Was 60 Jahre alte elektrische Träume uns lehren können
Betrachtet man die zeitgenössische Science Fiction, kann einem angst und bange werden. Nicht, weil diverse Dystopien das Ende der Welt, zumindest aber das des freien Willens oder des physischen Sexualverkehrs vorhersagen. Vielmehr verbirgt sich hinter einer bunten Fassade aus aufwändigen Special Effects häufig – rein gar nichts. Jedenfalls nicht der Grund, wegen dem die SF eine Sonderstellung in Literatur und Medien einnimmt: Das Genre eignet sich mehr als andere, um dem Jetzt den Zerrspiegel vor die Nase zu halten, um soziale Probleme zu extrapolieren oder philosophische Fragen zur Verortung des Menschen im Universum zu stellen.
Kein Wunder, dass Fans heute immer noch uralte Schmöker oder Filme abfeiern, wenn man sie nach den Highlights des Genres fragt: Retro geht immer.
Aber war früher wirklich alles besser? Wohl kaum. Besteigen wir doch eine Zeitmaschine, wahlweise in Form einer blauen Telefonzelle, und reisen Genre-standesgemäß in die Vergangenheit.
Sie haben kein solches Gerät zur Verfügung? Dabei sollte es doch einem Lieferdienst der Zukunft ohne weiteres möglich sein, Ihnen eines zuzustellen, oder? Na, lassen wir das. Den umgekehrten Weg zu nutzen, ist viel leichter, weil jemand freundlicherweise kürzlich einen Haufen Retro-SF in unsere Gegenwart katapultiert hat. Die Rede ist natürlich von »Electric Dreams«, der Anthologie-Serie von Channel 4 und Sony Pictures Television, die unter anderem bei Amazon Prime zu sehen ist. Die Macher haben sich 10 Kurzgeschichten von Genre-Legende Philip K. Dick vorgenommen, die alle Mitte der 50er Jahre entstanden sind, und sie modernisiert. Mister Dick, hinlänglich bekannt als geistiger Vater von Bladerunner oder The Man In The High Castle, hat also keineswegs SUVs, Smartphones oder Twitter vorhergesagt, die in den Episoden durchaus vorkommen. Das ist letztlich eine modernisierte Fassade, hinter der sich allerdings immer humanistische Fragen verbergen und nicht nur die nächste Tüte Popcorn:
Wie erkennen wir eigentlich die »echte« Wirklichkeit, wenn es zwei gibt, die sich beide verdammt real anfühlen? Können, dürfen oder sollten Roboter lügen, um Menschen vor unangenehmen Wahrheiten zu schützen? Und was ist so schlimm daran, Menschen durch Maschinen zu ersetzen, wenn die sich viel menschlicher verhalten als die Menschen selbst?
An solchen Fragen – auf die es freilich ganz unterschiedliche Antworten geben kann – kann sich eine gute Geschichte messen lassen, und in dieser Hinsicht schneiden die 60 Jahre alten Storys von PKD deutlich besser ab als das meiste, was uns heutzutage unter dem Label SF aufgetischt wird.
Das sieht in Buchform nicht viel anders aus: Dicke Wälzer mit Raumschiffen vor einem Sternenhimmel sind nicht selten so leer wie das abgebildete Vakuum, wenn man nach Substanz, Humanismus oder gar Sozialkritik sucht.
Nicht zuletzt deshalb verorten manche Zeitgenossen die SF längst auf dem Müllhaufen der Geschichte – Gebrauchs- oder Wegwerfliteratur. Und: Nein, Raumschiff Enterprise hat nicht das Smartphone in Form des Tricorders vorhergesagt. Allzu groß ist die Ähnlichkeit tatsächlich nicht: Oder können Sie Ihr Handy zu einem Hyperphasenwellenmodulator umbauen, wohlgemerkt ausschließlich unter Verwendung einer zum Lötkolben umfunktionierten Phaserpistole?
Sicher dienen mehr oder weniger verschmitzte Pointen rund um verwirrte Lieferdrohnen und sprechende Autos, mit etwas Glück auch über Psycho-Bots, tschuldigung, Apps zur psychologischen Betreuung, durchaus der Unterhaltung. Kurzgeschichten mit solchen Inhalten findet man zuhauf in einschlägigen Anthologien oder Magazinen (z.B. in EXODUS). Dass die SF an sich viel mehr kann als seichte Pointen, vergessen manche Autoren leider häufig. Auf dem Altar des nächsten Spezialeffekts oder Cliffhangers wird bisweilen sogar jegliche Plausibilität geopfert. Beispiele dafür fallen sicher jedem Fan zur Genüge ein der ST: Discovery nicht durch die Trekker-Brille geschaut hat.
Vielleicht ist nach 60 Jahren dank »Electric Dreams« die Zeit gekommen, erneut hinter der bunten Fassade einer knackigen Geschichte so etwas wie Substanz zu verstecken. Natürlich kann es dabei nicht schaden, Stars wie Geraldine Chaplin, Liam Cunningham und Richard Madden im Cast zu haben. Aber eine gute Story schafft es auch ohne bekannte Schauspieler, im Gedächtnis zu bleiben.
Das zeigen auch Autoren hierzulande, sei es in Form von Romanen (z.B. »Qualityland« von Marc-Uwe Kling), Kurzgeschichten oder youtube-Filmen wie diesem.
SF muss nicht entweder kreischbunt oder intelligent sein. Es geht auch beides gleichzeitig.
Das ist der Traum von Philip K. Dick und auch der meiner Wenigkeit.