Game-Test: “Surviving Mars”

Habt ihr auch den Eindruck, als wäre der erste bemannte Flug zum Mars das “nächste große Ding” der Menschheit? Seit dem Film “Der Marsianer” wirkt das gar nicht mehr so weit weg. Da wundert es nicht, wenn sich einer der großen Macher von Strategiespielen – Paradox Interactive – auf das Thema stürzt und ein Aufbauspiel herausbringt, das uns in die gar nicht so ferne Zukunft befördert, um den Mars tatsächlich zu besiedeln. Genau darum geht es in “Surviving Mars”.

Wenn unsere erste Rakete auf dem roten Planeten landet, hat sie nicht viel dabei: Rohstoffe, ein paar Rover, die wir steuern können, sowie Drohnen, die die Arbeit übernehmen. Noch keine Kolonisten, wohlgemerkt. Als erstes bauen wir eine Energieversorgung auf: Mit Windrädern oder Solargeneratoren, die nachts keinen Strom liefern und mit Akkumulatoren, um bei Tageslicht gewonnene Energie für die Nacht zu puffern. Wir lassen die Drohnen Erdkabel verlegen, um beispielsweise eine Betonfabrik mit Energie zu versorgen, oder eine Eisen-Mine. Gleichzeitig scannt eine Sonde im Orbit die Umgebung auf der Suche nach weiteren Ressourcen oder Anomalien, die der Aufklärungs-Rover untersuchen darf.

Die Drohnen sind eifrig damit beschäftigt, Rohstoffe (kleine Würfel) zu transportieren oder Infrastruktur zu warten. Das klappt zum Glück weitgehend automatisch. Man kann sich ja nicht um alles kümmern, schließlich wollen Wasser und Sauerstoff erschlossen werden, die mit Rohren zu einer Habitat-Kuppel gelangen. Dort sollen die ersten Kolonisten leben. Die beordern wir mit einer Passagierrakete zum Mars, wobei wir auswählen können, welche Altersstufen oder Expertisen wir brauchen – und welche Nachteile sie lieber nicht haben sollten. Denn auch Idioten, Faulenzer, Gamer, Trinker, Senioren, Veganer und sogar Hypochonder wollen in die Raketen steigen, aber nicht alle kann man gebrauchen. Übrigens können Raketen, wenn sie betankt werden, wieder zurück zur Erde fliegen – anfangs meist leer, später mit Kolonisten, die das Heimweh gepackt hat. Das ist wichtig, denn der Fuhrpark an Raketen ist begrenzt, und zusätzliche teuer.

Bemerkenswert am Spiel ist die Liebe zum Detail. Die findet sich nicht nur in der feinen Simulation der Bedürfnisse und Psyche jedes einzelnen Kolonisten, sondern auch in der Grafik. Man kann extrem tief zoomen und sieht im wahrsten Sinne des Wortes den Marsstaub auf den Anlagen, die längere Zeit nicht gereinigt wurden, oder auf Rovern, die man eine Weile an einer Stelle geparkt hat.

Anfangs hat man viel Zeit, die Kolonie aufzubauen. Das ist auch gut so, denn es gibt kein nennenswertes Tutorial, und man muss sich erstmal zurechtfinden. Menüs und Bedienung sind aber logisch aufgebaut, und man kann die Uhr jederzeit stoppen (oder schneller laufen lassen).

Manchmal kann man einfach eine Weile seinen Sims bei ihrem Tagewerk zuschauen, etwa wenn sie in die Bar gehen, um sich von ihrer anstrengenden Arbeit zu erholen. Die Bauwerke sind dabei erfreulicherweise deutlich kreativer gestaltet als in jenen zahllosen Gratis-Aufbauspielen auf Smartphones, die hauptsächlich das Ziel haben, dem Spieler Geld für das Beschleunigen der Baustellen aus der Tasche zu ziehen. Beispielsweise fahren Gäste der Bar in ihren Sesseln in die Höhe, um sich einen Drink zu genehmigen – hoffentlich haben sie Anschnallgurte, sonst kommen die Dinger nie durch den TÜV.

Neue Bauwerke lassen sich über einen mehrgleisigen Forschungsbaum freischalten, bei dem wohlgemerkt immer nur die nächste Entdeckung der jeweiligen Disziplin sichtbar ist. Bei einem Zukunftsspiel durchaus glaubwürdig, während man bei einem historischen Spiel wie Civilization natürlich schon im voraus weiß, dass irgendwann Schrift, Theater und Atombombe erfunden werden.

Wenn sich die Siedlung vergrößert, führt bisweilen kein Weg an Umbauten vorbei – natürlich lassen sich nicht mehr benötigte Einrichtungen (wie der stillgelegte Drohnen-Hub im Bild oben) abreißen und recyceln. Das Management der Kolonie wird immer komplizierter, und spätestens wenn ein Kabel ausfällt oder ein Wasserrohr bricht, wird man nervös und hat Angst um seine Kolonisten, bis endlich eine Drohne auftaucht, um den Schaden zu reparieren.

Irgendwann wird dann das erste Marsbaby geboren (es heißt Marvin – eine der vielen witzigen Genre-Referenzen im Spiel), womit man eine der zahlreichen Steam-Errungenschaften freischaltet. Der härteste Gegner im Spiel ist tatsächlich der Mars, darauf weist ja schon der Titel hin. Es gibt Naturkatastrophen wie Stürme oder Meteoritenschauer, die es zu überleben gilt (im Bild unten war’s echt knapp für unseren Aufklärungs-Rover).

Tatsächlich ist dies der einzige Nachteil des Spiels: Es gibt keine echten Gegner, keine Konkurrenz-Kolonie, keinen Multiplayer-Modus, die Handlung wird nicht durch eine Geschichte vorangetrieben – man schreibt diese Geschichte selbst. Wenn ein Meteorit wichtige Infrastruktur trifft, fühlt man sich vom Pech verfolgt, denn was hätte man dagegen tun können? Die Lust am (Wieder)Aufbau hält uns bei der Stange.

Erst nach langer Spielzeit kommt ein mysteriöses marsianisches Geheimnis hinzu, das es zu lüften gilt. So weit werden viele Spieler womöglich gar nicht kommen, weil sie sich zuvor im Mikromanagement ihrer Kolonie verzettelt haben. Denn wer den Mars überleben will, braucht auf jeden Fall: Geduld. An einer Mission kann man tage- oder wochenlang knobeln.

Dementsprechend fällt der zweite Nachteil des Spiels kaum ins Gewicht: Die geringe Motivation für eine zweite, dritte, vierte Runde von Beginn an. Denn die verläuft – abgesehen von wählbaren Anfangsbedingungen, die mehr oder weniger bloß Schwierigkeitsgrad bestimmen – sehr ähnlich.

Letztlich aber erwartet den Fan von detaillierten Echtzeit-Simulations- und Strategiespielen mit “Surviving Mars” ein komplexes, fein abgestimmtes und liebevoll präsentiertes Abenteuer auf dem roten Planeten, in das man guten Gewissens viele Stunden stecken kann, um den Mars für die Menschheit zu erobern.

Die deutsche Übersetzung ist in Ordnung. Lediglich die Stimme der Beraterin ist noch Englisch, aber da sie im Grunde nur die Textmeldungen vorliest (die wiederum auf deutsch auf dem Schirm erscheinen), ist das kein Problem. Hervorzuheben ist zuletzt der Soundtrack, der aus umschaltbaren, unterschiedlichen Radiostationen besteht.

Von uns gibt es eine klare Empfehlung: “Surviving Mars” ist ein sehr gut gemachtes, anspruchsvolles SF-Strategiespiel!

Erhältlich u.a. auf Steam

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