SK: Weil es viel mehr Ami-SFler gibt als Germano-SFler. Man mag es kaum glauben, aber in Übersee sollen sage und schreibe über hundert Autoren und Übersetzer von der SF leben! Ein wahres Eldorado! Selbst in den Achtzigern waren es in Deutschland gerade mal an die zwanzig SF-Profis, oder liege ich da falsch?
UP: Also liegt es am Markt. Die bösen Verlage sind schuld daran, dass die SF-Autoren hierzulande am Hungertuch nagen müssen. Oder die Leser, die lieber FBI-Agenten mit Namen wie Smith und Wesson bei ihren Ermittlungen in L. A. beobachten als Herrn Steffens aus Feucht bei Nürnberg? Und ich dachte immer, Lokalkolorit kommt an. Aber, nein: Selbst in Bernhard Schneiders »Ardennen-Artefakt« rufen die Franzosen gleich mal die NSA zu Hilfe, damit bloß keine Europäer die Ermittlungen übernehmen müssen … wäre ja auch uncool.
SK: Ganz so dramatisch sehe ich das nicht. Gerade Regionalkrimis boomen in Deutschland. Die USA bilden nun mal traditionell den Welt-SF-Mittelpunkt. Vielleicht deshalb, weil sie Mitte des 20. Jahrhunderts das am meisten modernisierte Land der Welt waren. Eigentlich hätten die anderen Länder in den letzten Jahrzehnten kräftig aufholen müssen, aber die Sprachbarriere hindert viele Autoren immer noch am internationalen Durchbruch. Wer englischer Muttersprachler ist, hat weitaus größere Chancen, bei den großen SF-Verlagen anzukommen als jemand, der sich auf seinen Übersetzer verlassen muss. Deshalb übersetze ich ja auch meine Stories selbst. Für mich besteht darin eine gute Möglichkeit, dem Text kreativ noch einmal alles abzuverlangen. Oft habe ich während des Übersetzens ganz neue Ideen, die ich in die Handlung einfließen lasse, so dass am Ende eine völlig neue Story herauskommt. Da auch ich versuche, mich international ein wenig ins Gespräch zu bringen, weiß ich, wie schwierig es gerade in den USA oder in England ist, seine Story an den Mann zu bringen. Es wird viel zu sehr darauf geschaut, von wem kommt die Story, welcher Name zieht noch, und nicht: wen könnten wir mal pushen oder weiterbringen? Das ist der Denkfehler bei vielen Redakteuren und Verlegern, nicht nur in SF-Deutschland. Aber auch bei dir könnte ich mir eine Übersetzung deiner satirischen Romane gut vorstellen. Hast du schon mal daran gedacht?
UP: Ja. Für ein oder zwei Sekunden. Wenn ich das Wort »traditionell« schon höre! Traditionen sind wie alte Schuhe. Wenn sie undicht sind, wirft man sie in den Altkleider-Container. Während Leser hierzulande es anscheinend cool finden, wenn eine Geschichte in Amiland spielt (siehe auch Erfolg amerikanischer TV-Serien), kann ich mir das umgekehrt nicht vorstellen. Welcher Amerikaner weiß schon, wo Sylt liegt? Oder, dass wir hier keine Nazi-Diktatur mehr haben? Sehen amerikanische Leser nicht über den Tellerrand oder trauen ihnen ihre Verlage das nicht zu? US-SF aber funktioniert anscheinend überall … Mit voller Absicht mache ich es anders. Mein erster Roman (»Symbiose«) spielt konsequenterweise zum großen Teil in Deutschland, mein aktueller (»Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes«) hauptsächlich auf dem Mars – er enthält zugegebenermaßen ziemlich viele Anspielungen auf US-Popkultur. Das würden also auch Amis verstehen. Obwohl … kennt man in den USA »Captain Future«? Wenn nicht, würden die da drüben schon mal den Schlussgag meines Prologs nicht kapieren. Genaugenommen nehme ich Popkultur ziemlich auf die Schippe. Es gibt in meinem Roman sogar ein gleichnamiges Fach in der Schule. Bloß mein Held hatte da immer schlechte Noten. Soviel Selbstironie darf sich Satire gönnen.
Du schreibst ja oft Distant Future und musst dazu die Entwicklung kultureller Strömungen extrapolieren. Zum Beispiel Sprache. Müssten Menschen in der fernen Zukunft nicht ausschließlich in kleinbuchstabigem, abgekürztem Denglisch reden? Steht »funzen« eigentlich schon im Duden? (Ich hab dich dabei erwischt, wie du dieses schmerzhafte Wort benutzt hast …)
SK: Also, ich hatte meine Schuhe schon mal mit Heißkleber geflickt 😉 Soviel zu den Traditionen. Dass die USSF (hey, da könnte man prima ein neues Akronym à la UDSSR draus machen, etwa »United Social Soviet Freedom«) überall funktioniert, liegt wohl an der von mir beschriebenen US-Dominanz der Vierziger und Fünfziger. In diesen Jahrzehnten wurde die SF entscheidend geprägt und die US-Städte waren damals eben die futuristischsten (ui, da bricht’s mir ja die Zunge). Heute ist das anders, eigentlich schon seit den 80ern, aber die entsprechende Weiterentwicklung des Genres bleibt aus. Vielleicht sind die Strukturen einfach zu festgefahren. Es wird Zeit, dass ein wenig mehr Flexibilität reinkommt. Dafür sorge ich unter anderem durch meine Tätigkeit als Redakteur bei Internova, einem internationalen Nova-Ableger, herausgegeben von Michael Iwoleit (der übrigens alles kostenlos im Netz anbietet). Wir suchen speziell Stories von Autoren aus erklärten Nicht-SF-Märkten wie Osteuropa oder Arabien. Natürlich müssen auch wir auf Englisch als Sprachkrücke zurückgreifen, aber ehrlich gesagt, finde ich Englisch gar nicht so schlecht als Lingua Franca der SF. Und ja, auch wir halten uns die Tür in die USA und ins UK offen, weil wir wissen, dass man ohne diese beiden Länder eben nicht so richtig weiterkommt (gerade was das Finanzielle angeht). Aber man sollte nicht vergessen, dass es neben dem Englischsprachigen noch weitere interessante und große SF-Märkte gibt: den spanischen und den französischen etwa. Da schlummern noch viele unentdeckte Perlen. Zur Standortfrage: In meiner MegaFusion-Welt spielen viele Stories und (projektierte) Romane zwar in den USA, aber z. B. auch in Südamerika, Asien, in Europa und sogar in Deutschland! Ich möchte eine gewisse Internationalität beibehalten, denn ich gehe davon aus, dass die Welt in Zukunft noch stärker zusammenwächst, wenn es auch viele Hürden zu überwinden gilt. Und der Weltraum ist ja sowieso für alle da. Hier habe ich mit meiner SF noch nicht so richtig Fuß gefasst – nur manchmal mache ich literarische Space Trips. Der Qualität meiner Werke tut das aber keinen Abbruch. Womit wir beim »Funzen« wären 😉 Ja, ich gebe zu, dass ich mitunter auch Slang verwende. Das haben viele auch an meinen frühen SF-Stories bemängelt (andere fanden es super). Mittlerweile schreibe ich beides: also richtig bissige, dreckige MegaFusion-SF (»Dirty MegaFusion«) und die saubere Variante, mit viel Erzähltiefe und Ausschmückungen, ganz so wie der geneigte Leser es am liebsten hat (»MegaFusion Ultraclean«). Seltsamerweise fällt letztere Variante immer mindestens zwanzig Seiten länger aus … Wie ist das bei dir eigentlich? Wie gehst du an ein neues Romanprojekt? Was du so alles in die Tasten haut, da kommt ja kein Kolibri hinterher 😉
UP (hebt den Zeigefinger): Lenk nicht von deiner offenbar tiefgreifenden Anglifizierungs-Indoktrinierung ab. Ich prangere an, dass selbst deutsche Autoren klassische Ami-Motive nachplappern. Dabei könnte man die genüsslich zerlegen: Landet ein UFO im Central Park, sagt das Alien: Bringt mich zur Bundeskanzlerin von Deutschland. Sagen die Amerikaner: Deutschland? Wir wissen nicht mal, wo das liegt. Aber wir kennen den Weg zur Erlösung, und falls du’s noch nicht weißt – auch du wurdest von unserem Gott vor 7000 Jahren geschaffen. Mag sein, dass die Amis immer noch so eine Art Leitkultur sind, geprägt durch Hollywood, das sich seit Jahren nur noch selbst kopiert, um bloß kein Risiko einzugehen. Wir aber haben nichts zu verlieren! Wir können auch eine Zukunft zeigen, die anders ist – selbst wenn es nicht das wahrscheinlichste Szenario ist, dass mal eine Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Raumstation im Orbit schwebt. Ich glaube, dass es eine nationale und europäische Identität gibt, die glücklicherweise heutzutage nicht mehr mit Nazi-Ideologie verwechselt wird, und die durchaus eine Menge Leser ansprechen kann. Nicht umsonst hat Kollege van den Boom weit über 2000 mal seine »Kaiserkrieger« verkauft! Das ist SF ohne Raumschiffe, ohne Cyberpunk, ohne sinnloses Technobrabbel, das keiner versteht. Warum lassen wir nicht die Amis die Ami-SF schreiben und erschaffen selbst deutsche und europäische? Wer soll es denn sonst tun, wenn nicht wir, hm?
SK (hebt eine Augenbraue): Klar, lasst uns alle schöne neue europäische SF schreiben! Das klingt alles sehr optimistisch, in der Umsetzung hapert es aber an den oben erwähnten Strukturen. Woanders sind zwar die Strukturen vorhanden, diese sind dort aber viel zu unflexibel, weil Vitamin-B-gesteuert. Ich kann als deutscher Autor meine Werke zwar übersetzen – ob sie veröffentlicht werden, steht in den Sternen und Bezahlung ist ein unerreichbarer Planet im Verlagsuniversum. Da kann die Story noch so gut sein – man bekommt immer dieselben Standardabsagen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir in Europa ein eigenes Selbstverständnis entwickeln, welches sich von alten Traditionen löst. Warum nicht einmal zusammen arbeiten anstatt alles totzudiskutieren? Das wäre schon mal ein Anfang. Aber wenn ich mir so manche Diskussion anschaue, die hierzulande geführt wird, ist auch das ein unerreichbares Etwas im Teleskop eines sehr unerfahrenen Astronomen … Warum bezeichnest du mich eigentlich laufend als anglo-indoktriniert? Woran machst du das fest? Ich schreibe internationale SF, mit Hang zu Großstädten als Schauplatz. Aber dass ich zu anglophil wäre, ist mir bislang nicht in den Sinn gekommen. Ich benutze genauso die französische oder spanische Sprache (weil es da die zweitgrößten SF-Märkte gibt, lol). Nein, im Ernst. International bedeutet für mich eben auch international. Nicht bloß europäisch. Da müsste ich mich schon sehr einschränken und das will ich nicht. Du kannst ja gerne deine Regional-SF verfassen und ich wünsche dir eine Menge Leser, aber ich bleibe, was ich bin: ein Internationalist!
UP: Deine Storys sind anglophiler als die der meisten anderen deutscher Autoren. Übrigens würde ich die amerikanische SF nicht als internationalistisch einordnen, insofern sind wir auf einer Wellenlänge. Zu mehr Zusammenarbeit würde ich auch aufrufen, wenn ich nicht wüsste, dass die meisten Individuen der hiesigen SF-Szene in einem Streitgespräch wie dem unsrigen schon längst durch Arroganz, Beleidigungen und Anwaltsdrohungen geglänzt hätten. Und Streit gehört so zwingend zu Zusammenarbeit wie Zeitmaschinen nicht zur Science-Fiction.
SK: Ja, ich hatte auch mal mit Streit gemailt 😉 Nein, wirklich: Es könnte hierzulande viel besser für Autoren wie Verleger laufen, wenn gewisse Schranken in den Köpfen einfach mal eingerissen würden, notfalls mit einem Bestseller, idealerweise mit dem ständigen Tröpfeln verlässlicher Informationsquellen wie z. B. dem SF-Netzwerk. Ich kann allen Autoren nur empfehlen, zu schreiben wie es ihnen passt, nicht wie manche Leute sie biegen wollen. Notfalls steht das alles dann auf irgendwelchen Independent-Seiten kostenlos im Netz – jemand wie ich würde sie garantiert aufstöbern und jemand wie du auch, nehme ich an. Ganz abgesehen davon empfehle ich jedem, mein neues Buch »Menschgrenzen« zu lesen, das bei p.machinery erschienen ist! *Eigenwerbung aus* … Ich fühle mich aber geehrt, dass du mich als anglophilen Autor bezeichnest, das war ja auch irgendwie beabsichtigt. Stellenweise schreibe ich ganze Passagen in Englisch, obwohl es eine deutsche Story ist. Kommt aber nicht häufig vor. Ehrlich. Wirklich. Meine neuen Stories sind absolut straight! Ups, schon wieder ein Anglizismus 😉 So, Schluss jetzt mit Albernheiten!
UP: Albern? Wir? Wir sind SF-Autoren des 21. Jahrhunderts!