SF schreiben – aber wie? (4)

Im fünften Teil meiner kleinen Artikelreihe geht es um zwei Arten von Schriftstellern. Zu welchen gehört ihr? Und wie könnt ihr die einzelnen Vor- und Nachteile der jeweiligen Schreibstile für eure SF-Projekte nutzen? Findet es heraus!

 

Typ 1: Der originäre Autor

 

Seine Ideen sind originell, der Schreibfluss ist konstant, ununterbrochen. Er beginnt den Schreibprozess mit dem Anfang und hört mit dem Schluss auf – so wie es vor den zahlreichen Creative Writing Seminaren einmal üblich war (die ich übrigens nicht schlecht finde, sie nehmen meines Erachtens nur etwas überhand). Und natürlich gibt es für einen solchen Autoren viele Hürden auf dem Weg zum fertigen Manuskript, die es zunächst einmal zu überwinden gilt. Zum Beispiel: Was, wenn einem plötzlich die Ideen ausgehen und man nicht mehr weiß wie es weitergehen soll? Die Rede ist nicht von einer handfesten Schreibblockade, sondern eher von einem gewissen Ideenvakuum während des Schreibens. Ist er gut und geübt, findet der originäre Schreiber immer einen Weg, sein Werk zu vollenden und dabei auch seinen oft hohen Ansprüchen gerecht zu werden – aber oft genug landen angefangene Texte weniger erfahrener Autoren in der untersten Schreibtischschublade oder in einem kaum benutzten Ordner in den hintersten Winkeln der Festplatte. Es ist angesichts dieses Vorwurfs vielleicht kein optimaler Zeitpunkt, dies zuzugeben, aber ich selbst zähle mich zu dieser Gruppe von Schriftstellern. Und ja, wirklich: Es ist nicht immer einfach, aber wenn man einmal eine gute Story beendet hat, ist man umso stolzer auf sich selbst. Dann denkt man: Puh, wieder mal geschafft, der ewige Wortfeind und der böse Geist der Unvollständigkeit sind besiegt! Natürlich – man sollte vor dem Beginn des Schreibens wenigstens ein Konzept im Kopf haben, ein Grundgerüst, um das herum man die Handlung mit Spannungsbögen, Figuren etc. aufbaut. Denn anders als beim komplementären Schreiben (s. u.) sind die einzelnen Textbausteine kein Puzzle, dessen Lösung man schon vorher im Kopf hat, sondern vielmehr wie ein Echtzeit-Aufbaustrategiespiel, bei dem der Ausgang oft ungewiss ist. Manchmal fällt einem der Clou erst mitten in der Story ein. Der Vorteil liegt auf der Hand: Man ist flexibler, kann sich an verschiedene Gegebenheiten und Änderungen der Storyline anpassen. Der Nachteil besteht ganz klar darin, dass man sich auf ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang einlässt. Mit einiger Übung kann man die negativen Konsequenzen kaschieren, aber man hat immer ein gewisses Restrisiko. So kann es einem schon mal Kopfzerbrechen bereiten, wenn der Held auf einmal nicht mehr weiß, was er als nächstes tun soll. Fülltexte und Lückenbüßer-Charaktere sind oft die Folge. Dieser Schwäche kann man mit einem Konzept entgegenwirken, das zumindest ansatzweise ein Gerüst vorgibt, mit dessen Hilfe man seinen Text zu Papier bringt: Die Schlüsselereignisse, einige Details zum Charakter und ein kurzer Lebenslauf der Protagonisten, und auch eine Recherche zu den Details der beschriebenen außerirdischen Technologien und Planeten … Das alles macht den originären noch lange nicht zum komplementären Schreiber, ist aber gerade bei längeren Texten eine wichtige Hilfestellung, um den Schreibprozess mit den wichtigsten Daten zu untermauern.

Stas Rosin – Kontakt

 

Keine umfassende Recherche möglich – ein Nachteil?

 

Beim originären Schreiben ist es leider nicht möglich, sich auf ein Projekt bis ins Detail vorzubereiten. Also: keine Bücherstapel über Transplantationsmedizin als Vorbereitung auf eine Story, in der fiese Aliens wieder mal an den Erdbewohnern herum schnippeln, und auch keine Gigabyte-großen Verzeichnisse voller Hintergrund-Infos zu fernen Galaxien aus dem Internet. Man kann schon sagen, dass all dies ein deutlicher Nachteil ist. Wenn aber gerade der kreative, spontane Schreibimpuls wichtiger ist als das sachliche Fundament, sollte man immer seinem Gespür folgen und zunächst alles niederschreiben, was einem den Sinn flutet – nicht wahr, es muss doch einfach raus! Beim Überarbeiten des Textes kann man hinterher immer noch eine genauere Recherche durchführen. Selbstverständlich ist dies noch lange nicht vergleichbar mit dem komplementären Autor, der sich manchmal monatelang auf ein größeres Schreibprojekt vorbereitet und dafür auch schon mal einiges für Bücher, Zeitschriften etc. springen lässt. Die Recherche geschieht beim originären Schreiben nämlich meistens nach oder während des Schreibprozesses – was noch lange kein Ersatz ist für die schweißtreibende, puzzleartige Suche nach den genetischen Details einer fremdartigen Spezies. Umso wichtiger ist es daher, die richtigen Quellen zu haben, wo man schnell auf gewünschte Informationen Zugriff hat (einige dieser Websites hatte ich schon in meinen vorherigen Artikeln aufgeführt). Leider müssen aber alle, die auf diese Weise schreiben möchten, den Nachteil in Kauf nehmen, dass ihre Texte wohl immer ein paar unstimmige Details aufweisen werden (sofern man sie nicht zigmal überarbeitet). Doch immerhin bietet das Just-in-time-Verfahren auch eine Menge Vorteile:

 

Originell, neu, unterhaltsam – so wird eine Story zum Unikum!

 

Kommen wir also zu den Pluspunkten. Es liegt auf der Hand, dass spontan entstandene Texte, die frisch aus dem Kopf des Autors zu Papier gebracht werden, oftmals mehr Flair und Esprit versprühen als aufwändig konstruierte, lang recherchierte Satzkonstrukte, die das Lesen unnötig verkomplizieren. Der Grund: beim Spontanschreiben verzichtet der Autor auf langatmige Erklärungen und kommt schneller zur Sache. Da scheint es auch fast nichts auszumachen, wenn mal ein paar Details nicht ganz zusammenpassen. Es kommt schließlich darauf an, Atmosphäre zu verbreiten, Stimmung zu erzeugen, einen Spot ins Dunkel des Weltalls zu richten, der die Gedanken der Leser erhellt. Das ist manchmal deutlich wichtiger, als präzise Angaben zur definitiven Belastbarkeit von Weltraumtransportern mittlerer Größe zu machen. Der Autor hat nämlich die Möglichkeit (und sollte sie auch nutzen), mehr Witz und Charme, mehr Originalität in die Handlung einzubringen als sein komplementärer Kollege. Man sollte also keine Angst davor haben, dem Leser nicht immer hundertprozentig akkurate Hintergrundinfos zu liefern, sondern sich stattdessen darauf konzentrieren, den ursprünglichen Charakter seiner Ideen in Worte zu fassen. Nur so lässt sich die Spontaneität konservieren, nur so hält sie sich und hat ein Mindesthaltbarkeitsdatum, das jenes von vielen anderen Geschichten übertrifft.

 

Typ 2: Der komplementäre Autor

 

Bestimmt kennt ihr die Plastik „Der Denker“ von Auguste Rodin. Im Prinzip hat der Künstler in seinem Werk die Essenz des komplementären Autors in Bronze gegossen. Dieser lässt sich nämlich alle Zeit der Welt, prüft sämtliche Fakten, sichert sich wie ein geübter Bergsteiger doppelt und dreifach ab, während der originäre Autor eher wie ein Freeclimber oder Actionpainter agiert. Eine neue Story ist hier nun keine plötzliche Eruption von Ideen mehr, sondern ein langer Prozess des Formens und Schleifens – wie bei einem Rohdiamant oder einer Marmorskulptur. Der komplementäre Schreiber bereitet sich gewissenhaft auf seine Aufgabe vor, die für ihn ganz klar darin besteht, den Leser mit möglichst realistischen und detaillierten Informationen über seine (Gedanken-)Welten zu versorgen. Viele von ihnen schaffen es dann sogar noch, einen spritzigen und unterhaltsamen Text dazu zu verfassen. Denn bei aller Liebe zum Detail ist auch beim komplementären Schreiben das Schreiben das Wichtigste, nicht die Vorbereitung darauf. Dennoch schließt man sich oft wochenlang in seinem Arbeitszimmer ein, wälzt Bücher, durchforstet das Internet, um möglichst einzigartige Basics herauszufiltern, mit denen man seinen Text interessant machen kann. So liefern komplementäre Autoren denn auch viel häufiger hieb- und stichfeste Daten und Fakten, wissenschaftlich eindeutig belegbare Zusammenhänge wie z. B. die Zusammensetzung der Atmosphäre auf einem fremden Planeten, Details zu Raumschiffantrieben oder Tag- und Nachtphasen auf einem entlegenen Mond. Das sind alles Dinge, die ein spontaner Kreativschreiber nur grob umreißen kann.

 

Das Puzzle nimmt Formen an – gute Aufbereitung ist das A und O

 

Wie schon erwähnt, ist eine umfassende Vorbereitung auf ein Schreibprojekt hier das Wichtigste. Figuren müssen gezeichnet, eine Rahmenhandlung entworfen, Szenen skizziert werden. Oft geschieht das mit Hilfe von Textbaustein-Programmen, die extra für Schriftsteller geschrieben wurden (wie z. B. dem ywriter). Hier muss man nicht unbedingt linear schreiben, sondern kann schon zu Beginn des Schreibprozesses an Szenen arbeiten, die erst in der Mitte oder am Ende des Werkes vorkommen. So hat man die Möglichkeit, viel besser dafür zu sorgen, dass alle Szenen auch logisch miteinander verknüpft sind. Logische Fehler oder Cliffhanger sind demnach die Ausnahme. Man kann den Schreibprozess des komplementären Schriftstellers wie schon beschrieben mit einem Puzzle vergleichen. Nur wenn man intensiv nach den richtigen Teilen sucht, ergibt sich hinterher auch eine einwandfreie Story mit facettenreichen Figuren und einer Handlung, die allen Argumenten standhält. Ein weiterer wichtiger Punkt hierbei ist die Recherche. Dabei sollte man wissen, wo man suchen muss und man sollte auch wissen, was man sucht; dann wird man fündig (siehe hierzu auch meine vorherigen Artikel). So ergibt sich nach und nach ein fertiges Puzzle, das durch seine Vielfältigkeit und wissenschaftliche Belegbarkeit zu überzeugen weiß! Allerdings – und das ist der größte Nachteil – leidet der Lesefluss oft darunter:

 

Panta rhei (alles fließt) – leider nicht immer bei komplementären Autoren

 

Während beim originären Schreiber alles wie aus einem Guss zu kommen scheint, wirken Texte komplementärer Autoren manchmal wie ein unfertiges Puzzle: obwohl alles vorhanden ist und man eigentlich an nichts meckern kann, fehlt einfach das gewisse Etwas, der „Spirit“. Der lässt sich nämlich nicht durch Recherche oder durch eine fein komponierte Storyline ersetzen, sondern hängt einfach vom Talent des Autors ab. Ein guter (SF-)Schriftsteller schafft es demnach immer, den Leser mit neuartigen Ideen zu verblüffen und zu überzeugen. Ganz gleich, ob die Fakten stimmen oder nicht – den richtigen Spirit kann man nur beim Schreiben rüberbringen. Natürlich schaffen das auch viele Autoren, die nach der eher wissenschaftlichen Methode vorgehen, aber authentischer wirkt es dann doch bei denen, die ihren Worten einfach freien Lauf lassen.

 

So haben beide Schreibstile also Vor- und Nachteile. Ich würde sagen, bei Romanen und längeren Texten sollte man komplementär schreiben, bei Kurzgeschichten und Gedichten muss(!!!) man originär schreiben.

Ich hoffe, ihr konntet herausfinden, zu welchem Typ Schriftsteller ihr gehört und wie ihr die jeweiligen Nachteile am besten nivellieren könnt!

 

Mehr zum Autor dieses Artikels auf seiner Website

 

PS: Wie immer spiegelt der Inhalt dieses Artikels nur die Ansicht des Verfassers wieder, die geprägt ist vom Schreiben zahlreicher Kurzgeschichten und dem Meinungsaustausch mit anderen Autoren. Natürlich gibt es andere Herangehensweisen. Aber aus der Sicht des Verfassers sind die oben beschriebenen Typen weit verbreitet und daher erwähnenswert.