Nathan Long ist der CEO des Software-Unternehmens Veridical. Die Firma, die er zusammen mit seinem Freund Jacob Dragos gegründet hat, ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt. Das ist beabsichtigt und einer der Gründe für ihren Erfolg. Veridical hat nämlich eine komplexe Bild- und Videoanalyse-Software entwickelt, und diese wird von Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräften rund um den Globus eingesetzt, um für “Recht und Ordnung” zu sorgen.
Auf einer Geschäftsreise durch Südostasien wird Nathan mit einem Video konfrontiert: Darin wirft man ihm vor, dass Veridicals Produkte manipulierbar seien. Sie würden von Kunden missbraucht, um Dissidenten zu verfolgen, Oppositionelle mundtot zu machen und unliebsame Minderheiten zu kriminalisieren. Diese Vorwürfe – von einem Hacker-Kollektiv über WikiLeaks verbreitet – wachsen sich zu einer handfesten Erpressung aus: Veridical soll die Manipulierbarkeit der Software öffentlich zugeben. Während Nathan fieberhaft überlegt, was er noch tun kann, um seine Firma zu retten, sieht er sich plötzlich vom chinesischen Geheimdienst bedroht…
Der Roman “Exploit” fährt einige Thriller-Elemente auf: ein unbescholtener Mann, der zwischen die Fronten zweier bedrohlicher Mächte gerät; ein Dissident auf der Flucht; geheimnisvolle Hacker versus skrupellose Geheimdienstleute; treue Mitarbeiter, die sich als Maulwürfe entpuppen und sensible Firmendaten gestohlen haben. Das Buch bietet ein Set interessanter Nebenfiguren, allen voran die junge Software-Entwicklerin Ashlee, die, obwohl sie bei Veridical als “perfect fit” gilt, an ihrer Arbeit zu zweifeln beginnt. Positiv auch, dass selbst komplexe Technologien dem Leser in einfachen Worten verständlich gemacht werden. Die zeitgeschichtlichen Bezüge und die Beispiele für den Missbrauch der innovativen Technologie in Ländern wie China, Japan, Singapur, Rußland und Polen sind ebenfalls sehr gelungen..
Nicht zuletzt wirft das Buch eine Reihe wichtiger Fragen auf: Welche Verantwortung trägt ein Software-Unternehmen für den Verkauf und den Einsatz seiner Produkte? Ist es richtig, dass eine solche Firma im Geheimen agiert? Und welche Verantwortung haben die einzelnen Mitarbeitenden, die für das Unternehmen programmieren? Reicht es, aktiv daran mitzuwirken, dass die Software keine Fehler oder Angriffspunkte aufweist?
Dem einen oder anderen Leser mögen diese Fragen (und die im Buch gegebenen Antworten) egal sein. Manche – wie Nathan – stellen sie sich vielleicht zum ersten Mal. Nun ist es aber so, dass die Verantwortung von Wissenschaft und Forschung, das kritische Hinterfragen der eigenen Arbeit und die Analyse möglicher Folgen seit dem Bau der Atombombe breit diskutiert werden. In der Wissenschaft herrscht Einigkeit darüber, dass die Forschung nicht nur die Folgen ihres Handelns reflektieren, sondern auch die Bevölkerung transparent über aktuelle Projekte und deren Finanzierung informieren muss. Dieselbe Diskussion findet in Politik und Gesellschaft statt, und sie beschränkt sich schon lange nicht mehr auf Waffentechnik, sondern umfasst zum Beispiel auch die Gentechnik und Big-Data-Technologien. Nicht umsonst schließen die Außenwirtschaftsgesetze der meisten westlichen Staaten Kontrollen und Beschränkungen aller Technologien mit ein, die zur internen Repression oder anderen Menschenrechtsverletzungen beitragen könnten.
Vor diesem Hintergrund wirken die Dialoge wie auch das Verhalten der meisten Figuren sehr naiv. Ihr Erstaunen darüber, dass ihre Produkte von einzelnen Regierungen und Behörden missbraucht werden (können), ist selbst für Software-Entwickler ziemlich unglaubwürdig.
Dazu kommt, dass sich bei dem als “Thriller” titulierten Roman echte Spannung erst relativ spät einstellt. Das liegt unter anderem daran, dass ein großer Teil der Handlung an Nathans Laptop stattfindet. Doch auch die Konstruktion der einzelnen Handlungsstränge ist nicht immer gelungen. So zeigen einige der Szenen mit dem geflohenen Dissidenten wenig mehr als das, was der Leser anderswo gerade erst erfahren hat.
Die größte Schwäche des Buchs sind der Stil und die Sprache. Hier hätte man sich vom Lektorat mehr Aufmerksamkeit gewünscht. “Exploit” ist flüssig geschrieben, es gibt aber eine Menge überflüssige Adjektive und Füllwörter, und die Formulierungen sind bisweilen etwas umständlich geraten, zum Beispiel wenn etwas auf dem Bildschirm “zunehmend deutlich erkennbar” wird. Die Dialoge wirken immer wieder hölzern, und manche Gedankensprünge seltsam unmotiviert. Noch dazu strotzt die Sprache der Figuren vor Allgemeinplätzen und abgedroschenen Redewendungen.
Während man über einzelne Rechtschreib- und Grammatikfehler leicht hinweglesen kann, fällt es einem bei schrägen Bildern und Formulierungen schon schwerer, zum Beispiel wenn es einer Figur “den Appetit verwirkt” oder wenn ein Bild “krachend” von der Wand fällt (statt auf dem Boden aufzuschlagen). Als deutscher Leser stolpert man außerdem über Wörter wie “verunfallt”, “angriffig”, “nießen”, “ungustiös” und “Einvernahme”. Es sind österreichische Dialektwörter und Amtssprache, die sich im Roman bis in die wörtliche Rede der englischsprachigen Figuren ziehen.
Ein Lichtblick in sprachlicher Hinsicht sind die englischen Wörter und Wendungen, die Ashlee gerne benutzt und die so typisch für die junge, hippe IT-Szene sind. Doch im zweiten Teil des Buchs übertreibt es der Autor mit dem “creepy”, “indeed” und “for real” so sehr, dass Ashlee ungewollt zu einer Karikatur wird.
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