Huan Vu ist Mitbegründer des “Neuen Deutschen Genrefilms”, einer Gesellschaft, die es sich zum Ziel gesetzt hat … aber nehmen wir Herrn Vu nicht das Wort aus dem Mund!
Was ist der „Neue Deutsche Genrefilm“? Wer macht da mit?
Wir sind Filmemacher aus dem deutschsprachigen Raum, die Genrefilme machen. „Im „Neuen Deutschen Genrefilm“ haben wir eine Plattform geschaffen, um unsere Interessen und Kräfte zu bündeln, den Wunsch nach deutschen Genrefilmen stärker nach draußen zu tragen und damit eine Gemeinschaft zu schaffen, die zu einem neuen Bewusstsein und auch neuen Möglichkeiten für Genrefilme hierzulande führen kann.
Zur Gruppe gehören z.B. im Bereich Langfilm Regisseure großer Kinoproduktionen wie “Die vierte Macht” (Dennis Gansel, 2012), “Hell” (Tim Fehlbaum, 2011), “Urban Explorer” (Andy Fetscher, 2011) und “Zimmer 205” (Rainer Matsutani, 2011), Kino-TV-Koproduktionen wie “Schreie der Vergessenen” (Lars Henning Jung, PRO7, 2011), “Transfer” (Damir Lukacevic, ZDF/ARTE, 2010), “Du hast es versprochen” (Alexandra Schmidt, ZDF, 2012) oder “Rammbock” (Marvin Kren, ZDF, 2010) sowie Independentproduktionen wie “Bela Kiss: Prologue” (Lucien Förstner, 2013) oder “Lost Place 3D” (Thorsten Klein, 2013).
Dazu kommen viele weitere, oft junge, engagierte Regisseure, Produzenten, Drehbuchautoren usw., deren Herz für Genrefilme schlägt und die heiß darauf sind, das deutschsprachige Kino aus seinem Dämmerzustand zu reißen. Derzeit haben sich im „Neuen Deutschen Genrefilm“ über 100 Filmemacher zusammengefunden, und weitere stoßen ständig zu uns.
Wie kam euch die Idee dazu?
Ich traf im vergangenen Jahr auf mehreren Festivals auf Andreas Marschall, da sein Giallo-Horrorfilm “Masks” (2011) etwa zur gleichen Zeit um die Welt ging wie meine H.P. Lovecraft-Verfilmung “Die Farbe” (2010). Der Zuspruch, den unsere beiden Filme bekamen, teils auch die schiere Verblüffung, dass solche Filme aus Deutschland kamen, hat dazu geführt, dass wir uns vornahmen, die hiesigen Genrefilme-Macher und -Fans stärker zu vernetzen, um eine Lanze für den deutschen Genrefilm zu brechen, der ja seit Jahrzehnten kaum Beachtung und Entfaltung findet.
Welche Ziele habt ihr euch gesetzt?
Es ist unser Ziel, die Akzeptanz und Qualität in das deutschsprachige Genrekino zurückzubringen. Publikum, Filmemacher und Filmbranche wieder stärker dafür zu begeistern und die Formate auch hierzulande weiterzuentwickeln. Die Bewegung versteht sich als eine offene Gruppe, die jeden am deutschen Genrefilm Interessierten einlädt, sich ihr anzuschließen, um gemeinsam den in Repetition und Stagnation verharrenden deutschen Film mit neuen, herausfordernden Visionen und Formaten zu bereichern. Gerade auch zu hiesigen SF-Fantasy-Horror-Schriftstellern, Spieleherstellern und Comic-Artists suchen wir da den Austausch und Schulterschluss.
Zum einen möchten wir allen Interessierten die Möglichkeit geben, sich einen Überblick über die Vielfalt an deutschen Genrefilmen in der jüngsten Zeit verschaffen. Ebenso möchten wir auch die kommenden, spannenden Filmprojekte sichtbar machen und die kreativen Köpfe hinter all diesen Unternehmungen vorstellen.
Dann ist es uns wichtig, diverse filmpolitische und gesellschaftskulturelle Themen zu verbalisieren und in die Öffentlichkeit zu tragen, wie z.B. die deutsche Tradition der Phantastikfeindlichkeit. Unter ihrem Einfluss wird teils bis heute gerne die (in Deutschland lange Zeit kaum existente) Comic-Kunst und Science-Fiction- sowie Fantasy-Literatur als minderwertig und irrelevant abgetan. Während der politischen Umwälzungen der 60er und 70er Jahre wurde zum Beispiel die TV-Serie “Raumpatrouille” (1965) unter Verkennung der politischen Vorzeichen als faschistoid verleumdet, ebenso J.R.R. Tolkiens “Der Herr der Ringe”.
Wie sieht es mit der Finanzierung aus? Bekommt ihr Fördermittel? Wenn ja: von wem?
Bisher bestehen noch keine festeren Strukturen, alles basiert auf ehrenamtlichem Engagement. Auch die zweite Genrenale befindet sich erst in der frühen Planung., von daher steht die Finanzierungsfrage noch im Raum.
Was ist die „Genrenale“ und was wird damit bezweckt?
Die Genrenale soll als Festival des Neuen Deutschen Genrefilms ausgewählte Lang- und Kurzfilme präsentieren, welche …
Welche „Erfolgsgeschichten“ gibt es bereits zu berichten?
Die erste Genrenale, die am 13.2. als Alternativ-Veranstaltung während der Berlinale stattfand, erhielt sehr viel Zuspruch: Der Kinosaal war voll besetzt, und es gab eine Warteliste für diejenigen, die kein Ticket mehr ergattern konnten. Gezeigt wurden Kurzfilme und Trailer aktueller und kommender Spielfilme. Für die beiden Organisatoren Regisseur Krystof Zlatnik (Endzeit-MartialArts-Projekt “Land of Giants”) und Produzent Paul Andexel (Stephen-King-Verfilmung “You Missed Sonja”) war es ein voller Erfolg und sehr motivierend für kommende Projekte und die nächste Genrenale.
Wollt ihr mit eurem Projekt auch das deutsche Independent-Kino neu beleben? Nach dem Motto: kleines Familienkino mit Stil statt Multiplex?
Unsere Gruppe ist breit gefächert und daher lautet die Antwort: definitiv beides. Einige von uns arbeiten an größeren Filmproduktionen, andere neigen eher zu Independentprojekten. Teilweise hängt das aber auch einfach am Stoff: Manche Geschichten sind sehr speziell und richten sich bewusst an ein kleineres Kernpublikum und sind somit auch nicht im großen Stil finanzierbar. Zumindest jedenfalls nicht im aktuell vorherrschenden Zustand der deutschen Filmbranche.
Das Problem bei SF-Produktionen ist ja oft, dass die Mittel zu knapp sind für die aufwändigen Effekte und Bearbeitungen. Was ratet ihr da euren Mitgliedern? Gibt es Hilfe, Kontakte?
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass dies nicht zwingend am Geld liegt, sondern eher am geringen Willen und dem geringen Selbstvertrauen in der Branche. Science Fiction muss nicht automatisch teuer sein, man kann auch schon mit geringen Mitteln sehr viel erreichen. Zwar keine großen Weltraumschlachten, aber Visionen der näheren oder ferneren Zukunft sind mit etwas Kreativität und Improvisationstalent durchaus realisierbar: “Transfer” (2010) von Damir Lukacevic ist hier sicher ein gutes Beispiel, oder auch Krystof Zlatniks Kurzfilme “Das Leuchten” und “Lys” sowie “Lichtjahre” von Florian Knittel.
Ein Kinofilm wie “Moon” oder “Source Code” (beide von Duncan Jones aus Großbritannien) wäre in Deutschland ohne weiteres auch vorstellbar.
Deutschland ist de facto eines der reichsten Länder der Welt. Film wird jedoch von vielen Privatpersonen und Kapitalgebern nicht als Investitionsgut betrachtet, da im Gegensatz zu den USA sehr oft der Erfolg ausblieb. Daher die Schockstarre, in der sich der deutsche Film in diesem Segment befindet. Es fehlen die Zuschauer, die sich längst abgewendet haben, mehrere Generationen sind verloren gegangen – und es fehlt der Mut Neues zu wagen, oder überhaupt mal etwas zu wagen.
Beides muss sich ändern. Das Publikum muss solche Filme einfordern – und die Entscheider und Geldgeber in der Filmindustrie müssen sich für solche Stoffe öffnen. Nur so kann das Ganze wieder anlaufen.
Tauschen sich eure Mitglieder untereinander aus und helfen einander?
Ja, das ist das Wichtigste für uns. Dass wir nicht mehr nur als Einzelkämpfer am jeweils eigenen Projekt werkeln, sondern gegenseitig Ratschläge und Tipps geben. Ob es nun geeignete Drehorte sind, empfehlenswerte Schauspieler oder Unterstützung bei der Stoffentwicklung und dem Drehbuch. Wir hoffen, dass wir dadurch auch langfristig die Qualität unserer Filme steigern können.
Was ist eurer Meinung nach das größte Problem bei deutschen Genrefilmen? Warum schauen alle nach Hollywood statt nach Babelsberg?
Da hat sicher jeder in der Gruppe seine eigene Antwort.
Ich erkläre mir das ganze primär durch die deutsche Kultur und Historie. Nach dem Ende der goldenen 20er Jahre sind große Talente vor den Nationalsozialisten geflohen und nicht wiedergekehrt. Im Dritten Reich waren phantastische Themen so gut wie verboten, alles hatte sich den realen politischen Zielen unterzuordnen. Bis auf einige wenige bizarre Versuche in Sachen faschistischer Science-Fiction (z.B. Zukunftsvision einer jüdischen Weltregierung als Endzeitstoff), die auch bald abgestellt wurden, wuchs hierzulande nichts mehr, was mit Phantasie zu tun hatte.
Die Generation danach, die sich gegen die faschistische Vergangenheit ihrer eigenen Eltern auflehnte, setzte diese Haltung tragischerweise fort: Auch sie war davon bestimmt, schwer realitätsgebunden und politisch aufgeladen zu agitieren. Platz für Visionen und Phantastereien war da selten, die Angst vor Manipulation, Verführung und Illusion, die fester Bestandteil von Genrefilmen sind, ist enorm. Bezeichnend ist z.B., dass besagter “Herr der Ringe” bei den US-amerikanischen Hippies zum Kultroman wurde – von den europäischen 68ern kann man dagegen selbiges nicht gerade behaupten.
Aufgrund dieser klaffenden Lücke – von den 30ern bis in die 80er hinein – ist man leicht dazu verführt, sich am Ausland zu orientieren, insbesondere Hollywood. Denn dort ist die Entwicklung weitergegangen, dort befindet man sich auf der Höhe der Zeit.
Grundsätzlich ist daran nichts Falsches zu finden. Auch ein moderner Musiker orientiert sich ja lieber an den Beatles als an Heino. Von den Besten lässt sich sehr gut lernen. “Metropolis” (1927) ist schlicht zu lange her, als dass wir uns heute daran orientieren könnten – aufgewachsen sind viele von uns nun mal eher mit “Krieg der Sterne”, “Star Trek”, “Alien” und “Blade Runner”.
Man muss jedoch aufpassen, dass man nicht immer nur den Trends hinterherläuft und immer nur 1:1 kopiert. Denn das Publikum ist ja nicht dumm. Letztlich muss es also auch darum gehen, eine eigene Stimme zu entwickeln und Themen auf eine andere Art und Weise zu behandeln, neue Stoffe und Erzählformen zu entwickeln.
Ist für die Zukunft eine Kooperation mit Hollywood und europäischen Filmmetropolen geplant? Auch Filmemacher und –produzenten wie Roland Emmerich oder Arnold Schwarzenegger kommen ja schließlich aus dem deutschsprachigen Raum …?
Roland Emmerich hat zuletzt Tim Fehlbaums Endzeit-Thriller “Hell” koproduziert, wir hoffen also, dass er auch weiterhin mit einem Auge in die Heimat schielt und eventuell weitere Projekte unterstützt. Das ist nämlich etwas, was in Deutschland bislang fehlte: Dass ein erfolgreicher, unabhängiger Genrefilm-Regisseur und Produzent Nachwuchsförderung betreibt. Guillermo Del Toro (“Pans Labyrinth”, “Hellboy”) ist z.B. im spanischsprachigen Raum bekannt dafür – ohne ihn hätte es weder “Das Waisenhaus” gegeben noch aktuell in den US-Kinos “Mama”.
Abgesehen davon muss man heutzutage natürlich den internationalen Markt im Hinterkopf behalten, insofern überrascht es nicht, dass viele von uns sich dazu entschließen, auf Englisch zu drehen, um somit auch nach ausländischen Koproduzenten Ausschau halten zu können.
Welches Sciencefiction-Buch würdest du selbst am liebsten verfilmen (lassen)?
Eigentlich ein Sakrileg, aber da “Akira” mein Lieblingsfilm ist, wäre es natürlich die absolute Krönung, eine Spielfilm-Neuverfilmung des japanischen Mangas machen zu dürfen. Zum Glück ist jedoch bisher auch Hollywood nach mehreren Anläufen daran gescheitert, sowohl inhaltlich als auch finanziell – ist vermutlich auch besser so.
Ansonsten komme ich ja aus der “Warhammer 40.000”-Ecke, mein erster Langfilm war der vom Schicksal schwer gebeutelte Fanfilm “Damnatus”, den ich 2007 fertiggestellt habe und der noch keinen professionellen Ansprüchen gerecht wurde, aber bei vielen Fans trotz aller Widrigkeiten recht gut ankam. Es würde mich sehr reizen, noch einmal in dieses SciFi-Gothic-Universum zurückzukehren und mit heutigen Kenntnissen und Fähigkeiten mehr daraus zu machen als mir damals möglich war. Nach den damaligen Dreharbeiten habe ich die “Eisenhorn”-Romanreihe von Dan Abnett gelesen – diese zu verfilmen wäre absolut phantastisch.
Aus dem deutschsprachigen Raum sind es weniger konkrete Bücher als zwei Welten, die mich auch sehr reizen würden: Die “Shadowrun”-Rollenspielwelt hat einige sehr interessante Aspekte, aus denen man sehr viel machen könnte, und um “Perry Rhodan” kommt man natürlich hierzulande nicht herum. Ich habe das damalige Filmprojekt ein wenig mitverfolgt, und auch, wie die Lizenzbesitzer ein Fanfilmprojekt eines Freundes einstampfen ließen (dasselbe sollte ironischerweise ja dann leider auch später mir mit “DAMNATUS” passieren). Es ist ziemlich absurd, dass bis heute nichts aus dieser starken Vorlage gemacht worden ist. “Perry Rhodan” ist weltweit eine Kultfigur und noch immer noch gibt es keinen adäquaten Film dazu. Aber naja, mit “Warhammer 40.000” ist es ja genauso …
Schönen Dank für deine Antworten!