Interview: Erik Schreiber

Seit Mitte der 70er gibst du nun schon den „Phantastischen Bücherbrief“ heraus. Wie kam dir die Idee hierzu? Waren dir die offiziellen Verlagsankündigungen nicht ausreichend oder nicht ausreichend objektiv genug?

Buchbesprechungen hatte ich schon sehr lange geschrieben. Die Ersten waren so ausführlich wie: „Das war ein tolles Buch“ oder „Ein langweiliger Schmöker“. Da war ich gerade einmal sechs Jahre. Ende der 1970er brachte ich mein Fanmagazin „Land der dunklen Schatten“ heraus. Dort wurden meine Besprechungen schon länger und ausführlicher. Das Land der dunklen Schatten war damals das erste Fanmagazin mit dem Themenbereich Phantastik. Es gab Fanzines für SF, in den 1980ern für Horror und später sogar ein paar wenige für Fantasy. Für mich war  wichtig, alle Bereiche der Phantastik abzudecken, weil ich alles gelesen habe und mich so nicht auf ein Genre bei den Besprechungen einschränken musste.

Mit den offiziellen Verlagsankündigungen hat das nichts zu tun. Wenn man an die alten Prospekte und Verlagsvorschauen denkt, stand da wenig zum Buchinhalt und der Klappentext war sogar schlichtweg falsch. Ich hatte mal ein Heyne Taschenbuch, ich weiß leider nicht mehr welches, das hatte den Klappentext für den Drachenbeinthron von Tad William aus dem Krügerverlag. Oder vor ein paar Jahren von H. D. Klein das Buch Phainomenon, das mit einem Zitat der Nürnberger Nachrichten warb und die Nürnberger Nachrichten mir schrieben, sie hätten gar keinen Text dazu in ihrem Archiv. Daher bin ich bei den Klappentexten sehr vorsichtig geworden. Und von Objektivität kann man da nicht sprechen. Man will die Bücher verkaufen und daher die Käufer locken. Aber das ist Marketing. Ich glaube der Fernsehwerbung ja auch nicht.

Hattest du irgendwann im Verlauf dieser langen Zeit schon mal keine Lust mehr gehabt, wolltest alles hinschmeißen?

Nein. Mein Hobby ist lesen und weil ich gern und viel lese, ist mir meine Meinung zu den Büchern wichtig. Als ich die ersten Conan-Romane gelesen habe, gefielen sie mir nicht besonders. Dann kam die Zeit mit den Filmen und Schwarzenegger als Conan, da war ich hellauf begeistert. Und heute betrachte ich das gleiche Buch eher als durchschnittlich. So zeigt mir meine Buchbesprechung auch, wie sich mein Geschmack ändert, aber auch der sogenannte Zeitgeist ((RRR Link zur Zeitgeist-Debatte)). Aber hinschmeißen wollte ich nie. Nach der Einstellung von „Land der dunklen Schatten“ folgten „Echo“ und „X-Ray-Zone“ und andere Fanmagazine. Aber die Rezensionen blieben immer, bis der Phantastische Bücherbrief erschien. Er war der direkte Nachfolger von Land der dunklen Schatten und das einzige Beständige in meiner Fan-Magazin-Herausgabe.

Wie kommst du eigentlich an die ganzen Infos zu den Neuerscheinungen? Du hast hierfür doch auch bestimmt einige interessante Kontakte in die Verlagsszene geknüpft …

Über all die Jahrzehnte bauen sich mit den Presseabteilungen der Verlage gute Kontakte auf. Solange ich meine Kritik begründe, komme ich mit den Presseabteilungen gut aus. Ich bin dort so eine Art „durchlaufender Posten“. Ich sehe die Damen und Herren kommen und gehen. Je nachdem wie die Ausrichtung der Personen ist, sind Fans gerne oder nicht so gerne gesehen. Ärger gab es mit den Presseabteilungen, als ich meinen Club für phantastische Literatur führte. Plötzlich gab es einen Club für phantastische Literatur Minimurks. Der mit seinem Namen meinen inzwischen guten Namen missbrauchte. Aber nach einigen langen Briefen an die Verlage hatte sich das Problem auch erledigt. Der neue Club wurde weitgehend ignoriert.

Kontakte sind natürlich wichtig. Mit der Zeit bauten sich Kontakte zu Verlegern, Lektoren, Presseabteilungen, Autoren, Übersetzern etc. auf. Aber nicht zu vergessen, die vielen Kontakte zu den Fans und Gleichgesinnten. Der Gedankenaustausch ist mir wichtig um auch andere Meinungen kennenzulernen. Am liebsten sind mir natürlich Treffen von Angesicht zu Angesicht. Das Internet-Zeitalter ist da nicht geeignet.

Was ist für dich das Wichtigste beim Verfassen einer Rezension? Und welche Fehler sollte man bei einer aussagekräftigen Buchbesprechung auf keinen Fall machen?

Da fragst Du etwas. Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich alles richtig mache bei den Besprechungen. Ich bin inzwischen recht „eingefahren“ und meine Besprechungen ähneln sich im Aufbau immer. Trotzdem versuche ich ab und zu, die Besprechung anders zu machen, und dann kommen die Fehler wieder.

Der größte Fehler jedoch ist, Kritik zu äußern und sie nicht zu begründen. Du kannst immer sagen, ein Buch sei grottenschlecht. Das nimmt man dir übel. Wenn aber die Begründung kommt, ist wieder alles in Ordnung. Und nie beleidigend werden. Keine Polemik oder ähnliches. Es erwartet niemand, eine objektive Buchbesprechung zu lesen. Das geht gar nicht. Aber es muss klar erkennbar werden, was Inhaltswiedergabe ist und was persönliche Meinung. Mir persönlich wäre es sehr angenehm, wenn ich neben meiner Buchbesprechung zum gleichen Buch eine abweichende Meinung veröffentlichen könnte. Dann hätte der Leser und die Leserin die Möglichkeit, besser zu entscheiden.

In dieser Hinsicht sind dann die Rückmeldungen nett. Sie kommen selten, aber daraus ergeben sich nette aber auch unschöne Kontakte. Nett war, als mir einmal eine E-Mail eines Übersetzers ins Haus flatterte, der mir zu meiner Buchbesprechung gratulierte, er würde meine Sicht teilen. Und es war nicht der Übersetzer des Buches. Weniger schöne sind solche, wenn der Autor nicht mehr will, dass ich seine Bücher bespreche. Dabei sind drei Smileys gutes Mittelmaß. Oder wenn eine Autorin historischer Romane sich beschwert (auch mit drei Smileys) ich hätte keine Ahnung von der Zeit Friedrich des II. Ich wäre gar nicht in der Lage die Arbeit, die sich Frau Doktor gemacht hat, zu würdigen. Sie hätte alles bestens recherchiert. Das war der Punkt, an dem ich lachen musste. Die Dame hatte knapp eineinhalb Jahre gebraucht, im phantastischen Bücherbrief meine Adresse zu recherchieren. Sie steht immer am Ende des Bücherbriefes!!!

Du arbeitest ja auch bei einer SF-Radiosendung mit. Was ist der größte Unterschied zwischen einem Printmedium wie dem Bücherbrief und einer Radiosendung? Muss man sich da kürzer fassen?

Radio ist viel einfacher zu machen und man kann viel leichter manipulieren. Es reicht, wenn man die Betonung anders legt. In der Schriftsprache geht das zwar auch, aber man muss mehr überlegen. Der größte Nachteil ist, wenn ich mit fertigen Manuskripten komme und plötzlich muss ich kürzen oder gar ganze Beiträge herausnehmen. Den Vorzug gebe ich hauptsächlich deutschen Autoren.

Um einen guten Beitrag zu gestalten, sollte er nicht länger als 30 Sekunden dauern. Dann sollte alles gesagt sein. Zumindest ist dies die Dauer bei Radiosendungen. Bei den Beiträgen, wie sie Deutschlandfunk und die ARD-Radiosender machen, sind es nicht mehr als drei Minuten. Aber auch hier kommt es auf das Radioformat an. Ich versuche mit meinen Beiträgen bei 3 Minuten zu bleiben. Ich habe aber auch selten mehr als acht Minuten Sendezeit für die Buchbesprechungen. Der größte Unterschied ist einfach Sprache und Schrift. Wo man viel und gut formulieren kann, ist nur die Schrift. Vorgelesen wirkt es ziemlich steif. Also versucht man es mit der Sprache. Aber eine falsche oder gar missverständliche Formulierung, gegebenenfalls mit falscher Betonung, und schon gibt es Ärger.

Welche Werke der deutschsprachigen SF zählen deiner Meinung nach zu den besten, die du je besprochen hast? Und welche zu den schlechtesten?

Das ist eine schwere Frage. Was ist in dreißig Jahren die beste SF? Nach welchem Gesichtspunkt soll ich das entscheiden? Nach dem Zeitgeist, der politischen Strömung, der sozialen Situation, dem Unterhaltungswert? Vielleicht ist es die Besprechung zu Herbert W. Frankes letztem Buch und dem Interview mit ihm? Ein Teil davon hat es in Arbeitshefte für Schulen geschafft. Nein ehrlich, kann ich nicht. Mir fällt Carl Amery ein mit der Untergang der Stadt Passau als gutes Buch, oder Bücher von Hans Dominik und Kurd Laßwitz. Nein, ich kann wirklich nichts als besonders gut oder schlecht bezeichnen. Bei den neuen Autoren sind es durchaus Leute wie Andreas Eschbach, Myra Cakan, Markus Hammerschmitt und andere, die mir gefallen. Aber auch die sind bereits seit einigen Jahren bekannt. Die nächste Generation wären Markus Heitz, Christoph Hardebusch, Thomas Plischke, Armin Rößler, Dirk van den Boom und andere.

Wie beurteilst du die Entwicklung der deutschen Verlagsszene in punkto SF? Wird sie ausreichend repräsentiert? Oder könnte alles noch besser sein?

Die SF in deutschen Verlagen ist gar nicht schlecht repräsentiert. Es kommt nur darauf an, was man sucht. Der Wilhelm Heyne Verlag hat seit Jahren seine SF heruntergefahren. Dennoch ist er mit dem Jahrbuch einer der aktivsten und interessantesten Verlage. Seit kurzem ist der Blanvalet Verlag dabei, sich der SF zu öffnen. Panini veröffentlicht SF zu Computerspielen und vor allem viele kleine Verlage sind auf dem Weg, die SF wieder hochzuhalten, aber auch neue Wege zu gehen. Als SF-Fan ist es mir aber zu wenig. Früher gab es weitaus mehr Abwechslung. Heute kommt nur noch das bei den großen Verlagen auf den Tisch, was im Ausland schon gute Verkaufszahlen zeigt.

Wer ist der Mensch hinter dem Bücherbrief? Erzähl uns doch mal ein wenig über dein Privatleben (wenn du magst) …

Warum glaubt mir niemand, wenn ich sage, ich bin ein armer, alter, relativ verbrauchter und gebeugt gehender Mann? Dabei bin ich Ü50 und über die Straße will mir auch keiner helfen. Aber mal im Ernst. Ich habe ein halbes Dutzend Berufe und arbeite gerade als Lehrer im Bereich Nachhilfe. Ich lebte in genau so vielen Städten und bin nun sesshaft geworden. Das heißt, ich habe vor ein paar Jahren ein Haus gekauft und muss es, wie so viele andere Eigenheimbesitzer noch die nächsten Jahre abbezahlen. Dafür habe ich jetzt viel Platz für Bücher. Ich lese durchaus ein Buch pro Tag. An Wochenenden, wenn ich nicht anderweitig eingespannt bin, auch mehr. Ansonsten spiele ich ganz gern. Entweder Tabletop oder Rollenspiel, aber auch einfach nur Brett- und Kartenspiele. Ab und zu schreibe ich Kurzgeschichten und Romane, die zum Teil veröffentlicht wurden. Dabei schreibe ich zum Spaß, weil ich weiß, dass ich nicht der Beste bin und damit nie Geld verdienen werde. Aber es freut mich zu sehen, wenn ich veröffentlicht werde mit meinen Beiträgen, dann kann ich gar nicht so schlecht sein. Vor zwei Jahren gründete ich den Verlag Saphir im Stahl, weil ich mit ein paar Verlagen und ihrer Arbeit, hauptsächlich Vertrieb und Werbung, nicht ganz zufrieden war. Zudem wollte ich meine eigenen Sachen veröffentlichen. Und bislang sind sechs Bücher erschienen. In den nächsten Monaten veröffentliche ich drei weitere. Und noch immer kein Roman von mir dabei. Die küssende Muse will einfach nicht vorbeischauen.

Wo willst du mit Saphir im Stahl noch hin? Welche Ziele verfolgst du mittel- und langfristig? Und welche Erfolge gab es schon?

Zu sagen, ich will mit dem Verlag an die Spitze, ist sicherlich übertrieben. Sollte es mir gelingen die ersten fünf Jahre nicht nur zu überleben, sondern Gewinne erwirtschaften, wäre der nächste Schritt, den Verlag aus der Nische Nebenerwerb herauszuholen. Ob es ein Hauptberuf wird, zeigt sich dann. Erfolge mit dem Verlag? Vielleicht den, Hanns Kneifel, der leider vor ein paar Tagen im Alter von 75 Jahren starb, dazu zu überreden, die Orion-Manuskripte zu überarbeiten und die sieben Manuskripte der Raumpatrouille in drei Hardcovern herauszubringen. Oder den Erfolg von fast allen Büchern in kurzer Zeit die Hälfte der Auflage zu verkaufen? Oder die, dass seither ständig Manuskripte eingereicht werden, weil viele Autoren meinen sie können schreiben (aber noch nicht mal das Anschreiben ist ohne Schreibfehler).

Ein Erfolg ist sicherlich, dass die Qualität der Bücher gut angekommen ist. Der positive Eindruck des Inhaltes überwiegt auch, mit der einer Ausnahme. Aber da geht es vor allem um die Form. Dennoch, ich sehe Fortschritte und hoffe weiter voranzukommen.

Meine Ziele: Mittelfristig ein paar gute Bücher herauszugeben und mit dem Verlag plus minus Null kaufmännisch herauszukommen. Langfristig wünsche ich mir natürlich auch finanzielle Erfolge, um weiter zu arbeiten. Ich habe so verschiedene Ideen, die ich umsetzen möchte. Etwa die Idee der Geheimnisvollen Geschichten. Kurzgeschichten mit Themen, die nicht so oft aufgegriffen werden oder gar neu sind.  Die Phantastik hat so viele Gesichter und ich bin gerade erst beim Janusgesicht.

Wie lange hältst du noch durch? Oder, anders formuliert: Wird es irgendwann einen Nachfolger für die Redaktion des Phantastischen Bücherbriefs geben?

Als ich jung war, habe ich mir vorgenommen, 120 Jahre alt zu werden. Ich habe also noch gut 70 Jahre Zeit. Ob es einen Nachfolger für den phantastischen Bücherbrief geben wird, kann ich nicht sagen. Ich mache ihn wohl solange, wie ich Spaß am Lesen habe und ich noch irgendein Wort schreiben kann. Und das ist das einzig beständige in meinem Leben. Die Freude an der Literatur. Auch wenn es den Anschein hat, ich würde nur Phantastik lesen, dann bezieht sich dies nur auf die Veröffentlichungen im phantastischen Bücherbrief. Ich lese durchaus Zeitpolitisches, etwa in Spiegel, Taz, www.nachdenkseiten.de und anderen. Ich mag Dokumentarsendungen über Land und Leute und lese gern mal ein Sach- und Fachbuch. Oder Comics. Oder eine Biographie … Die letzte war über Bismarck.

Zum Schluss würden wir gerne noch deine fachmännische Meinung zur deutschsprachigen Science Fiction hören. Was, glaubst du, ist ihre größte Chance, und was die größte Gefahr in Zukunft?

Die grösste Chance ist ihre Vielfältigkeit. Es kommt immer mehr auf den Markt, bis hin zu den Kleinauflagen bei BOD. Die größte Gefahr? Ich habe schon lange den Überblick verloren. Ich habe keine Ahnung, was wirklich überall erscheint. Selbst die ganzen Internet-Magazine und Newsletter können nur noch einen kleinen Teil abdecken und nicht alle Informationen bringen.

Chancen sehe ich bei solchen Projekten wie der Idee von Markus Heitz und seiner Justifers-Serie. Da könnte durchaus noch mehr kommen. Die neuen „jungen“ Autoren bieten viel Potenzial. Es müsste nur mehr Möglichkeiten geben, für diese Autoren Werbung zu machen. Ein schönes Projekt ist auch die Serie „Rettungskreuzer Ikarus“.

Also glaubst du nicht, dass allein die literarische Qualität für den Verkaufserfolg ausschlaggebend ist? Welche Wege müssten diese neuen Autoren denn marketingmäßig gehen? Selbst investieren? Oder ist es vielleicht doch der Netzwerk-Gedanke?

Ich bin fest davon überzeugt, dass sich die Qualität durchsetzt. Das Problem sehe ich eher darin, dass die Qualität nicht immer bekannt gemacht werden kann. Kleine Verlage, die ein oder zwei gute Autoren haben, können nicht so viel Geld in Werbung und Information stecken, damit sie bekannt werden. Die Autoren gehen ja schon neue Wege, sie lesen, sie sind über das Internet bekannt, weil sie eigene Seiten haben. Was fehlt sind etwa Auftritte bei Radiosendern, selbst wenn es nur private oder unabhängige Radios sind. Oder bei offenen Kanälen. Auch eine kurze Lesung aufgenommen und bei Youtube, Clipfish und anderen wären nicht verkehrt. Aber ich habe hier jetzt nicht vor, neue Wege zu erzählen. Da muss der jeweilige Autor und Verlag selbst den Grips in Gang setzen. Selbst investieren, Geld einsetzen, ist aber verkehrt. Dann braucht er aber keinen Verlag. Netzwerk-Gedanken sind gut, aber welches Netzwerk schwebt dir vor? Bei Facebook gibt es Ansätze in verschiedenen Gruppen, aber die sind nicht mehr als Ansätze. Ein reines Autorennetzwerk ist nicht hilfreich, da sich dort nur Autoren treffen würden. Seiten wie Phantastiknews, Fictionfantasy und andere sind Ansätze, aber auch dort findet man unbekanntere Schriftsteller nicht so schnell.

Vielen Dank dass du dir Zeit für uns genommen hast!

Gerne.

Hier geht es zu den einzelnen Ausgaben des Phantastischen Bücherbriefes