Interview mit Rainer Erler

Rainer Erler ist der bekannteste deutsche Regisseur von Science-Thrillern. Außerdem ist er Autor und Produzent. dsf stellte ihm ein paar Fragen zu seinen Filmen, Gefahren der Wissenschaft und zum „Blauen Palais“ im Besonderen.

Herr Erler, viele Ihrer Filme sind Kult und als solche mittlerweile schon fast Allgemeingut. Schon früh beschäftigten Sie sich mit den Phänomenen und Auswirkungen moderner Wissenschaft. Doch statt eine Protest-Kommune-(1) zu gründen, entschlossen Sie sich die Problemstellungen kreativ anzugehen. Warum?

 

Ich bin Filmemacher, Autorenfilmer, Schriftsteller. Das hat Vorteile! Als Beispiel: DAS BLAUE PALAIS wurde vom ZDF zwei Mal gesendet, auch von 3Sat, ORF- Wien, SRG-Zürich, RAI-Uno, TF3-France – dazu kamen Exporte in zahllose Länder. Ich habe mit meinen Ideen viele Millionen Menschen erreicht und diese zum Nachdenken gebracht. Was ist dagegen schon eine Gruppe Gleichgesinnter …?

 

Wenn Sie jetzt, nach dreißig Jahren, auf Ihr Werk zurückblicken: haben Sie alles richtig gemacht oder sind Ihnen im Nachhinein dann doch ein paar Irrtümer unterlaufen bzw. haben Sie die Zukunft zu negativ gesehen?

 

Ich habe getan was ich konnte – und habe nun das Recht stolz darauf zu sein. Ich habe nicht alles getan, was ich wollte. Da gibt es noch fertige Skripte und Ideen und vor allem Themen, die es wert sind bearbeitet und vor einem Millionenpublikum ausgebreitet zu werden. Aber irgendwann muss Schluss sein.

 

(Anm. d. Red.: Wir hoffen natürlich für alle Fans von Herrn Erler, dass noch nicht „Schluss“ ist!)

 

Was ist Ihrer Meinung nach die Aufgabe von Wissenschaft heute?

 

Fehlentwicklungen zu steuern und zu verhindern – ich denke an Klima, Energie, Rohstoffe – und Menschen in der Dritten Welt ein lebenswertes Leben zu ermöglichen, mit Nahrung, Wasser, reiner Luft …

 

Kommen wir nun zu Ihren Filmen. In „Die Delegation“ geht es um den Besuch von Außerirdischen. Was halten Sie eigentlich persönlich von UFO-Sichtungen? Spinnerei oder Realität, die niemand beweisen kann? Ach ja, und was wollte diese fremdartige „Delegation “ eigentlich auf der Erde? (siehe hierzu auch unser Interview mit Alexander Knörr, dem Ersten Vorsitzenden der DEGUFO:  http://deutsche-science-fiction.de/?p=1989)

 

Wenn es je zu Kontakten mit anderen, außerirdischen Zivilisationen kommen sollte, dann geht es um eines: Information. Die lässt sich allerdings auch ohne persönliches Erscheinen vermitteln.

 

„Die Delegation“ ist szenisch aufgebaut wie eine Dokumentation und erregte deshalb bei vielen Zuschauern Aufmerksamkeit, ähnlich wie Orson Welles‘ „Krieg der Welten“. Waren diese Ähnlichkeiten beabsichtigt oder reiner Zufall?

 

Ich mache meine Filme auf meine Weise und orientiere mich nicht an Vorbildern. Orson Welles Hörspiel kenne ich nur aus Gerüchten.

 

In „Die Halde“ geht es um Müll. Sehr viel Müll. Um Müllmenschen, möchte man sagen. Der Spiegel schrieb: „Soviel Mist ist sehenswert.“ Landet am Ende denn alles, was wir uns ausdenken, als Schrott auf der Halde und können wir ihm dann nicht mehr entkommen, werden sogar zu Sklaven unserer eigenen Ideen? Und hatte Goethe Recht, als er schrieb: „… denn alles was entsteht ist wert dass es zugrunde geht?“

 

Der Müll ist allegorisch zu verstehen. Ebenso das „Nicht-Wahrhaben wollen“ einer Apokalypse. Der Müll steckt in den Köpfen dieser braven Bürger, die voller Hass sind und Neid und Dummheit und Vorurteile.

 

„Operation Ganymed“ dreht sich um die Rückkehrer einer Jupitermission, die eine kahle, verlassene Erde vorfinden. Aber statt dass – wie in „Planet der Affen“ – eine andere Spezies die Macht übernommen hat, ist hier wirklich alles zerstört und verwüstet worden. Die Gruppe der Astronauten zerfällt langsam durch Misstrauen und Wahnsinn. Was sind für Sie die primären Gefahren bei einer bemannten Marsmission? Glauben Sie, dass die Raumfahrer, ähnlich wie im Kultfilm „Solaris“, von Wahnvorstellungen geplagt werden könnten? Und: Wären wir ohne unsere Technologie und Kultur am Ende bloß menschenfressende Affen?

 

Nein, die Erde hat sich nicht verändert. Unser Exo-Biologe marschiert am Schluss ein in eine intakte, übervölkerte Stadt. Die Katastrophe, die zerstörte Erde, steckte lediglich in den Köpfen dieser Astronauten, die jeglichen Kontakt zur Erde verloren hatten. Aber auch hier: Mitglieder eines Mensch-Maschine-Systems sind von den Anforderungen des normalen Lebens in der Ausnahmesituation nach der Landung überfordert.

 

Ihr Film „Plutonium“ behandelt den Missbrauch desselben vor dem Hintergrund damaliger südamerikanischer Diktaturen. Wikipedia fragt sich: „Unerklärlich ist, warum der Deutsche Manfred Hartung erst deutsch, später aber englisch spricht.“ Bestimmt haben Sie eine Antwort für Ihre Fans!

 

Hartungs englische Einlassungen sind Antworten auf Fragen eines englisch sprechenden Reporterteams.

 

„Fleisch“ ist die schonungslose Abrechnung mit korrupten Ärzten und Organhändlern. Glauben Sie, dass eine uns verwandte außerirdische Spezies, die bereits genetisch

degeneriert ist, uns bloß wie Ersatzteile behandeln und ausschlachten würde? Und was bedeutet Sozialität und Menschlichkeit eigentlich noch im Angesicht unserer derzeitigen (kapitalistisch kontrollierten) chirurgischen Möglichkeiten?

 

Eine Ware, die dem Überleben dient, und die nur sehr begrenzt vorhanden ist, führt zur Kriminalisierung. Es geht um Geld und ums Überleben. Aber FLEISCH ist vor allem eine etwas andere Liebesgeschichte. An Ersatzteile für Außerirdische glaube ich nicht. Der irdische Markt – wie wir inzwischen wissen – ist korrumpiert genug!

 

Etwas provokant ausgedrückt: Brauchen wir unsere Organe überhaupt noch, wenn wir uns langsam in Roboter verwandeln?

 

Wir werden uns nicht verwandeln. Der Mensch bleibt was er ist.

 

Was bei uns verboten ist, ist woanders hochwillkommen. „Das schöne Ende dieser Welt“ beschreibt dies eindrucksvoll. Wird es immer Schlupflöcher für die Industrie z. B. in Schurkenstaaten geben oder heißt es irgendwann: „Demokratie über alles?“

 

Wenn es um Profitmaximierung geht, verlieren ethische Grenzen schnell ihre Funktion.

 

In einigen Ihrer Filmen geht es um die atomare Bedrohung. Damals war das ein hochbrisantes Thema, heute findet – zumindest teilweise – ein Umdenken statt. Energie wird plötzlich „grün“, Politiker strahlen nicht mehr ganz so sehr, wenn sie über Atomkraft sprechen. Ist dies jetzt ein Verdienst der Protestbewegungen oder wäre man früher oder später ohnehin zu dieser Einsicht gekommen?

 

Die „Atomare Bedrohung“ bleibt uns noch eine ganze Weile – und alternative Energiequellen (z. B. Solarstrom aus der Wüste) haben eine lange und teure Entwicklungszeit. Investitionen orientieren sich leider an kurzfristigen Profiten.

 

Haben Sie Angst vor „schmutzigen Bomben“?

 

Ja!. Die kranken Gehirne von Terroristen schrecken vor nichts zurück!

 

Was ist mit der Kernfusion? Lösung oder Verzögerungsstrategie?

 

Ich verfolge die Entwicklung mit großem Interesse – sehe aber keine Lösung der Probleme in vertretbarer Zeit. In all den Jahren großer und teurer Bemühungen hat sich kein beachtenswerter Erfolg eingestellt.

 

„Ihr sucht Gott – aber ihr werdet

ihn nicht finden …!“

 

„Das blaue Palais“ ist ein beeindruckender Fünfteiler, der jetzt neu auf DVD verfügbar ist. Zentraler Schauplatz ist ebenjenes „Palais“, das von Wissenschaftlern aus aller Herren Länder bewohnt wird. Deren Forschungen sind so brisant und geheim, dass sie immer wieder zu spannenden und skurrilen Abenteuern führen. Die Handlungen muten wie Opernakte an, die auf poetische sowie psychologisch brillant erzählende Weise Einzelschicksale dokumentieren und sie in einen philosophischen Kontext bringen. Was ist Forschung heutzutage eigentlich, im Angesicht multinationaler Konzerne, deren Köpfe sich wie Glühbirnen beliebig austauschen lassen?

 

Wissenschaftlicher Fortschritt ist Team-Arbeit, ohne Frage. Aber es gibt auch „einsame Genies“ und kleine Forschungs-Institute, nicht nur Konzerne.

Ist Intelligenz Ihrer Meinung nach etwas, das man geheim halten sollte, weil es sich sonst schädlich auf die Restmenschheit auswirken könnte? Führt ungefilterte Intelligenz gar zu Wahnsinn oder Tod?

 

Nur mit Intelligenz lässt sich das Leben auf unserem Planeten und die Entwicklung des Menschen verbessern. Das war so in den letzten 4 Millionen Jahren, das wird auch so bleiben.

 

„Das blaue Palais“ hat mich vom Konzept her auch ein bisschen an „Die Physiker“ von Dürrenmatt erinnert – Wissenschaftler, die an ihrem eigenen Genius scheitern. Wirkt Geld eigentlich wie eine Kette, an der man Menschen wie Hunde halten kann, selbst die begabtesten? Wo ist die Grenze? Wann fangen wir an zu bellen?

 

Dürrenmatts Physiker haben einen realen Bezug: Die Entwicklung der Bombe. Meine Wissenschaftler scheitern allerdings ähnlich. Die unsterblichen Fliegen entschwirren. Die Apokalypse ist vorgezeichnet.

 

Werden wir etwas konkreter. Teil 1 des Blauen Palais beschreibt einen „Mentalisten“, der sich an den Fähigkeiten seiner Opfer bereichert. Glauben Sie, dass die Wissenschaft irgendwann in der Lage sein wird, unsere Gedanken zu lesen, vielleicht sogar zu kontrollieren? Werden wir dann Marionetten sein oder technisch optimierte Supermenschen? Ist Begabung gottgewollt oder nur ein Zufallsprodukt, das beliebig variierbar ist?

 

Die Übertragung von Gedächtnis auf biochemischem Weg wird in der Forschung bereits praktiziert. Gehirnstromkurven werden bereits auf den gedanklichen Inhalt hin analysiert. Ich sehe da keine Bedrohung.

 

In Teil 2 will ein Wissenschaftler mehr Geld. Keine Seltenheit. Aber seine Forschung entpuppt sich als tödliche Bedrohung. Vor diesem Hintergrund meine Frage: Könnte das CERN in Genf einmal zur Bedrohung für die Menschheit werden, indem es ein Schwarzes Loch erschafft, das unseren Planeten auffrisst? Welches waren Ihre Vorbilder für diesen Film?

 

Ich war mehrfach in CERN. Für meinen Roman FEUERZEICHEN, den ich nicht mehr verfilmt habe. Ich habe Freunde in CERN und hatte dort lange Gespräche, z. B. mit Prof. Dr. Dr. Hora. Ich habe ihm gesagt: „Ihr sucht Gott – aber ihr werdet ihn nicht finden …!“ Und dann wird plötzlich das Higgs-Bosom „Gottesteilchen“ genannt. Seltsam. Nein, CERN, das ist Grundlagenforschung und ein Schwarzes Loch von atomarer Größe ist keine Bedrohung.

 

Teil 3 handelt von paranormalen Begabungen. Ich selbst habe in meinem Leben schon des Öfteren bemerkt, dass so etwas durchaus existieren könnte. Denken Sie, das alles wurde geplant, quasi von der Evolution programmiert? Oder ist es eher eine zufällige Konstellation verschiedener Faktoren? Oder Mumpitz?

 

Ahnungen oder paranormale Erkenntnisse sind meines Erachtens Rudimente von Urinstinkten, die früher einmal lebenswichtig waren, inzwischen aber leider verkümmert sind.

 

Unsterblichkeit. Ein uraltes Thema. Meine Meinung hierzu: „Die Ewigkeit ist nicht beweisbar.“ Ja, wer könnte eigentlich beweisen, dass jemand unsterblich ist? Müsste der nicht auch unsterblich sein? Und woher weiß man, dass man unsterblich ist?

 

Eigentlich geht es in meinem Film um die Verlängerung der Lebenszeit, die biochemische Begrenzung soll aufgehoben werden. Merkt man, wenn die Zell-Struktur nicht altert, weil sie immer wieder durch neue Zellen ersetzt wird.

 

Die Religion hat eine gute Ausrede für die Unsterblichkeit: Gott ist unsterblich und wenn wir alle brav sind, werden auch wir einmal unsterblich. Also: Konsens als Wegbereiter des ewigen Lebens. Ist das nicht etwas zu einfach? Ich meine, wenn man etwas über das Leben nachdenkt, verkompliziert es sich doch ständig. Brauchen wir nicht eher jemanden, der die vielen Gordischen Knoten löst als eine Philosophie der Simplifizierung?

 

Bin ich als überzeugter Atheist überfragt. Das „Ewige Leben“ („Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben“”) war eine geschickte Vermarktungs-Strategie des christlichen Mythos (Paulus: „Der Tod ist der Sünde Lohn!“). Der Erfolg der christlichen Religion war die „Erweckung“. „Der Tod ist nicht das Ende, kann nicht das Ende sein!“ (Lukas).

 

Wo befindet sich das Blaue Palais denn nun in Wirklichkeit? Bei Frankfurt, München oder vielmehr in unseren Köpfen, die nur darauf warten, dass man sie von den Lügen und Märchen des Kapitalismus befreit?

 

Schloß Weyhern bei Odelzhausen, westlich von München, nahe der Autobahn München-Augsburg.

 

Von dieser Sekunde an findet der

Rest unseres Lebens in der Zukunft

statt!

 

Wie viele Wissenschaftler mussten Sie eigentlich im Schnitt befragen, bevor ein Filmprojekt Realität werden konnte?

 

Ich bin Autodidakt. Als Filmemacher und als Autor. Erst wenn das Skript mit allen wissenschaftlichen Details geschrieben ist, bitte ich einen Fachwissenschaftler um kritische Durchsicht.  Die Fakten habe ich mir alle vorher angeeignet.

 

Zum Schluss noch ein paar Standardfragen: Welches sind Ihre Lieblings-SF-Filme und – Bücher und warum kommen diese nicht aus Deutschland?

 

In meiner Jugend war das Hans Dominik. Deutscher (ein überzeugter!). Zuletzt Stanislaw  Lem und Asimov.

 

Warum leben Sie jetzt in Australien?

 

Erstens war da ein Film: „Das schöne Ende dieser Welt“ (wir haben in über 30 Ländern Filme produziert – allein DAS BLAUE PALAIS in 13 Ländern). Dann (zweitens) unsere Tochter Tatjana und ihr mangelhaftes Englisch (damals, mit 15). Wir schickten sie in Perth auf eine Privatschule. Anschließend hat sie dort studiert (klinische Psychologie), ihren späteren Mann kennengelernt (Dwight Pedlow) und geheiratet. Wir haben jetzt hier, im Nebenhaus, ihre Familie mit 2 Enkeln: Adrian (16) und Emily (13). In Australien sind wir nur während des bayerischen Winters. Im Sommer wieder in Bairawies.

 

Sie wurden selbst mehrfach mit den einschlägigen deutschen SF-Literaturpreisen ausgezeichnet. Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Genres in Deutschland? Sollten die großen Verlage wieder mehr Mut zeigen und Talente fördern?

 

Von dieser Sekunde an findet der Rest unseres Lebens in der Zukunft statt! Das sollte Grund genug sein, sich des Themas Zukunft und SF intensiver anzunehmen.

 

Wir bedanken uns für dieses Interview!

 

Es war mir ein Vergnügen!

 

Homepage von Rainer Erler

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