Interview: Andreas Brandhorst

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Andreas Brandhorst muss man sicher nicht vorstellen. Als einer der wenigen deutschen Autoren, der SF-Romane in großen Verlagen veröffentlicht, hat er in den letzten Jahren zig Preise abgeräumt, zuletzt auch den Kurd-Laßwitz-Preis für den besten Roman des Jahres 2016 (“Omni”). Klare Sache, dass er auch deutsche-science-fiction.de exklusiv Rede und Antwort steht.

dsf: Hallo Andreas. Zuallererst möchte ich mich für deine Bereitschaft bedanken, mir für ein Interview zur Verfügung zu stehen. In meiner Wahrnehmung der letzten Jahre bist du mittlerweile zur unangefochtenen Nr. 1 der SF-Schaffenden in Deutschland aufgestiegen, was die Platzierungen beim Kurd-Lasswitz-Preis (und der Abstand zwischen dir und dem jeweils nächstplatzierten) und dem Deutschen Science Fiction Preis eindeutig zeigen.

Erzählst du uns etwas über deinen Werdegang? Ich meine, du bist seit Jahrzehnten aktiv in der SF, wie hat es damals angefangen?

Brandhorst: Ich glaube, es lag am Raumschiff Orion. Damit hat alles angefangen. Ich war zehn Jahre alt, als »Raumpatrouille« 1966 im Fernsehen lief, und die Abenteuer im Weltraum faszinierten mich. Ich begann damit, SF-Heftromane zu lesen, später kamen Taschenbücher hinzu. Mit zwölf oder dreizehn schrieb ich meine ersten Weltraumgeschichten, dreißig oder vierzig Seiten lang, und ein paar Jahre später wurden Romane in Heftlänge daraus. Den ersten konnte ich mit neunzehn an den damaligen Zauberkreis-Verlag verlaufen. Das hat mich natürlich beflügelt. Es folgten weitere Romane, für Zauberkreis und Terra Astra, und Anfang der 80er-Jahre konnte ich dann an der legendären Terranauten-Serie bei Bastei mitschreiben. Das war mein Einstieg ins Profilager. Es folgten weitere Taschenbücher, Übersetzungen kamen hinzu, und 1984 bin ich nach Italien ausgewandert, wo ich bis zu Beginn der 2000er-Jahre mehr übersetzt (unter anderem die Scheibenweltromane von Terry Pratchett) als selbst geschrieben habe. Die beiden Kantaki-Trilogien, ursprünglich bei Heyne erschienen (2004-2008) und gerade von Piper neu aufgelegt, markieren die Rückkehr des Autors Andreas Brandhorst. Seitdem sind die Übersetzungen immer weniger geworden, und inzwischen schreibe ich fast nur noch.

dsf: Warum gerade SF? Ich meine, es gibt immense andere Literaturströmungen. Den Mainstream beispielsweise. Was hebt für dich die SF von den anderen Strömungen ab?

Brandhorst: Die Science Fiction bietet die größte aller Bühnen: das Universum, zahllose Welten, unendlich viele Geschichten. Sie gibt dem Autor ein umfangreicheres Instrumentarium in die Hand, und das gefällt mir sehr. Innerhalb der SF kann ich praktisch jede beliebige Geschichte schreiben – dieser Literaturgattung sind weniger Grenzen gesetzt als anderen. Ich möchte aber hinzufügen, dass ich auch immer mehr Gefallen daran finde, Gegenwartsliteratur zu schreiben, wozu ich »Das Erwachen« zähle, obwohl der Roman einige Jahre in der Zukunft spielt. Vielleicht fühle ich mich da dem literarischen Element etwas näher, obwohl das auch in meinen SF-Romanen eine wichtige Rolle spielt.

dsf: Auf Spiegel Online ist soeben (Anfang November, Anm. d. Red.) ein Artikel erschienen, in dem gesagt wird, dass es heutzutage Eskapismus sei, SF nicht zu lesen. Begründet wird das damit, dass dies die einzige Literaturgattung ist, die sich mit den Problemen der Zukunft befasst, bevor sie entstanden sind. Wie siehst du das? Ist es wirklich die Extrapolation oder werden nicht vielmehr häufig unsere Probleme der Jetztzeit lediglich verfremdet dargestellt?

Brandhorst: Die Zukunft stürzt derzeit auf uns herab – die technologischen und sozialen Veränderungen geschehen so schnell, dass es aussieht, als würden Gegenwart und Zukunft miteinander verschmelzen. Es ist schwer, heute einen »prognostischen« Science-Fiction-Roman zu schreiben, denn das, was er ankündigt, wird morgen schon Wirklichkeit. Es wäre auch verkehrt, die Rolle der Science Fiction darauf zu reduzieren, »die Zukunft vorherzusagen«. Das kann sie, aber sie kann noch viel mehr. Science Fiction ist ein Werkzeug, um den Menschen und sein Leben aus einem neuen, manchmal überraschenden oder auch warnenden Blickwinkel darzustellen. Als Literatur hat SF vor allem eine literarische Aufgabe, aber sie kann noch mehr: Sie kann uns über den Horizont der Welt blicken lassen, die wir kennen. In diesem Sinne ist die Science Fiction die kompletteste aller Literaturgattungen. Ich vermute, darauf wollte der Autor des Artikels letztendlich hinaus.

dsf: Wie läuft denn dein Arbeitstag ab? Haben wir uns das so vorzustellen, dass du regelmäßige Stundeneinteilungen am Tag hast? Gönnst du dir ein freies Wochenende?

Brandhorst: Ich arbeite immer, jeden Tag, sieben Tage die Woche. Ausnahmen sind nur Veranstaltungen, die ich besuche, Lesungen und so weiter. Ich stehe um etwa halb sieben auf, und um sieben sitze ich am Computer und beantworte eine Stunde lang E-Mails, Anfragen von Lesern und Mitteilungen über Messengerdienste. Dann wird am aktuellen Roman gearbeitet. Ich schreibe langsam, drei bis sechs Seiten pro Tag, aber eben jeden Tag. Eine solche Arbeitsweise ist natürlich nur möglich, weil ich allein lebe.

dsf: Wie lange sitzt du durchschnittlich an der Recherche/Planung eines Buches? Und wie viel Zeit benötigst du im Vergleich dazu dann mit dem Niederschreiben?

Brandhorst: Das kommt darauf an. Bei »Das Erwachen« waren die Recherchen sehr aufwändig und haben mehrere Monate gedauert, bevor ich mit dem Schreiben begann. Sie gingen auch während der Arbeit am Roman weiter. Insgesamt habe ich an »Das Erwachen« länger als ein Jahr gearbeitet, aber der Roman war mit 840 Manuskriptseiten auch noch etwa 200 Seiten länger als meine SF-Romane. Das eigentliche Schreiben dauert so um die sechs Monate, und hinzu kommen dann noch Überarbeitung, das Überarbeiten der Überarbeitung, die Durchsicht der Korrekturen, noch einige letzte Änderungen und schließlich die Überprüfung des Umbruchs.

dsf: Kannst du dir deine Projekte frei wählen? Oder musst du, wie Verschwörungstheoretiker in der Szene gerne kolportieren, „Auftragsarbeiten“ für den Verlag erledigen?

Brandhorst: Solche »Auftragsarbeiten« hätten nur einen Sinn als Beiträge für Serien oder Reihen. Da ich aber weder für Serien noch für Reihen arbeite, habe ich mit so etwas nichts zu tun. Mit zwei Ausnahmen: meinen beiden Beiträge zum Universum von Perry Rhodan. Gemeint ist das Taschenbuch »Exodus der Generationen«, 2005 bei Heyne, und das Paperback »Die Trümmersphäre«, 2006 bei Heyne. Diese beiden Romane habe ich nach Exposés geschrieben. Sie waren meine Hommage an Perry Rhodan, der mich in jungen Jahren in den Kosmos entführt hat. Ich bin in der glücklichen Lage, meine Projekte völlig frei wählen zu können – ich kann schreiben, was ich möchte, ohne mich an irgendwelche Vorgaben halten zu müssen. Blankoverträge machen so etwas möglich. So habe ich vor einigen Monaten von Piper Blankoverträge für drei weitere Science-Fiction Romane bekommen, die ab 2019 erscheinen werden – »Die Tiefe der Zeit« im März 2018 ist noch ein alter Romanvertrag. Hinzu kommt ein weiterer Vertrag für einen großen Thriller in der Belletristik-Reihe, für den ich allerdings ein Konzept eingereicht habe, wie auch für »Das Erwachen«.

dsf: Wie projektierst du deine Romane? Ich meine, es gibt ja so viele verschiedene Herangehensweisen an das Schreiben eines Buches. Manche Autoren machen sich einen ausführlichen Szenenplan, andere fangen einfach an und schreiben drauflos. Wie machst du das?

Brandhorst: Ich plane jeden Roman, vom anfänglichen Konzept über den Plot bis zu einer detaillierten dramaturgischen Übersicht. Meiner Ansicht nach sollte man einen Roman von über 650 Manuskriptseiten – die übliche Länge meiner SF-Romane – nicht dem Zufall überlassen. Aber du hast das schon ganz richtig gesagt: Es gibt verschiedene Methoden des Schreibens, und jeder Autor muss die für ihn richtige finden.

dsf: Gibt es wirklich die Verlagsvorgaben, was die Seitenzahlen (Stichwort Ziegelstein) eines Romans angeht oder ist das ein modernes Märchen?

Brandhorst: Das ist ebenso ein Märchen wie die Behauptung, ein Autor, der einen Roman über 250 Seiten anbietet, würde vom Verlag gedrängt, 600 oder 700 Seiten daraus zu machen. Der Verlag könnte höchstens sagen: So kurze Romane passen nicht in unser Programm – und das Programm sollte man schon kennen, wenn man einen Roman anbietet. Kein Verlag verlangt von einem Autor, einen 250-Seiten-Stoff auf 600 Seiten aufzublähen. Das ist purer Unsinn, denn jeder Lektor weiß, dass daraus nichts werden kann.

dsf: Gibt es auch Kurzgeschichten aus deiner Feder?

Brandhorst: Es hat sie mal gegeben, früher, viel früher. 🙂 1983 hat eine Kurzgeschichte von mir, »Die Planktonfischer«, den Kurd-Laßwitz-Preis gewonnen. Eigentlich sind kurze Geschichten nicht so mein Ding – ich brauche einfach mehr Platz für meine Erzählungen. Aber: Ich werde in den nächsten Wochen eine neue Kurzgeschichte schreiben, meine erste nach etwa 35 Jahren, und zwar als Bonusmaterial für die am 1. Juni 2018 bei Piper erscheinende Taschenbuchausgabe von »Das Schiff«.

dsf: Was macht Andreas Brandhorst in seiner Freizeit? Liest er auch andere Autoren? Falls ja, welche? Und in welchem Umfang? Ich meine damit, es gibt Menschen, mich eingeschlossen, die lesen pro Woche mindestens ein Buch, wie sieht das bei dir aus?

Brandhorst: Ich lese, wie ich schreibe: sehr langsam. Für ein Buch brauche ich schon mal einen Monat oder länger. Es sei denn, es stehen Flugreisen wegen Lesungen oder Veranstaltungen an. Dann bin ich ziemlich schnell mit einem Buch durch, weil ich während der Wartezeiten und auch an Bord lese. Meine Lektüre besteht immer mehr aus Gegenwartsliteratur, und ich schätze Autoren wie Nina George (»Das Traumbuch«), Margaret Mazzantini (»Das schönste Wort der Welt«, ein dummer deutscher Titel, der italienische Originaltitel ist viel besser: »Venuto al Mondo«, »Zur Welt gekommen«), Benedict Wells (»Vom Ende der Einsamkeit«), Robert Seethaler (»Ein ganzes Leben«), Marlen Haushofer (»Die Wand«), John Williams (»Stoner«), Hans Platzgumer (»Am Rand«), Joe R. Landsdale (»Ein dunkler Riss«) und die Romane von Marie-Sabine Roger, unter ihnen »Das Labyrinth der Wörter«. Um nur einige der Autoren und ihre Romane zu nennen.

dsf: Kommen wir zu deinem neuesten Werk: Das Erwachen. Du beschreibst darin das Erwachen einer Maschinenintelligenz. Kannst du uns kurz erklären wo der Unterschied zwischen einer KI und eben einer Maschinenintelligenz liegt?

Brandhorst: Unter KI stelle ich mir die heutigen Künstlichen Intelligenzen vor, die bereits Erstaunliches leisten, in den meisten Fällen aber auf ein bestimmtes Fachgebiet beschränkt sind. Echte Maschinenintelligenz geht weit darüber hinaus und steht entwicklungstechnisch gesehen ein ganzes Stück über der Künstlichen Intelligenz. Eine MI wäre »breitbandig«, d.h. ihre Leistungen würden die unsrigen auf vielen Gebieten übertreffen – sie wäre uns weit überlegen.

dsf: In unseren Gesprächen in Oberhausen auf der Phantastika und in Dresden auf dem Pentacon hast du eindringlich vor den Folgen, die ein solches Erwachen hätte, gewarnt. Ist das jetzt ein Marketinginstrument oder stehen wir hier vor einer realen Gefahr?

Brandhorst: Ich halte die Gefahr für sehr real, und meiner Ansicht nach sind wir nahe dran. Die Entwicklungen gehen rasant weiter. Wie Putin sagte: Wer die KI beherrscht, der beherrscht die Welt. Wir könnten den Punkt der »technologischen Singularität« schon bald erreichen. Oder vielleicht haben wir ihn bereits erreicht, wer weiß?

dsf: Wenn du, wie auch berühmte Wissenschaftler, diese Gefahr bejahst, siehst du denn eine Möglichkeit dieser Bedrohung entgegenzustehen oder sind wir wirklich auf Gedeih und Verderben dem Wohlwollen der Maschinenintelligenz ausgeliefert?

Brandhorst: Wenn sich eine Maschinenintelligenz entwickelt und ein »Take-off« stattfindet, eine Intelligenzexplosion durch schnelle Optimierung und Weiterentwicklung, so sind wir nicht mehr Herr unserer digitalen Infrastruktur, und da hängt alles dran: Wasser, Strom, medizinische Versorgung, Transport (Versorgung mit Lebensmitteln), Kommunikation usw. Unsere Welt könnte stillstehen, wenn die Maschinenintelligenz es so wollte, und das bedeutet: Ja, wir wären ihr ausgeliefert.

dsf: Wie groß sind in diesem Zusammenhang deine Wasser- und Konservenvorräte? Bist du der Empfehlung der Bundesregierung gefolgt und hast entsprechende Vorräte angelegt?

Brandhorst: Nein, bin ich nicht, tue ich aber vielleicht noch. 🙂 Solche Vorräte sind ohnehin nur dafür gedacht, einen Strom- und Versorgungsausfall von einigen Tagen zu überbrücken. Und dann? Aber es ist schon interessant, dass die Bundesregierung solche Empfehlungen herausgegeben hat. Man darf vermuten, dass so etwas nicht ohne Grund geschieht.

dsf: Du bringst in deinem Buch die berühmte Szene, in der ein roter Knopf an der Wand angebracht wurde und darunter ein Schild auf dem steht: Nicht drücken, es droht der Weltuntergang. Die Farbe, mit der dies geschrieben wurde ist noch nicht trocken, da hat schon jemand eben diesen Knopf gedrückt. Du bezeichnest das als für den Menschen völlig natürlich. Ist das wirklich so? Handeln wir Menschen tatsächlich so unbedacht?

Brandhorst: Klare Antwort: ja. Es liegt in unserer Natur. Wir sind neugierig. Was möglich ist, wird früher oder später ausprobiert, meistens früher.

dsf: Gibst du uns einen groben Überblick über dein Schaffen?

Brandhorst: Da empfehle ich einen Besuch meiner Webseite: https://andreasbrandhorst.de/ Dort gibt es Infos über mich und meine Bücher.

dsf: Gibt es unter deinen Werken eines, das dein Lieblingsbuch ist?

Brandhorst: Mein Lieblingsbuch, oder mein wichtigstes Buch, ist immer das, das ich gerade schreibe. Aber es gibt ein Buch, das eine besondere Bedeutung für mich hat, weil ich es eines Morgens beim Erwachen fast komplett im Kopf hatte, ohne mich am Abend oder an den Tagen zuvor damit beschäftigt zu haben: »Die Stadt«.

dsf: Und auf der anderen Seite, gibt es denn auch Werke, die du heutzutage als peinlich bezeichnen würdest?

Brandhorst: Ja, auch das gibt es, aber ich werde aus verständlichen Gründen keine Titel nennen. Nur so viel: Ich werde immer wieder von Kleinverlagen gefragt, ob ich mit einer Wiederveröffentlichung meiner vor dem Jahr 2000 erschienenen Romane in Form von E-Books einverstanden wäre, und meine Antwort lautet: nein.

dsf: Viele Menschen begegnen mir mit der These: Wenn ich mal viel Zeit habe, so als Rentner, dann schreibe ich auch ein Buch. Ideen habe ich ja genug. Ich entgegne dann immer: Die Zeit ist nicht der Faktor. Andere Menschen haben auch Hobbies, die sie täglich bedienen, die Zeit kann man auch in ein Buchprojekt stecken. Was würdest du einem angehenden Autor raten, wie sollte er vorgehen?

Brandhorst: Er sollte schreiben. Und noch mehr schreiben, und noch mehr. Mit Absichtserklärungen ist noch niemand Autor geworden.

dsf: Wie ist es, berühmt zu sein? Kannst du unerkannt in einem Restaurant sitzen? Wie ist das Empfinden, wenn du auf Veranstaltungen auftrittst und die Fans vor dir stehen? Belastet das oder ist es ein wunderschönes Gefühl?

Brandhorst: Ich hatte im Sommer dieses Jahres ein interessantes Erlebnis. Da musste ich hier in Nordhorn bei einem Gerichtsverfahren als Zeuge aussagen, und als der Richter mich in den Zeugenstand rief und nach meiner Person befragte, sagte er plötzlich: »Ach, sind Sie Andreas Brandhorst, der Autor? Ich habe gerade einen Bericht im Radio über Sie gehört.« Und ich dachte: Das könnte dir vielleicht was nützen, wenn du jemals als Angeklagter vor Gericht stehen solltest. 🙂 Ein bekannter Autor zu sein bedeutet bei Veranstaltungen, dass man viele interessante Gespräche mit seinen Lesern führen kann, und das mache ich immer wieder gern.

dsf: Wie weit ist dein Vorlauf? Wie viele Bücher sind bereits fertig, wenn eines erscheint?

Brandhorst: Den größten Vorlauf in den mehr als vierzig Jahren, die ich als Autor tätig bin, hatte ich kurz vor Erscheinen von »Das Erwachen«. Da gab es 3 fertige, aber noch unveröffentlichte Romane von mir: »Das Erwachen« (2. Oktober 2017), »Die Tiefe der Zeit« (SF, 1. März 2018) und »Schutzengel«, ein mit gut fünfhundert Seiten nicht ganz so langer Roman, der voraussichtlich im Frühjahr 2019 in der Belletristik-Reihe des Piper-Verlages erscheint. Normalerweise ist der Vorlauf bei mir etwa einen Roman lang, um die acht Monate.

dsf: Wie ist das ein Buch zu präsentieren, das für dich eigentlich schon zum alten Eisen gehört, für die Leser aber eben der brandneue Brandhorst ist?

Brandhorst: Das kann wirklich ein Problem sein, weil man gedanklich schon ein ganzes Stück weiter ist und zurückdenken muss. Außerdem fällt es dadurch manchmal schwer, sich an winzige Einzelheiten zu erinnern. Aber man kann sich ja vorbereiten.

dsf: Kannst/darfst du uns einen Ausblick geben, was wir in naher Zukunft aus deiner Feder zu erwarten haben?

Brandhorst: Ich hatte es bereits angesprochen. Derzeit arbeite ich an meinem dritten belletristischen Roman, nach »Das Erwachen« und »Schutzengel« (Frühjahr 2019), beziehungsweise dem zweiten großen Thriller, der voraussichtlich im Herbst 2018 bei Piper erscheint. Worum es dabei geht, verrate ich noch nicht. Am 1. März 2018 erscheint »Die Tiefe der Zeit«, ein Science-Fiction-Roman, der in einem ganz neuen Universum spielt. Abgesehen davon habe ich noch Verträge für drei weitere neue SF-Romane, die ab 2019 erscheinen werden. Es wird auch Neuausgaben bereits erschienener Romane geben, zum Beispiel eine Taschenbuchausgabe von »Das Schiff« am 1. Juni 2018, und vermutlich von Romanen, die ursprünglich von Heyne verlegt worden sind.

dsf: Ich vergleiche das Schreiben eines Buches gerne mit der Zeugung und Geburt eines Kindes. Der Beginn ist wunderschön, zum Ende hin wird es immer beschwerlicher und der Schluss ist häufig Schmerz pur. Dann kommt die plötzliche Erleichterung und der Autor fällt in ein Loch. Kannst du dich in dieser Beschreibung wiederfinden?

Brandhorst: Das Schreiben eines Romans ist für mich wie das Erklimmen eines Bergs: Zu Anfang kann es recht einfach sein, wenn man seine Hausaufgaben gemacht hat, sprich: wenn die Vorbereitungen gründlich genug waren. Aber es dauert nicht lange, bis die ersten steilen Stellen kommen, und dann wird’s schwierig. Das Schreiben eines langen Romans ist knallharte Arbeit. Wenn es schließlich nach Monaten geschafft ist, falle ich tatsächlich manchmal in ein Loch, weil plötzlich weg ist, was bis eben mein tägliches Leben bestimmt hat. Aber der nächste Roman holt mich da schnell wieder raus.

dsf: Wie gut bist du in der Szene vernetzt? Ich meine, ist Andreas Brandhorst eher ein Einzelkämpfer oder gibt es da Zusammenkünfte mit anderen Autoren, quasi ein Austausch/Brainstorming?

Brandhorst: Ich bin nie Teil der »Szene« gewesen, weil ich Deutschland 1984 verlassen und dreißig Jahre in Italien gelebt habe. Kontakte mit anderen Autoren gab und gibt es natürlich, aber wenn ich das richtig sehe, arbeitet jeder mehr oder weniger allein. Das gilt auch für mich. Romane sind bis auf wenige Ausnahmen Single-Reisen.

dsf: Gibt es Zeiten, in denen du eine Schreibblockade hast? Ich kenne zum Beispiel Situationen, in denen ich zwar weiß, wie die Geschichte weitergehen soll, ich aber einfach nicht die Worte finde, dies zu schreiben. Nun ist das bei mir unspektakulär, ich kann den Text dann einfach mal Wochen oder Monate liegen lassen. Wie gehst du mit solchen Situationen um?

Brandhorst: Meine in über vierzig Jahren gesammelten Erfahrungen lassen sich in dieser Hinsicht so zusammenfassen: Es gibt keine Schreibblockaden, nur mangelnde Disziplin. Als Profi muss man auch schreiben können, wenn man keine Lust hat – schließlich verdient man damit seinen Lebensunterhalt. Man lernt mit solchen Phasen umzugehen.

dsf: Könntest du dir auch Projekte mit anderen Autoren vorstellen? Ich stelle mir das schwierig bis unmöglich vor, will ich doch immer meine Ideen umsetzen und nicht die der anderen. In der Szene gibt es aber genügend Beispiele. Angefangen vom Schreiben nach Exposé bis hin zu echten Kooperationen zwischen zwei oder mehr Autoren. Wie siehst du so ein Projekt?

Brandhorst: Ich hatte vor meiner Zeit in Italien, vor über dreißig Jahren, gemeinsame Romanprojekte mit anderen Autoren, und damals hat das gut geklappt. Allerdings waren es vergleichsweise kurze Texte – ein damaliger gemeinsamer Roman war nicht einmal halb so lang wie meine heutigen. Derzeit kann ich mir solche Projekte für mich nur schwer vorstellen, aber sag niemals nie.

dsf: In der Literatur gibt es genügend Beispiele, dass das Alterswerk eines Autors nicht mehr die Qualität hat, die der Autor auf dem Höhepunkt seines Schaffens hatte. Stellvertretend seien hier nur Karl May, Robert Heinlein oder Isaac Asimov erwähnt. Hast du vor einer solchen Entwicklung Angst? Ich hoffe darauf, dass man mich darauf hinweist, wenn es so weit ist. Wie siehst du das?

Brandhorst: Ist das ein subtiler Hinweis darauf, dass ich allmählich in die Jahre komme? 🙂 Guter Wein wird besser, wenn er reift, und ich hoffe, das gilt auch für meine Romane. Aber du hast recht: Die Strecke, die noch vor einem liegt, wird kürzer, und ich hoffe, dass ich sie so gut wie möglich beschreiten kann, ohne zu sehr ins Straucheln zu geraten. Es gibt Autoren, die bis ins hohe Alter tolle Romane geschrieben haben, und vom »hohen Alter« trennen mich zum Glück noch ein paar Jährchen. Wenn ich nicht mehr eine Stunde täglich laufen kann, wird’s kritisch für mich, denn beim Laufen sind mir bisher die besten Ideen gekommen.

dsf: Wie siehst du überhaupt dein Schaffen? Gibt es da Personen deines Vertrauens, die dir ehrlich ihre Meinung sagen? Oder gibt es da inzwischen kein Korrektiv mehr, eben weil Brandhorst mittlerweile eine Marke geworden ist und sich verkauft, egal was drin ist?

Brandhorst: Es wäre sehr, sehr gefährlich, den Erfolg als gegeben anzunehmen. Das ist in vielen anderen Fällen schiefgegangen. Man muss sich immer bemühen, immer das Beste geben. Genau das versuche ich: jeden Roman so gut wie möglich zu schreiben.

dsf: Wenn ich einen Text fertiggestellt habe, bin ich in der Sekunde des Abschlusses euphorisch. Endlich geschafft …, und überzeugt davon, etwas absolut geniales verfasst zu haben. In der Sekunde danach kommt dann immer der Absturz, die Selbstzweifel. Ich überlege dann, ob das Werk überhaupt jemals das Licht der Öffentlichkeit erreichen darf, weil ich mir urplötzlich aller Schwächen bewusst werde (ob berechtigt oder nicht sei mal dahingestellt). Kennst du solche Zustände auch und falls ja, wie meisterst du sie?

Brandhorst: Diese Selbstzweifel begleiten mich vom ersten Satz bis zum letzten und lassen mich auch später nicht in Ruhe. Sie können sehr, sehr belastend sein, weil sie einem keine Ruhe lassen, aber sie treiben mich auch dazu an, immer mein Bestes zu geben. Da ich die Zweifel nicht vertreiben kann – das ist mir in all den Jahren nie gelungen –, benutze ich sie als eine Art Motor für meine Kreativität.

dsf: Die SF-Literatur scheint sich im Niedergang zu befinden. In anderen Medien (Film, Computerspiel) ist eher das Gegenteil der Fall. Warum ist das deiner Meinung nach so? Ist es überhaupt so?

Brandhorst: Sprechen wir von der deutschen SF. Sie steht meiner Meinung nach so gut da wie seit vielen, vielen Jahren nicht, und ich weiß, wovon ich rede, ich kenne den deutschen SF-Markt seit vierzig Jahren. Wer von einem »Niedergang der SF« und insbesondere der deutschen SF redet, meint vor allem mangelnde Sichtbarkeit auf dem Markt und spricht von einer Nische aus, zum Beispiel der Kleinverlagsnische, die mangelnde Sichtbarkeit zwar nicht garantiert, aber doch begünstigt. Es nützt nichts Romane zu schreiben, die niemand oder kaum jemand liest. Wenn eine Literaturgattung an Bedeutung gewinnen soll, muss sie gelesen werden. Und genau das ist bei einigen Autoren der Fall. Ich erreiche mit meinen Science-Fiction-Romanen ein großes Publikum – es ist groß genug, um davon leben zu können. Oder man nehme Bestsellerautor Andreas Eschbach. Oder Frank Schätzing. Oder Robert Corvus, der wie ich SF für Piper schreibt. Oder neue Talente wie Theresa Hannig. Und es gibt noch andere. Ich behaupte: Jeder deutsche Autor, der gut schreibt und gewisse Regeln beachtet, kann heute hoffen, bei einem Publikumsverlag unterzukommen. Mit »gewisse Regeln« meine ich zum Beispiel die Art der Präsentation, Format des Manuskripts und vor allem die Überlegung, ob der angebotene Roman ins Programm des Verlages passt. Manche wundern sich, dass ihre »experimentellen Projekte« abgelehnt werden. Mich wundert das nicht. Wer erwartet, dass man in einem großen Verlag nach der Vorlage eines Konzepts das bisher unbeachtete Genie endlich anerkennt, darf ziemlich sein, auch die nächsten Jahre in seinem Elfenbeinturm verbringen zu dürfen. Also: Die Lage der SF in Deutschland ist gut, aber längst nicht so gut wie die der Fantasy, die ihre einstige Nische schon vor Jahren verlassen hat. Lasst uns daran arbeiten, sie weiter zu verbessern. Die Chance ist da.

dsf: Es gibt mehrere deutsche SF-Literaturpreise die in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit ein Schattendasein frönen. Gibt es deiner Meinung nach Möglichkeiten, das zu ändern?

Brandhorst: Ich habe den Eindruck, dass jeder ein bisschen sein eigenes Süppchen kocht. Wer braucht sechs, sieben oder mehr Preise für die Science Fiction? Vielleicht wäre es besser, die Preise zusammenzulegen oder wenigstens auf zwei oder drei zu reduzieren, um ihnen mehr Bedeutung zu geben. Außerhalb der »Szene« weiß niemand, was es mit den einzelnen Preisen auf sich hat, und selbst in den Verlagen verliert man den Überblick. Aber dadurch verlieren die Preise ihren Sinn, denn sie sollen die SF-Literatur fördern.

dsf: In diesem Zusammenhang: Dein aktuelles Buch „Das Erwachen“ wird als Thriller und nicht als SF angeboten. Ist es wirklich in der Literatur „verkaufsschädigend“, wenn auf einem Buch das Label SF erscheint? In anderen Medien (Film/Computerspiel) scheint mir das eher ein Gütesiegel zu sein.

Brandhorst: Auch bei SF-Romanen steht längst nicht mehr »Science Fiction« auf dem Cover, aus gutem Grund. Allerdings bieten abgebildete Raumschiffe den einen oder anderen dezenten Hinweis. 🙂 Der Markt für Science Fiction in Deutschland hat eine überschaubare Größe. SF ist Genre-Literatur und unterliegt somit entsprechenden Beschränkungen. Nicht so bei allgemeiner Belletristik, und dazu zähle ich »Das Erwachen«, obwohl der Roman einige Jahre in der Zukunft spielt. Er spricht sowohl die SF-Leser an, die mich kennen, als auch das große, große Thriller-Publikum. Solche Romane überwinden die üblichen Genre-Grenzen – sie können von allen gelesen werden. »Das Erwachen« hat es auf die Bestsellerlisten von Spiegel und Börsenblatt geschafft. Ich bezweifle, ob das mit dem Label SF möglich gewesen wäre. Übrigens: Für mich ist »Das Erwachen« einfach ein »Roman«, ohne irgendwelche Etiketten.

dsf: Wir bedanken uns recht herzlich für das Interview!

Brandhorst: Gerne.