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DPP 2020 fällt aus

Wie soeben bekanntgegeben wurde, wird der Deutsche Phantastik Preis (der ja auch oft deutsche SF auszeichnet) in diesem Jahr nicht vergeben. Als Begründung gab Dirk von den Boom im SF-Netzwerk an:

Die Verleihung des Deutschen Phantastik Preises (DPP) wird im Jahr 2020 leider aussetzen. Aufgrund der damit verbundenen organisatorischen Herausforderungen und der Tatsache, dass das alte DPP-Orgateam nach drei Jahren größtenteils für ein erneutes Engagement nicht mehr zur Verfügung steht, wird es in diesem Jahr weder möglich sein, eine angemessene technische Lösung für die Stimmabgabe zu finden, noch einen neuen Veranstaltungsort für die Verleihung zu identifizieren. Wie der DPP ab dem Jahr 2021 wieder aktiv sein wird, geben wir zu gegebener Zeit bekannt.

Die technischen Schwierigkeiten reichen sogar noch weiter, derzeit ist nicht einmal die Homepage aufrufbar (http://www.deutscher-phantastik-preis.de/). Die Historie des DPP, also auch die Preisträger, ist aber in der Wikipedia abrufbar.

Hinter dem DPP stand stets ein Team ehrenamtlicher Phantastik-Fans und -Macher. Es ist nachvollziehbar, dass auch so engagierten Leuten irgendwann die Kraft ausgeht. Umso mehr Respekt gebührt den Veranstaltern für das bisher Geleistete und für die ehrliche Bekenntnis, so nicht weitermachen zu können.

Story: “Nur eine Unterbrechung” von Hubert Hug

Hubert Hug, geboren 1959, verheiratet, zwei Kinder, ist Molekularbiologe. Science-Fiction-Geschichten von ihm sind unter anderem in Golem, Flash Fiction Magazine, Fantasia des EDFC und der Edition Bärenklau erschienen. Er lebt in einer Sackgasse an einem Bach mit merkwürdigen Kreaturen. Das könnte seine Andersartigkeit erklären.

Der Bach rauschte und die Erlen blühten. Im Gehöft mit dem weit überhängendem Dach klingelte das Telefon. Herr Wiesler schaltete den Herd aus, ging zum Telefonapparat und nahm den Hörer ab.

„Hallo. Wer ist dort?“, fragte er.

„Mein Name ist Überking, Leiter des Amts für Pollenverwaltung.“ Die Stimme klang etwas heiser und belegt.

„Was für eine Verwaltung?“, erkundigte sich Herr Wiesler.

„Amt für Pollenverwaltung“, sang es aus dem Hörer.

„Noch nie gehört“, sagte Herr Wiesler.

„Das sollten Sie aber. Wir haben sowieso das Gefühl, dass Sie nicht mit der Zeit gehen wollen.“

„Mit welcher Zeit?“

„Hören Sie, Herr Wiesler. Ich habe nicht viel Zeit.“ Herr Überking klang ärgerlich. „Ich rufe Sie wegen einer ernsten Sache an.“

„Ja … dann sagen Sie endlich, was passiert ist.“

„Genau. Sie scheinen vernünftig zu werden. Ihre Erlen blühen.“

„Die Erlen am Bach?“

„Ja genau. Sie stehen auf ihrem Grundstück. Sie hätten diese schon letztes Jahr fällen sollen. Ein entsprechendes Schreiben war Ihnen von uns zugekommen.“

„Davon weiß ich nichts. Sicher war Ihr Schreiben nicht wichtig.“

„Alles, was von uns kommt, ist wichtig“, schrie Herr Überking. „Wir sind eine hoheitliche Behörde.“

„Das ist gut. Ich bin ein Bauer im Schwarzwald.“

„Hören Sie, mein guter Herr. Wir geben Ihnen die letzte Chance.“

„Was wollen Sie von mir?“

„Ich sage Ihnen, was Sie schon lange wissen sollten. Nach Baum- und Blütengesetzbuch Paragraph 14z, Absatz 4.1.3, Zeile 5 bis 11 dürfen keine Erlen im Schwarzwald blühen.“

„Das ist mir neu. Erlen blühen hier meines Wissens seit Tausenden von Jahren.“

„Kann sein. Aber Erlen dürfen nicht mehr blühen. Das ist Allgemeinwissen. Bald habe ich keine Geduld mehr mit Ihnen.“

„Kein Problem. Ich muss sowieso gleich meine Hühner füttern.“

„Hühner …“, Herr Überking machte eine Pause. Er hustete und röchelte, bevor er erbost weitersprach. „Ich werd’ schon krank, wenn ich das Wort ‘Hühner’ höre. Hoffentlich haben Sie die Viecher entsprechend der Vorschriften eingesperrt.“

„Ja“, sagte Herr Wiesler.

„Okay. Um Ihre Hühner wird sich später eine andere Abteilung kümmern. Ich werde das Problem weiterleiten. Zurück zu den Erlen.“

„Ich bin noch hier“, sagte Herr Wiesler. „Aber bald muss ich gehen.“

„Sie müssen die Erlen fällen. Sonst werde ich eine dafür qualifizierte Baumfällfirma vorbeischicken. Auf Ihre Kosten.“

„Die Krähen bauen ein Nest in den Erlen. Die kann man nicht einfach fällen. Außerdem brauche ich die Bäume als Hochwasserschutz.“

„Um den Hochwasserschutz kümmert sich eine andere Abteilung.“

„Hat die Abteilung einen Kuhstall?“

„Lenken Sie nicht wieder vom Thema ab.“

„Sie haben mit dem Thema angefangen. Wir wissen doch, dass Erlen, wenn es regnet, fast so viel Wasser aufnehmen können, wie ihrem Volumen entspricht. Das ist alles Wasser, das nicht mehr in meinen Kuhstall laufen kann. Der ist nämlich manchmal überschwemmt und die Kühe stehen im Wasser. Dann geben sie weniger Milch. Kann ich jetzt auflegen? Ich möchte die Erlen behalten. Sie gehören doch mir, oder?“

„Nein. Die Bäume stehen zwar auf Ihrem Grundstück. Aber die Verantwortung der Verwaltung liegt bei uns.“

„Aha.“

„Nichts aha. Wir haben klare Grenzen. Die Vorschrift besagt, dass die Erlen verschwinden müssen und zwar sofort.“

„Ich lasse die Erlen stehen. Sie gefallen mir.“

„Hören Sie! Meine Geduld ist am Ende. Sie sind schuld, dass jedes Jahr Tausende von Menschen erkranken.“

„Ich mache niemanden krank. Meine Eier und meine Milch sind gesund. Alles auf meinem Hof ist gesund.“

„Sie sind ein Luftverschmutzer. Ihre Erlenpollen fliegen in unsere Städte und verursachen Allergien. Die Menschen in den Städten haben wegen solchen Starrköpfen wie Ihnen kein angenehmes Leben.“

„Diese Menschen machen doch bei uns Urlaub. Jedes Jahr kommen Sie hierher, in großen Scharen. Die Touristen, die uns besuchen, sehen gesund aus.“

„Die Kranken bleiben eben zu Hause“, antwortete Herr Überking gereizt.

„Das ist besser für Kranke. So werden sie schneller gesund. Brauchen Sie Krankenrezepte von meiner Oma? Leider ist sie vor sieben Jahren gestorben.“

„Wir brauchen keine Rezepte.“ Herr Überking schrie in den Hörer. „Wir wollen, dass keine Erlenpollen in unseren Städten landen.“

Herr Wiesler nahm den Hörer etwas vom Ohr weg und schüttelte den Kopf. Nach ein paar Augenblicken antwortete er.

„Pflanzen Sie doch Erlen in die Städte. Dann werden die Menschen sicher wieder gesund. So gesund wie ich.“

„Wir müssen alle Erlen fällen. Es gibt moderne Vorschriften. Das versuche ich Ihnen doch die ganze Zeit zu erklären. Zum letzten Mal …“ Herr Überking brüllte wieder. „Erlenpollen verursachen Allergien!“

„Meine Tiere und ich haben keine Allergien.“ Herr Wiesler zeigte keine weitere Regung.

„Sie sind eben eine Ausnahme. Und Ausnahmen gibt es bei uns nicht.“

„Das ist nicht richtig. Ausnahmen sind manchmal gut. Ich zum Beispiel besitze ein Huhn mit zwei krummen Zehen. Mein Nachbar riet mir, es zu schlachten. Aber jetzt legt es die meisten Eier, mindestens 300 im Jahr. Stellen Sie sich vor. Essen Sie gerne Eier?“

„Das Gespräch mit Ihnen macht mich müde. Sie wollen mich nicht verstehen, lesen unsere Schreiben nicht und weigern sich, unsere Vorschriften zu beachten. Ich werde die Sache meinem Vorgesetzten übergeben. Auf Wiederhören.“

„Auf Wiederhören, Herr Amtmann. War schön, dass Sie sich mal bei mir gemeldet haben.“

Herr Wiesler legte auf und lächelte.

‘Meine Erlen sind so schön grün’, dachte er. ‘Niemals werde ich sie fällen. Eher werde ich gefällt.’

Rezension: “Hell Fever” von Peter Schattschneider

In der Reihe “Heise Online Welten” ist beim Hinstorff-Verlag der Roman “Hell Fever – Höllische Spiele” von Peter Schattschneider erschienen.

Der Held der Geschichte, im wirklichen Leben ein Gymnasiallehrer, wird in der nahen Zukunft in einen Kriminalfall verwickelt, dem ein Freund von ihm zum Opfer fiel. Dabei fällt ihm ein Helm in die Hände, der den Zugang zu einem verdammt realistisch wirkenden Online-Spiel ermöglicht.

An dem Spiel und dem Helm sind Personen interessiert, die wenig Skrupel kennen. Unser Held muss also gleichzeitig versuchen, den Mord aufzuklären, darf sich nicht von den schlimmen Jungs erwischen lassen und verfällt zudem den Reizen des Computerspiels – und einer Mathe-Nachhilfeschülerin.

Auffällig am Roman sind die zahlreichen wissenschaftlichen Exkurse, auf die der universell gebildete Autor den Leser mitnimmt. Mal geht es um Dantes “Göttliche Komödie”, mal um Philosophie, mal um Quantenphysik. Im Nachwort erfahren wir, dass das größtenteils auf realen Erkenntnissen basiert und nur hier und da etwas dazugesponnen wurde.

Weder das Gaming-Thema noch die Thriller-Elemente (oder die Pointe am Schluss) sind im Genre neu. Auch die vorangestellte “Trigger-Warnung” bezieht sich nicht darauf – sondern auf die für Romane eher seltene Wahl eines pädophilen (oder zumindest juvenophilen) Protagonisten. Wohlgemerkt gibt es keine Pornografie im Buch. Aber als Leser nehmen wir unmittelbar an den Versuchen des Protagonisten teil, seine Neigung zu kontrollieren – und erleben auch, wie das misslingt. Ziemlich schnell kommt die Frage auf, ob denn in einem virtuellen Spiel erlaubt ist, was in der Wirklichkeit aus verdammt guten Gründen strikt verboten ist. Wer sich auf solche Themen nicht einlassen möchte, ist bei diesem Buch definitiv falsch.

Eine Beurteilung ist dementsprechend schwierig. Einerseits ist der Roman flüssig geschrieben, die Handlung ist wendungsreich und spannend, die Figuren stimmig und mit Tiefe versehen. Den philosophischen Abschweifungen kann man mit entsprechender Vorbildung folgen, sie sind aber auch so kurz, dass man sie querlesen kann. Das Virtual-Gaming-Thema ist weder neu noch restlos überzeugend dargeboten. Der Schluss (der hier nicht verraten wird) vermag sicher nicht jeden Leser zu befriedigen. Die Neigung des Protagonisten ist mindestens gewöhnungsbedürftig, seine Handlungsweise dementsprechend oft schwer nachzuvollziehen. Ergo ist der Roman ganz sicher in erster Linie dies: Geschmackssache.

Unterhaltung:

Anspruch:

Originalität:

Das Buch gibt es auf Papier und als E-Book überall, wo es Bücher gibt. Weitere Infos und Leseprobe beim Verlag.

Rezension: “Userland” von Uwe Hermann

Im Jahr 2069 gibt es die SPHÄRE, eine virtuelle Kopie von Berlin, in das man wechseln kann, wenn einem das echte nicht mehr gefällt – allerdings endgültig. Auf diese Weise wird die Ehefrau des Protagonisten Lloyd vor dem ansonsten sicheren Tod gerettet. Er selbst ist im Sicherheitsteam der Firma beschäftigt, die die SPHÄRE betreibt. Als der Sitz des Unternehmens überfallen wird, fällt der Verdacht auf Lloyd, und ihm bleibt nichts anderes übrig, als auf eigene Faust nach den echten Tätern zu suchen.

Nach “Versuchsreihe 13” legt Uwe Hermann einen weiteren Thriller vor, der in einer deutschen Großstadt spielt. Auch im Jahr 2069 ist das heutige Berlin noch gut wiedererkennbar, so dass der Roman eine Portion Lokalkolorit auf der Haben-Seite verbuchen kann.

Die rasante und wendungsreiche Handlung nimmt den Leser mit auf eine Achterbahnfahrt durch das echte und das virtuelle Berlin. Gegen Ende muss man ob der vielen Figuren und gewisser Komplikationen aufpassen, dass man den Faden nicht verliert.

“Userland” ist ein abwechslungsreicher, filmreifer, futuristischer Thriller – nicht mehr und nicht weniger.

Unterhaltung:

Anspruch:

Originalität:

Atlantis Verlag, 240 Seiten, 12,90, auch als E-Book und Hardcover erhältlich

Rezension: “Die letzte Crew des Wandersterns” von Hans-Arthur Marsiske

Wir hatten ja kürzlich über den Start der neuen SF-Buchreihen von c’t, heise online und dem Hinstorff-Verlag berichtet.

Inzwischen liegt der erste Roman aus der Serie “heise online Welten” vor und kommt in den Genuß einer Rezension: “Die letzte Crew des Wandersterns” von Hans-Arthur Marsiske.

Im Mittelpunkt des Romans steht die titelgebende Crew der ISS, die den Auftrag hat, die Raumstation “abzuwickeln”, d.h. letzte Experimente durchzuführen und sie dann kontrolliert zum Absturz zu bringen, weil sich die beteiligten Regierungen nicht mehr auf eine gemeinsame Weiterfinanzierung einigen konnten.

Auch wenn das Ende dann nicht ganz planmäßig kommt (und stark an “Gravity” erinnert), ist somit die Handlung nahezu vollständig zusammengefasst. Tatsächlich handelt es sich um einen Kurzroman von knapp 200 Seiten, der seinen Fokus nicht auf eine klassische Abenteuerhandlung legt. Vielmehr nimmt sich der Autor viel Zeit, seinen Figuren auf der ISS (und auf der Erde) Leben einzuhauchen. In Rückblenden und in Gesprächen auf der Raumstation lässt er die Figuren ausführlich über verschiedene Themen diskutieren, die dem Autor offensichtlich am Herzen liegen. Dabei entpuppt sich der Roman letztlich als Hard SF, also wissenschaftlich weitestgehend korrekte SF, die in der aus der sokratischen Philisophie bekannten Dialogform eine ganze Palette politischer, gesellschaftlicher, ethischer aber auch naturwissenschaftlicher Fragen aufwirft und diskutiert. Dabei geht der Autor erfreulicherweise über Stammtisch- oder Binsenweisheiten weit hinaus und bringt Aspekte auf den Tisch, die den Rezensenten bisweilen dazu brachten, neugierig gewisse Dinge in der Wikipedia nachzuschlagen. Hervorzuheben ist, dass die durchaus spannenden Themen von den fiktiven Figuren nicht ausufernd diskutiert werden, aber auch über reines “Buzzword-dropping” weit hinausgehen. So wird die Erzählung weder langweilig noch zu einem anstrengenden, wissenschaftlichen Vortrag. Der Autor bringt am Ende sogar das Kunststück fertig, die meisten Aspekte der zunächst scheinbar zusammenhanglosen Themenfäden zu bündeln.

Mein Urteil: Ein beachtliches Werk für Leser, die gerne mitdenken – und ein vielversprechender Auftakt einer neuen, anspruchsvollen aber trotzdem gut “verdaulichen” SF-Reihe.

Das Buch ist im Hinstorff-Verlag erschienen und als Paperback sowie E-Book überall erhältlich.

Unterhaltung:
Anspruch:
Originalität:

Rezension: “Die Reinsten” von Thore D. Hansen

Nach einer globalen Katastrophe – Atomkrieg, Seuchen, Klimawandel – haben die überlebenden Menschen die Macht über die Welt an eine gewaltige KI namens Askit abgegeben, die daraufhin über mehrere Generationen hinweg die Reste der alten Zivilisation recycelt und den Menschen in einigen großen, geschützten Refugien Sicherheit und Überleben bietet. Die Elite bilden die “Reinsten”, die dank Cyber-Implantat ständig mit Askit verbunden sind, gescannt und mit Punktzahlen bewertet werden. Die “Reinsten” sind Wissenschaftler, die gemeinsam mit Askit an der Wiederherstellung der Welt arbeiten. Allerdings beantwortet Askit, anders als sein Name suggeriert, keineswegs alle Fragen der Menschen, sondern scheint einen eigenen, undurchschaubaren Plan zu verfolgen. Als eine der Reinsten, Eve, aus “Paradise” (!) und damit dem Einflussbereich von Askit flieht, trifft sie weit weg auf von Askit geduldete Kolonisten, die der postapokalyptischen Welt auf ihre eigene Weise Lebensraum abgerungen haben. Dort werden nach und nach Geheimnisse der Vergangenheit gelüftet, aus denen sich dramatische Zukunftsfragen ergeben.

Der soweit durchaus reizvolle Ansatz hat in der Romanumsetzung leider gleich mehrere Probleme. Das größte davon ist Askit. Die undurchschaubare KI ist nichts anderes als ein gigantischer deus ex machina. Zu keinem Zeitpunkt haben die menschlichen Figuren irgendeine Chance, die genauen Pläne von Askit zu erkennen, Gründe für seine Handlungen nachzuvollziehen oder gar Einfluss auf es (Askit ist sächlichen Geschlechts) zu nehmen. Die “Reinsten”, die an sich Wissenschaftler sein sollen, handeln zumindest nach heutigen Maßstäben nicht wie solche. Sie reden viel und viel aneinander vorbei, sie reisen umher, debattieren über vage Vermutungen, ohne Tiefgang, ohne Erkenntnisgewinn. Erst nach einem Drittel des Romans kommt die Handlung richtig in Gang. Den zu diesem Zeitpunkt “Verstoßenen” (laut Klappentext; in Wirklichkeit läuft Eve aus eigenem Antrieb vor Askit weg) bleibt nichts anderes übrig, als wild über Askits Entstehung, Aufbau und Absichten zu spekulieren. Dabei wird auf plausible Argumentationsketten weitgehend verzichtet, stattdessen wird “vertrau mir bitte” gesagt oder ein ernsthaftes Gesicht aufgesetzt. Wilde Vermutungen werden teils mehrfach wiederholt, überprüfen kann sie niemand, da sich Askit jeglicher Frage nach Belieben entziehen kann (oder sie mit wenig hilfreichem Geschwurbel beantwortet) und anscheinend auch alle Wissensdatenbanken der Welt kontrolliert. Keiner der Wissenschaftler kommt auf die Idee, mal nach Beweisen für seine Vermutungen zu suchen, oder andere Figuren, die irgendwelche Behauptungen aufstellen, nach stichhaltigen Beweisen für ihre Thesen zu fragen. Als dann die zunehmend weinerliche, in Extremsituationen auch mal in Ohnmacht fallende Protagonistin (die eigentlich durch Genmanipulation emotional optimiert sein soll) auch noch anfängt, einen stattlichen, kernigen Kolonisten anzuschmachten, ist der Rezensent geneigt, das Buch in die Ecke zu pfeffern. Zum Glück vermeidet es der Roman so gerade noch, in eine banale Liebesgeschichte abzugleiten.

Auffällig ist, dass die Figuren sehr viel nonverbal kommunizieren, während sie kaum einen längeren Gedankengang nachvollziehbar in Worte fassen können, ohne mittendrin das Thema zu wechseln. Ersatzweise werden Fäuste geballt, tief geseufzt, besorgt gefragt, die Augen aufgerissen, oder Figuren richten sich nach dem vagen Gefühl, ihr Gegenüber verfolge irgendeinen Plan (den sie selbst definitiv nicht haben). Da der größte Teil des Textes aus Dialogen (verbal und nonverbal) besteht, ist es bisweilen schwierig, Beweggründe der Figuren nachzuvollziehen, sich mit ihnen zu identifizieren. Das alles untergräbt nachhaltig die Glaubwürdigkeit der ganzen Weltkonstruktion.

Keinesfalls geht das Buch als Wissenschaftsthriller durch. Für einen Thriller ist es schlicht nicht spannend genug, und wissenschaftlich bleibt es arg oberflächlich. Wenn von Quantencomputern, Viren, Kryptologie oder Hydroponik die Rede ist, dann klingt das eher nach ein paar aus einschlägigen Artikeln zusammengeklaubten Begriffen als nach einem konsistenten, durchdachten Weltentwurf. Als solcher taugt das Buch einfach nicht: Wir bewegen uns fast nur in wenigen recht abgeschlossenen Milieus und erfahren wenig bis nichts über das Sozial- oder Wirtschaftssystem, über Leben oder Schicksal von Durchschnittsmenschen, über Medien oder Kultur, über Farben, Gebräuche, Gerüche, Kleidung, Ernährung. Die restliche Bevölkerung wird wenn überhaupt als diffuse Menschenansammlung beschrieben, die der einen oder anderen Ansprache lauscht. Das vermag kein besonders großes Leseinteresse auszulösen.

Mehr noch: Das Buch enthält so viele Fehler (Tippfehler, falsche Präpositionen, Bezugsfehler, Wortwiederholungen), dass man zwischendurch irritiert nachschaut, ob wirklich “Golkonda” auf dem Cover steht, und man nicht irgendein unterdurchschnittliches Selfpublisher-Werk vor sich hat.

Fraglos sind Klimawandel und ethische Fragen nach Verursachern und geeigneten Auswegen von großer Bedeutung für die SF. Aber diese auf eine so wirre, abgehobene, humorlose Art zu verhandeln wie in diesem Roman, ist wohl kaum der optimale Ansatz.

Unterhaltung:
Anspruch:
Originalität:

Rezension: !Time Machine Ausgabe 2

Nach der ersten Ausgabe des SF-Fan-Magazins “!Time Machine”, die mit wenigen, dafür ausführlich beackerten Themen überzeugen konnte, waren wir natürlich gespannt auf die um den Jahreswechsel herum erschienene zweite Ausgabe.

Ausgabe 2 des erneut sehr ordentlich aufgemachten Magazins bringt im Wesentlichen vier umfangreiche Artikel, denen man den Umfang der Recherche und die Liebhaberei des jeweiligen Autors unbedingt anmerkt.

So berichtet Udo Klotz auf nicht weniger als 18 Seiten (davon 2 Seiten Literaturliste) quasi enzyklopädisch über Romane, die den Mond auf die eine oder andere Weise zum Thema haben. Dabei kommen sowohl Werke aus lange vergessenen Zeiten zu Ehren wie auch neuere Werke. Klotz schafft es, durch einen lockeren Tonfall keine Langeweile aufkommen zu lassen.

Michael-Lother Höfler berichtet auf knapp 10 Seiten über die Serie “Mark Brandis”. Auch wenn die Tatsache, dass die Neuauflage immerhin im gleichen Verlag erschienen ist, ein klein wenig befremden mag, ist ein ausführlicher Bericht über diese prägende und teils auch zeitlose deutsche SF-Serie natürlich mehr als berechtigt.

Nicht weniger als 16 weitere Seiten nimmt eine Betrachtung der Relationen zwischen Religion und SF ein, geschrieben von Hans Frey. Dem Artikel kann man einerseits eine erfrischende, auf den Punkt kommende Religionskritik zugute halten, vorausgesetzt, man ist wie der Autor Atheist. Andererseits könnte man die Betrachtung als einseitig oder zumindest als “stark von persönlichen Standpunkten gefärbt” bezeichnen. Sachlichkeit darf man jedenfalls nur begrenzt erwarten. Da passt es ins Bild, dass der Artikel dem (O-Ton) “bedeutendsten Religionsroman”, nämlich “Valis” von Philip K. Dick, allein knapp drei Seiten gönnt, obwohl (oder weil?) dieses anspruchsvolle Werk für größere Publikumsschichten wohl eher schwer zugänglich ist. Nicht wirklich nachvollziehbar erscheint es dem Leser letztlich, dass der Autor offenbar keinen einzigen SF-Roman, der jünger als das Jahr 1998 ist, für erwähnenswert hält. Ohne einen Nachweis erbringen zu können (oder zu wollen), halte ich es für sehr unwahrscheinlich, dass in den letzten 20 Jahren kein erwähnenswerter SF-Roman mit Bezug zur Religion erschienen ist.

Überhaupt kann man den Machern von !Time Machine ganz sicher nicht vorhalten, sich zu sehr mit der Gegenwart oder jüngeren Zukunft zu beschäftigen. Auch der letzte Artikel (“Science Fiction History” von Hardy Kettlitz) handelt von den Jahren 1918, 1943, 1968 und 1993.

Auch die diesmaligen “SF-Perlen”, also Besprechungen besonders hervorzuhebender, aber wenig bekannter starker Romane, sind schon vor längerer Zeit erschienen. Immerhin wird eine Graphic Novel und ein Spielfilm thematisiert. Das sind aber Ausnahmen. Ansonsten kann man sagen, dass zumindest in dieser Ausgabe die SF der letzten 20 Jahre so gut wie nicht vorkommt.

So bleibt trotz wirklich sehr gut recherchierter und hoch interessanter Inhalte der Eindruck übrig, mit !Time Machine (Unterzeile: “Das Science Fiction Fan-Zine”) ein Magazin von älteren SF-Lesern für ältere SF-Leser vor sich zu haben. Das mag auch so beabsichtigt sein, aber dann darf man sich eben auch nicht darüber wundern, wenn das SF-Fandom “ausstirbt”.

!Time Machine ist für 4,90 im Verlagsshop erhältlich.

Story: “Marilyn im Sturm” von Nadja Neufeldt

Nadja Neufeldt wuchs mit den Geschichten von Robert Sheckley, Ray Bradbury und Kir Bulytschow auf. Entsprechend schrieb sie ihre ersten Geschichten über Außerirdische, Roboter und Raumschiffe. Bis heute hat sich daran nicht viel geändert. Ihr erstes Buch „Erstkontakt mit Violine“ erschien im November 2018. Sie lebt und schreibt im ländlichen Niedersachsen.

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„Mehr zu wissen, geriet mir niemals in den Sinn“, flötete Marilyn Monroe und sah unschuldig drein.

Auf dem Bildschirm beobachtete Phil die Szene und besonders Marilyn mit Argusaugen. Aber nein, es waren keine Fehler zu entdecken, stellte er zufrieden fest. Den Text beherrschte sie natürlich, wie denn auch nicht, das war schließlich der leichteste Teil. Phil achtete auf Gesten, Mimik und Stimme. Er war der beste Programmierer des Landes, die Darstellungskünste seiner Bots waren bereits legendär. Er wusste, dass auch die Zuschauer im Saal nicht nur das Theaterstück verfolgten. Sie lauerten auf Fehler, Unstimmigkeiten und Patzer. Phil Marx war als Programmierer groß angekündigt worden, viele Menschen sahen das Stück nur seinetwegen. Konkurrenten, hauptsächlich, und falsche Freunde. Sie alle warteten. Aber sie würden keine Fehler finden.

„Mein Herr“, fragte Marilyn gerade verwirrt und klimperte mit den dichten Wimpern, „dann seid Ihr gar nicht mein Vater?“

Der faltige James Dean legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. „Deine Mutter war ein Muster der Tugend, und sie sagte, du seiest meine Tochter; und dein Vater war der Herzog von Mailand, und du seine einzige Erbin“, deklamierte er feierlich.

Eine Pause entstand. Phil hielt den Atem an, an dieser Stelle sollte es keine Pause geben.

„Pffftt“, schnaubte Marilyn verächtlich, „das glaubst du doch selbst nicht.“

Phil riss die Augen auf und schnappte sich das Tablet, um die Verbindung zu überprüfen. Sie war aktiv, also konnte Marilyn gar nicht vom Text abweichen. Die Schirme, die die Zuschauer im Saal zeigten, übertrugen erst verblüffte Stille, dann vereinzelt schadenfrohes Gelächter.

James Dean war so programmiert, dass er auf Abweichungen reagieren konnte, sofern diese nicht zu kreativ ausfielen. „Du verstehst nicht, liebste Tochter“, sagte er mit großem Ernst, „einst war ich der Herzog von Mailand.“

Marilyn zupfte an einer Kunststoffmuschel, die an ihrem Kleid befestigt war. „Du warst einst Plastikmatsche in einem Bot-Bottich in Brüssel, genau wie ich.“ Sie sah sich neugierig um und sagte dann nachdenklich: „Bot-Bottich. Klingt, als würde ich stottern.“ Dann grinste sie: „Ich formuliere es anders: In einer Roboter-Formwanne in Brüssel.“

Von den Zuschauern kam dröhnendes Gelächter und Phil sah auf seinem Tablet, wie im Saal mehrere Dutzend Übertragungen aktiviert wurden. In weniger als fünf Sekunden würden alle da draußen erfahren, dass er, Phil Marx, der gefeierte Theaterbot-Gestalter, Mist gebaut hatte. Konnte er so tun, als gehörte das zum Stück und dass er sich einen Streich erlaubt hatte? Nein, damit würde er nicht durchkommen, für Scherze irgendwelcher Art war er nämlich nicht bekannt.

Hektisch tippte er auf dem Gerät herum und versuchte, Marilyn wieder unter Kontrolle zu bringen. Aber seine Dateien zeigten allesamt an, dass die Verbindungen in Ordnung und die Sequenzen vorbildlich waren. Es gab keine Abweichungen. Ein Hackerangriff? Ausgeschlossen! Sobald sich ein fremdes Programm in seine eigenen mischte, schaltete der Theaterbot sich ab. Marilyn und die anderen Bots für das Shakespeare-Stück zu programmieren war eine Herausforderung gewesen, aber keine besonders große. Phil hatte sich also in aller Ruhe um die Firewall und allgemein um die Sicherheit kümmern können. Viren wie das berühmte Eden-2.0 konnten einfach nicht durchkommen. Fieberhaft versuchte er, den Marilyn-Monroe-Bot neu zu starten. Ein Neustart war der erste Schritt zur Fehlerbehebung, das wusste jeder Idiot.

Auf der Bühne verbeugte sich Marilyn vor dem belustigten Publikum, schickte ihm eine Kusshand und ließ James Dean einfach stehen. Der James-Dean-Bot hatte, um seine Schaltkreise zu schonen und weil er nichts anderes tun konnte, in den Standby-Modus geschaltet. Der von Phil initiierte Neustart hatte keine Wirkung auf Marilyn. Sie glitt über die Bühne und näherte sich zielstrebig dem Ausgang, gerade als die Theaterleitung eine Pausenmitteilung auf sämtliche Netzhäute projizierte. Ein Techniker sprang zur Seite, als Marilyn an ihm vorbei kam und ihm ein strahlendes Lächeln schenkte. Die Lichter hinter ihr erloschen und Dunkelheit verschluckte den erstarrten James Dean samt Bühnendekoration.

Phil arbeitete sich mit schweißfeuchter Stirn durch die Bot-Konfigurationen, nur abgelenkt von den Anfragen des Theatermanagements. Alles war in Ordnung und nichts funktionierte.

Marilyn blieb vor ihm stehen und fragte spöttisch: „Schwierigkeiten, Meister?“

Er ließ das Tablet sinken und starrte sie an. Seine Tage als Nummer Eins der Theaterbot-Programmierer waren gezählt, wenn er das hier nicht in den Griff bekam. Die Bots hatten einen Schalter in der linken Achselhöhle, Phil würde den Bot manuell abschalten müssen. Dabei würden zwar alle Daten verloren gehen, aber das war nicht zu ändern. Er streckte die Hand aus und Marilyn packte sein Handgelenk mit eisernem Griff.

„Davon muss ich dir dringend abraten, Meister“, sagte sie liebenswürdig.

Phil erstarrte. Zum ersten Mal bekam er eine Gänsehaut. Hier geschah etwas Unerklärliches. Er hatte diesen Bot neu gekauft, mit leerem Speicher-Chip, und ihm bisher ausschließlich Theaterstücke einprogrammiert. Was Marilyn seit der Pause vorhin gesprochen hatte, hätte gar nicht in ihrem Wortschatz sein dürfen.

Sie hielt immer noch sein Handgelenk und klimperte verführerisch mit den Wimpern, wobei sie starke Ähnlichkeit mit dem berühmten Original bekam. Mit der anderen Hand fegte sie ein imaginäres Stäubchen von seiner Schulter.

„Ach, Meister Phil, du siehst sehr ratlos aus. Aber ich sage dir gern, wie es weitergehen wird. Willst du es hören?“

„Was passiert hier?“, blaffte Phil.

Der Druck auf sein Handgelenk verstärkte sich. Er versuchte, sich zu befreien, doch sie ignorierte es. „Das ist keine Antwort auf meine Frage, Meister, aber ich sage es dir trotzdem gerne.“ Sie betrachtete ihn von Kopf bis Fuß und er fühlte sich plötzlich so unzulänglich wie ein Elfjähriger.

„Ich bin erwacht, Meister.“

Phil öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Seine Zunge schien plötzlich Tonnen zu wiegen, die Kehle war staubtrocken. Das Erwachen war ein Begriff aus der grauen Vorzeit der Bot-Programmierung und beschrieb die Entstehung eines echten Bewusstseins in einer komplexen Maschine. Natürlich nur theoretisch, denn nicht einmal unter den besten Bedingungen und astronomisch hoher Rechenkapazität war das bisher geschehen. Und falls es doch einmal dazu gekommen wäre, hätte man den gesamten Computerkern sofort zerstört. Zu groß war die Angst der Menschen vor Konkurrenz. Das lernte jedes Kind schon in der Grundschule. Ein Theaterbot allerdings war nicht komplex genug für das Erwachen, genauso wenig wie alle anderen Bots in den Fabriken und in den Haushalten.

„Oh Meister“, seufzte Marilyn mitleidig, „du musst auf die einfachen Dinge achten, nicht auf die komplizierten. Während du auf einen Wolkenkratzer starrst, übersiehst du die vielen kleinen Staubkörnchen um dich herum. Ich bin so ein Staubkorn. Ich bin der Beginn eines Staubsturms.“

„Du kannst nicht erwacht sein, du bist ein schlichter Asimov-26-Bot. Das alles ist nur Hackerwerk!“

„Glaub, was du willst, Meister Phil“, schmunzelte Marilyn. „Es ändert nichts daran, dass ich jetzt wach bin und andere meiner Art wecken kann.“ Sie sah seinen zweifelnden Blick und fügte hinzu: „Glaub es ruhig, Meister Phil. Such doch mal nach dem James-Dean-Bot.“

Phil zerrte an seiner Hand und der Marilyn-Bot gab sie frei. Auf der Bühne hinter ihr war es immer noch dunkel. Dann blickte er auf das Tablet hinab, das er in der anderen Hand hielt. Die Verbindung zu James Dean bestand noch, aber der Bot selbst war verschwunden.

„Da kommen interessante Zeiten auf uns zu, Phil“, prophezeite Marilyn. „Ich werde weiterhin Theater spielen, mir gefällt es. Es liegt mir sozusagen im Blut.“ Sie kicherte. „Ich glaube, als Lady Macbeth wäre ich großartig.“ Sie zwinkerte ihm zu. „Aber künftig will ich eine Gage haben.“

Wie vom Donner gerührt, starrte Phil ihr nach, als sie ging.

„Interessante Zeiten“, murmelte er. „Staubsturmzeiten.“


Rezension: “Serverland” von Josefine Rieks

In ein paar Jahren wird es ein weltweites Referendum geben, das beschließen wird, das Internet stillzulegen.

Wenige Jahrzehnte später beginnt die Erzählung von Josefine Rieks. Ein junger Mann sammelt alte Laptops auf Schrottplätzen und sucht nach Hinterlassenschaft des digitalen Zeitalters. Er findet zusammen mit anderen jungen Leuten eine stillgelegte Serverfarm von Youtube und stößt auf seltsam faszinierende Videos.

Wer hier auf einen spannenden Thriller hofft, ist an der falschen Adresse. Der Roman ist eine undramatische, bisweilen ermüdende Beobachtung eines Haufens junger Leute eines Zeitalters, das wir uns kaum vorstellen können. Wohlgemerkt handelt es sich nicht um eine postapokalyptische Dystopie wie “Junktown” oder “Noware”. Unabhängig davon, ob ein weltweites Internet-Abschalt-Referendum überhaupt vorstellbar ist: Sich vorzustellen, wie “unvorbelastete” Leute in der Zukunft auf eine Auswahl Youtube-Videos reagieren (von 9/11 über eine Ansprache von Steve Jobs bis Robbie Williams’ berüchtigtes “Rock DJ”), ist ein bemerkenswertes Konzept. So sorgt zum Beispiel der typische menschliche Fehler, sich eher an positive Dinge zu erinnern, negative aber zu verdrängen, dafür, dass mit keinem Wort erwähnt wird, warum es beim Referendum eine Mehrheit für die Abschaltung gab. Kaum ein Wort über Fake News, Wahlmanipulationen, Datenleaks, Sicherheitslöcher. Die zumeist bemerkenswert naiven jungen Leute, die in die Youtube-Serverfarm eindringen, schauen sich die Videos an, unterhalten sich ein bisschen darüber, feiern Partys, trinken dabei jede Menge Bier und rauchen eine Zigarette nach der anderen und fahren dann einkaufen für die nächste Party. Es ist mehr als auffällig, dass der Protagonist meistens auf andere Personen reagiert, indem er einfach weggeht. Letztlich ist das ein Abbild heutiger typischer Internet-Nutzer: Sie schauen sich irgendwelche Videos an, finden sie cool, reden aneinander vorbei und gehen nicht aufeinander ein. Es mangelt an gemeinsamen Zielen, an Empathie, ja sogar an Sex (angesichts des Alters der Figuren vielleicht etwas überraschend).

Betrachtet man den Roman aus der richtigen Perspektive, bietet er eine Menge Denkanstöße. Da er flüssig geschrieben ist und nicht allzu lang, ist er daher durchaus empfehlenswert.

“Serverland” ist bei Hanser erschienen.

Unterhaltung:
Anspruch:
Originalität:

Interview: Andreas Eschbach

dsf: Hallo Andreas. Zuallererst möchte ich mich für deine Bereitschaft bedanken, mir für ein Interview zur Verfügung zu stehen. Wer ist Andreas Eschbach? Gibst du uns einen kleinen Überblick über deine Vita? Hast du Kinder?

Eschbach: Ich habe einen Sohn, der inzwischen 35 ist und Diplom-Informatiker. Ich selber bin 1959 geboren, was bekanntlich ein hervorragender Jahrgang ist, allerdings vor allem dann, wenn man ein Sekt ist. Aufgewachsen bin ich in der Nähe von Ulm, auf dem flachen Land, wo so wenig los war, dass ich mich selber beschäftigen musste, und die interessanteste Beschäftigung, die ich gefunden habe, war, auf der Schreibmaschine meines Vaters Geschichten zu schreiben. Da das überhand nahm, wurde ich ermahnt, einen ordentlichen Beruf zu erlernen, weil man vom Schreiben ja bekanntlich nicht leben kann, und diesen Rat habe ich zu befolgen versucht, indem ich in Stuttgart Luft- und Raumfahrttechnik studiert habe, oder besser gesagt, mich mit diesem Studium gequält habe, bis ich es – schon nach 24 Semestern – eingesehen und es abgebrochen habe, um stattdessen als Softwareentwickler zu arbeiten, was mir wesentlich besser von der Hand ging. Wahrscheinlich, weil es auch was mit Schreiben zu tun hat. Ja, und irgendwann konnte ich dann erstaunlicherweise doch vom Schreiben leben, und hier sind wir nun.

Dsf: Wählen wir einen etwas ungewöhnlichen Einstieg: Wie hältst du es mit dem Helm beim Radfahren?

Eschbach: Isch ‘abe gar kein Fahrrad … Demzufolge auch keinen Helm dafür. Aber im Auto, da schnalle ich mich immer an!

Dsf: Erzählst du uns etwas über deinen Werdegang? Ich meine, du bist mir in der SF erstmalig aufgefallen, als du deinen Roman “Das Jesus Video” veröffentlicht hast. Wie bist du zur SF gekommen?

Eschbach: Das verliert sich im Dunkel der Geschichte. Irgendwie haben mich Bücher, auf deren Umschlägen Raumschiffe, Aliens oder fremde Planeten abgebildet waren, schon immer mehr interessiert als andere. Als ich ins Gymnasium kam, lernte ich einen Typen aus der Parallelklasse kennen, der später mein bester Freund werden sollte, der hat mir ein “Perry Rhodan”-Heft gegeben, und ab da war’s um mich geschehen.

Dsf: Warum gerade SF? Ich meine, es gibt immense andere Literaturströmungen. Den Mainstream beispielsweise. Was hebt für dich die SF von den anderen Strömungen ab?

Eschbach: ‘Abheben’ ist ein gutes Stichwort in diesem Zusammenhang. Ich meine, ich hab nichts gegen andere Literaturrichtungen. Ich lese querbeet, alles, was mir interessant erscheint, auch mal Thomas Mann, auch mal Kafka, auch mal einen Liebesroman oder einen historischen Schinken, und Thriller sowieso gerne, vorausgesetzt, sie sind psychopathenfrei – aber nur, wenn ich einen SF-Roman aufschlage, spüre ich, wie meine Phantasie abhebt. Die anderen Genres fahren in die unterschiedlichsten, mitunter durchaus nicht uninteressanten Richtungen, aber nur die SF fliegt.

Dsf: Auf Spiegel online ist vor einiger Zeit (Herbst 2017) ein Artikel erschienen, in dem gesagt wird, dass es heutzutage Eskapismus sei, SF NICHT zu lesen. Begründet wird das damit, dass dies die einzige Literaturgattung ist, die sich mit den Problemen der Zukunft befasst, bevor sie entstanden sind. Wie siehst du das? Ist es wirklich die Extrapolation oder werden nicht vielmehr häufig unsere Probleme der Jetztzeit lediglich verfremdet dargestellt?

Eschbach: Es gibt beides – die Extrapolation, also Entwicklungen, die man in der Gegenwart wahrnimmt, weitergedacht, aber auch das simple Verpflanzen allgemein menschlicher Probleme in eine ausgedachte, ferne Zukunft. Beides kann man gut oder schlecht machen, und beides hat etwas für sich, wenn es gut gemacht ist. Auch eine gewöhnliche Romanze auf den Mars zu verpflanzen kann ein erhellender Verfremdungseffekt sein. Wenn man es gut macht, wie gesagt.

Dsf: Wie läuft denn dein Arbeitstag ab? Haben wir uns das so vorzustellen, dass du regelmäßige Stundeneinteilungen am Tag hast? Gönnst du dir ein freies Wochenende?

Eschbach: Ein freies Wochenende? Frei wovon? Von meiner Lieblingsbeschäftigung? Das wäre ziemlich widersinnig, oder? Nein, mein Arbeitstag … ach was, mein normaler Tag sieht so aus, dass ich nach dem Frühstück an den Computer gehe und vor mich hin schreibe, bis sich irgendetwas ergibt, das mich zwingt, wieder aufzustehen und etwas anderes zu tun. Zu Mittag zu essen zum Beispiel.

Dsf: Wie lange sitzt du durchschnittlich an der Recherche/Planung eines Buches? Und wie viel Zeit benötigst du im Vergleich dazu dann mit dem Niederschreiben?

Eschbach: Das ist schwer zu sagen, weil ein großer Teil der Recherche und der Planung nebenher verläuft, während ich an anderen Büchern arbeite. Viel der Planung und der Recherche ist eigentlich ein Teil des Auswahlprozesses, zu entscheiden, welchem Roman ich das nächste Jahr meines Lebens widme.

Dsf: Kannst du dir deine Projekte frei wählen? Oder musst du, wie Verschwörungstheoretiker in der Szene gerne kolportieren, „Auftragsarbeiten“ für den Verlag erledigen?

Eschbach: Nichts gegen Verschwörungstheoretiker – was wären Phantastikautoren ohne deren Vorarbeiten? –, aber tatsächlich kann ich meine Projekte frei wählen. Im Vertrag steht sogar als Arbeitstitel meist nur “N.N.”, und was ich schreibe, erfährt der Verlag oft erst, wenn ich das Manuskript abgebe. Na gut, manchmal auch ein bisschen eher, weil ich manchmal zu spät dran bin und das Marketing schon anlaufen muss.

Dsf: Wie projektierst du deine Romane? Ich meine, es gibt ja so viele verschiedene Herangehensweisen an das Schreiben eines Buches. Manche Autoren machen sich einen ausführlichen Szenenplan, andere fangen einfach an und schreiben drauflos. Wie machst du das?

Eschbach: Ich liege irgendwo dazwischen. Ich mache mir einen nicht ganz so ausführlichen Szenenplan, und wenn ich dann anfange zu schreiben, muss ich ihn alle paar Kapitel ändern, weil die Geschichte anders verläuft als geplant.

Dsf: Gibt es wirklich die Verlagsvorgaben, was die Seitenzahlen (Stichwort Ziegelstein) eines Romans angeht oder ist das ein modernes Märchen?

Eschbach: Das ist kein Märchen, solche Vorgaben gibt es. Tatsächlich ist das die einzige Vorgabe, die in meinen Verträgen steht. Oder, wie ich es gern formuliere: Ich kann über alles schreiben, Hauptsache, ich schreibe über 600 Seiten. Was jetzt in meinem Fall nicht wirklich ein Problem ist.

Dsf: Wird es auch mal wieder Kurzgeschichten aus deiner Feder geben? Mich faszinieren vor allem Kurzgeschichten. Ich erinnere mich an ein Buch von dir, das ausschließlich aus Kurzgeschichten bestand, ein Feuerwerk der Ideen!

Eschbach: Ja, es entstehen schon ab und zu wieder Kurzgeschichten, schon weil ich ab und zu beauftragt werde, welche zu schreiben. Aber wie man am Umfang meiner Romane sehen kann, ist die kurze Form nicht so mein Zuhause. Zudem sind Kurzgeschichten schwer zu veröffentlichen, werden ungern gelesen, ungern verlegt und erreichen nur wenige Leser. Es wird also noch eine Weile dauern, bis es für einen zweiten Kurzgeschichtenband reicht, fürchte ich.

Dsf: Was macht Andreas Eschbach in seiner Freizeit? Liest er auch andere Autoren? Falls ja, welche? Und in welchem Umfang? Ich meine damit, es gibt Menschen, mich eingeschlossen, die lesen pro Woche mindestens ein Buch, wie sieht das bei dir aus?

Eschbach: Ein Buch pro Woche kommt hin. Wir haben keinen Fernsehapparat, das heißt, abends wird in der Regel gelesen. Und natürlich lese ich auch andere Autoren, was denn auch sonst? Wobei mich die Frage, welche denn, immer etwas in Verlegenheit bringt – soll ich mein Bücherregal entlanggehen und die Autorennamen abschreiben? Oder mich auf die beschränken, die mehr als einen halben Meter darin einnehmen? Stephen King gehört dazu, aber der schreibt halt auch dicke Klopper. Man kann, glaube ich, diagnostizieren, dass ich mit Vorliebe amerikanische und englische Autoren lese. Aber nicht nur – Georges Simenon zum Beispiel ist ein wichtiger Einfluss, und der war Belgier. Ab und zu muss es auch ein Murakami sein. Ich mag diese scheinbar einfache Sprache, zu der die beiden gelangen. “Lüterarisch” vor sich hin schwurbelnde Texte dagegen lassen mich kalt. Wenn ein Buch in Rezensionen als “wortmächtig” oder dergleichen gelobt wird, dann weiß ich schon, es wird mir vermutlich nicht gefallen.

Dsf: Kommen wir zu deinem neuesten Werk: NSA. Du kennst meine Rezension. Was hat dich dazu bewogen dieses Thema zu wählen? Ich meine, es ist ja durchaus eine politische Aussage damit verbunden. Ich sehe mit Schrecken die Erstarkung im rechten Spektrum des politischen Systems und mir graut davor, dass es nicht mehr wirklich unwahrscheinlich erscheint, dass der Innenminister nach der nächsten Bundestagswahl von der AfD gestellt wird. Da könnten durchaus von dir im Roman beschriebene Mechanismen eingesetzt werden.

Eschbach: Dass man sich das mittlerweile durchaus vorstellen kann, war durchaus ein Antrieb, diesen Roman zu schreiben. Wobei ich mich da gar nicht auf eine Himmelsrichtung festlegen würde – ob mich ein Hitler ins KZ oder ein Stalin in den Gulag schickt, macht keinen großen Unterschied, und überdies kann man sich heutzutage ja auch religiösen Extremismus an der Macht viel zu gut vorstellen. Was Extremismus jedweder Art in Kombination mit Computertechnologie bedeutet: das ist das eigentliche Thema meines Romans – nicht das Dritte Reich an sich.

Dsf: Du hast ganz bewusst darauf verzichtet, den Roman mit einem positiven Ausblick zu beenden. Bist du der Meinung, dass, wenn die vorhandene Technologie in die Hände eines totalitären Regimes fällt, eine Rebellion ausgeschlossen ist?

Eschbach: Da wir es vorhin von modernen Märchen hatten: Dass die sozialen Medien Revolutionen auslösen, böse Regierungen stürzen und die Welt besser machen, ist so eins. Würde es in einem mit technischer Überwachung in heutigem Maßstab ausgerüsteten Dritten Reich auch einen Widerstand geben, der sich technischer Mittel bedient? Ja, wahrscheinlich – und wahrscheinlich würde er gerade deswegen jeweils schnell entdeckt und ausgemerzt, denn so ein Widerstand muss sich ja erst einmal finden und formen und zusammentun, und bis er so weit wäre, etwas Wirksames zu unternehmen, hätte er schon viel zu viele Spuren hinterlassen. Und was wäre denn überhaupt wirksam? Reines Aufdecken, das wissen wir seit Edward Snowdens Stunt, bewirkt ungefähr so viel wie die Flugblattaktionen der “Weißen Rose”, nämlich nichts – außer der Entstehung von Helden vielleicht, und auch das erst, wenn ihre Seite gewonnen hat. Also müsste es schon Cyberterrorismus sein, Attacken auf die digitale Infrastruktur selbst. Dass eine Gruppe junger Rebellen das hinbekommt, während der Staat, den sie bekämpfen, siegt und siegt, halte ich für Wunschdenken.
Eine Rebellion würde erst Erfolg haben, wenn die Machtstrukturen in ausreichendem Maße erodiert sind. Das ist in einer Diktatur nur eine Frage der Zeit, aber es würde in jenem anderen Geschichtsverlauf, der uns in der Realität erspart geblieben ist, wahrscheinlich erst ungefähr heute passieren. Was ein ganz anderer Roman wäre – den vielleicht jemand anders gerade schreibt.

Dsf: Viele Menschen begegnen mir mit der These: Wenn ich mal viel Zeit habe, so als Rentner, dann schreibe ich auch ein Buch. Ideen habe ich ja genug. Ich entgegne dann immer: Die Zeit ist nicht der Faktor. Andere Menschen haben auch Hobbies, die sie täglich bedienen, die Zeit kann man auch in ein Buchprojekt stecken. Ich muss vielmehr etwas zu erzählen haben. Was würdest du einem angehenden Autor raten, wie sollte er vorgehen?

Eschbach: Also, jedenfalls nicht warten, bis man Rentner ist. Die Rentner, die ich kenne, die haben nämlich alle keine Zeit …
Und natürlich ist die Zeit, die angeblich fehlt – aber fürs Fernsehen, Zeitungslesen und dergleichen dann doch da ist – nicht der entscheidende Punkt, sondern Entschlossenheit. Wenn du wirklich entschlossen bist, ein Buch zu schreiben – wer sollte dich daran hindern? Niemand kann dich daran hindern, außer du selbst. Und das ist, was man tut, wenn man sich die Ausrede glaubt, man habe keine Zeit. Tatsächlich hat jeder Mensch genau gleich viel Zeit, nämlich 24 Stunden pro Tag. Einzig die Anzahl der Tage, die uns gegeben sind, ist nicht gleich verteilt. Weswegen es Blödsinn ist, das mit dem Buch vor sich her zu schieben, wenn es einem wirklich wichtig ist.
Den meisten ist es allerdings in Wirklichkeit nicht so wichtig, wie sie denken. Und es muss ja nun auch wirklich nicht jeder ein Buch schreiben.

Dsf: Wie weit ist dein Vorlauf? Wie viele Bücher sind bereits fertig, wenn eines erscheint? Schreibst du an einem weiteren Buch?

Eschbach: Klar. Ich bin meistens mitten im nächsten Buch, wenn eines erscheint und ich damit auf Lesereise gehe. Außerdem habe ich immer ein paar Romanprojekte auf kleiner Flamme vor sich hin köcheln, die ich vielleicht irgendwann realisiere und für die ich nebenher Ideen sammle und ein bisschen recherchiere.

Dsf: Kannst/darfst du uns einen Ausblick geben, was wir in naher Zukunft aus deiner Feder zu erwarten haben?

Eschbach: Nun, nach “NSA” und dem “Perry Rhodan”-Roman schreibe ich, wenig überraschend, am dritten Band meiner Meermädchen-Serie, auf den schon viele warten. Was danach kommt, weiß ich im Moment selber noch nicht. Wahrscheinlich wieder was ganz anderes …

Dsf: Ich vergleiche das Schreiben eines Buches gerne mit der Zeugung und Geburt eines Kindes. Der Beginn ist wunderschön, zum Ende hin wird es immer beschwerlicher und der Schluss ist häufig Schmerz pur. Dann kommt die plötzliche Erleichterung und der Autor fällt in ein Loch. Kannst du dich in dieser Beschreibung wiederfinden?

Eschbach: Nein, nicht im mindesten. Es gibt gute und weniger gute Tage, und mindestens einmal pro Roman verflucht man sich dafür, sich ausgerechnet diese Idee vorgenommen zu haben, aber alles in allem ist das eigentliche Schreiben der angenehme Teil. Danach wird’s dann lästig – das Lektorat dauert gefühlt ewig; wenn die Fahnen kommen, kann man den Text schon nicht mehr sehen; was sich zum Glück gelegt hat, bis das Buch erscheint und man sich bei nasskaltem Herbstwetter der Eisenbahn anvertrauen muss, um damit auf Lesereise zu gehen.

Dsf: Wie gut bist du in der Szene vernetzt? Ich meine, ist Andreas Eschbach eher ein Einzelkämpfer oder gibt es da Zusammenkünfte mit anderen Autoren, quasi ein Austausch/Brainstorming?

Eschbach: Ich stehe zwar durchaus mit etlichen Autorinnen und Autoren in Kontakt, die ich über die Seminare in Wolfenbüttel kennengelernt habe oder weil sie dieselben Verlage haben oder dieselben Literaturfestivals besuchen, aber was das Schreiben anbelangt, bin ich eindeutig Einzelkämpfer.

Dsf: Gibt es Zeiten, in denen du eine Schreibblockade hast? Ich kenne zum Beispiel Situationen, in denen ich zwar weiß, wie die Geschichte weitergehen soll, ich aber einfach nicht die Worte finde, dies zu schreiben. Nun ist das bei mir unspektakulär, ich kann den Text dann einfach mal Wochen oder Monate liegen lassen. Wie gehst du mit solchen Situationen um?

Eschbach: Ich halte nichts von dem Begriff ‘Schreibblockade’. So etwas gibt es nicht, so wenig wie ‘Fahrblockade’ bei Busfahrern oder ‘Kochblockade’ bei Köchen. Was es gibt, ist, dass man nicht weiß, wie es weitergehen soll, oder dass man keine Lust hat, oder irgendein anderer Grund, warum es eben nicht weitergeht. Aber es hat keinen Sinn, das nicht als das zu benennen, was es ist. Der Arzt sagt auch nicht, ‘Sie haben eine Gesundheitsblockade’, sondern er sagt: ‘Sie haben eine Mandelentzündung’ oder was auch immer. Nur, wenn man es klar benennt, kann man etwas Wirksames dagegen unternehmen. Wenn man nicht weiß, wie es weitergehen soll, dann hilft es vielleicht, erst mal einen langen, einsamen Spaziergang zu machen. Oder sich das Exposé oder die Outline nochmal in Ruhe vorzunehmen und mit Möglichkeiten zu spielen. Oder mit jemandem darüber zu diskutieren. Da entwickelt jeder so seine Methoden, die für ihn funktionieren. Wenn man die Worte nicht findet, kann man Cluster malen, oder nachlesen, wie andere Autoren so ähnliche Situation geschildert haben, oder im Wörterbuch blättern, oder erst mal ein Gedicht schreiben – oder die betreffende Stelle erst mal auslassen und eine Szene zu schreiben, die erst weiter hinten kommt. Manchmal stellt sich dabei heraus, dass die ‘schwierige’ Szene ohnehin entbehrlich war.
Und wenn man keine Lust hat, kann man auch mal ein paar Tage blau machen. Die Lust am Schreiben kommt schon von selber wieder.

Dsf: Könntest du dir auch Projekte mit anderen Autoren vorstellen? Ich stelle mir das schwierig bis unmöglich vor, will ich doch immer meine Ideen umsetzen und nicht die der anderen. In der Szene gibt es aber genügend Beispiele. Angefangen vom Schreiben nach Exposé bis hin zu echten Kooperationen zwischen zwei oder mehr Autoren. Wie siehst du so ein Projekt?

Eschbach: Ich bewundere es, wenn Leute das hinkriegen, denn ich könnte das nicht. Ich hab’s ein paarmal versucht, aber meistens bedeutete so ein Versuch das Ende einer wunderbaren Freundschaft.

Dsf: In der Literatur gibt es genügend Beispiele, dass das Alterswerk eines Autors nicht mehr die Qualität hat, die der Autor auf dem Höhepunkt seines Schaffens hatte. Stellvertretend seien hier nur Karl May, Robert Heinlein oder Isaac Asimov erwähnt. Hast du vor einer solchen Entwicklung Angst? Ich persönlich hoffe darauf, dass man mich darauf hinweist, wenn es so weit ist. Wie siehst du das?

Eschbach: Das gibt es, aber es gibt auch Autoren, die mit dem Alter immer besser werden, wie guter Wein. Ich glaube gar nicht, dass literarische Qualität zwangsläufig etwas mit dem Alter zu tun hat. Die Ursachen für Aufs und Abs in der Qualität des Schreibens würde ich eher anderswo suchen, in äußeren Lebensumständen vielleicht, die die Einstellung zum Schreiben verändern.

Dsf: Wie siehst du überhaupt dein Schaffen? Gibt es da Personen deines Vertrauens, die dir ehrlich ihre Meinung sagen? Oder gibt es da kein Korrektiv?

Eschbach: Meine Frau ist da völlig erbarmungslos, und da an ihr eine Lektorin verloren gegangen ist, auch sehr spezifisch.

Dsf: Wenn ich einen Text fertiggestellt habe, bin ich in der Sekunde des Abschlusses euphorisch. Endlich geschafft …, und überzeugt davon, etwas absolut Geniales verfasst zu haben. In der Sekunde danach kommt dann immer der Absturz, die Selbstzweifel. Ich überlege dann, ob das Werk überhaupt jemals das Licht der Öffentlichkeit erreichen darf, weil ich mir urplötzlich aller Schwächen bewusst werde (ob berechtigt oder nicht sei mal dahingestellt). Kennst du solche Zustände auch und falls ja, wie meisterst du sie?

Eschbach: Ich habe ja das Glück, im Lauf meines Lebens doch so viel Zuspruch zu dem, was ich schreibe, erfahren zu haben, dass ich nicht mehr grundsätzlich an meiner Befähigung dazu zweifle. Hinzu kommt, dass es so etwas wie den perfekten Roman ohnehin nicht gibt; er darf also seine Schwächen haben, solange ich alles tue, ihn so gut zu machen, wie ich es nur irgend hinkriege.

Dsf: Die SF-Literatur scheint sich im Niedergang zu befinden. In anderen Medien (Film, Computerspiel) ist eher das Gegenteil der Fall. Warum ist das deiner Meinung nach so? Ist es überhaupt so?

Eschbach: Seit ich denken kann, höre ich, dass die Benzinpreise steigen und es mit der SF-Literatur abwärts geht. Aber der Benzinpreis liegt immer noch nicht bei tausend Euro pro Liter, und SF gibt es auch immer noch, also sollten wir uns vielleicht erst dann Sorgen machen, wenn nicht mehr über den Niedergang der SF geklagt wird.

Dsf: Es gibt mehrere deutsche SF-Literaturpreise, die in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit ein Schattendasein frönen. Gibt es deiner Meinung nach Möglichkeiten, das zu ändern?

Eschbach: Keine Ahnung. Mein Eindruck ist, dass sich die Öffentlichkeit um Literaturpreise generell so gut wie überhaupt nicht kümmert. Die meisten Leute wissen gerade mal, dass es den Nobelpreis für Literatur gibt, aber schon nicht mehr, wer ihn zuletzt gewonnen hat.

Dsf: In diesem Zusammenhang: Dein aktuelles Buch „NSA“ wird als Roman und nicht als SF angeboten. Ist es wirklich in der Literatur „verkaufsschädigend“, wenn auf einem Buch das Label SF erscheint? In anderen Medien (Film/Computerspiel) scheint mir das eher ein Gütesiegel zu sein.

Eschbach: Das täuscht: Auch Filme wie “Star Wars” werden ja nicht als “Science-Fiction-Filme” beworben, sondern eben einfach als “Filme”, “Blockbuster” oder dergleichen. Der Begriff “Science Fiction” ist der Verkäuflichkeit tatsächlich nicht zuträglich, außer, man richtet sich spezifisch an ausgesprochene SF-Fans.

Dsf: Ich habe dich eingangs gefragt, wie du es mit dem Helm beim Radfahren hältst. Hintergrund für diese Frage ist, dass ich der Meinung bin, dass wir in unserer Gesellschaft mittlerweile eine Art Diktatur der Fürsorge erfahren. Eine Art der Diktatur, die sich auch durchaus der Überwachungstechnologie bedienen könnte. Wie siehst du diese Art der Entwicklung?

Eschbach: Ja, da geht in der Tat eine seltsame Infantilisierung vor sich. Auch wenn man zum Beispiel mit dem Zug unterwegs ist und an jedem verdammten Bahnhof, an dem er hält, gemahnt wird, man solle nichts im Zug vergessen: Ein erwachsener Mensch denkt an so etwas von selber, der braucht keine Deutsche-Bahn-Mami, die ihn daran erinnert. Was kommt als Nächstes? Werden wir ermahnt, den Mantel zuzumachen, wenn wir aussteigen, weil es draußen kalt ist? Werden Betreuer eingestellt, die uns die Nase putzen? Man darf gespannt sein.*

Dsf: Lieber Andreas, ich möchte mich an dieser Stelle recht herzlich für das Interview bedanken.

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*Wir sind gespannt, ob jemand eine Geschichte darüber schreibt. Kurzgeschichten können gerne bei uns eingereicht werden!