das Sozial- oder Wirtschaftssystem, über Leben oder Schicksal von Durchschnittsmenschen, über Medien oder Kultur, über Farben, Gebräuche, Gerüche, Kleidung, Ernährung. Die restliche Bevölkerung wird wenn überhaupt als diffuse Menschenansammlung beschrieben, die der einen oder anderen Ansprache lauscht. Das vermag kein besonders großes Leseinteresse auszulösen.

Mehr noch: Das Buch enthält so viele Fehler (Tippfehler, falsche Präpositionen, Bezugsfehler, Wortwiederholungen), dass man zwischendurch irritiert nachschaut, ob wirklich “Golkonda” auf dem Cover steht, und man nicht irgendein unterdurchschnittliches Selfpublisher-Werk vor sich hat.

Fraglos sind Klimawandel und ethische Fragen nach Verursachern und geeigneten Auswegen von großer Bedeutung für die SF. Aber diese auf eine so wirre, abgehobene, humorlose Art zu verhandeln wie in diesem Roman, ist wohl kaum der optimale Ansatz.

Unterhaltung:
Anspruch:
Originalität:

Rezension: !Time Machine Ausgabe 2

Nach der ersten Ausgabe des SF-Fan-Magazins “!Time Machine”, die mit wenigen, dafür ausführlich beackerten Themen überzeugen konnte, waren wir natürlich gespannt auf die um den Jahreswechsel herum erschienene zweite Ausgabe.

Ausgabe 2 des erneut sehr ordentlich aufgemachten Magazins bringt im Wesentlichen vier umfangreiche Artikel, denen man den Umfang der Recherche und die Liebhaberei des jeweiligen Autors unbedingt anmerkt.

So berichtet Udo Klotz auf nicht weniger als 18 Seiten (davon 2 Seiten Literaturliste) quasi enzyklopädisch über Romane, die den Mond auf die eine oder andere Weise zum Thema haben. Dabei kommen sowohl Werke aus lange vergessenen Zeiten zu Ehren wie auch neuere Werke. Klotz schafft es, durch einen lockeren Tonfall keine Langeweile aufkommen zu lassen.

Michael-Lother Höfler berichtet auf knapp 10 Seiten über die Serie “Mark Brandis”. Auch wenn die Tatsache, dass die Neuauflage immerhin im gleichen Verlag erschienen ist, ein klein wenig befremden mag, ist ein ausführlicher Bericht über diese prägende und teils auch zeitlose deutsche SF-Serie natürlich mehr als berechtigt.

Nicht weniger als 16 weitere Seiten nimmt eine Betrachtung der Relationen zwischen Religion und SF ein, geschrieben von Hans Frey. Dem Artikel kann man einerseits eine erfrischende, auf den Punkt kommende Religionskritik zugute halten, vorausgesetzt, man ist wie der Autor Atheist. Andererseits könnte man die Betrachtung als einseitig oder zumindest als “stark von persönlichen Standpunkten gefärbt” bezeichnen. Sachlichkeit darf man jedenfalls nur begrenzt erwarten. Da passt es ins Bild, dass der Artikel dem (O-Ton) “bedeutendsten Religionsroman”, nämlich “Valis” von Philip K. Dick, allein knapp drei Seiten gönnt, obwohl (oder weil?) dieses anspruchsvolle Werk für größere Publikumsschichten wohl eher schwer zugänglich ist. Nicht wirklich nachvollziehbar erscheint es dem Leser letztlich, dass der Autor offenbar keinen einzigen SF-Roman, der jünger als das Jahr 1998 ist, für erwähnenswert hält. Ohne einen Nachweis erbringen zu können (oder zu wollen), halte ich es für sehr unwahrscheinlich, dass in den letzten 20 Jahren kein erwähnenswerter SF-Roman mit Bezug zur Religion erschienen ist.

Überhaupt kann man den Machern von !Time Machine ganz sicher nicht vorhalten, sich zu sehr mit der Gegenwart oder jüngeren Zukunft zu beschäftigen. Auch der letzte Artikel (“Science Fiction History” von Hardy Kettlitz) handelt von den Jahren 1918, 1943, 1968 und 1993.

Auch die diesmaligen “SF-Perlen”, also Besprechungen besonders hervorzuhebender, aber wenig bekannter starker Romane, sind schon vor längerer Zeit erschienen. Immerhin wird eine Graphic Novel und ein Spielfilm thematisiert. Das sind aber Ausnahmen. Ansonsten kann man sagen, dass zumindest in dieser Ausgabe die SF der letzten 20 Jahre so gut wie nicht vorkommt.

So bleibt trotz wirklich sehr gut recherchierter und hoch interessanter Inhalte der Eindruck übrig, mit !Time Machine (Unterzeile: “Das Science Fiction Fan-Zine”) ein Magazin von älteren SF-Lesern für ältere SF-Leser vor sich zu haben. Das mag auch so beabsichtigt sein, aber dann darf man sich eben auch nicht darüber wundern, wenn das SF-Fandom “ausstirbt”.

!Time Machine ist für 4,90 im Verlagsshop erhältlich.

Rezension: “Serverland” von Josefine Rieks

In ein paar Jahren wird es ein weltweites Referendum geben, das beschließen wird, das Internet stillzulegen.

Wenige Jahrzehnte später beginnt die Erzählung von Josefine Rieks. Ein junger Mann sammelt alte Laptops auf Schrottplätzen und sucht nach Hinterlassenschaft des digitalen Zeitalters. Er findet zusammen mit anderen jungen Leuten eine stillgelegte Serverfarm von Youtube und stößt auf seltsam faszinierende Videos.

Wer hier auf einen spannenden Thriller hofft, ist an der falschen Adresse. Der Roman ist eine undramatische, bisweilen ermüdende Beobachtung eines Haufens junger Leute eines Zeitalters, das wir uns kaum vorstellen können. Wohlgemerkt handelt es sich nicht um eine postapokalyptische Dystopie wie “Junktown” oder “Noware”. Unabhängig davon, ob ein weltweites Internet-Abschalt-Referendum überhaupt vorstellbar ist: Sich vorzustellen, wie “unvorbelastete” Leute in der Zukunft auf eine Auswahl Youtube-Videos reagieren (von 9/11 über eine Ansprache von Steve Jobs bis Robbie Williams’ berüchtigtes “Rock DJ”), ist ein bemerkenswertes Konzept. So sorgt zum Beispiel der typische menschliche Fehler, sich eher an positive Dinge zu erinnern, negative aber zu verdrängen, dafür, dass mit keinem Wort erwähnt wird, warum es beim Referendum eine Mehrheit für die Abschaltung gab. Kaum ein Wort über Fake News, Wahlmanipulationen, Datenleaks, Sicherheitslöcher. Die zumeist bemerkenswert naiven jungen Leute, die in die Youtube-Serverfarm eindringen, schauen sich die Videos an, unterhalten sich ein bisschen darüber, feiern Partys, trinken dabei jede Menge Bier und rauchen eine Zigarette nach der anderen und fahren dann einkaufen für die nächste Party. Es ist mehr als auffällig, dass der Protagonist meistens auf andere Personen reagiert, indem er einfach weggeht. Letztlich ist das ein Abbild heutiger typischer Internet-Nutzer: Sie schauen sich irgendwelche Videos an, finden sie cool, reden aneinander vorbei und gehen nicht aufeinander ein. Es mangelt an gemeinsamen Zielen, an Empathie, ja sogar an Sex (angesichts des Alters der Figuren vielleicht etwas überraschend).

Betrachtet man den Roman aus der richtigen Perspektive, bietet er eine Menge Denkanstöße. Da er flüssig geschrieben ist und nicht allzu lang, ist er daher durchaus empfehlenswert.

“Serverland” ist bei Hanser erschienen.

Unterhaltung:
Anspruch:
Originalität:

Rezension: “Wie ich Jesus Star Wars zeigte” von Joachim Sohn

Normalerweise sind Zeitreisegeschichten ja nicht mein Ding, schon gar nicht die recht abgegriffene Sorte “Zeitreise zu Jesus”. Aber der Titel verspricht zumindest eine etwas … andere Herangehensweise.

Gleich zu Anfang nordet der Autor den Leser auf das Thema ein: Der Ich-Erzähler diskutiert mit seinem Freund über Unzulänglichkeiten der neueren Star Wars-Filme. Ein beliebtes Thema unter Fans – für andere Leser vielleicht etwas schwierig nachvollziehbar.

Dann beginnt die Zeitreise (übrigens zeitgemäß per App): Die Absicht des Protagonisten ist es, Jesus zum Jediismus zu bekehren, damit das Christentum zu ersetzen und letztlich zu beweisen, dass Religion inhaltlich weitgehend austauschbar ist.

Offensichtlich hat der Autor hier eine gehörige Portion Religionskritik und Humanismus eingearbeitet (deshalb auch der Verlag – Alibri verlegt sonst Werke von Skeptikern wie Deschner oder Schmidt-Salomon). Gerade in den späteren Diskussionen zwischen Protagonist und Jesus kommen hier zahlreiche Aspekte zur Sprache, die man in SF-Romanen eher selten findet.

Gleichzeitig ist der Roman ein flüssig zu lesendes Abenteuer, das in den historischen Szenen durch farbige Inszenierung und saubere Recherche zu gefallen weiß. Neben teils überraschenden Wendungen gibt es durchschaubare Entwicklungen (wie der Schluss oder eine Romanze), die nur wenige Leser vom Stuhl hauen werden.

Die Hauptfigur handelt alles in allem nicht immer besonders durchdacht, wirkt auf mich überheblich und unsympathisch. Dem Stil hätte etwas Augenzwinkern gut getan, denn viele Stellen sind dermaßen unglaubwürdig, dass man sie nicht ernst nehmen kann, aber allzu viel Humor findet man eben auch nicht.

Ärgerlicherweise hat der Verlag beim Korrektorat furchtbar geschlampt, so dass man fast auf jeder Seite einen Fehler findet. Man gelobt allerdings Besserung für die nächste Auflage.

Das Lesen ist sicher keine Zeitverschwendung, denn das Buch schafft es, dem alten Thema “Zeitreise zu Jesus” neue Aspekte abzugewinnen.

Mit 15 Euro für 220 Seiten in recht großer Schrift ist das Taschenbuch nicht ganz billig, ein E-Book ist derzeit nicht erhältlich.

Weitere Infos beim Verlag

Unterhaltung:

Anspruch:

Originalität:

Rezension: “NSA” von Andreas Eschbach

Mal ein ganz anderer Eschbach. Gleich vorweg, er gefällt!

Wir befinden uns in einer Parallelwelt, ein typisches Science Fiction Setting, auch wenn es auf dem Roman nicht draufsteht. Eschbach geht auch mit keinem Wort auf eben diese Parallelwelt ein. Für ihn, seine handelnden Protagonisten und den Leser ist es die reale Welt und es gibt keine Möglichkeit, wie etwa bei P.K. Dick, zwischen einzelnen Welten hin und her zu wechseln. Es ist die Welt und damit basta.

Und was für eine Welt.

Wir befinden uns in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Wir erleben die Geschichte (die Historie) aus der Sicht zweier Protagonisten mit. Erfreulich, dass Eschbach nur zwei Handlungsstränge führt, die sich zudem recht schnell kreuzen. In meiner Wahrnehmung leiden viele der neueren Werke anderer Autoren unter der zunehmenden Inflation an handelnden Personen.

Hier haben wir eine fast lineare Schilderung der Geschehnisse und das tut dem Roman sehr gut.

Auf der einen Seite finden wir Helene, eine junge Frau, die dem Beruf der „Programmstrickerin“ nachgeht. Faszinierend, wie Eschbach uns Lesern klarmacht, dass Programmieren Frauenarbeit ist, weil es doch so ähnlich wie Stricken sei und das ist doch seit jeher Frauenarbeit. Für Männer ist diese Art der Arbeit verpönt, sie setzen lieber auf dem fertigen Produkt auf und analysieren dann das Ergebnis. Helene ist die Identitätsfigur des Romans, der Leser fühlt mit ihr mit und kann sich gut in sie hineinversetzen.

Auf der anderen Seite haben wir Eugen Lettke, ein Unsympath, wie er im Buche steht und doch in seinen Handlungsweisen logishc und nachvollziehbar. Er ist nur auf seinen Vorteil bedacht und bedient sich der Macht, die er in Händen hält, regelmäßig um für sich selbst das Beste herauszuholen.

Beide Protagonisten hat es als Angestellte in das NSA, das Nationale Sicherheitsamt, verschlagen. Das NSA, diese Behörde, die noch aus den Zeiten der Republik stammt und nun um das Überleben unter der neuen Regierung kämpfen muss, seine Wirksamkeit unter Beweis stellen muss, um der gefürchteten Zerschlagung zu entgehen.

Nun, diese Wirksamkeit wird eindrücklich dargestellt.

Das NSA hat Zugriff auf alle „Datensilos“ auf deutschem Boden, teilweise ist man auch dazu in der Lage sich in ebensolche Datensammlungen weltweit einzuhacken. Man muss ja lediglich die „Parole“ (herrlich diese Wortschöpfungen!) herausfinden, mit der diese Daten geschützt sind. Ein Kinderspiel für die Mitarbeiter des NSA.

Durch die Datenspuren, die jeder im „Weltnetz“ hinterlässt, durch die gespeicherten Daten der mobilen Telephone, durch die Standortbestimmungen eben dieser, lässt sich letztlich fast alles analysieren. Man muss lediglich die einzelnen Daten aus den unterschiedlichsten Tabellen zusammenführen, schon hat man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Ergebnis, nach dem man sucht.

Eschbach zeigt uns in seinem Roman auf, was denn geschehen würde, würde die heutige Technologie von einem totalitären Regime missbraucht und zur Überwachung eingesetzt. Orwell? Orwell ist Kinderkram dagegen!

Eschbach geht sogar so weit, dass er die Möglichkeiten, die mit eben dieser Technologie einhergehen, als viel wichtiger einschätzt, als moderne Waffensysteme. Diese kann man sich schließlich problemlos beschaffen, indem man die Sicherheitssysteme des Gegners hackt.

Wir haben hier ein sehr eindrucksvolles und nachdenklich machendes Werk vor uns, dass uns vor allem auch aufzeigt, wie aussichtslos es ist, sich gegen ein solches System zu wenden, ist man erst einmal in ihm gefangen.

Beide Protagonisten müssen im Laufe der Handlung erkennen, dass sie nur Rädchen im Getriebe sind, müssen mit der Realität leben, dass, auch wenn sie zwischenzeitlich die Technik für ihre eigenen Belange eingesetzt haben, letztendlich nur kapitulieren können – jeder auf seine Art.

Mein Fazit lautet daher: Wir sollten tatsächlich überlegen, ob dieser Roman von Eschbach nicht als Schullektüre empfohlen werden sollte!

Wertung:

Unterhaltung:

Anspruch:

Originalität:

Rezension: “Die Krone der Sterne” (Teil 1+2) von Kai Meyer

Kai Meyer ist der Science Fiction Gemeinde bislang nur als Fantasy-Schriftsteller, und dort als äußerst erfolgreicher, untergekommen. Nun hat er den zweiten Band seiner Science Fiction Reihe Die Krone der Sterne vorgelegt.

Um es gleich mal vorweg zu sagen: Viele SF-Puristen sprechen den Büchern die Zugehörigkeit zum Genre ab, das ist falsch. Sind wir bereit Star Wars und/oder den Wüstenplaneten zur Science Fiction zu rechnen, dann ist auch die Krone der Sterne pure SF.

Wie komme ich auf Star Wars und den Wüstenplaneten?

Nun, ich unterstelle Kai Meyer, dass er beides gelesen/gesehen hat. Ganz offensichtlich hat er sich hier an Versatzstücken bedient.
Was vor ihm bereits genug andere getan haben, man kann das Rad halt schwer neu erfinden.
Man findet den Jedi und die Bene Gesserit, man findet die Barone und Familien, die die Welt des Wüstenplaneten (und damit meine ich ausschließlich den ersten Teil) so grandios gemacht haben. Man findet eine Droge (Schnupftabak!), die einem der Protagonisten eine gewisse Bewusstseinserweiterung bringt, man findet, nein, kein Laserschwert, aber einen besonderen Blaster … ich könnte noch weiter machen.

Worum geht es?

Nun es gibt ein riesiges Sternenreich. Das hört sich erstmal grandios an, aber es ist tatsächlich nur das Überbleibsel eines viel, sehr viel größeren Reiches. Dieses ursprüngliche Reich ist in einem gewaltigen Krieg untergegangen. Einem Krieg gegen den Maschinenherrscher. Dieser Krieg, obwohl er verdammt lange her ist, so lange, dass man sich seiner eigentlich gar nicht mehr richtig erinnert, wirkt nach. Das jetzige Sternenreich wird beherrscht von einer Welt namens Tiamande, die sich in den Außenbezirken, einem äußeren Spiralarm der Galaxis, befindet. Von dort aus geht ein kegelförmiges Herrschaftsgebiet weiter nach draußen. In der Nähe zu Tiamande befindet sich das Kernreich, weiter draußen die Marken und am weitesten entfernt die äußeren Baronien. Ganz weit draußen ist ein schwarzes Loch mit dem Katarakt, einem Sternenschweif, der vermutlich nach und nach in eben dieses schwarze Loch gezogen wird.

Auf Tiamande herrscht die Gottkaiserin (Wüstenplanet, ick hör dir trapsen!). Wer das ist, wird bis zum Ende des zweiten Bandes nicht so richtig klar. Auf jeden Fall benötigt sie in regelmäßigen Abständen Nachschub in Form einer Prinzessin aus den Marken/Baronien. Denn, da diese so nahe am Katarakt liegen, scheinen in den dort lebenden Menschen gewisse Veränderungen hervorgerufen zu werden, die eben jene Gottkaiserin benötigt. Etwas nebulös, das Ganze.

Unsere Protagonistin, zumindest eine derselben, ist eben eine jener Prinzessinnen, die dafür auserkoren wurde, nach Tiamande überführt zu werden. Da niemand so recht weiß, was dort mit den jungen Frauen geschieht, keiner je eine hat zurückkommen sehen, hat unsere Prinzessin nicht so recht Lust dazu.

Sie wird gegen ihren Willen von ihrer Familie gezwungen. Von einer Leibwache begleitet, wird sie den Hexen, einem Orden der Gottkaiserin, übergeben. Die Leibwache wird sofort gemeuchelt, denn an der besteht ja kein Interesse. Unsere Protagonistin kann fliehen, sie ist sich der Unterstützung des letzten Waffenmeisters sicher. Die Waffenmeister, die ursprünglich an Seite der Hexen gegen den Maschinenherrscher kämpften, die dann aber den Hexen zu mächtig wurden/waren, so dass diese (die Hexen) die Waffenmeister „entsorgten“.

Etwas verworren, aber durchaus spannend geschildert. Man erhält lediglich immer ein paar kleine Versatzstücke der Historie präsentiert, kann sich das oben gesagte aber nach und nach zusammenreimen.

So weit also das Grundsetting. Daran schließt sich eine wilde Verfolgungsjagd an. Immer wieder muss man fliehen, ab und an gerät einer oder mehrere der Protagonisten in Gefangenschaft oder steht kurz davor.

Im zweiten Teil geht es hauptsächlich um das Schicksal des Planeten Noa. Es handelt sich hier um eine Welt, die ausschließlich von Piraten, Räubern und Mördern bewohnt ist. Ein nettes Bild, Kai Meyer macht hier jedoch einen Fehler (der in solchen Schilderungen immer wieder gerne gemacht wird) indem er versäumt aufzuzeigen, wie denn die Wirtschaft auf einem solchen Planeten funktionieren kann. Wo wird denn Nahrung für die dort lebende Bevölkerung produziert? Um nur eine Frage zu stellen, die sich mir aufdrängte. Nur von Raubzügen kann sicherlich eine Schiffscrew leben, niemals jedoch eine ganze Planetenbevölkerung. Egal, es ging dem Autor darum, ein buntes Bild zu schaffen, das ist ihm gelungen. Ich hatte eine Art Tortuga im All vor Augen, als ich es las.

Wir erleben eine Fülle an Emotionen, die Protagonisten scheuen nicht vor Verrat an den eigenen Leuten zurück, sie erwägen eine Allianz mit den immer noch vorhandenen Maschinen einzugehen. Kurz, es ist spannend.
Es kommt allerdings alles etwas plump daher. Kein Tiefgang, ein Buch für mal so eben zwischendurch. Man wird von Kapitel zu Kapitel in Action geworfen. Und dann auch noch mit einem Cliffhanger. Von Anfang an konzipiert, eine Fortsetzung zu erhalten.

Nun, Kai Meyer kann schreiben, das ist offensichtlich. Der Leser wird gefesselt, giert nach der Fortsetzung.

Ich auch?

Erstaunlicherweise ja.

Ich hatte nach der Lektüre des ersten Bandes eigentlich beschlossen, der Serie nicht weiter zu folgen, sah ich doch nicht wirklich einen Handlungsstrang, der danach gierte aufgelöst zu werden.

Nun, dann lag das erste Buch da und es dauerte, bis das zweite auf den Markt kam Anscheinend war es exakt die richtige Zeitspanne, die zwischen den Büchern lag. Ich hatte auf einmal wieder Lust auf das Thema und wurde nicht enttäuscht. Es hat Spaß gemacht, den zweiten Teil zu lesen.

Zum aktuellen Interview mit Kai Meyer

Unterhaltung:

Anspruch:

Originalität:

Rezension: “Die Känguru-Apokryphen” von Marc-Uwe Kling

Marc-Uwe Kling gewann mit dem Roman “Qualityland” dieses Jahr den Deutschen Science Fiction Preis. Grund genug, sich das neueste Werk des Autors anzuschauen, auch wenn die Anekdoten aus seiner Känguru-WG nicht ins SF-Genre fallen, es sei denn, man unterstellt, dass das Känguru ein außerirdischer Besucher ist. Ganz unlogisch ist das nicht, oder gibt es auf der Erde etwa sprechende, kommunistische Kängurus? Eben.

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Rezension: “Shadowrun: Orks weinen nicht” von Jan-Tobias Kitzel

Mit dem zweiten Band der “neuen” Shadowrun-Romanserie legt Pegasus Press ein weiteres Newcomer-Werk vor. Zumindest ist Jan-Tobias Kitzel abgesehen von Kurzgeschichten und Romanen in Szeneverlagen noch nicht groß in Erscheinung getreten. Das, soviel sei vorweg gesagt, tut der Sache aber keinen Abbruch.

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Rezension: NOVA Magazin Ausgabe 25

Seit kurzem ist endlich die 25. Ausgabe von NOVA erhältlich. Auf die Verzögerungen soll hier nicht weiter eingegangen werden, aber da sich das Personalkarussel bei den Herausgebern nunmehr weiter dreht und künftig ein anderer Verlag das Magazin herausbringt, kann man auf Besserung hoffen.

NOVA 25 enthält im Vergleich zur Ausgabe 24 weniger Texte, dafür ist die Schriftart größer. Den Leser erwarten 13 Kurzgeschichten, 12 davon von deutschen Autoren, eine Übersetzung. Hinzu kommen ein Artikel und zwei Nachrufe. Die meisten Storys sind zudem illustriert.

Wie es sich für ein SF-Magazin gehört, decken die Storys ganz verschiedene Subgenres der SF ab, so dass keine Langeweile aufkommt – für jeden Geschmack ist etwas dabei. Im Folgenden besprechen wir nur einige in unseren Augen bemerkenswerte Geschichten.

In Dirk Alts Story “Die totale Obsoleszenz” geht es um die geplante Schließung des letzten Archivs mit historischen Aufzeichnungen der Menschheit. Leider können die verwahrten Datenträger nicht mehr gelesen werden, aber es besteht Hoffnung. Der Autor ist für seine anspruchsvollen, treffsicheren Geschichten bekannt und enttäuscht auch hier nicht.

“Baum Baum Baum” von Heidrun Jähnchen, die zuletzt für längere Zeit keine neuen Texte vorgelegt hatte, ist eine Geschichte um Kommunikationsprobleme mit Aliens und deren planetare Ökologie. Sie enthält (typisch für die Autorin) kreative Ideen (wie die lustige Pluralbildung) und hintergründigen Humor.

In “Intervention” von C.M.Dyrnberg wird eine Art Selbstjustiz auf einer Raumstation vorgestellt. Eine ideenreiche Geschichte, über die man inhaltlich aber durchaus diskutieren könnte.

In “Entkoppelt” führt Markus Hammerschmidt ein Gedankenexperiment durch: Wie fühlt sich jemand, der sich mehr oder weniger freiwillig von der vernetzten Alltagswelt abnabelt. Eine irgendwie schrullige, durchaus liebenswerte Episode.

Das Lachen im Hals stecken bleibt dem Leser in “Selfie mit Alien” von Altmeister Horst Pukallus, mehr sei dazu nicht verraten.

Das Highlight der Ausgabe ist “Enola in Ewigkeit” von Thomas Sieber. Diese Geschichte ist nicht nur sprachlich überaus gelungen, voll von abgründigem Witz und explodiert vor Ideenreichtum, sie ist außerdem gleichzeitig herrlich schräg, unendlich traurig, von epischer Breite, astrophysikalisch nach aktuellem Stand der Forschung korrekt und bietet auch noch viel Stoff zum Nachdenken, zum Beispiel über das erstaunlich “religiöse” Ende. Es würde uns wundern, wenn wir diese Geschichte nicht im nächsten Jahr auf den Nominierungslisten der einschlägigen Preise finden würden.

Naturgemäß kann nicht jede Geschichte ein Volltreffer sein. Warum ein Magazin, das den Begriff “neu” im Titel trägt, eine lahm inszenierte, beliebige Variante einer Zeitreisestory mit Jesus veröffentlicht (“Das Evangelium nach Erasmus” von Hans Lammersen), ist dem Rezensenten unverständlich.

Trotzdem kommt jeder Freund der modernen, durchaus experimentierfreudigen deutschen SF bei NOVA auf seine Kosten.

NOVA 25 gibt es derzeit nur im Verlagsshop.

 

Rezension: Shadowrun – “Iwans Weg” von David Grade

Der Pegasus-Spieleverlag versucht sich am Neustart einer Shadowrun-Rollenspiel-Romanserie – geschrieben von deutschen Autoren. Den Anfang macht mit David Grade ein bisher in der SF-Szene eher unbeschriebenes Blatt – daher sind wir auf das Ergebnis ganz besonders gespannt.

“Iwans Weg” spielt vollständig im Dortmund der “Sechsten Welt” anno 2077/78, also einer düsteren Cyberpunk-Zukunft mit Fantasy-Elementen. Die Titelfigur, alles andere als ein strahlender Held, gerät zwischen die Fronten eines gnadenlosen Kampfes: Letztlich sind es zwei Feenwesen, die ihre Konflikte statt in ihrer eigenen Welt in der Menschenwelt austragen, sich metamenschliche Handlanger suchen, und dabei auf keinerlei Kollateralschäden Rücksicht nehmen.

Der Roman ist hart, dreckig, blutig (aber nicht blutrünstig) und das genaue Gegenteil einer romantischen Zukunftsvision. Aber das ist eben Shadowrun.

Dass es sich um ein Rollenspiel-Universum handelt, fällt – im Gegensatz zu anderen Werken – dem Leser nicht negativ auf. Natürlich verwendet der Roman die üblichen Begriffe und Elemente wie Decks und Komms, Runs und Chummer (es gibt im Anhang ein Glossar und eine kurze Einführung in die Welt). Aber an keiner Stelle hat man das Gefühl, als hätte der Autor wie in einem Rollenspiel das Ergebnis eines Kampfes ausgewürfelt, oder trifft auf Verhältnisse, die nur Eingeweihte nachvollziehen können. Lediglich die kapitelweise wechselnde Figurenperspektive erinnert an ein Rollenspiel, das von mehreren Spielern getragen wird, aber das ist wegen der durchaus unterschiedlichen Handlungsträger sogar von Vorteil. Dabei sind Story und Handlungsweise der Figuren in sich plausibel, was man gar nicht genug betonen kann, wenn man sich anschaut, was für Aneinanderreihungen von Plot-Holes dem SF-Fan üblicherweise etwa in aktuellen SF-Filmen aufgetischt werden.

Es ist deutlich hervorzuheben, dass dieser Roman keinesfalls nur für Fans oder Kenner von Shadowrun zu empfehlen ist. Er geht inhaltlich weit über ein oder zwei Runs – also Abenteuermissionen – hinaus. Der Autor nimmt sich viel Zeit, um seinen Figuren, insbesondere Iwan, Tiefe zu verleihen. Die meisten schleppen üble persönliche Probleme mit sich herum, die durchaus relevant für die Handlung sind. Dabei versteht der Autor, wovon er redet, denn er arbeitet als Therapeut in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie, mit einem Schwerpunkt auf posttraumatischen Belastungsstörungen.

Wer einen temporeichen, dreckigen, coolen Cyberpunk-Roman mit Tiefgang und authentischem Ruhrpott-Lokalkolorit lesen möchte, ist hier genau richtig.

Den 344 Seiten starken Roman gibt es für €12,95 überall, wo es Bücher gibt. Infos beim Verlag.

Natürlich sind wir nach diesem gelungenen Neustart der Shadowrun-Romanserie sehr gespannt auf weitere Bände, die bereits angekündigt sind. Wir werden das Thema in naher Zukunft mit Interviews und weiteren Artikeln im Auge behalten.

Unterhaltung:

Anspruch:

Originalität: