Interview mit Frank Hebben

 Vor ca. zehn Jahren hast du noch im stillen Kämmerlein an deinem Schreibstil gefeilt. Dann erschienen deine bekannt gewordenen Storys bei Nova und in anderen Magazinen. Was, meinst du, unterscheidet deine Texte von allen anderen? Was ist ihre USP, um im Werbedeutsch zu sprechen, das Alleinstellungsmerkmal, ihre „Unique Selling Proposition“?

Frank Hebben

Ich baue in meinen Geschichten schnell Druck und Sogwirkung auf, indem ich einen reduzierten Schreibstil nutze: nur die Worte, die ich wirklich für die Geschichte brauche, und alles Beiwerk fliegt raus. So bleibt die Essenz einer Szene, eines Szenarios übrig: Lieber kurz und knackig; was mich natürlich nicht davon abhält, auch längere Storys zu schreiben, die den Leser so richtig beuteln! „Hebben zu lesen, ist, als ob man fliegt“, hat Michael Iwoleit einmal im Spaß gesagt. Denke, das trifft es genau. Also, das Besondere ist wohl der technische Stil, der super zu meinen technischen Welten passt.

 2008 schriebst du: „Eine super Idee, ein toller Charakter und/oder ein tolles Szenario komprimiert auf den Punkt gebracht, das ist die große Kunst – das reizt mich an dieser Literaturgattung.“ Welche Autoren würdest du da als Vorbild anführen?

Keinen bestimmten. Wenn sich diese Grundelemente sauber zusammenfügen, dann hat man eben spannende Kurz(!)-Geschichten am Start und keine 500 Seiten dicken Ziegelsteine, mit denen man arme Leser bewirft.

Man munkelt, dass bald deine nächste Storysammlung erscheint. Wie viele Erstveröffentlichungen werden darin enthalten sein und gibt es signifikante Unterschiede zu deinem ersten Buch („Prothesengötter“)?

„Maschinenkinder“ heißt das Teil, und ist vom Wurdack-Verlag bereits offiziell für 2012 angekündigt: Mein Verleger kommt also aus der Kiste so leicht nicht mehr heraus! Und ich freue mich riesig, dass beide Story-Sammlungen als Zwillinge beisammen sein können. Wie der Titel schon sagt, geht es vorrangig um Personen, die in direkter Abhängigkeit zu Maschinen bzw. -welten stehen, sei es, dass eine Maschine sie erzeugt hat und/oder kontrolliert oder eine Maschine in Stand gesetzt werden muss, um Schlimmeres zu verhindern. Und: Es gibt mehr Happy-Endings! Gut, okay, das war dreist gelogen … 

In deinen Geschichten muss „jedes Wort an die richtige Stelle“. Das merkt man auch beim Lesen und diesem Anspruch wirst du auch locker gerecht. Besteht aber nicht die Gefahr, dass man mit diesem Vorgehen irgendwann zu pedantisch wird, sich zu sehr in schönen Worten verliert und den Inhalt vergisst?

Nö. Die Marschrichtung ist: Welche Worte sollte ich verwenden, um den Inhalt – den Plot sauber in Szene zu setzen? Ich verwende sie also nicht zum Selbstzweck, sondern als Werkzeuge, um „die Bilder im Kopf“ zu malen. Jeder Schwulst fliegt raus, es sei denn, ich kann dadurch eine passendere Stimmung erzeugen. Muss man im Einzelnen abwägen …

Bei Facebook sieht man häufiger mal deine Fotos von Friedhöfen. Es ist auch bekannt, dass du der Gothic-Szene ziemlich zugetan bist. Denkst du, der Gothic-Einfluss spielt eine Rolle bei der Wahl deiner Settings?

Mal abgesehen davon, dass wir gelegentlich beim „Fiesen Freitag“ im Ringlokschuppen zusammen die müden Knochen schütteln, habe ich wenig bis keinen Kontakt zur Szene hier, aber ja: Mein schwarzes Herz steht voll auf diesen ganzen Gothkrempel! Liebe, Tod und Teufel – und das schlägt sich natürlich auch in meinen Geschichten nieder, wovon viele doch recht düster und traurig erscheinen. Zum Trost ein paar nette Worte vom Sänger von Placebo: „Ich denke, wir können deshalb so fröhliche Menschen sein, weil wir diese Art von Musik machen.“ Das unterschreibe ich. 

In deiner Story „Gelée Royale“ beschreibst du eine Welt, in der Insekten eine bedeutende Rolle spielen. Denkst du, dass unsere Gesellschaft ein wenig zu insektoid agiert, oder: Während wir noch denken es wäre ein Termitenhaufen in dem wir fleißig  buddeln, graben wir dabei nicht in Wahrheit unser eigenes Massengrab? Und: könnte man aus unserem Schwarmverhalten nicht auch Positives lernen?

Ich möchte meine Geschichten zwar nicht überinterpretieren, aber es gibt darin schon rote Signale, die z.B. auf die Gefahr hindeuten, dass der Einzelne sich immer mehr in der modernen Gesellschaft verliert. Weil er Zusammenhänge und Hintergründe nicht mehr versteht oder trotz digitaler Revolution und Web 2.0 in seiner 2-Zimmer-Wohnung mit Balkonpflanze vereinsamt. Lösungen biete ich keine an, ich beschreibe nur, wie es sich anfühlen könnte, bloß noch ein Zahnrad der Großen Maschine zu sein.

Mal was ganz anderes … (180°-Turn in Richtung Fandom) … Wie siehst du die deutsche SF-Szene? Was muss geschehen, damit Autoren und Übersetzer wieder angemessen für ihre Arbeit entlohnt werden?

Ob man überhaupt noch von einer „Szene“ sprechen darf? Mittlerweile wohl eher so eine Art Großfamilie, die sich aus wenigen treuen Lesern, vielen Autoren bzw. Übersetzern und ein paar Kleinverlegern zusammensetzt. Das ist mein, vielleicht auch schiefer, Eindruck. Viele Leute kenne ich mittlerweile persönlich, und so sind diese SF-Cons mehr ein „La Familia gibt sich ein Stelldichein“ als das große Sternenkino, dass es früher einmal gewesen sein muss. Ein bisschen muffig – das liegt an den ganzen Urgesteinen – aber gemütlich wie Ommas Sofa.

Hat aber Potential, diese „Szene“: viele gute Leute dabei. Wir müssen jetzt bloß auf einen Buch-Blockbuster wie „Biss in den Apfel des Melmac“ oder ähnlich Reißerisches warten. Papier ist ja bekanntlich geduldig, und wir sind es auch. Oder wir kriegen eines Tages den Arsch hoch und klingeln sonntags in aller Herrgottsfrühe an jeder Haustüre, um die deutsche SF zu preisen. Spread the Word!

Wenn man dir den Posten als Heyne-SF-Lektor anbieten würde, würdest du annehmen? Und was würdest du anders machen?

Was zahlen die so? Echt schwierig zu sagen, OB ich überhaupt was anders machen würde. Geschäft ist Geschäft und Schnaps ist Schnaps. Profi-Lektoren sind keine Blumenkinder, da müssen die Zahlen stimmen, sonst gibt’s Ärger vom Chef!

Nenne mir die drei größten Fehler, die die großen Verlage auf der Suche nach neuer SF machen.

Hübsch, diese Suggestivfragen, die erste habe ich eben schon elegant umschifft. Warum denn Fehler? Ich als Straßenpoet würde ihnen entgegen rufen: Aber was ist mit der KUNST! Und sie würden wohl müde lächeln, mit dem Finger auf ihre leeren Geldbeutel zeigen und sagen: Kunst kann man nicht essen. Die Frage ist eben nicht: Wie geil ist das denn? – sondern: Lässt es sich verkaufen?

Dein Buch „Prothesengötter“ erschien ja bei Wurdack. Meinst du, dass andere Verlage Wurdacks Beispiel folgen sollten? Er hat ja in den vergangenen Jahren einiges bewegt …

Ich denke nicht, dass Ernst Wurdack auf einem goldenen Zauberesel morgens zum Verlag reitet. Wie so häufig ist der Schlüssel zum Erfolg zunächst einmal verflucht harte Arbeit! Um sich das anzutun, dazu braucht man Leidenschaft, Durchhaltevermögen, etwas Wahnsinn und eine gute Portion Idealismus; und ich hoffe doch sehr, dass Ernst sich diesen Idealismus bewahrt, um auch in Zukunft tolle, besondere Bücher zu machen, die sich manchmal eben nicht gleich wie geschnitten Brot verkaufen.  

(180°-Turn in Richtung Fenster) … Was ist dein Lieblingswetter und herrscht es gerade draußen?

Mein Lieblingswetter? Sagen wir es so: 10 Grad und Regen wie heute ist es definitiv NICHT!

(180°-Turn in Richtung HiFi-Anlage) … Welche sind deine Lieblingsbands und warum werden sie viel zu selten in Discos gespielt?

Also, zurzeit habe ich mich an “The Birthday Massacre” festgebissen. Süß wie Zuckerwatte, aber die fetzen! Muss ich dann mal den DJ anhauen, ob er’s auf der Platte liegen hat … *3te Suggestivfrage halb ignorier*.

Vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast!

Klaro, gerne.

Nachbemerkung: Ich denke zwar nicht, dass “Was würdest du anders machen?” eine Suggestivfrage ist, das wäre dann eher “Was würdest du richtig machen?”, aber das ist ja nicht weiter schlimm, bedenkt man, dass Frank einmal ein heißer Kandidat auf den Posten bei Heyne sein könnte und dementsprechend schon jetzt seine diversen Umschiffungen gewisser Interview-Klippen üben möchte …