Rezension: Im Licht von Orion

Im Licht von Orion

Die große Sciencefiction-Sammlung vom Verlag “Modern Phantastik” eint auf gut 520 Seiten zweiundzwanzig Geschichten von neunzehn Autoren, die in der deutschen SF schon länger ihr ‘Unwesen’ treiben. Dem ein oder anderen Autoren ist man sicher schon begegnet, anderen hingegen weniger.

Einige der Geschichten sind sogar Preisträger und geben dem Buch daher noch eine kleine Note “besonders”

Nach einem netten, leicht gedehnten Prolog – oder eher ein Warm up, welches den Leser in Stimmung bringt, startet das Buch mit der Geschichte:

Impetus“ von Sven Svenson.

Eine nette, schön erzählte Geschichte mit einem anfangs leichten, nicht ganz ersichtlichen Hin- und Her, dass sich gegen Ende auflöst und selbst erklärt und ein gutes Gefühl hinterlässt.

Gerd Frey „Grauzeit“

Großartig geschriebene Geschichte aus der Sicht eines nicht weiter beleuchteten Protagonisten, der nur Beobachter der eigentlichen Hauptfigur ist: Das bedrohliche Setting einer dunklen Macht, die auf die gesamte Erde einfällt.

Peggy Weber-Gehrke „Wir werden alle Helden sein“

Anfangs etwas wunderlich entpuppt sich diese lange, aber nicht zu lange Geschichte über Menschen, Monster und Aliens zu eine Art Higlight.

Dabei ist noch nicht mal sicher, ob die Protagonisten wirklich auf einem Raumschiff sind, oder ob sich das ganze im Hinterhof einer Nervenheilanstallt stattfindet.

Es ist eine Kontaktgeschichte aus der Sicht von offenkundig durchgedrehten Schiffsbesatzung, die ihr ganzes Wissen über „Aliens“ aus der aberwitzigen Sciencefictionfilmen und -büchern nimmt und darüber auf skurrile Weise philosophiert. Oder es ist nur eine durch und durch bekloppte Welt von rückgebildeten Menschen – oder Menschhybriden oder oder oder. Viele Dinge sind denkanstößige Mahnmale an die Menschheit selbst, die wohl jeder für sich selbst finden muss.

Auf jeden Fall lesenswert.

F. Anderson „Antibiose“

Ein Versatzstück aus „Geschichten aus der Gruft“, „Outer Limits“ und „Akte X“ mit einem seichten Plot, der einige bekannte Szenarien bedient, aber sehr gut erzählt ist. Der geschmeidige Lesefluss wird höchstens davon getrübt, dass das Ende ein wenig unbefriedigend, ja sogar recht platt ist.

Jacqueline Montemurri „Die Faszination der Einsamkeit“

Großartig erzählt. Toll geschrieben.

Eine kurze und authentische Geschichte zwischen Menschen, Menschlichkeit, Hoffnung, Liebe und dem All.

Rico Gehrke: Die Verführung der Mona Lisa

Eine recht lange Geschichte, die sich sehr viel Zeit mit ihren beiden Charakteren nimmt, wobei hier auf dem weiblichen Protagonisten natürlich der Fokus liegt, da die Idee an sich wirklich großartig ist.

Anfangs dachte ich noch: „Du meine Güte … “

Vor allem an der Stelle: „Wie alt sind Sie?“ – „23“ – „Dafür haben Sie sich aber gut gehalten“ wollte ich schon aufhören. Hallo? Zeige mir einen Menschen, der heutzutage eine 16jährige von einer 23jährigen unterscheiden kann …

Der äußerst angenehme Schreibstil ließ mich jedoch weiterlesen, und abgesehen von diesen kleinen Fehltritt entwickelt sich die Erzählung zu einer sehr interessanten SF-Werk, das zwar nicht ganz innovativ, aber sehr gut präsentiert wurde.

Cliff Allister: Wer hat’s erfunden?

Wow.

Das ultimative Highlite des gesamten Buches.

Ich mag keine Zeitreisegeschichten, weil die meisten Autoren in der Geschichte rumwerkeln wie ein Schlächter. (Dabei weiß doch jeder, dass man den Zeitenstrom nicht verändern kann. Cliff Allister wusste es auch.) Seine Geschichte war nicht nur fantastisch erzählt, kurzweilig, packend und witzig. Nein, darüber hinaus war sie am Ende ebenso konsequent und originell wie zu beginn.

Große Unterhaltung!

Matthias Falke: Flitterwochen

Anfänglich glaubte ich noch, die Geschichte hätte auch auf einen gegenwärtigen Luxusliner spielen können. Wandelt sich aber gegen Ende zu einer schönen „fremdvolk“-Erzählung, wie man sie auch in Star Trek hätte finden können.

Regine Bott: Harmonice mundi

Eine wirklich schön erzählte Geschichte aus zwei Perspektiven. Einmal der Siedlung Harmonice mundi auf Kepler und dem Schiff Galilei und seine Besatzung. Wieso, weshalb und warum das Schiff seinen Auftrag so konsequent, schnell und ohne nachzudenken erfüllen muss, wird leider nicht näher erklärt, nur angedeutet – oder ich habe es nicht verstanden. Jedenfalls endet die Geschichte wie erwartet tragisch und hinterlässt einige Fragezeichen im Kopf des Lesers.

Galax Acheronian: NNT 275

Die Sprünge bei Szenenwechsel sind mitunter hart, so dass man orientierungslos sein kann. Es ist anfangs eine Geschichte mit ein wenig Geisterflair und Horrorelementen, wandelt sich dann zu einer Ohrfeige an den Glauben der Überlegenheit einer von sich sehr eingenommenen Spezies.

Oliver Koch: Fehler im System

Uff, ist das übel … im positiven Sinne.

Eine wirklich hervorragend aufgebaut und erzählte Geschichte. Tolle Idee, sicher nicht neu, aber wunderbar dargeboten.

Der Verdacht, dass in der Erzählung über den Hauptprotagonisten Tim und seiner Geburtstagsfeier etwas nicht stimmen kann, wird subtil vom Autoren eingebettet und schenkt immer wieder Momente der Fragezeichen und der geistigen Suche nach Antworten.

Als diese dann geliefert wird, bleiben keine Fragen mehr – nur ein wenig Gemütsschwere.

Eine der Top-Geschichten in diesem Buch.

B.C. Bolt: Der Gebühreneinzugsbevollmächtigte

Eine sehr nette sehr spacige SF-Geschichte, in der kein Wunsch nach einer fiktiven Welt übrig bleibt. Am Ende war jedoch nichts geschehen, denn wie im realen Leben kann man nichts tun, wenn das Staatssystem die gierige Hand aufhält und etwas vom Kuchen nimmt, den er weder gebacken, noch gefördert oder irgendetwas für dessen entstehen beigetragen hat. Aber es hinterlässt ein gutes Gefühl, dass aus Geldgründen der Mord an einem Staatsdiener nicht geahndet wird. Wäre es doch nur in unserer Welt auch so 😉

Rico Gehrke: Bestrafung

Kurz, prägnant. Es geht um die Idiotie von Menschen und den Glauben, dass Handeln keine Konsequenzen hat. Aber … es fehlt etwas. Nach einer sehr detaillierten Einführung und Vorstellung ein jähes plumpes Ende. Unbefriedigend.

Michael Stappert: Reha 2.0

Eine Geschichte, die mich zutiefst wütend gemacht. Oh, nein, sie ist verdammt gut.

Aber in ihr steckt eine Bösartigkeit, die so subtil ist und so hinterfotzig (sry. ein anderes Wort konnte nicht gefunden werden), dass es einem die Sprache verschlägt. Es ist eine Geschichte über Missbrauch. Machtmissbrauch. Missbrauch von Menschen. Missbrauch von Vertrauen. Am Ende will einem dann ein gepflegtes „Scheiße, ihr depperten Arschlöcher“, über die Lippen kommen.

Highlight!

Gerd Frey: Anomalie

Eine Zeitreise und ihre Nichtfolgen. Eine seltsame Geschichte, weil sie für das Außen, für die anderen Protagonisten der Geschichte, ohne Belang bleibt. Andererseits werden Ideen und Konzepte aufgegriffen, die aus der Gegenwart sind und in ihrer gedanklichen Fortführung da landen können.

Adriana Wipperling: Hinter dem Schleier

Eine schöne Geschichte, gute Idee, jedoch etwas schwerfällig und spröde umgesetzt. Möglicherweise, weil es nur aus einer Perspektive erzählt werden kann. Hat das Potential zu einer größeren und sehr komplexen Geschichte. Der Titel ist passend und unpassend zugleich.

F. Anderson: Das Symbol

Weitschweifig erzählte Geschichte mit Anfängerfehlern was die Formulierungen und das Umschreibungen angeht, über einen Mann, der unschuldig von einer, einem anderen Mann versprochenen Frau verführt wird. Das Setting: 1000 und 1 Nacht in der Wüste bei den Beduinen.

Das Ganze kombiniert mit einem sadistischen Kind/ Dämonen und Folterszenen. Dazu gehört eine nicht durchdachte Plotline zusammen mit Seltsamkeiten und Charakteren, die einfach nicht überzeugen. Angesichts der teils ernsten Situation ist eigentlich kein Schmunzeln angesagt. Leider konnte ich es nicht unterdrücken.

Frank Lauenroth und Lara Möller: Deleted Scenes

Der Titel ist passend und doch sagt er sehr wenig über das, was da geschrieben steht. Eine kurze Geschichte mit mehr Facetten, als man meinen sollte und jede davon berechtigt.

Jacqueline Montemurri: Schrottsammler

Die Geschichte erhielt den 2. Platz im Wettbewerb des Vereins zur Förderung der Raumfahrt 2015.

Eine Schrottsammelaktion einer kleinen Privatfirma im Orbit der Erde wandelt sich in eine Rettungsmission, die europäisch-politische Aspekte berührt. Sprachlich, inhaltlich und stilistisch müsste mal ein Lektor drüber. Manche Dialoge/ Monologe wirken arg gestelzt. Die Geschichte selbst ist nicht spannend, was entweder an der Art des Erzählens liegt oder tatsächlich am Thema. Es gibt Perspektiven, die möglicherweise einen interessanteren Blick auf das Thema geworfen hätten. Dennoch ist die Geschichte weder schlecht aber eben auch nicht gut.

Michael Thiele: Spätes Erwachen

Ein klischeebehafteter feuchter Männertraum aus dem pubertierenden Gedankengut eines 13jährigen mit bekanntem Setting, wobei die Frauen die Verführerinnen sind, der Mann ein Macho und zeitgleich die Jungfrau vom Lande … 

Ernsthaft? Amazonen(?) nehmen Männer im Urwald fest, fesseln sie aufs Bett und verlustieren sich mit ihnen? Vielleicht ein Werbetext für Männer, die noch keine Frauen abbekommen haben und sie auf anderen Planeten zu finden hoffen – denn das war in diesen eher armseligen Billigprono auch das einzige SF-Element: Ein anderer Planet und Zukunft. Huiiiiiii …

Christopher Dröge: Zilie

Spannend und für unsere Gefilde eine ungewöhnliche Umgebung, was einen weiteren Reiz darstellt. Der Dschungel in Mittelafrika in Bolanda/ Kongo. Ein Junge, noch Schüler, der fremd in der Umgebung ist und in einer Sonderwirtschaftszone lebt, wo er sich mit drei anderen Jungen anfreunden möchte und dabei in ein Abenteuer der besonderen Art rutscht – und dabei möglicherweise sein Leben riskiert. Lebhaft und bildhaft. Eigentlich keine Kurzgeschichte, sondern der Anfang von viel mehr.

Rico Gehrke: Kontaktversuche

Ich bin unsicher, ob die falsch gesetzten Wörter und der leicht gestelzt Satzbau beabsichtigt waren. Die fremde Wörter (keine Fremdwörter) klingen gut, haben aber für eine Kurzgeschichte nicht genug Bedeutung, da sie leider nicht erklärt werden.

Ersteres wandelt sich deutlich, es wird sprachlich dichter. Die Geschichte kommt trotzdem nicht auf den Punkt. Will sie Einsamkeit, Längen oder Zeitlosigkeit vermitteln?

Die drei Dimensionen des Raumes haben sich noch nicht aus ihrer Verflechtung gelöst.“

Ab hier erhöhte sich die Verwirrung spürbar. Das ganze wirkt wie eine Ich-Nabelschau mit versuchten philosophischen Tiefgang in nicht stringenter, hochtrabender Ausdrucksweise.

Fazit:

Abgesehen von den wenigen vertretbaren Fehlern, die der Lektor hier oder da mal übersehen hat

(Kleinigkeiten sollten ausgemerzt werden, ist aber nicht dramatisch für den Gesamteindruck.) ist das ganze Buch an sich schon ein großer Gewinn für den Leser.

Klar, es gibt die üblichen Schattengestalten, bei denen man sich fragte, warum um alles in der Welt diese Zeilen geschrieben worden sind. Primär jedoch – und zum Glück – finden sich in dieser Sammlung spürbar in der Mehrzahl durchweg positive Geschichten, die viele Stunden schönen Lesegenuss garantieren.

In einer Top drei würde ich im übrigen völlig subjektiv so werten:

Platz 3 geht an Oliver Koch: „Fehler im System“

Platz 2 geht an Michael Stappert: „Reha 2.0“

Platz 1 geht an Cliff Allister: „Wer hat’s erfunden?“

Modern Phantastic

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