Interview mit Michael Marrak

Michael Marrak, bekannt für seine innovativen SF-Romane wie z. B. Lord Gamma, legt nun die Story für ein neues Computerspiel vor, die es auch in Romanform gibt: Black Prophecy (erster Band: Gambit). Ich habe ihm einige Fragen hierzu gestellt …

Zunächst die obligatorische Frage: Wie kamst du auf die Idee, die Backgroundstory zu einem Computerspiel zu verfassen? Zuviel Wii gezockt?

Im Gegenteil, zumal es die Konsole Anfang 2005 noch gar nicht gab. Ich erhielt damals eine Mail des Entwicklerstudios. Man wollte wissen, ob ich Interesse hätte, das Universum für ein SF-Computerspiel zu entwerfen und die Story dafür zu schreiben. Zu dieser Zeit wohnte ich kaum dreißig Kilometer entfernt von Hannover, dem Sitz des Entwicklerstudios, also sozusagen vor der Haustür. Zudem hatte ich damals gerade einen Roman beendet, in dem ich meinen Protagonisten über 600 Seiten durch eine Nanobot-Hölle scheuchte. Die Aussicht auf eine Space Opera bot eine willkommene Genre-Abwechslung und zugleich die Chance, Neuland zu betreten. Vor allem aber war es spannend, live mitzuerleben, wie ein Computerspiel entsteht, mit allen Höhen und Tiefen. Es ist für einen Autor nicht alltäglich Zeuge zu werden, wie seine Texte sich nach und nach in ein fast schon cineastisches Erlebnis verwandeln – und das in einer Qualität, für die vor 20 Jahren jeder SF-Regisseur wahrscheinlich seine Großmutter verkauft hätte.

Wie viel Mitspieler hat Black Prophecy eigentlich momentan?

Da fragst du leider den Falschen. Die genauen Zahlen – vor einigen Monaten kam ja der US-Markt hinzu – kennt wahrscheinlich nur das Product Management bei gamigo.

Ich habe mir die Online-Infos zum Buch angeschaut und auch die Leseproben angelesen. Klingt alles sehr gut, dein Schreibstil ist wie immer fantastisch. Was ist das Neue, auf das sich deine Leser bei Black Prophecy / Gambit freuen dürfen? Ich meine, eine Space Opera zu schreiben ist ja Neuland für dich …

Zumindest in Sachen Romane. Einige in Space-Opera-Gefilden angesiedelte Kurzgeschichten waren bereits Mitte/Ende der 1990er-Jahre entstanden und teils im Magazin „Alien Contact“ veröffentlicht worden, von denen vor allem ASTROSAPIENS (1998) auch in GAMBIT eine tragende Rolle spielt.

Ohne die jahrelange Arbeit für BLACK PROPHECY hätte ich wahrscheinlich nie damit begonnen, eine Space Opera zu schreiben. Die Herausforderung, eine komplexe Zukunftswelt – oder besser gesagt: eine Zukunftsgalaxie – zu entwerfen, erschien mir lange Zeit zu groß. Überraschenderweise war der Entwurfs- und Schreibprozess schließlich weitaus weniger kompliziert als befürchtet. Viele Passagen, die auf Raumschiffen und Raumstationen spielen, hatten mich beim Schreiben an die Bunkerwelten in LORD GAMMA erinnert, was ausschlaggebend dafür war, dass das Schreiben nicht nur leicht von der Hand ging, sondern auch großen Spaß machte. Alle drei Lokalitäten bilden hermetisch von der Außenwelt abgeschirmte Habitate, die nur über Schleusen verlassen werden können. Zudem teilt die Figur des Jerome diverse Charaktereigenschaften mit Stan Ternasky, dem Protagonisten aus LORD GAMMA, wie auch Abhazia vieles mit Prill gemeinsam hat. Abgesehen davon waren fünf Jahre Storyentwicklung mehr als ausreichend, um ein in sich schlüssiges Zukunftsszenario zu entwickeln.

Black Prophecy

Der Titel GAMBIT ist im Grunde Programm, wobei der Begriff nicht allen Lesern geläufig sein dürfte. Als „Gambit“ bezeichnet man die Eröffnung eines Schachspiels, in deren Verlauf dem Gegner einige Figuren geopfert werden, um sich dadurch eine strategisch günstige und schlagkräftige Ausgangssituation zu verschaffen. Dementsprechend stellt auch der Roman eine Eröffnung dar; eine Ouvertüre dessen, was noch folgt.

In Black Prophecy gibt es verschiedene Arten von Menschen: die kybernetischen Tyi und die biogenetischen Geniden zum Beispiel. Was ist das Besondere an ihnen? Kannst du uns einen kurzen Einblick in Lebenswelt und -weise dieser Menschen geben? Und welche Arten gibt es noch?

In den Romanen jedenfalls mehr als im Spiel. Das hat bereits für Verwirrung gesorgt bzw. zu Missverständnissen geführt, da einige Leser und Rezensenten die auf der neu erschlossenen Koloniewelt Triamon beheimatete Rasse der Arbu für die „finsteren“ Außerirdischen hielten. Das ist jedoch ein Trugschluss. Die so genannten „Restauratoren“ haben ihren Auftritt erst in Band 2. Mit den wurmartigen, auf Triamon heimischen Kreaturen, die in Band 1 ihr Unwesen treiben, hat es etwas ganz anderes auf sich.

Außer Tyi, Geniden und Sapiens existieren im BP-Universum noch diverse Organisationen wie die Jadd Baran, die Kirche der Bewahrer, die Andronische Garde oder das Cephalon.

Die Geniden wurden gezüchtet, um den menschlichen Körper zu optimieren und den spezifischen und oft lebensfeindlichen Umweltbedingungen fremder Welten anzupassen. Sie haben sich gänzlich den Möglichkeiten der Biogenese verschrieben, besitzen eine rasche Wundheilung und sind resistent gegen viele Krankheiten. Ihr Streben nach Unabhängigkeit entfachte auf der Kolonie Sabiador einst den ersten Art-Krieg.

Daneben existiert eine weitere biogenetische Lebensform, die nur in den Romanen in Erscheinung tritt: die sogenannten Neomorphe. Bei ihnen handelt es sich um eine von den Sapiens erschaffene Unterspezies der Geniden, die einst als Terraforming-Elite erschaffen wurde. Heute stehen sie auf der Abschussliste der Geniden und sind nahezu ausgerottet.

Eine weitere Instanz ist das Cephalon, eine Art Geheimrat, dessen Mitglieder im Spiel zwar als ominöse Auftraggeber agieren, aber physisch nie in Erscheinung treten. Man bekommt es nur mit ihren Vermittlern zu tun. In den Romanen hingegen besitzen sie eine tragende Rolle, und man erfährt viel über den Fluch und Segen ihrer Krankheit, die sie zu dem macht, was sie sind: Kreaturen mit enormen PSI-Fähigkeiten, deren Lebenserwartung aufgrund ihrer unkontrolliert wuchernden Parasitenhirne sehr begrenzt ist.

Die Tyi bilden neben den Geniden die zweite Übermenschen-Spezies. Im Gegensatz zu ihren genetisch veränderten Erzfeinden haben sie ihre Körper komplett der Kybernetik verschrieben. Tyi-Protektoren besitzen übermenschliche Kräfte, sind strahlenresistent, verfügen über unabhängige Blutkreisläufe und Zusatzorgane. Ihr Name ist ein Akronym der Bezeichnung „Tactical Yeomen Inhabitants“. Die meisten Tyi sind auf den ersten Blick kaum von „normalen“ Menschen zu unterscheiden, da sie endogene Implantate tragen.

Die Jadd Baran hingegen sind eine militante Splittergruppe der Sapiens mit einem wahnhaften Hass auf beide Superior-Spezies. Sie feierten ihre Gründung in den Unruhen des ersten Art-Krieges auf Sabiador und erweiterten ihren Aktionsradius nach der Diskriminierung der Sapiens auf so drastische Art und Weise, dass sie von der Kirche der Bewahrer geächtet wurden.

Einen bedeutenden Anteil im Black Prophecy-Universums besitzen KIs, Drohnen und Androiden. Letztere bilden die Belegschaft des freien Medienkonzerns Stellarvox Veritas und haben zudem wichtige Ämter in den Reihen der Uranir-Bewahrer inne.

Die Andronische Garde hingegen wurde als Reaktion auf die zunehmenden Jadd Baran-Attentate auf der Koloniewelt Nara ins Leben gerufen. Sie erfüllt eine Art Wach- und Verteidigungsfunktion der höchsten Kirchenwürdenträger sowie des Uranir-Schutztempels auf Tarras.

Es werden sowohl im Spiel als auch in den Romanen noch zwei weitere Spezies in Erscheinung treten, doch momentan ist es noch zu früh, um etwas über sie zu verraten.

Eine der Grundideen für Black Prophecy ist der Aufbruch der Humanoiden in ein Gebiet des Universums, wo eine absolutistische Rasse regiert. Welche Konflikte gibt es da? Kannst du uns schon Näheres verraten?

„Regiert“ ist das falsche Wort. „Wacht“ trifft es besser. Diese Spezies besitzt keinen Herrschaftsanspruch und hat im Grunde auch nichts gegen fremde Rassen – solange diese sich dort aufhalten, wohin sie deren Meinung nach gehören: auf ihre jeweiligen Heimatplaneten. Sobald sie jedoch mit interstellarer Raumfahrt beginnen, Ambitionen auf die Kolonisierung fremder Planeten hegen und „unkontrolliert“ zu expandieren beginnen, wird es problematisch …

Ich könnte nun seitenweise über die Geheimnisse und Dogmen dieser geheimnisvollen Rasse plaudern, aber damit würde ich einen General-Plot verraten, und zwar nicht nur die Romane betreffend, sondern auch in Bezug auf das Spiel und die geplanten AddOns. Daher muss ich einen Großteil der Frage(n) noch unbeantwortet lassen. Irgendwann in den kommenden Wochen (Mitte/Ende November) wird es auf der Black Prophecy-Homepage jedoch ein umfangreiches Special zu den sogenannten „Restauratoren“ geben, in dem allen interessierten Spielern und Lesern endlich auch die „andere Seite“ und ihre Timeline vorgestellt werden. Ich habe es zwar schon verfasst, aber es muss noch übersetzt werden. Sobald es soweit ist, gebe ich Bescheid.

Wird es eigentlich viele Kampfszenen geben (die im Game ja durch detailreiche Raumschiffschlachten repräsentiert werden) oder werden Konflikte auch diplomatisch gelöst?

Die zahllosen Gefechte und Schlachten im Spiel sind ein reines Gameplay-Motivationselement. Ohne diese Herausforderungen gäbe es kaum einen Anreiz, Missionen zu spielen, und das Etikett „Action-MMO“ würde ad absurdum geführt werden. GAMBIT ist bodenständiger und insofern auch realistischer – falls man letzteres von einer Story, die über 500 Jahre in der Zukunft angesiedelt ist, überhaupt behaupten kann. Die Geschehnisse im Buch und im Spiel sind zwar relativ identisch, aber man erlebt sie im Roman aus einem ganz anderen Blickwinkel. Alles ist facettenreicher. Der Leser erfährt mehr über die Hintergründe und Zusammenhänge. GAMBIT gestaltet die Kulisse, etabliert das Universum und steckt die Fronten ab. Am Ende haben alle Protagonisten Stellung bezogen und befinden sich in ihren Ausgangspositionen, bereit für das, was folgen wird. Im zweiten Roman wird es heißer her gehen, da zum ersten Mal auch die sogenannten „Restauratoren“ auftauchen werden und keine historischen Rückblenden mehr nötig sind.

Wie würdest du einem eifrigen Black Prophecy Spieler deine Romane schmackhaft machen?

Lies sie. Sie werden dir gefallen. Es ist alles drin, was dir schadet und deinen Charakter versaut …

Ernsthaft: „Eifrige Gamer“ sind nicht unbedingt als Leseratten bekannt. Es wäre großartig, wenn der Roman dennoch einige von ihnen aus dem Elfenbeinturm lockt und zum Schmökern animiert. Ich persönlich halte – optimistisch betrachtet – einen Leseranteil von einem, höchstens zwei Prozent der deutschsprachigen Spieler für realistisch. Zumindest von jenen, die das gedruckte Buch kaufen, nicht das eBook. Die Zielgruppe für letzteres kann ich überhaupt nicht einschätzen.

Gibt es im Roman besondere Elemente, die im Spiel fehlen? Ist die Storyline tiefgründiger?

Sowohl als auch. Alles sieht etwas anders aus, alles ist ein wenig komplexer, und diverse Zusammenhänge und Plots unterscheiden sich von denen des Spiels. Selbstverständlich ist auch die Story tiefgründiger, und auf Triamon existiert eine Alien-Rasse, die im Spiel nicht vorkommt. Letzteres bietet schöne Bilder und die Action, die Romane weben den intellektuellen Hintergrund.

Wirst du in den nächsten Jahren ausschließlich mit Black Prophecy beschäftigt sein oder gibt es auch andere Projekte?

Zumindest was das SF-Genre betrifft. Das hängt im Wesentlichen von den GAMBIT-Verkaufszahlen und dem Erfolg des Spiels ab. Ist alles im grünen Bereich, werde ich spätestens ab Oktober an Band 2 weiter schreiben. Daneben gibt es einige „reguläre“, verschleppte Romanprojekte, die durch die Arbeit für das Spiel und den privaten Trubel zwischen 2008 und 2010 leider ins Hintertreffen geraten sind. Dazu zählen zwei Dark-Fantasy- bzw. Horror-Romane, die jeweils zu etwa 75% vollendet sind und von den betreffenden Verlagen ohne Deadline erwartet werden, aber natürlich stehen auch die restlichen AION-Bände noch auf der Agenda.

Vielen Dank für das Interview!

Gern geschehen, und danke für das Interesse.

Bitte hier weitersurfen:

Michael Marraks offizielle Gambit-Homepage

Black Prophecy Website

Michael Marrak