Kategorie: Rezensionen

Rezension: “Versuchsreihe 13” von Uwe Hermann

Wer die Kurzgeschichten von Uwe Hermann kennt, wird sich vielleicht verblüfft die Augen reiben: Ein Zombie-Thriller?!?

Tatsächlich kommt Humor in diesem Roman bestenfalls am Rande vor. Aber das liegt in der Natur der Sache, wenn halb Hamburg von Nanorobotern bevölkert wird. Oder, besser gesagt: Hamburgs Bewohner.

In “Versuchsreihe 13 – Die Epidemie” hat eine Firma Nanobots entwickelt, die einen Menschen kurzzeitig wiederbeleben können – sehr praktisch, wenn es etwa darum geht, ein Mordopfer nach dem Täter zu fragen. Allerdings dreht sich die eigentliche Geschichte um eine ganz bestimmte Sorte dieser Nanobots: Solche nämlich, die einen Menschen permanent wiederbeleben können. Bis sie – ähnlich Mutationen – immer mehr Fehler in die Nachfolgegeneration einbauen und den Träger letztlich zu einer Art Zombie werden lassen. Dagegen hilft nur die Originalversion der Bots, ebenjene “Versuchsreihe 13”, und die befindet sich nur im Körper von Florian Richter, dem ehemaligen Leiter des Reanimierungsteams der Kripo Hamburg. “Ehemalig”, denn auch Richter ist längst tot. Eine tote Hauptfigur ist schon einmal eine tolle Sache, und wenn dann auch noch diverse Interessenten an seinen Nanobots hinter ihm her sind, sind Tempo und Spannung garantiert.

Geschickt flechtet der Autor ein Netzwerk an Beziehungen zwischen den vielen Handlungsträgern. Bisweilen blendet die Erzählung um zu einem völlig unerwarteten Schauplatz, um ein Einzelschicksal zu schildern – aber Sie können sich darauf verlassen, dass das nicht ohne Grund geschieht.

Uwe Hermann hat einen rasanten Roman vorgelegt, der vor allem in der zweiten Hälfte nochmal eine Schippe drauflegt, und abgesehen von heftigen Explosionen und erstaunlichen Wendungen auch einfühlsam die menschliche Seite des Dramas zeigt. Dabei bleibt die Geschichte deutlich plausibler als durchschnittliches Action-Kino – und drängt sich durch das gelungene Lokalkolorit zur Verfilmung förmlich auf.

 

 

Unterhaltung:

Anspruch:

Originalität:

 

Atlantis Verlag, 370 Seiten, 14,90, auch als E-Book erhältlich

Rezension: Paul Lung – Das Eden-Projekt

Klappentext:

Der freiberufliche IT-Techniker Ilay Gador ist ein Eigenbrötler aber einer der Besten seines Fachs. So erhält er auch den Auftrag, die Zerstörung eines Kommunikationsrelais zwischen Erde und Mars zu untersuchen. Als er durch diesen Auftrag in Tatverdacht gerät, ist er gezwungen, untertauchen. Im Versuch „seine Unschuld zu beweisen“ muss er bald erkennen, dass er nur ein Spielball größerer Mächte ist, die nicht nur seine eigene Existenz bedrohen, sondern die ganze Welt.

Meinungen:

Zurückgezogen lebend wird der IT-Techniker Ilay Gador zum Staatsfeind Nummer eins, als ein möglicher Terroristischer Anschlag eine Kette globaler Katastrophen auslöst.

Die Gesetzesvertreter haben mehr Indizien als Hinweise, dass der Hauptprotagonist die Verantwortung für das auf der Erde voranschreitende Chaos trägt und setzt alles daran, ihn dingfest zu machen.

Natürlich ist er Unschuldig, das steht nie zur Debatte und es geht in dem Roman auch viel mehr um Ilay Gador, wie dieser von einem Punkt zum nächsten fliehen muss und nebenbei versucht seine Unschuld zu beweisen.
Beides lässt sich schwer unter einen Hut bringen, aber er ist nicht allein, was ihm Kraft gibt durchzuhalten und weiter zu machen.

Und natürlich erkennt er recht bald, ‘was’ die eigentliche Verantwortung trägt, jedoch bleibt ihm und den Leser das ‚wer‘ und ‚warum‘ lange Zeit verborgen, was durchaus fesselt.
Vor allem aber beschäftigt einen die Frage: Wie geht man in der aktuellen Situation um, in der nichts mehr ist, wie es war. Fast schon ein kleiner Endzeitroman, schließlich geht die Erde gerade vor die Hunde.

Der Fokus bleibt jedoch auf Ilay Gador und dummerweise ist dieser Roadtrip an vielen Stellen sehr anstrengend, manchmal ein wenig zu hektisch. Natürlich ist die Hauptfigur auf der Flucht!
Aber ist er der beste IT-ler der Welt? Er tat nichts, was ich nicht verstanden habe, oder was jeder andere IT-Techniker mit seiner Grundausbildung auch können könnte.

Das in diesem Buch nicht alles ist, wie es scheint, streut der Autor sorgfältig in seine Geschichte ein, auch wenn es manchmal ein wenig zu offensichtlich ist, so das die ein oder andere Wende einen nicht mehr überrascht, mehr noch, als Leser fragt man sich hin und wieder, wie naiv die Hauptfigur ist, dass sie es einfach nicht kapiert.
Zugegeben, wir erleben die Ereignisse aus mehreren Perspektiven und haben mehr Wissen als die Figur. Dennoch, da war Luft nach oben.

Ohne viel zu Spoilern gibt es natürlich noch unerwartete Wendungen, die erfrischen, im Detail aber unnötig waren. Dienten sie doch nur dazu, eine brenzlige Situation nicht sofort auflösen zu lassen

Im Fazit muss man sagen, das Paul Lung sein Handwerk versteht. Gerade der Anfang ließt sich flüssig wie klares Wasser, es fesselt, es zieht in den Bann.

Gegen Ende wird es ein wenig holprig. Da ließt man dann auch mal ein „Er traute es sich nicht“ anstatt das sehr viel angenehmere „Er wagte es nicht“.

Die gesamte Geschichte ist gut durchdacht, der Aufbau und Spannungsbogen ist gelungen und der Abschluss befriedigend.

Rund um ein gutes Buch, mit dem man sich einige vergnügliche Stunden machen kann.

Positiv sei noch zu erwähnen, dass es keine einzige ‚Kopfschmerz-szene‘ gab, in der irgendwer irgendwas so blödes macht, dass man aufstöhnend den Lesefluss unterbrechen muss. Einzig vielleicht die Herren und Damen aus dem Ermittlungsbereich – die waren teilweise noch begriffsstutziger als die Hauptfigur an einigen wenigen Stellen. Aber das sollen ja auch Ermittlungsbeamte sein, das war dann schon irgendwie authentisch

 

 

Unterhaltung:

Anspruch:

Originalität:

 

Verlag: Hybrid Verlag

Nur als Print, € 11,90

Rezension: “Leichter als Vakuum” von Simon&Steinmüller

“Fake Olds” – unter dieser Überschrift, in Anspielung auf “Fake News”, saßen Angela und Karlheinz Steinmüller und Erik Simon im Juni beim Dortmunder U-Con und plauderten über das vorliegende Buch, das sich einer Subgenre-Zuordnung weitgehend entzieht. Auf den ersten Blick könnte man es als Alternativhistorie bezeichnen, tatsächlich aber, so erklärte Professor Steinmüller, sei es erfundene Geschichte, die aber nicht im Widerspruch zu belegten Ereignissen stehe, also keineswegs kontrafaktisch ist, sondern sozusagen geschickt ergänzend. Der Kniff, nicht explizit im Widerspruch zur tatsächlichen Historie zu stehen, macht das Buch sehr reizvoll.

Die “Fake Olds” werden uns in Episodenform dargebracht durch einen Historiker namens Simon Zwystein, der erstaunliche historische Dokumente kommentiert und vorstellt. Zwystein ist natürlich eine Kunstfigur. Weder er noch alle Texte sind übrigens neu, einige stammen aus den Achtzigern, andere sind neueren Datums, alle wurden für die Veröffentlichung überarbeitet. Den komplexen Entstehungsprozess beleuchtet Erik Simon im Nachwort.

In den Texten erfährt der Leser aus Zwysteins erstaunlichen historischen Quellen über bislang unbekannte Beziehungen zwischen dem Kalifat von Bagdad und Karl dem Großen, über eine Reise zum Mond, über die Malteser Tontafeln, über den sagenhaften Ort Germelshausen, und über die Weltreise eines römischen Bürgers. Die zweite Hälfte des Buchs nimmt der Roman “Die große Reise” ein, der dem weitgehend vergessenen deutschen Utopiker Ernst Wegbreiter “zugeschrieben” wird. Darin finden anno 1909 zwei Männer und eine Frau ein fremdartiges Raumfahrzeug und begeben sich auf die titelgebende Reise. Wenngleich an vielen Stellen herausragend geschrieben, kämpft der Roman auch mit ein paar Längen, was aber aus heutiger Perspektive mit Sicherheit auf fast jeden utopischen Roman vom Anfang des 20. Jahrhunderts zutrifft (also auch auf die, die wirklich damals geschrieben wurden). Ein oder zwei Wendungen lassen den Leser etwas ratlos zurück – was war real, was Einbildung oder erfunden? Letztlich steht diese Frage über dem ganzen Buch und macht seinen Reiz aus: Die Fake Olds sind wirklich sehr gute Fakes, denn man erkennt sie kaum als solche.

Wie Angela und Karlheinz Steinmüller sowie Erik Simon hier gemeinschaftlich mit Geschichte spielen, stets eine für die jeweilige Form (Tagebuch, Brief, Tontafeln) geeignete Sprache finden, die trotzdem immer gut lesbar ist, wie sie trotz der ungewöhnlichen Form mit Leichtigkeit liebenswerte Figuren erschaffen, zwischen den Zeitaltern springen, und letztlich ganz und gar moderne Botschaften transportieren, davor kann man nur den Hut ziehen. Gleichzeitig wird der Leser vorzüglich unterhalten, blitzt doch immer wieder zwischen den Zeilen ein verschmitztes Lächeln auf; ein feiner, intelligenter Humor (“Ganz schlechtes Feng Shui!”), der sich wie ein roter Faden durch die so unterschiedlichen Geschichten zieht, und sie zu einem Gesamtwerk verbindet, dessen Bedeutung weit über die Buchdeckel hinausgeht: Es ist eine Nachricht an all die Autoren und Leser dort draußen, und sie lautet: Lesen und Schreiben mit angeschaltetem Gehirn macht besonders viel Spaß!

Unterhaltung:

Anspruch:

Originalität:

Rezension: “Walpar Tonnraffir und die Ursuppe mit extra Chili” von Uwe Post

Man muss ihn mögen, den Walpar Tonnraffir. Und den Post natürlich auch.
Wie schafft man es, so viel Unfug zwischen zwei Buchdeckel zu pressen? Ich kann das nicht. Da stimmt jeder Satz. In jedem einzelnen Absatz sitzt der Schalk. Manchmal urkomisch, manchmal zwingt es den Leser nur zu einem müden Grinsen. Aber, wie schafft man es 189 Seiten lang solche Satzkonstruktionen von Unfug hinzubekomen?
Hut ab, Uwe. Das hat meines Erachtens nur einer vor dir geschafft, und das war Douglas Adams.

Das Buch wird die Leserschaft spalten, das ist mal sicher. Da wird es auf der einen Seite die Fraktion derer geben, die es, wie ich, in den Himmel oben. Auf der anderen Seite wird es die Fraktion geben, die damit absolut nichts anfangen kann. In der Mitte, das wage ich vorherzusagen, wird sich kaum jemand bewegen.

Ach ja, da ist ja noch was: Die Handlung.
Die ist abstrus.
Unser Held Walpar (benannt nach einer Nebenfigur aus der 30. Staffel von Games of Thrones (oder so ähnlich, ich hab jetzt nicht nachgeschlagen, ob es die 30. war)) trifft einen Außerirdischen. Letzterer soll seine Gene der Ursuppe eines Planeten spenden, damit dort in Millionen von Jahren Leben entstehen kann. Allerdings soll der Spendervorgang so ablaufen, wie in dem Alienfilm Prometheus ganz am Anfang dargestellt. – Nun, der Außerirdische hat was dagegen und Walpar hilft ihm. Mit im Team ist da noch die Ex-Schwiegermutter von Walpar und dann wird alles so verworren, dass ich die Handlung nicht mehr wiedergeben kann. Aber das war auch beim Anhalter so. Und darauf komt es mir in diesem vorliegenden Fall auch gar nicht an.
Hier bekommt jeder sein Fett weg und das stellenweise so subtil, dass man genau hinschauen muss.
Also, Hut ab vor der Leistung!

Unterhaltung:

Anspruch:

Originalität:

Rezension: “Friesisches Inferno” von Peter Gerdes

Wie sich die Welt nach einer globalen Katastrophe verändert und die Menschheit ums Überleben kämpft, ist keine neu erfundene Geschichte. Vieles wurde schon einmal erzählt: Mutanten, Bandenkriege und neue–alte Gemeinschaftsstrukturen. Aber der Ort, an dem dies alles geschieht, ist neu. Friesland. Gerade für Leser, die sich dort auskennen, ist das Buch besonders lesenswert.

Engel ist verschwunden. Gander, ihr Bruder, und Helm, der sich für beide verantwortlich fühlt, machen sich auf den Weg durch Friesland, um sie zu suchen. Sie folgen verschiedenen Spuren und sind ständig tödlichen Gefahren ausgesetzt. Gefahr droht nicht nur von umherziehenden Banden, sondern die Tiere und Pflanzen haben es auch auf sie abgesehen. Die Natur ist nach der globalen Katastrophe nicht mehr so friedlich in Norddeutschland, wie wir sie kennen. Es gibt jetzt Menschen mit besonderen Fähigkeiten, auch Engel und Gander gehören zu diesen. Und so jemand hat auch Engel entführt, um Ihre Fähigkeiten auszunutzen und noch mächtiger zu werden. Er manipuliert sie und orchestriert kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den Gemeinschaften. Diese Verkörperung des Bösen muss Helm besiegen, um seine Heimat zu retten. Sie finden Engel und verlieren sie wieder. War ihre Reisen umsonst? Nein, denn Helm erfährt den Grund für die Katastrophe und die Ursache für die veränderte Natur, die diese mit sich brachte.

Auf ihrer Reise denkt Helm oft an seine Kindheit zurück, die Zeit vor der Katastrophe. Er vergleicht, kritisiert und man bekommt den Eindruck, dass das Leben in dieser von Gewalt bestimmten Welt viel besser ist. Manches in der Handlung ist leider nicht so recht nachvollziehbar, zum Beispiel bei der Heimkehr von Helm sind ihm nur eine Handvoll Leute von dort mit Namen bekannt. Die Gemeinschaft dort kann aber nicht so groß sein, dass nicht jeder jeden kennt und außerdem hat er sein ganzes Leben dort verbracht. Die Geschichte ist gut geschrieben und Leser, die die Orte und Eigenheiten der Friesischen Menschen kennen, finden bestimmt die eine oder andere amüsante Stelle.

Fazit: kurzweilige Friesische Endzeitstory

Unterhaltung:

Anspruch:

Originalität:

Rezension: “Die Welten der Skiir 2 – Protektorat” von Dirk van den Boom

Bunt und vielschichtig ist das Universum in dem die Skiir herrschen. Gekonnten werden die im ersten Band “Das Prinzipat” (Gewinner des Deutschen Science Fiction Preises 2017) eingeführten komplexen Handlungsstränge in diesem zweiten Teil fortgeführt.

Wir erfahren, dass der Zerstörer ein Hatta-Artefakt mit einem Bewusstsein ist. Das Patronat aktivierte den Zerstörer mit dem Ziel, eine Drohkulisse aufzubauen, um dann als Retter dazustehen und sich dadurch im Machtgefüge des Imperiums eine bessere Position verschaffen zu können. Nach der Vernichtung der Sternenstation (siehe Band 1) wird Eder unfreiwillig zum Herold des Zerstörers und rettet so seine Alienfreunde und Kollegen, die der Zerstörer nach dem Angriff gefangen genommen hatte. Yolana war jedoch nicht unter diesen Gefangenen. Sie erwacht auf Pendora und deckt Experimente zur Personenkontrolle auf, kann aber fliehen und dem Rest der menschlichen Delegation von den Experimenten und von der schwarzen tödlichen Masse erzählen, die für viele Tote auf Pendora verantwortlich ist. Der alte Skiir, der die Widerstandskämpfer begleitet, verfolgt seine ganz eigenen Pläne mit dem Zerstörer. Und Inspektor Markensen lernt mehr über sich selbst und seine ungewöhnliche Herkunft. Kann der Zerstörer mit einem zweiten Hatta-Artefakt ausgeschaltet und die Bedrohung durch ihn abgewendet werden? Eine Jagd nach diesem zweiten Artefakt beginnt und jede Seite versucht, es in die Hände zu bekommen, um den Zerstörer und seine Waffen beherrschen zu können. Der Präsident der Menschen will mit Hilfe des Zerstörers, die Erde von der Skiir-Herrschaft befreien. Die Widerstandsgruppe hat ein ähnliches Ziel: Zerschlagung des Skiir-Imperiums. Am Ende dieses Bandes treffen sich alle Partien im Zerstörer, um zu verhandeln: der Präsident, Eder als Stimme des Zerstörers und die Widerstandsgruppe.

Die meisten Fragen, die nach dem Lesen des ersten Bandes offen blieben, klären sich. Zusammenhänge werden deutlicher, die vorher nur angedeutet wurden. Allerdings bleiben am Ende dieses Bandes kaum unbeantwortete Fragen zurück. Trotzdem bleibt es spannend. Wir erfahren wahrscheinlich erst im nächsten Teil, was mit den Hatta-Artefakten geschehen wird und ob das Skiir-Imperium auseinander bricht. Was passiert dann mit der Erde? Wie schon im ersten Band, erschweren auch hier die schnellen und vielen Wechsel der Erzählstränge das flotte Lesen. Leider wird dadurch die Handlung erst nach vielen Seiten deutlich nachvollziehbar.

Fazit: gelungene Fortführung des ersten Bandes

Unterhaltung:

Anspruch:

Originalität:

Rezension: “Junktown” von Matthias Oden

Junktown von Matthias Oden

Mit “Junktown” legt Matthias Oden im Heyne Verlag seinen ersten Roman vor.

Die “Konsumrevolution” hat vor vielen Jahren das alte System weggespült. Jetzt sind Drogen nicht nur legal, sondern der Rausch ist Pflicht. Regelmäßig müssen die Bürger Blutproben abgeben, und wer bei zu wenig Drogenkonsum erwischt wird, wandert in eine “Sozialhygiene”-Einrichtung oder gleich in den “Recyclinghof”. Wer praktisch dauernd auf einem Trip ist, kann natürlich nicht besonders gut arbeiten, deshalb übernehmen Maschinen die unangenehmen Pflichten. Zum Beispiel Produktion von Nachwuchs: um den kümmern sich riesige, intelligente Maschinen namens Brutmutter. Und eine davon wird zu Beginn der Handlung tot aufgefunden. Offenbar ermordet. Inspektor Solomon Cain, ein erfahrener Polizist der Gemapo (Geheime Maschinenpolizei) und gealterter Held der Revolution, übernimmt die Ermittlungen. Er kommt schnell dahinter, dass es hier um viel mehr geht als um einen Mord aus Leidenschaft. Als das Rauschsicherheitshauptamt auf den Plan tritt, geraten die Dinge außer Kontrolle.

Der Autor legt mit seinem Debütroman eine erfindungsreiche Dystopie vor, die – schon durch die der DDR und dem Drittem Reich entlehnten Begriffe ersichtlich – keinen Zweifel daran aufkommen lässt, wie die Rollen von Gut und Böse verteilt sind. Man fragt sich unweigerlich, wie ein System, in dem der Rausch ein erzwungener (Dauer-)Zustand ist (“Alle Macht den Drogen!”), wenn man nicht gerade einen ABS (Abstinenzberechtigungsschein) besitzt, überhaupt wirtschaftlich und verwaltungstechnisch funktionieren kann. Der Autor zeichnet kein vollständiges Bild der Gesellschaft. Vielmehr bedient er sich punktuell verschiedenster Gestaltungselemente, die sich zu einem Gesamtbild fügen. So entstammen die verwendeten uralten Telefone, der mental angeknackste Inspektor und die später auftretende femme fatale eindeutig dem film noir. Die (kurze) Liebesgeschichte hat mich allerdings nicht besonders überzeugt. Moderne Technik gibt es so gut wie gar nicht; entweder gab es nach der Revolution also eine Rückentwicklung oder die Handlung spielt in einer (alternativen) Vergangenheit (eine Jahreszahl wird nicht genannt). Da die Handlung bis zum Ende auf die Perspektive der Hauptfigur beschränkt bleibt, bleibt sehr vieles offen, und als Resultat wirkt die Welt nicht immer völlig authentisch. Gleichzeitig bezieht der Roman seine Spannung zum einen aus dem Kriminalfall (dessen Entwicklung voller Wendungen ist, die man durchaus erahnen kann) und zum anderen aus der Frage danach, wie diese seltsame Gesellschaftsform des Konsumismus eigentlich entstanden ist. Das wird am Schluss tatsächlich aufgeklärt – aber erstens nur in wenigen Sätzen, und zweitens handelt es sich um Informationen, über die der Protagonist die ganze Zeit verfügt, aber nicht mit dem Leser teilt. Letztlich sind alle Entwicklungsschritte der Handlung so konsequent wie düster – bis zum Ende. Man sollte von diesem Buch weder Fröhlichkeit noch ein Happy End erwarten.

Unter dem Strich ist “Junktown” eine lesenswerte Dystopie mit viel Erfindungsreichtum – und ohne jede Hoffnung.

Unterhaltung:

Anspruch:

Originalität:

Rezension: „Helix“ von Marc Elsberg

Was tust Du, wenn der Kinderwunsch unerfüllt bleibt und dir ein verlockendes Angebot gemacht wird, mit dem du dir dein Kind designen kannst? Wie würden diese Kinder die Welt wahrnehmen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der neuen Roman von Marc Elsberg.

Die Geschichte beginnt mit einem gezielten Anschlag auf den US Außenminister. Die Untersuchungen ergeben, dass ein optimierter Virus, angepasst an seine Gene, den Tod verursacht hat. Jill, eine Studentin, verschwindet und hinterlässt eine Warnung vor einem gewissen Gene. Genmanipulierter Mais und Veränderungen an Nutztieren in abgelegenen, unter Dürre leidenden Gegenden der Erde stellen den Leser vor weitere Fragen. Wer ist dafür verantwortlich? Und dann ist da noch das Institut “New Garden”, in dem Kinder mit außergewöhnlichen Fähigkeiten verzweifelten kinderlosen Paaren vorgeführt werden. Schließlich werden Pläne aufgedeckt, die die Zukunft der Menschheit beeinflussen und das nicht unbedingt auf positive Weise.

Die Geschichte ist temporeich und weist nur wenige, ruhige Passagen auf. Man erfährt viel über Genmanipulation, was ab und an etwas zu theoretisch wird, aber dennoch gut vom Autor recherchiert ist. Dementsprechend erscheint einem zwar einerseits die detaillierte Schilderung der Genmanipulation durchaus plausibel, andererseits geht sie nicht über den derzeitigen Stand der Wissenschaft hinaus. Auch ethische Fragen im Zusammenhang mit Genmanipulation werden im Laufe der Handlung diskutiert.

Es ist schade, dass man nach der Hälfte des Buches ahnt, wie es weiter geht und wie alles enden wird. Die Herangehensweise erinnert doch sehr an amerikanische Filme. Eine nicht so geradlinige Handlung mit der einen oder anderen überraschenden Wendung hätte dem Werk gut getan.

Fazit: nette Unterhaltung, aber keine wirklich neuen Ideen.

Unterhaltung: 

Anspruch:

Originalität:

In eigener Sache: Differenziertere Bewertungen

Die Welt der SF ist bunt und vielfältig. Es gibt Military SF, Space Opera, Dystopien, Alternativweltgeschichten und so weiter. Es gibt anspruchsvolle Leser und solche, die einfach nur gut unterhalten werden wollen.

Wir haben uns gefragt: Werden wir dieser Vielfalt gerecht, indem wir ein Werk mit einer einzigen Sterne-Wertung zwischen 1 und 5 beglücken?

Wohl eher nicht.

Klar, Amazon macht es auch so. Aber mal ehrlich: Eine Rolle Klebeband kann man vielleicht mit einer Einzelwertung fair bewerten (klebt: 5 Sterne, klebt nicht: 1 Stern). Aber ein Buch, ein Spiel, einen Film?

Dabei machen es Fernsehzeitschriften seit Jahrzehnten vor: Sie bewerten Spielfilme in überschaubaren Kategorien wie Anspruch, Action, Humor. Wenn man Lesern dieser Zeitschriften zutrauen kann, dieses Schema zu begreifen, dann euch, den Besuchern unseres Portals, erst recht!

Deshab bewerten wir künftig in unseren Rezensionen nach Kategorien. Die können sich durchaus mal unterscheiden, je nachdem, um was für ein Werk es geht. Anspruch und Unterhaltung sind gesetzt, hinzu kommt bei SF die Kategorie “Originalität”. Wir glauben, dass gute, originelle Ideen ein Markenzeichen der SF sind. Wir sind aber flexibel: Wenn ein Rezensent es für angebracht hält, ein Werk in einer bestimmten Kategorie wie Sprache, Humor oder Erotik (soll es geben!) zusätzlich zu bewerten, kann und wird er das tun.

Wir bemühen uns, nach und nach auch existierende Rezensionen entsprechend aufzubessern. Den Anfang macht die Besprechung von “Die Krone der Sterne” von Kai Meyer.

Sicher werden die neuen, differenzierten Rezensionen den Werken besser gerecht. Unser Praktikant ist jedenfalls dieser Ansicht:

Diese Änderung ist sinnvoll: 

 

 

Rezension: “Die Krone der Sterne” von Kai Meyer

Kai Meyer ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten deutschen Fantasy-Autoren. Mit “Die Krone der Sterne” legt er im Rahmen des recht neuen SF-Programms von Fischer TOR seinen ersten SF-Roman vor.

Zunächst ein Wort zur Ausstattung des Bandes: Opulent. Das Cover glänzt in Bronze auf edlem Blau, die Seiten bis zum eigentlichen Beginn des Romans sind außergewöhnlich ansprechend illustriert. Diese Bilder tragen durchaus dazu bei, sich die ungewohnten Konstruktionen, die im Roman vorkommen, richtig vorzustellen.

Zur Geschichte: Die junge Adelige Iniza ist die Auserwählte der Gottkaiserin, aber da das eine mehr als zweifelhafte Ehre ist, entzieht sie sich dem Zugriff der Hexen, die sie mit ihrer Weltraum-Kathedrale abholen wollen. Auf ihrer Flucht trifft sie einen grummeligen Waffenmeister, ihren aufrechten Geliebten, eine Alleshändlerin und später eine mysteriöse Androidin, die gerne nackt (seufz) durchs All schwebt. Diese bunte Truppe unternimmt dann gemeinsam alles, um vor der bösen Hexe Setembra auf einen versteckten Piratenplaneten zu flüchten.

Klingt wie ein rasantes Weltraumabenteuer? Genau das ist es. Raumschiffe und Blaster ballern mit bunten Laserbolzen, verstecken sich in abgewrackten Raumstationen und passieren dabei verfallene Hypersprungtore. Da die Figuren nicht unbedingt übereinstimmende Ziele verfolgen, gibt es den einen oder anderen Konflikt in der Truppe, so dass unter dem Strich kaum eine Gelegenheit bleibt, um Atem zu holen.

Der Roman verarbeitet bekannte und beliebte Elemente einer Space Opera: diverse Raumschiffe, fremdartige Artefakte, schrullige Typen, jede Menge Kanonenfutter, und nicht zuletzt ungeklärte Verwandtschaftsverhältnisse (“Ich bin dein Vater, Luke!”). Ja, Anleihen an Star Wars sind nicht nur offensichtlich – bisweilen kommt man sich vor, als säße man im Kino vor einem hypothetischen Spinoff der berühmten Saga. Denn genau so ist der Roman gestaltet. Sehr visuell geschrieben, voller Cliffhanger, mit Szenen, die man sofort vor den Augen hat. Indem sich Meyer ausgiebig bei der einschlägigen Popkultur bedient, gelingt es ihm, einen krachenden Popkorn-Eventmovie in Buchform vorzulegen.

Leider übernimmt er dabei auch die hinlänglich bekannten Nachteile, insbesondere bleiben Plausibilität und Logik öfter mal auf der Strecke, von physikalischen Gesetzen gar nicht zu reden. Wer aufmerksam liest, bemerkt ganz genau, wie der Autor die Handlung konstruiert hat. Sie wirkt deshalb nicht natürlich, nicht lebendig. Die Figuren fühlen sich keinen Moment lang authentisch an, sondern wie Schauspieler, die versuchen, die ihnen zugedachte Rolle auszufüllen.

Wen das nicht stört, wer beim Lesen abschaltet, wird bis zum Schluss bestens bedient mit überraschenden Wendungen und flotter Action. Freilich muss man sich um die Hauptfiguren keine Sorgen machen. Dies ist nicht die Sorte Buch, in dem Handlungsträger einer der vielen Gefahren, denen der Autor sie aussetzt, auch mal zum Opfer fallen. Wer mehr von einem SF-Roman erwartet als bunte Action, der wird möglicherweise enttäuscht. Es gibt keine kreative Alien-Biologie (eigentlich überhaupt keine nennenswerten Aliens), einen einzigen etwas ungewöhnlichen Planeten (der Rest findet im Weltraum bzw. Raumschiffen oder -stationen statt), es fehlt völlig an sozialen Fragen, ethischen oder moralischen Themen, Anregung zum Nachdenken. Dabei hätte es durchaus Anknüpfungspunkte für etwas Anspruch gegeben.

Fazit: Perfekt inszenierte Unterhaltung, aber ohne Tiefgang.

Unterhaltung: 

Anspruch: 

Originalität: