dsf: Hallo Jens. Zuallererst möchte ich mich für deine Bereitschaft bedanken, mir für ein Interview zur Verfügung zu stehen.
Wer ist Jens Lubbadeh? Gibst du uns einen kleinen Überblick über deine Vita? Hast du Kinder?
Lubbadeh: Hallo, ich freue mich auch über das Interview. Ich lebe seit knapp 20 Jahren in Hamburg (trotz des Wetters), bin 44 Jahre alt und arbeite seit vielen Jahren hauptberuflich als Wissenschaftsjournalist. Kinder habe ich noch keine.
dsf: Wählen wir einen etwas ungewöhnlichen Einstieg: Wie hältst du es mit dem Helm beim Radfahren?
Lubbadeh: Ich denke, wir sollten den Lesern kurz diesen Einstieg erklären: „Neanderthal“ spielt in einem zukünftigen Deutschland, das von Gesundheit und Selbstoptimierung besessen ist. Niemand will mehr ein Risiko eingehen, vor allem nicht beim eigenen Nachwuchs. Ungeborene Kinder werden auf Krankheiten gescannt und genetisch optimiert, lebende Kinder überbehütet. Das haben wir ja jetzt schon: Helikoptereltern, die ihre Kinder im SUV bis vor die Schultür fahren, ihnen die Ranzen in die Klasse tragen und ihre Kinder permanent per Smartphone überwachen. Mit dem Fahrradhelm spielst du auf eben genau diese Nullrisiko-Mentalität an. Nun aber zu deiner Frage: Ich weiß, dass es vernünftig wäre, einen zu tragen, vor allem, weil ich viel Rad fahre. Aber ich gestehe: Ich trage keinen Helm. Das hat zwei Gründe: Erstens ist es in Hamburg oft kalt und regnerisch und man kann Helme schlecht mit Mützen kombinieren. Die sind mir schlicht zu kalt. Und zweitens: Fahrradhelme sind hässlich und unpraktisch im Anketten.
dsf: Erzählst du uns etwas über deinen Werdegang? Ich meine, du bist mir in der SF erstmalig aufgefallen, als du deinen Roman “Unsterblich” veröffentlicht hast. Wie bist du zur SF gekommen?
Lubbadeh: Ich bin in Rom geboren – mein Vater war Diplomat und meine Eltern sind daher viel gereist. Aufgewachsen bin ich aber im beschaulichen Städtchen Gießen, in Hessen. Ich habe dann im noch beschaulicheren Tübingen Biologie studiert und bin dann nach Hamburg gezogen, weil ich Journalist werden wollte.
Sci-Fi habe ich schon immer geliebt und viel gelesen und gesehen, das ging schon im Kindesalter los. Sehr zum Verdruss meiner Mutter 😉
dsf: Warum gerade SF? Ich meine, es gibt immense andere Literaturströmungen. Den Mainstream beispielsweise. Was hebt für dich die SF von den anderen Strömungen ab?
Lubbadeh: Ich sehe das etwas anders. Scifi ist nach meinem Empfinden sehr im Mainstream verankert und das ist auch gut so. Das Problem ist nur, dass sie vor allem in Deutschland von den Wächtern der Hochliteratur nicht akzeptiert wird, was ich sehr ärgerlich finde, weil sie so wichtig ist – Qualität und Schrott gibt es in jeder Literaturgattung, da sollte man nicht so tun, als sei das ein gattungsimmanentes Problem. „1984“ ist ein Klassiker der Weltliteratur, ein Schlüsselroman des 20. Jahrhunderts „The Circle“ von Dave Eggers war ein Welterfolg und ist in meinen Augen der wichtigste Scifi-Roman der letzten Zeit, das 1984 unserer Zeit sozusagen. Und Hollywood plündert seit Jahren das opulente Werk von Philip K. Dick für große Produktionen. Mehr Mainstream geht doch nicht.
Warum nicht Scifi? Ich liebe Gedankenexperimente, stelle mir oft Was-wäre-wenn-Fragen, liebe es, fantasievoll über die Zukunft der Welt und der Menschheit nachzudenken.
dsf: Auf Spiegel online ist vor einiger Zeit (Herbst 2017) ein Artikel erschienen, in dem gesagt wird, dass es heutzutage Eskapismus sei, SF nicht zu lesen. Begründet wird das damit, dass dies die einzige Literaturgattung ist, die sich mit den Problemen der Zukunft befasst, bevor sie entstanden sind. Wie siehst du das? Ist es wirklich die Extrapolation oder werden nicht vielmehr häufig unsere Probleme der Jetztzeit lediglich verfremdet dargestellt?
Lubbadeh: Das sehe ich genauso. Indem Science-Fiction mögliche Zukunftsszenarien extrapoliert, schärft sie unseren Blick für die Gegenwart, zwingt uns zum Nachdenken und Diskutieren über den Status Quo und macht uns bewusst, dass wir die Zukunft machen und nicht die Zukunft gemacht wird. Wir haben es in der Hand, wo wir als Gesellschaft hinsteuern und ob wir dorthin steuern wollen.
Manchmal werden Probleme der Jetztzeit tatsächlich in der Scifi verfremdet dargestellt. Das finde ich aber in Ordnung, es kann ja helfen, Berührungsängste und Tabus zu überwinden, insbesondere in unfreieren Gesellschaften kann die Scifi da ein wichtiges Medium sein.
dsf: Wie läuft denn dein Arbeitstag ab? Haben wir uns das so vorzustellen, dass du regelmäßige Stundeneinteilungen am Tag hast? Gönnst du dir ein freies Wochenende?
Lubbadeh: Ich bin freiberuflicher Journalist. Wenn ich kein Buch schreibe, dann recherchiere und schreibe ich Artikel zu Themen aus Wissenschaft, Technik und Medizin für Magazine, Zeitungen und Online-Portale. Das ist auch meine Haupt-Ideenquelle für meine Romane.
Wenn ich ein Buch schreibe, mache ich nichts anderes nebenher. Ich orientiere mich da an der Arbeitsweise von Stephen King und setze mir ein Tagessoll von etwa 1000 bis 2000 Wörtern. Wenn ich das geschafft habe, ist Feierabend. Ich brauche diese Disziplin. Würde ich jeden Tag darauf warten, dass die Muse mich küsst, würde ich Jahre für ein Buch brauchen – und überhaupt immer wieder aus der Konzentration kommen und jede Gelegenheit zur Prokrastination nutzen. Aber natürlich gibt es solche und solche Tage. Manchmal schafft man mehr. Manchmal schafft man weniger. Wichtig ist, dass man gütig ist mit sich.
Ich gönne mir freie Wochenenden, aber es ist tatsächlich schwierig, am Montag wieder in diese Konzentration und in diese Schreibstimmung zu kommen. Ein Plot wird ja immer komplexer, man muss den Überblick behalten über die Handlung, die Figuren, im Kopf behalten, wer gerade wo in seiner Entwicklung steht. Nach einer Auszeit, und sei es nur das Wochenende, muss man sich da jedesmal wieder reinarbeiten und vor allem reinfühlen.
dsf: Wie lange sitzt du durchschnittlich an der Recherche/Planung eines Buches? Und wie viel Zeit benötigst du im Vergleich dazu dann mit dem Niederschreiben?
Lubbadeh: Die Recherchen mache ich meistens schon im Zuge meiner journalistischen Arbeit. Für das Schreiben meiner beiden letzten Bücher habe ich jeweils etwa sechs Monate gebraucht. Aber die Entwicklung des Exposés, des Plots, die Nachbearbeitung, Lektorat, Korrekturen brauchen auch viel Zeit. Vielleicht noch einmal zwei Monate.
dsf: Kannst du dir deine Projekte frei wählen? Oder musst du, wie Verschwörungstheoretiker in der Szene gerne kolportieren, „Auftragsarbeiten“ für den Verlag erledigen?
Lubbadeh: Ja, kann ich. Aber natürlich spreche ich mit meiner Agentin und meinem Lektor über die Ideen und Exposés. Dabei kommen oft noch gute Ideen mit rein.
Aufträge hatte ich noch nicht, weiß aber, dass es das gibt. Ich finde das aber nicht verwerflich. Wenn mich das Thema reizen würde – warum nicht?
dsf: Wie projektierst du deine Romane? Ich meine, es gibt ja so viele verschiedene Herangehensweisen an das Schreiben eines Buches. Manche Autoren machen sich einen ausführlichen Szenenplan, andere fangen einfach an und schreiben drauflos. Wie machst du das?
Lubbadeh: Bei „Unsterblich“ hatte ich mich an Stephen King orientiert, der die Position vertritt, die Geschichte über die Figuren entwickeln zu lassen. Ich hatte anfangs nur einen groben Plan. Dann habe ich aber ziemlich schnell gemerkt, dass das wirklich schwierig ist. Für einen erfahrenen Autoren wie King mag das funktionieren, für einen Neuling ist es schwer, sich ganz ohne Karte in der Wildnis zurechtzufinden. Ich habe dann angefangen, einen Szenenplan zu machen, mir aber trotzdem noch die Flexibilität vorbehalten, jederzeit Änderungen vorzunehmen, falls sich irgendwas nicht stimmig anfühlte. Bei „Neanderthal“ bin ich gleich so vorgegangen, aber noch viel mehr Augenmerk auf die Figuren gelegt. Ich denke, jeder Autor muss herausfinden, was für ihn am besten funktioniert.
dsf: Gibt es wirklich die Verlagsvorgaben, was die Seitenzahlen (Stichwort Ziegelstein) eines Romans angeht oder ist das ein modernes Märchen?
Lubbadeh: Habe ich so nicht erlebt. In der Kalkulation des Umfangs war ich völlig frei.
dsf: Gibt es auch Kurzgeschichten aus deiner Feder?
Lubbadeh: Noch nicht, aber ich würde gerne welche schreiben. Ich habe ständig neue Ideen, bei manchen bin ich aber nicht sicher, ob sie für ein Buch tragen würden – die könnte man in einer Kurzgeschichte ausprobieren.
dsf: Was macht Jens Lubbadeh in seiner Freizeit? Liest er auch andere Autoren? Falls ja, welche? Und in welchem Umfang? Ich meine damit, es gibt Menschen, mich eingeschlossen, die lesen pro Woche mindestens ein Buch, wie sieht das bei dir aus?
Lubbadeh: Ich bin ein sehr neugieriger Mensch, interessiere mich für so ziemlich alles… außer vielleicht Formel 1 und Aktien. Ich reise gerne, liebe Wandern und Radfahren, bin gerne in der Natur, aber ich mag auch die Stadt und entdecke einfach gerne Neues. Klar lese ich viel, ich mag Dave Eggers, Khaled Hosseini, Paul Auster, William Gibson, Stephen King, T.C. Boyle, um spontan mal ein paar zu nennen. Mein Problem ist: Ich muss beruflich sehr viel lesen, Artikel, wissenschaftliche Veröffentlichungen. Daher brauche ich abends oft einfach einen Medienwechsel und lese nicht so viel wie ich eigentlich gerne würde.
dsf: Kommen wir zu deinem neuesten Werk: Neanderthal. Du kennst meine Rezension. Ich habe da als Manko die Charakterisierung deiner Bösewichte genannt. Was hat dich dazu bewogen, z. B. Eva-Marie Mercure so darzustellen?
Lubbadeh: Es freut mich, dass dir das Buch so gut gefallen hat! Ich wollte einen weiblichen Bösewicht, Mercure sollte aber auch menschliche, schwache Seiten haben. Sie ist Epileptikerin, ihre Krankheit versteckt sie, weil sie sich im gesundheitsoptimierten Deutschland keine Blöße geben will. Im Laufe des Buchs entwickelt sie sich, sie wird selbst zum Opfer und wechselt am Ende die Seiten.
dsf: Warum hast du den Kommissar so sang und klanglos aus der Handlung genommen? Ich hätte mir gewünscht mehr über ihn und vor allem seinen Umgang mit der Gesellschaft zu erfahren.
Lubbadeh: Das hat sich einfach so entwickelt. Nach und nach haben sich Max Stiller und Sarah Weiss als die wahren Hauptfiguren herausgeschält.
dsf: Bist du eigentlich schon einmal auf einer Con (Science Fiction Convention) in Erscheinung getreten? Ich habe dich nicht wahrgenommen. Evtl. als unauffälliger Besucher?
Lubbadeh: Nein, ich war nie Teil der Szene und empfinde mich selbst auch nicht als Scifi-Nerd. Wie ich schon sagte, sehe ich die Science-Fiction als wichtigen Teil unserer Kultur und finde, dass sie omnipräsent ist.
dsf: Viele Menschen begegnen mir mit der These: Wenn ich mal viel Zeit habe, so als Rentner, dann schreibe ich auch ein Buch. Ideen habe ich ja genug. Ich entgegne dann immer: Die Zeit ist nicht der Faktor. Andere Menschen haben auch Hobbies, die sie täglich bedienen, die Zeit kann man auch in ein Buchprojekt stecken. Ich muss vielmehr etwas zu erzählen haben. Was würdest du einem angehenden Autor raten, wie sollte er vorgehen?
Lubbadeh: Mich hat Stephen Kings Buch „On Writing“ sehr inspiriert und motiviert. Ich würde jedem angehenden Autor raten, es zu lesen (auch wenn er Kings Romane nicht mag). Sein autobiographisches Buch darüber, wie er schreibt und wie er das Schreiben sieht und empfindet, ist sehr hilfreich und gültig für alle Autoren.
King sagt: “You got to talk the talk and walk the walk”. Irgendwann einmal ein Buch schreiben zu wollen ist das Eine. Es zu tun, das andere. Ein Buch zu schreiben, ist viel Arbeit und erfordert viel Disziplin und Durchhaltevermögen. Vielleicht ist dafür nicht jeder gemacht. Aber tatsächlich sehe ich es auch so, dass man als Autor die Motivation in sich verspüren muss, etwas zu erzählen zu haben. Ein Buch nur aus Selbstzweck zu schreiben, halte ich für reine Egobefriedigung.
dsf: Wie weit ist dein Vorlauf? Wie viele Bücher sind bereits fertig, wenn eines erscheint? Schreibst du an einem weiteren Buch?
Lubbadeh: Ich habe bereits eine konkrete Idee für das dritte Buch. Und eigentlich auch schon Ideen für Buch 4 und 5. Ich habe noch viel vor….
dsf: Kannst/darfst du uns einen Ausblick geben, was wir in naher Zukunft aus deiner Feder zu erwarten haben?
Lubbadeh: Ich finde die Kombination Journalist/Schriftsteller sehr spannend und in beiden Richtungen sehr befruchtend. Als Journalist bin ich am Puls der Gegenwart, der Schriftsteller in mir macht sich Gedanken darüber, wie diese Aktualität sich in die nahe Zukunft übersetzen könnte. Umgekehrt hat das belletristische Schreiben mein journalistisches Schreiben bereichert. Ich schaue mehr auf die Geschichte, auf Dramaturgie und die Personen. Wenn weiterhin alles gut läuft, wird es von mir hoffentlich noch viele weitere Wissenschafts-Scifi-Thriller geben. Aber ich bin offen für alles. Vielleicht habe ich ja mal Lust, einen Horror-Roman zu schreiben? Oder ein Theaterstück? Wer weiß….
dsf: Ich vergleiche das Schreiben eines Buches gerne mit der Zeugung und Geburt eines Kindes. Der Beginn ist wunderschön, zum Ende hin wird es immer beschwerlicher und der Schluss ist häufig Schmerz pur. Dann kommt die plötzliche Erleichterung und der Autor fällt in ein Loch. Kannst du dich in dieser Beschreibung wiederfinden?
Lubbadeh: Ich habe noch kein Kind gezeugt, kann diese Analogie also nicht überprüfen. Ich starte gerne in eine neue Geschichte. Der Schreibprozess selbst hat viele Höhen und Tiefen, jeder Tag ist anders. An jedem Morgen beginnt der Kampf gegen das weiße Blatt Papier, gegen die Angst in einem, die fragt: Oh Gott, was soll ich jetzt tun? Wie geht’s jetzt weiter? Oder gar: Kann ich das überhaupt? An anderen Tagen flutscht es wie von selbst und abends bin ich voller Euphorie und befriedigt, etwas Gutes geschafft zu haben.
Prinzipiell ist der Moment, wenn man das Manuskript zuende geschrieben hat, ein sehr schöner, ich verspüre dann tiefe Befriedigung und Stolz. Also würde ich für mich sagen: Der Anfang ist schön, die Mitte eine Achterbahnfahrt und das Ende fühlt sich wieder gut an. Eigentlich wie das Leben selbst, oder?
dsf: Wie gut bist du in der Szene vernetzt? Ich meine, ist Jens Lubbadeh eher ein Einzelkämpfer oder gibt es da Zusammenkünfte mit anderen Autoren, quasi ein Austausch/Brainstorming?
Lubbadeh: Ich stehe in Kontakt mit anderen Autoren, meine Literaturagentur macht jedes Jahr ein Sommerfest, da lernt man viele Kollegen kennen. Auf der Buchmesse habe ich außerdem andere Autoren vom Heyne-Verlag kennengelernt. Das ist ein sehr nettes Miteinander und der Austausch total fruchtbar. Autoren sind eine nette Spezies, finde ich.
dsf: Gibt es Zeiten, in denen du eine Schreibblockade hast? Ich kenne zum Beispiel Situationen, in denen ich zwar weiß, wie die Geschichte weitergehen soll, ich aber einfach nicht die Worte finde, dies zu schreiben. Nun ist das bei mir unspektakulär, ich kann den Text dann einfach mal Wochen oder Monate liegen lassen. Wie gehst du mit solchen Situationen um?
Lubbadeh: Eine richtige, wochenlange Blockade hatte ich noch nicht. Aber es gibt Tage, wo einfach kaum was rauskommt. Ich zwinge mich dann dennoch zum Schreiben. Was hilft, ist, morgens vor der Arbeit die sogenannten Morgenseiten zu schreiben – einfach wahllos drei Seiten zu füllen, mit irgendwas, mit allem, was einem in den Sinn kommt. Das entleert den Geist von Müll und Banalem und macht die Synapsen warm für den eigentlichen Schreibprozess.
dsf: Könntest du dir auch Projekte mit anderen Autoren vorstellen? Ich stelle mir das schwierig bis unmöglich vor, will ich doch immer meine Ideen umsetzen und nicht die der anderen. In der Szene gibt es aber genügend Beispiele. Angefangen vom Schreiben nach Exposé bis hin zu echten Kooperationen zwischen zwei oder mehr Autoren. Wie siehst du so ein Projekt?
Lubbadeh: Ja, kann ich mir vorstellen. Aber die Chemie muss stimmen und die Herangehensweise und die Schreibstile müssen einigermaßen kompatibel sein. Der Leser sollte nicht das Gefühl haben, dass das Buch stilistisch auseinanderfällt.
dsf: In der Literatur gibt es genügend Beispiele, dass das Alterswerk eines Autors nicht mehr die Qualität hat, die der Autor auf dem Höhepunkt seines Schaffens hatte. Stellvertretend seien hier nur Karl May, Robert Heinlein oder Isaac Asimov erwähnt. Hast du vor einer solchen Entwicklung Angst? Ich hoffe darauf, dass man mich darauf hinweist, wenn es so weit ist. Wie siehst du das?
Lubbadeh: Also, ich habe ja gerade erst als Schriftsteller begonnen. Über sowas kann man sich Gedanken machen, wenn man viele Jahre im Geschäft ist und einiges geschafft hat.
dsf: Wie siehst du überhaupt dein Schaffen? Gibt es da Personen deines Vertrauens, die dir ehrlich ihre Meinung sagen? Oder gibt es da kein Korrektiv?
Lubbadeh: Klar, die gibt es. Freunden und Kollegen gebe ich Sachen zu lesen, schon während des Schreibprozesses. Dennoch haben die einen Bias, weil diese Leute dir persönlich wohlgesonnen sind und sich womöglich mit Kritikpunkten zurückhalten. Am besten wäre es, Fremden vorab das Manuskript zu zeigen. Ich suche noch nach geeigneten Personen.
dsf: Wenn ich einen Text fertiggestellt habe, bin ich in der Sekunde des Abschlusses euphorisch. Endlich geschafft …, und überzeugt davon, etwas absolut geniales verfasst zu haben. In der Sekunde danach kommt dann immer der Absturz, die Selbstzweifel. Ich überlege dann, ob das Werk überhaupt jemals das Licht der Öffentlichkeit erreichen darf, weil ich mir urplötzlich aller Schwächen bewusst werde (ob berechtigt oder nicht sei mal dahingestellt). Kennst du solche Zustände auch und falls ja, wie meisterst du sie?
Lubbadeh:. Im Moment des Abschlusses bin ich auch euphorisch. Für genial halte ich mich nicht, aber in der Regel bin ich sehr stolz auf mein Schaffen. Die Selbstzweifel habe ich natürlich auch, die sind immer wieder da, mal mehr, mal weniger. Ich denke, als Autor muss man das aushalten lernen, das gehört dazu. Und wenn du den Schritt in die Öffentlichkeit machst, muss dir klar sein, dass es immer Leute geben wird, die es nicht mögen werden, was du geschrieben hast. If you can’t stand the heat, get out of the kitchen. Sonst macht man sich nur kaputt.
Mein Vorteil ist: Von meiner journalistischen Arbeit her bin ich Kritik und Öffentlichkeit gewohnt. Aber klar, ein Roman ist nochmal was anderes als ein Artikel, er ist persönlicher, in ihn sind mehr Arbeit und Herzblut geflossen, da ist man verletzlicher.
dsf: Die SF-Literatur scheint sich im Niedergang zu befinden. In anderen Medien (Film, Computerspiel) ist eher das Gegenteil der Fall. Warum ist das deiner Meinung nach so? Ist es überhaupt so?
Lubbadeh: Die SF-Literatur befindet sich nicht im Niedergang. Das Problem, was ich sehe: Ihre Akzeptanz ist in Deutschland leider gering. In den USA ist das anders.
dsf: Es gibt mehrere deutsche SF-Literaturpreise, die in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit ein Schattendasein frönen. Gibt es deiner Meinung nach Möglichkeiten, das zu ändern?
Lubbadeh: Am liebsten hätte ich es, wenn es solche Genre-Preise gar nicht nötig hätte. Es sollte Literaturpreise geben und die sollten nicht nach dem jetzigen Klassensystem nur vermeintlicher Hochliteratur verbehalten sein, sondern jeglicher Literatur.
dsf: In diesem Zusammenhang: Dein aktuelles Buch „Neanderthal“ wird als Thriller und nicht als SF angeboten. Ist es wirklich in der Literatur „verkaufsschädigend“, wenn auf einem Buch das Label SF erscheint? In anderen Medien (Film/Computerspiel) scheint mir das eher ein Gütesiegel zu sein.
Lubbadeh: Verkaufsschädigend würde ich nicht sagen, ich denke, das ist eher eine Vertriebsentscheidung des Verlags, für welche Leserschichten das Buch passen könnte. „Neanderthal“ ist ein Mix aus Science-Fiction, Thriller, Krimi und richtet sich nicht nur an Science-Fiction-Liebhaber. Das können auch Thriller- und Krimi-Freunde gut lesen, daher steht wohl Thriller drauf.
dsf: Lieber Jens, ich möchte mich an dieser Stelle recht herzlich für das Interview bedanken.
Zu diesem Artikel gibt es einen Diskussionsthread im SF-Netzwerk.