Kategorie: Allgemein

Bericht: Das war “Hinterm Mond”

Nach der erzwungenen Corona-Pause hatte Organisator Norbert Fiks einmal mehr nach Leer eingeladen, um der deutschen Science Fiction eine Bühne zu bieten.

Vier Autorinnen standen bereit: Regine Bott, Theresa Hannig, Madeleine Puljic und Jacqueline Montemurri.

Vor rund 40 Besucherinnen und Besuchern im urigen Kulturspeicher begann die gut vierstündige Veranstaltung mit einer Präsentation von Theresa Hannig, die anhand von Zahlen und Statistiken zeigte, wie unterrepräsentiert deutsche Autorinnen in der Wahrnehmung einer ansonsten männlichen Domäne sind.

Es folgten ausführliche Lesungen aus den aktuellen Romanen der Autorinnen. Im Anschluss nutzte das Publikum jeweils eifrig die Möglichkeit für Fragen und Antworten. Fast wünschte man sich, für die zweifellos gewünschte und aufschlussreiche Diskussion hätte mehr Zeit zur Verfügung gestanden (teils wurde sie beim Abendessen des “harten Kerns” fortgesetzt) – es gibt zig Themen in der modernen SF, die nicht nur in den Romanen selbst abgehandelt werden müssen.

Auf jeden Fall lohnte die Fahrt nach Leer einmal mehr – auch oder gerade, weil die Veranstaltung vom üblich Con-Format abweicht, bei dem man sich allzu oft an der Bar oder an Büchertischen festquatscht und die eigentlichen Panels teils nur dünn besucht werden. Etwas mehr Diskussion und etwas weniger Vorlesen, und “Hinterm Mond” ist der perfekte Prototyp für intensive und anspruchsvoll unterhaltsame SF-Veranstaltungen der Zukunft.

Rezension: “Nanopark” von Uwe Hermann

Willkommen in der perfekten Illusion.

Wer Vergnügungsparks und deren Achterbahnen liebt, weiß, was zur Perfektion noch fehlt. Die abblätternde Farbe, die unbelebten, sich dennoch bewegenden Puppen, das fehlende Erlebnis einer realen Weltraum-, Unterwasser- oder Flugreise.

In Uwe Hermanns Park der Zukunft verbergen Nanoroboter, die eingeatmet in verschiedenen Bereichen des Gehirnes andocken, die Realität und mischen sie, von einem mächtigen Computer gesteuert, mit jeglicher denkbarer Illusion.

Der Körper wird an der Nase herumgeführt, riecht, sieht und reagiert auf die Illusion, die die Parkbetreiber vorgesehen haben.

Ein perfektes Erlebnis. Fake-Ferien der Sonderklasse.

Aber haben Sie auch die Gesundheitserklärung unterschrieben? Denn die Illusion könnte zuviel für ihr Herz sein.

 Im Thriller von Uwe Hermann wird dieser Park für viele Besucher zu einem wahren Alptraum.

Skrupellose Kriminelle, die nicht vor Mord zurückschrecken, bemächtigen sich der Kontrolle über den Zentralrechner, verriegeln die Tore und nehmen so alle Besucher und die Mitarbeiter als Geiseln.

Im Innern bricht Chaos aus, als die Attraktionen des Parks außer Kontrolle geraten und die Besucher in Panik geraten.

Mittendrin ein ehemaliger Polizist, der einen vermeintlichen Selbstmord im Auftrag einer Versicherung untersuchen soll.

Zusammen mit Hannah, einer Programmierin des Parks, versucht Simon Klein gegen die Kriminellen vorzugehen.

Beide Seiten, Gut wie Böse, setzen die perfekte Illusion der Nanos ein, um sich Vorteile zu verschaffen.

Uwe Hermann nutzt geschickt die Implikationen einer solchen Technik, um eine teils sehr brutale Geschichte zu erzählen.

Menschen sterben, einige Nebenfiguren werden binnen weniger Seiten eliminiert.

All das unterhält und nutzt bekannte Versatzstücke aus Film, Fernsehen und Buch. Zwischen „Yippie Ya hey, Schweinebacke!“, Westworld, Phantasialand und den blühenden Landschaften im Osten, samt sich im Licht sonnender Politiker langweilt der Thriller keine Minute.

Ein Kurzauftritt von “Ulrich” Post rundet das Ganze auch noch ab.

Danke an Uwe Hermann. Es hat Spaß gemacht, das Buch zu lesen.

“Nanopark” erschien im Polarise-Verlag und ist als E-Book und Paperback überal zu haben, wo es Bücher gibt.

Unterhaltung:

Anspruch:

Originalität:

Rezension: “Der Zef´ihl, der vom Himmel fiel” von Dieter Bohn

Adrian Deneersen, einem Datendieb, gelingt es mithilfe einer List, sich seinem Prozess und dem sicheren Todesurteil durch Flucht zu entziehen. Er landet mit einer Rettungskapsel auf einer fremden, mittelalterlichen Welt, wo ihn der Herrscher des Landes Kofane zwingt, für ihn zu arbeiten. Er wird zum “Zef´ihl” ernannt, eine Mischung aus Magier und königlicher Berater, der sein überlegenes Wissen dazu einsetzen soll, Kofane vor der Eroberung und Zerstörung durch das Reitervolk der Masuti zu retten. Adrian fügt sich, nicht zuletzt weil er beginnt, sich unter den menschenähnlichen Einheimischen zu Haus zu fühlen. Er versucht alles, mit den verfügbaren Arbeitskräften und Ressourcen Waffen herzustellen, mit denen die zahlenmäßig weit überlegenen Invasoren aufgehalten werden können. Doch das ist gar nicht so einfach, weil seine Kenntnisse auf Schulwissen beschränkt sind und er sich an vieles nur vage erinnert. Und selbst wenn er erfolgreich sein sollte, hat er immer noch das Problem, dass die Mächtigen, die ihn nach wie vor verfolgen, nicht ruhen werden, solange er lebt.

Die kurze Inhaltsangabe macht deutlich, dass “Der Zef´ihl, der vom Himmel fiel” viele gängige SF-Motive aufgreift und variiert. Am meisten erinnert Dieter Bohns Buch an Arkadi und Boris Strugatzkis Roman “Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein” aus dem Jahr 1964, der 1971 erstmals auf Deutsch erschien. Beide spielen auf einem Planeten mit menschenähnlichen Bewohnern, in einer feudalen Gesellschaft, deren Entwicklung dem Mittelalter der Erde ähnelt. Wie Anton im russischen Roman darf Adriaan eigentlich nur beobachten und sich auf keinen Fall einmischen. Beide leben unerkannt unter Fremden – und beide höchst privilegiert –, bis es zu einer Krise kommt, die sie Partei ergreifen und in Aktion treten lässt.

Hier ist es mit den Parallelen auch schon vorbei. Denn anders als bei den Strugatzkis ist sich in Bohns Roman zumindest der Herrscher bewusst, welches Potenzial sein “Gast” ihm bietet. Er ist vom ersten Kapitel an Herr der Lage und zieht von der Androhung roher Gewalt bis zu subtiler Verführung alle Register, um Adriaan zur Kooperation und zum Eingreifen zu bewegen. Während Anton die fortschrittlichste Technik zur Verfügung steht, hat Adriaan nur das Wenige zur Hand, an das er sich erinnern kann und das die Handwerker der Stadt mit ihren begrenzten Mitteln herzustellen vermögen – manchmal mehr schlecht als recht.

Bohn schildert den Prozess der Produktion von Schutzkleidung, Waffen und Sprengstoff sehr anschaulich und detailliert, die Erfolge ebenso wie die Rückschläge, ohne dass dabei jemals Langeweile aufkommt. Das liegt vor allem an den vielen interessanten Figuren, mit denen es Adriaan in der Hauptstadt Kofanes zu tun bekommt. Wie auch der Protagonist selbst sind diese Männer und Frauen mit all ihren Stärken und Schwächen gezeichnet, sei es ihre Gewitzt- oder Beschränktheit, Hingabe oder Sturheit, Aufopferungsbereitschaft oder auch Brutalität. Dabei entsteht nie der Eindruck, der Erzähler würde auf die “Primitiven” herabblicken. Im Gegenteil: Immer wieder ist es Adriaan, der sich dazu gezwungen sieht, sich lächerlich zu machen, zum Beispiel bei seinen öffentlichen Auftritten als Zauberer, um die Masuti einzuschüchtern.

So ist es Dieter Bohn gelungen, altbekannte Motive auf eine ganz eigenständige, dabei schöne und überaus unterhaltsame Art und Weise zu variieren. Zu den inhaltlichen Stärken dieses Buchs kommt das große Vermögen des Autors, wirklich spannend zu erzählen – und das in einer Sprache und einem Stil, die das Lesen zu einem echten Vergnügen machen.

Unterhaltung:
Anspruch:
Originalität:

Deutscher Science Fiction Preis 2021

Soeben wurden die Preisträger des DSFP 2021 bekanntgegeben.

Der Deutsche Science-Fiction-Preis 2021 für die beste Kurzgeschichte geht an:
»Wagners Stimme« von Carsten Schmitt

Der Deutsche Science-Fiction-Preis 2021 für den besten Roman geht an:
»Die Sprache der Blumen« von Sven Haupt

Wir gratulieren den Preisträgern. Weitere Infos finden sich wie immer auf der Homepage des DSFP.

Kurd-Laßwitz-Preis: Die Ergebnisse stehen fest

Den Kurd-Laßwitz-Preis in der Kategorie bester deutschsprachiger Roman gewinnt: Andreas Eschbach für “Eines Menschen Flügel”. Die weiteren Platzierungen:

2. Tom Hillenbrand – “Qube”
3. Gabriele Behrend – “Salzgras und Lavendel”
4. Uwe Post – “E-tot”
5. Michael Marrak – “Anima ex Machina”
6. Zoë Beck – “Paradise City”
7. Heribert Kurth – “Under den Sternen von Tha”
8. Marc-Uwe Kling – “QualityLand 2.0”
9. Christoph Dittert – “Fallender Stern”
10. Sameena Jehanzeb – “Was Preema nicht weiß'”

In der Rubrik “Beste Erzählung” gewinnen Angela und Karlheinz Steinmüller mit “Marslandschaften”, erschienen in EXODUS 41.

Die weiteren Platzierungen:
2. Heidrun Jänchen – “Mietnomaden”
3. Christian Endes – “Der Klang sich lichtenden Nebels”
4. Gabriele Behrend – “Meerwasser”
5. Uwe Post – “Terra Halbpension”
6. Hans-Jürgen Kugler – “Die Insulaner”
7. Michael Marrak – “Insomnia”
8. Kai Focke – “Gastropoda galactica”
und Frank Lauenroth – “Delter”
10. Thorsten Küper – “Unsere Freunde von Epsilon Eridani”
11. Carsten Schmitt – “Wagners Stimme”
12. Galax Acheronian – “Verloren auf Firr’Dars”
und Axel Kruse – “Grassoden”
14. Christian Künne – “Friedensfahrt”

Wir gratulieren!

Die weiteren Ergebnisse und alle Details finden sich auf der Homepage des KLP.

Kurzfilm-Tipp: “Genesis”

Ein gut gemachter Animations-Kurzfilm von deutschen Machern ist im Kanal “Xero Shorts” aufgetaucht: “Genesis”.

Inhaltlich darf man keine großen Überraschungen erwarten, aber technisch ist die Animationstechnik durchaus ansehnlich.

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Aus Corona-Magazin wird Phantastika-Magazin

Die Pandemia hat ein neues Opfer: Den Titel des seit 1997 bestehenden digitalen Corona-Magazins.

Das Team um Chefredakteur Björn Sulter hat sich zu der Umbenennung durchgerungen, um die namentliche Nähe zu dem Virus zu vermeiden. Da die Phantastika-Messe im Grunde vom gleichen Team organisiert wurde, lag es offenbar nahe, diesen Namen zu verwenden.

Ausgabe 356 des Magazins ist mit gewohnt vielfältigem Inhalt soeben erschienen und als kostenloses E-Book auf verschiedenen Plattformen erhältlich.

Weitere Infos auf der Homepage, die (noch) den alten Namen trägt: http://corona-magazine.de/

Kurd-Laßwitz-Preis 2021: Die Nominierungen

Soeben wurden die Nominierungen für den diesjährigen Kurd-Laßwitz-Preis bekanntgegeben. Wie immer wurden aus zig Nominierungsvorschläge die häufigsten ausgewählt.

In der Rubrik “Bester deutschsprachiger SF-Roman” (mit Erstausgabe 2020) sind nominiert (in alphabetischer Reihenfolge der Autorennamen):

Zoë Beck, Paradise City
Gabriele Behrend, Salzgras & Lavendel
Christoph Dittert, Fallender Stern
Andreas Eschbach, Eines Menschen Flügel
Tom Hillenbrand, Qube
Sameena Jehanzeb, Was Preema nicht weiß
Marc-Uwe Kling, QualityLand 2.0
Heribert Kurth, Unter den Sternen von Tha
Michael Marrak, Anima ex Machina
Uwe Post, E-Tot
Alle Nominierungen in den weiteren Kategorien und alle weiteren Infos gibt es hier auf der Homepage des KLP.

Nun beginnt die Wahl. Sie endet Ende Mai, Anfang Juni werden die Ergebnisse bekanntgegeben. Die Preisverleihung erfolgt im Rahmen des 12. Penta-Cons im November in Dresden, wenn die Pandemie es zulässt.





Rezension: “Exploit – Information ist nicht umsonst” von Ralph Mayr

Nathan Long ist der CEO des Software-Unternehmens Veridical. Die Firma, die er zusammen mit seinem Freund Jacob Dragos gegründet hat, ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt. Das ist beabsichtigt und einer der Gründe für ihren Erfolg. Veridical hat nämlich eine komplexe Bild- und Videoanalyse-Software entwickelt, und diese wird von Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräften rund um den Globus eingesetzt, um für “Recht und Ordnung” zu sorgen.

Auf einer Geschäftsreise durch Südostasien wird Nathan mit einem Video konfrontiert: Darin wirft man ihm vor, dass Veridicals Produkte manipulierbar seien. Sie würden von Kunden missbraucht, um Dissidenten zu verfolgen, Oppositionelle mundtot zu machen und unliebsame Minderheiten zu kriminalisieren. Diese Vorwürfe – von einem Hacker-Kollektiv über WikiLeaks verbreitet – wachsen sich zu einer handfesten Erpressung aus: Veridical soll die Manipulierbarkeit der Software öffentlich zugeben. Während Nathan fieberhaft überlegt, was er noch tun kann, um seine Firma zu retten, sieht er sich plötzlich vom chinesischen Geheimdienst bedroht…

Der Roman “Exploit” fährt einige Thriller-Elemente auf: ein unbescholtener Mann, der zwischen die Fronten zweier bedrohlicher Mächte gerät; ein Dissident auf der Flucht; geheimnisvolle Hacker versus skrupellose Geheimdienstleute; treue Mitarbeiter, die sich als Maulwürfe entpuppen und sensible Firmendaten gestohlen haben. Das Buch bietet ein Set interessanter Nebenfiguren, allen voran die junge Software-Entwicklerin Ashlee, die, obwohl sie bei Veridical als “perfect fit” gilt, an ihrer Arbeit zu zweifeln beginnt. Positiv auch, dass selbst komplexe Technologien dem Leser in einfachen Worten verständlich gemacht werden. Die zeitgeschichtlichen Bezüge und die Beispiele für den Missbrauch der innovativen Technologie in Ländern wie China, Japan, Singapur, Rußland und Polen sind ebenfalls sehr gelungen..

Nicht zuletzt wirft das Buch eine Reihe wichtiger Fragen auf: Welche Verantwortung trägt ein Software-Unternehmen für den Verkauf und den Einsatz seiner Produkte? Ist es richtig, dass eine solche Firma im Geheimen agiert? Und welche Verantwortung haben die einzelnen Mitarbeitenden, die für das Unternehmen programmieren? Reicht es, aktiv daran mitzuwirken, dass die Software keine Fehler oder Angriffspunkte aufweist?

Dem einen oder anderen Leser mögen diese Fragen (und die im Buch gegebenen Antworten) egal sein. Manche – wie Nathan – stellen sie sich vielleicht zum ersten Mal. Nun ist es aber so, dass die Verantwortung von Wissenschaft und Forschung, das kritische Hinterfragen der eigenen Arbeit und die Analyse möglicher Folgen seit dem Bau der Atombombe breit diskutiert werden. In der Wissenschaft herrscht Einigkeit darüber, dass die Forschung nicht nur die Folgen ihres Handelns reflektieren, sondern auch die Bevölkerung transparent über aktuelle Projekte und deren Finanzierung informieren muss. Dieselbe Diskussion findet in Politik und Gesellschaft statt, und sie beschränkt sich schon lange nicht mehr auf Waffentechnik, sondern umfasst zum Beispiel auch die Gentechnik und Big-Data-Technologien. Nicht umsonst schließen die Außenwirtschaftsgesetze der meisten westlichen Staaten Kontrollen und Beschränkungen aller Technologien mit ein, die zur internen Repression oder anderen Menschenrechtsverletzungen beitragen könnten.

Vor diesem Hintergrund wirken die Dialoge wie auch das Verhalten der meisten Figuren sehr naiv. Ihr Erstaunen darüber, dass ihre Produkte von einzelnen Regierungen und Behörden missbraucht werden (können), ist selbst für Software-Entwickler ziemlich unglaubwürdig.

Dazu kommt, dass sich bei dem als “Thriller” titulierten Roman echte Spannung erst relativ spät einstellt. Das liegt unter anderem daran, dass ein großer Teil der Handlung an Nathans Laptop stattfindet. Doch auch die Konstruktion der einzelnen Handlungsstränge ist nicht immer gelungen. So zeigen einige der Szenen mit dem geflohenen Dissidenten wenig mehr als das, was der Leser anderswo gerade erst erfahren hat.

Die größte Schwäche des Buchs sind der Stil und die Sprache. Hier hätte man sich vom Lektorat mehr Aufmerksamkeit gewünscht. “Exploit” ist flüssig geschrieben, es gibt aber eine Menge überflüssige Adjektive und Füllwörter, und die Formulierungen sind bisweilen etwas umständlich geraten, zum Beispiel wenn etwas auf dem Bildschirm “zunehmend deutlich erkennbar” wird. Die Dialoge wirken immer wieder hölzern, und manche Gedankensprünge seltsam unmotiviert. Noch dazu strotzt die Sprache der Figuren vor Allgemeinplätzen und abgedroschenen Redewendungen.

Während man über einzelne Rechtschreib- und Grammatikfehler leicht hinweglesen kann, fällt es einem bei schrägen Bildern und Formulierungen schon schwerer, zum Beispiel wenn es einer Figur “den Appetit verwirkt” oder wenn ein Bild “krachend” von der Wand fällt (statt auf dem Boden aufzuschlagen). Als deutscher Leser stolpert man außerdem über Wörter wie “verunfallt”, “angriffig”, “nießen”, “ungustiös” und “Einvernahme”. Es sind österreichische Dialektwörter und Amtssprache, die sich im Roman bis in die wörtliche Rede der englischsprachigen Figuren ziehen.

Ein Lichtblick in sprachlicher Hinsicht sind die englischen Wörter und Wendungen, die Ashlee gerne benutzt und die so typisch für die junge, hippe IT-Szene sind. Doch im zweiten Teil des Buchs übertreibt es der Autor mit dem “creepy”, “indeed” und “for real” so sehr, dass Ashlee ungewollt zu einer Karikatur wird.

Unterhaltung:

Anspruch:

Originalität:

Rezension: “Eines Menschen Flügel” von Andreas Eschbach

Owen aus dem Nest der Ris gelingt es Kraft seiner eigenen Flugkünste und mit Hilfe einer selbst gebauten Rakete, den Himmel zu durchstoßen und die Sterne zu sehen. Als er Jahre später endlich davon erzählt, kommen Menschen aus allen Teilen der bekannten Welt geflogen, um die Geschichte zu hören. Das macht eine im Geheimen wirkende Bruderschaft auf ihn aufmerksam, und sie nährt Zweifel an seinen Worten. Owen sieht sich gezwungen, den Flug zu wiederholen, und stirbt bei dem Versuch. Sein Sohn Oris schwört, den Namen seines Vaters reinzuwaschen. Zusammen mit einigen Freunden macht er sich auf die Suche nach den Verantwortlichen. Die jungen Leute decken nicht nur die geheime Agenda der Bruderschaft Pihrs auf, sondern finden auch das Raumschiff, mit dem ihre Vorfahren einst auf dem Planeten gelandet sind. Eine Verkettung unglücklicher Umstände macht die Prospektoren des galaktischen Imperators auf sie aufmerksam – mit fürchterlichen Folgen.

Andreas Eschbachs Entwurf der fremden Welt und der Gesellschaftsordnung der sie bevölkernden Stämme ist überaus detailreich und überzeugend. Diese Welt – paradiesisch und doch voller Gefahren – besteht im Wesentlichen aus einem großen Kontinent und ein paar Inseln. Sie ist von 33 Stämmen besiedelt, die größtenteils in sogenannten “Nestern”, kleinen Hüttendörfern in riesenhaften Bäumen, leben, denn im Erdreich lauert der “Margor”. Was die geflügelten Menschen nicht im Wald und im Meer an Nahrung finden, bauen sie an. Außerdem gibt es Vieh, die “Hiibus”, die mit Pfeil und Bogen gejagt werden. Es ist eine nachhaltig lebende, vorindustrielle Gesellschaft, in der man zwar Metall abbaut, aber nur einfache Öfen und kaum Werkzeuge besitzt. Überhaupt umfasst das persönliche Eigentum wenige Dinge. Vielmehr tragen alle – je nach Begabung und Neigung – ihren Teil zum Wohl des eigenen Nests und der Allgemeinheit bei. Wichtige Entscheidungen werden von der oder dem Ältesten und von regionalen Räten getroffen.

Im Verlauf der Handlung erfährt der Leser, dass die gesellschaftliche Ordnung von den “Ahnen”, den ersten Siedlern, festgelegt wurde. Vor über 1000 Jahren hatten diese eine Diktatur heraufziehen sehen und weit außerhalb der bewohnten Gebiete unserer Galaxis eine neue Heimat gesucht. In den Büchern, die sie ihren genetisch veränderten Nachkommen hinterließen, stellten sie detaillierte Regeln auf, die diese seitdem von klein auf studieren und befolgen. Es gibt Bücher über das Zusammenleben, die Natur, den Handel und die Heilkunst, außerdem solche mit Liedern, Theaterstücken und viele mehr. Die Anhänger der Lehren Pihrs sorgen heimlich dafür, dass die Gesellschaft bleibt, wie sie ist, indem sie den technischen Fortschritt ausbremsen und gesellschaftliche Fehlentwicklungen ahnden.

So überzeugend, wie Eschbachs “Worldbuilding” auch ist, stellen sich beim Lesen schnell Irritationen ein. Das liegt zum einen am Schauplatz selbst: In dieser einfachen Gesellschaft, in der selten Aufsehenerregendes passiert, drehen sich die Gespräche um das immer Gleiche: die Arbeit, das Wetter, das Essen, Liebschaften, Partner und Kinder. Und obwohl der Erzähler sich zumeist auf das Besondere an den Figuren konzentriert, etwa auf ihre Handwerkskunst, wird das wiederholte Wer-liebt-Wen – glücklich oder nicht – nach dem ersten Dutzend an Lebensgeschichten ermüdend. Dazu kommt, dass einige der Figuren, die die Haupthandlung vorantreiben, recht holzschnittartig geraten sind: Oris stets zielgerichtet und furchtlos, Bassaris stark und treu; und so wie Luchwen immer Hunger hat, bleibt Hargon über weite Strecken des Buchs ein verantwortungsscheuer Hedonist.

Eschbach ist ein großartiger Erzähler. Er pflegt einen sehr lebendigen, geradezu poetischen Erzählstil. Das macht seine Bücher zu einem großen Lesevergnügen, das bei “Eines Menschen Flügel” durch die allzu große Detailverliebtheit des Autors nur leicht getrübt wird. Gelungen sind auch die vielen Sprichwörter und Redewendungen, die sich um die anatomische Besonderheit der Figuren drehen. Dagegen stellt man sich unweigerlich die Frage, wie es kommt, dass alle Bewohner dieser Welt in den ihnen gewidmeten Kapiteln die gleiche “schöne” Sprache sprechen wie der Erzähler selbst. Von der im Buch behaupteten Vielfalt kaum eine Spur – im Gegenteil: Die gehobene Sprache reicht bis in die wörtliche Rede. “Ist gar niemand da?”, fragt eine Frau bei einem privaten Besuch unter Freunden. Man mag es nicht so recht glauben, dass diese Ausdrucksweise auf das Studium der Bücher der Ahnen zurückzuführen ist.

Die von Eschbach erdachte Gesellschaft zeichnet sich nicht nur dadurch aus, dass alle – wie der Pilot Dschonn anmerkt – ungewöhnlich “freundlich” sind. Sie ist auch sehr demokratisch organisiert. Jeder und Jede ist etwas Besonderes, und alle tragen etwas zum großen Ganzen bei, sei es ein Segelboot, eine neue Farbe für die Signalraketen oder auch nur ein neues Gewürz. Dieses demokratische Prinzip zieht sich durch unzählige Handlungsdetails. Mehr noch: Andreas Eschbach macht es zum Grundprinzip seiner komplexen Romanstruktur.

“Eines Menschen Flügel” hat nicht zwei oder fünf Protagonisten, sondern überrascht den Leser mit knapp 30 Figuren. Jeder von ihnen ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Das können zehn oder auch 50, 60 Seiten sein. Am Ende des Kapitels wechselt die Perspektive, und eine andere, stets neue Figur übernimmt die Erzählung. Das funktioniert zunächst ganz gut, vor allem dort, wo es sich um Oris´ Gruppe und die Agenten der Bruderschaft handelt. Denn diese “Geschichten in der Geschichte” tragen nicht nur eine andere Perspektive bei, sondern auch Neues zum Fortlauf der Haupthandlung. Eschbach hat das Ganze überaus geschickt konstruiert. Selbst die bis dahin unbekannten Figuren sind irgendwie mit den bereits bekannten verwandt oder anderswie verbunden – wenn nicht mit den oben Genannten, dann zumindest mit einer Nebenfigur. Manchmal stehen sie auch stellvertretend für eine ganze Gruppe, die sich später als wichtig erweisen wird, etwa der “Verkünder” Efas (zunächst) für die Apokalyptiker oder Maheit für die Skeptiker.

Eschbach baut diese Geschichten gleichwertig in die Haupthandlung ein. Dabei nimmt er in Kauf, dass sie diese im Verlauf des Romans immer wieder ausbremsen. Meistens erfährt man darin (erneut) viele Details aus dem Leben einer Figur und lernt ihr Umfeld – ein neues Nest und eine neue Gegend – kennen. Am Ende so manchen Kapitels ist man aber unweigerlich enttäuscht, weil es nur Bekanntes variiert, mit wenig neuen Erkenntnissen aufgewartet oder kaum zur Haupthandlung beigetragen hat.

Insofern hinterlässt das Buch einen zwiespältigen Eindruck. Es ist ohne Zweifel ein stilistisch herausragender Roman mit einem stimmigen, in seinem Detailreichtum geradezu grandiosen Weltentwurf. Wer die langen “Geschichten in der Geschichte” aber nicht mag, der wird ihn wohl als grandios gescheitert ansehen.

Unterhaltung:

Anspruch:

Originalität: