Kategorie: Allgemein

Rezension: “Hell Fever” von Peter Schattschneider

In der Reihe “Heise Online Welten” ist beim Hinstorff-Verlag der Roman “Hell Fever – Höllische Spiele” von Peter Schattschneider erschienen.

Der Held der Geschichte, im wirklichen Leben ein Gymnasiallehrer, wird in der nahen Zukunft in einen Kriminalfall verwickelt, dem ein Freund von ihm zum Opfer fiel. Dabei fällt ihm ein Helm in die Hände, der den Zugang zu einem verdammt realistisch wirkenden Online-Spiel ermöglicht.

An dem Spiel und dem Helm sind Personen interessiert, die wenig Skrupel kennen. Unser Held muss also gleichzeitig versuchen, den Mord aufzuklären, darf sich nicht von den schlimmen Jungs erwischen lassen und verfällt zudem den Reizen des Computerspiels – und einer Mathe-Nachhilfeschülerin.

Auffällig am Roman sind die zahlreichen wissenschaftlichen Exkurse, auf die der universell gebildete Autor den Leser mitnimmt. Mal geht es um Dantes “Göttliche Komödie”, mal um Philosophie, mal um Quantenphysik. Im Nachwort erfahren wir, dass das größtenteils auf realen Erkenntnissen basiert und nur hier und da etwas dazugesponnen wurde.

Weder das Gaming-Thema noch die Thriller-Elemente (oder die Pointe am Schluss) sind im Genre neu. Auch die vorangestellte “Trigger-Warnung” bezieht sich nicht darauf – sondern auf die für Romane eher seltene Wahl eines pädophilen (oder zumindest juvenophilen) Protagonisten. Wohlgemerkt gibt es keine Pornografie im Buch. Aber als Leser nehmen wir unmittelbar an den Versuchen des Protagonisten teil, seine Neigung zu kontrollieren – und erleben auch, wie das misslingt. Ziemlich schnell kommt die Frage auf, ob denn in einem virtuellen Spiel erlaubt ist, was in der Wirklichkeit aus verdammt guten Gründen strikt verboten ist. Wer sich auf solche Themen nicht einlassen möchte, ist bei diesem Buch definitiv falsch.

Eine Beurteilung ist dementsprechend schwierig. Einerseits ist der Roman flüssig geschrieben, die Handlung ist wendungsreich und spannend, die Figuren stimmig und mit Tiefe versehen. Den philosophischen Abschweifungen kann man mit entsprechender Vorbildung folgen, sie sind aber auch so kurz, dass man sie querlesen kann. Das Virtual-Gaming-Thema ist weder neu noch restlos überzeugend dargeboten. Der Schluss (der hier nicht verraten wird) vermag sicher nicht jeden Leser zu befriedigen. Die Neigung des Protagonisten ist mindestens gewöhnungsbedürftig, seine Handlungsweise dementsprechend oft schwer nachzuvollziehen. Ergo ist der Roman ganz sicher in erster Linie dies: Geschmackssache.

Unterhaltung:

Anspruch:

Originalität:

Das Buch gibt es auf Papier und als E-Book überall, wo es Bücher gibt. Weitere Infos und Leseprobe beim Verlag.

Story: “U69” von Marco Rauch

Marco Rauch, 1984 geboren, lebt und arbeitet in Wien. Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft. Er hat bereits während der Schulzeit erste Kurzgeschichten und längere Erzählungen geschrieben. 2013 Veröffentlichung des Romans “Hard Boiled” im Koios Verlag, ausgezeichnet mit dem Encouragement Award bei den ESFS-Awards 2014 der European Science Fiction Society. 2016 erschien die Kurzgeschichte “Willkommen in Wien” in Stadtform, Band 3 / 2016, zum Thema „Apokalypse“.

Wenkmann marschierte über das leere Rollfeld. Hillström, so hieß sein Raumschiff, stand einsam und alleine auf weiter Fläche. Und irgendwie kam es ihm so vor als würde er seinen Kopf hängen lassen. Also, in dem Fall wohl eher das Cockpit. Die alten, verrosteten Raumschiffe und Flugzeuge waren einfach nicht die richtige Gesellschaft für Hillström, war er doch selbst nur ein paar Jahrhunderte alt und somit eben erst ein Teenager.

Die Eingangstür öffnete sich. Hillström stieß einen traurigen, resignierten Seufzer aus. Obwohl es Furcht einflößend aussah, mit seinem knöchernen Exoskelett fast wie ein riesiger animalischer Totenkopf und dem düsteren Cockpit-Auge als Steuerzentrale, das in der Finsternis des Weltalls meist rot glühte und wie ein Unheilbringender Teufel aus dem Nichts auftauchte, war sein Schiff im Kern, also im Inneren seines Wesens so wie viele Teenager: melancholisch, mit Hang zum Weltschmerz, sich unverstanden fühlend und nur auf eines fokussiert. Sex. Rund um die Uhr. Auf jede nur erdenklich Weise.

„Hätten wir nicht nach Stimulacrum Drei fliegen können?“ Hillström hatte eine wohltuende, angenehme, überaus menschliche Stimme.

„Die hätten sich über unseren Besuch nicht gefreut. Das letzte Mal hast du alle C-Beams vor dem Tannhäuser Tor gefressen.“

„Aber die waren gemein zu mir.“ Zu Hillströms Verteidigung musste man einwerfen, dass er bei dem Parkplatz vor dem Tannhäuser Tor noch im Kindergartenalter gewesen war und seine eigene Kraft noch nicht richtig hatte einschätzen können.

„Fliegen wir in die Stadt. Im Prater gibt es vielleicht was für dich.“

Hillström versuchte es zwar zu verbergen, aber Wenkmann waren die zahlreichen Pornos natürlich aufgefallen, nach denen sein Schiff geradezu süchtig war. Kaum lag Wenkmann im Tiefschlaf, ja, manchmal sogar dann, wenn er nur kurz den Kopf von einem Bildschirm wandte und vielleicht sogar jetzt auf einem der abgedrehten Monitore, lief ständig ein Porno. Raumschiffe, interplanetarische Züge, sogar Autos, die es miteinander trieben. Da wurde an Stoßstangen geleckt, an Auspuffen gelutscht, Schaltkreise massiert, Maschinenflüssigkeit auf Cockpit-Scheiben gespritzt. Das wildeste Zeug. Alles was man sich nur vorstellen oder in manchen Fällen gar nicht vorstellen konnte.

Zu sagen der Prater war ein Reinfall, wäre eine Untertreibung gewesen. Hillström war nach seiner Orgie mit Geisterbahnen, dem Riesenrad und sogar den menschlichen Männern und Frauen, die gerade das Pech hatten dort zu sein, alles andere als befriedigt. Es war aber weniger Trotz oder Enttäuschung, die ihn deshalb den Prater, also die Maschinen und Menschen, zerstören ließ, es war vielmehr seine Natur und die Art seiner Fortpflanzung, die dazu führte. Wenkmann wusste das. Der arme Vergnügungspark leider nicht. Die Assimilation mit anderen Wesen und Maschinen war nun mal integraler Bestandteil von Hillströms Art Sex zu haben. Doch der Prater war zu schwach um seiner Lust standzuhalten.

„Na ja. Das war wohl nichts.“ Wenkmann kratzte sich am Kopf und betrachtete das Trümmerfeld vor sich.

Hillström landete neben ihm. „Ich hoffe du hast noch andere Vorschläge.“

„Natürlich. Massenhaft.“ Das Kratzen wurde stärker und schneller. „Keine Sorge. Das war nur der Anfang.“

Wenn Hillström Augenbrauen hätte, die er skeptisch in die Höhe ziehen könnte, würde er das jetzt tun, denn seinen Sensoren entging nicht die Nervosität, die das Kratzen und auch die leicht zittrige Stimme Wenkmanns verrieten.

„Nun?“ Hillström öffnete den Einstieg. „Wohin?“

Langsam schritt Wenkmann die viel zu kurze und kleine Rampe hinein und musste sich schleunigst etwas überlegen. Nur ungern wollte er mit einem wütenden, unbefriedigten Schiff im Tiefschlaf durchs Weltall fliegen. Wenkmann wollte sich gar nicht ausmalen, was da alles passieren könnte.

Doch zum Glück waren die Trümmer des Praters die Rettung. „Zum Schrottplatz.“

„Schrottplatz?“

„Als wir her geflogen sind, hab ich einen gesehen. Straßenbahnen und Busse, so viele du willst.“

„Besser als ein Stein im Getriebe.“

Wenkmann schauderte. Leider kannte er auch diese Art Pornos. Maschinen, die sich gegenseitig Steine, manche Sternenkreuzer sogar ganze Gebirge, in Antriebswellen und Getriebe schoben und befriedigt seufzten. Sich gegenseitig mit Scheibenwischer auspeitschten und mit Sprengsätzen kitzelten und verletzten, nur um durch den Schmerz Lust zu empfinden.

Die alten selbstfahrenden Straßenbahnen und Autobusse waren längst nicht mehr auf dem neuesten Stand der Dinge und deshalb eingerostet wenn es um flirten, One-Night-Stands und schmutzigen Sex ging. Dank seines kräftigen, imponierenden Äußeren war kein einziger männlicher Konkurrent vorhanden, der es mit ihm aufnehmen konnte. Hillström standen alle Bahnen und Busse, die wollten – und es wollten alle – zur freien Auswahl. Wobei er gar keine Wahl traf. Hillström nahm sie alle.

Zum Glück war er geduldig genug die Menschen, die in den Bahnen und Bussen hausten, aussteigen zu lassen. Mit dem Leben davonzukommen war ein guter Trost, Angesichts der Tatsache, dass sie soeben ihr Zuhause im Verlauf einer sexuellen Maschinen-Orgie verloren.

„Tut mir Leid.“ Wenkmann wischte sich einen Ölspritzer aus dem Gesicht. Er hoffte es war nur Öl und nicht eine der anderen Maschinenflüssigkeiten deren Herkunft kein Mensch kennen wollte.

„Was man nich’ alles tut um seine Maschinen glücklich zu machen, nich’?“, sagte ein junger Mann neben Wenkmann.

„Wem sagen Sie das. Wirklich, es tut mir Leid.“

„Schon gut. Wissen Sie schon, wo’s hingeht, wenn ihm das nich’ reicht?“

„Keine Ahnung.“ Wenkmann wich einem vorbeifliegenden Motorblock aus. Jetzt wurde es richtig schmutzig. „Haben Sie eine Idee? Bitte, ich wär für jeden Vorschlag dankbar.“

„Versuchen Sie’s mal damit. Is’ zwar nur ne’ Legende, aber wer weiß.“ Der junge Mann reichte Wenkmann ein Prospekt von einer sogenannten U-Bahn. Kurz bevor der Großteil der Menschheit die Erde verlassen hatte, war in Wien das Projekt zur neuen Linie U69 in Gang gesetzt worden. Zwei Züge sollten die ganze Linie abfahren. Neue, moderne Antriebssysteme, intelligente Steuerung und ein erotisches, rotes, spärlich bekleidetes Äußeres. Der männliche Zug wurde im Chaos der Zerstörungen auf der Erde vernichtet. Nur die weibliche U69 blieb übrig, die jetzt noch immer einsam und alleine im Untergrund ihr Dasein fristen soll und ihre Runden durch die Tiefen der Stadt zog.

Kaum sah Hillström das Bild der U69 war es um ihn geschehen. Vergessen war das durch Wien wandernde Haus des Meeres oder der zum Leben erwachte Folterkeller. Jetzt zählte nur mehr die U69, all seine sexuellen Fantasien projizierten sich auf diese eine U-Bahn.

Einen Einstieg in den Untergrund zu finden war nicht schwer. Hillström hatte genug Feuerkraft um einen ganzen Planeten in Schutt und Asche zu legen, dabei sollte man meinen, dass er nach all den Orgien etwas ausgelaugt wäre. Eine wohl platzierte Sprengung später und schon gab es einen Raumschiffgroßen Eingang in den Untergrund. Dass die beiden umstehenden Gebäude dabei auch in Mitleidenschaft gezogen wurden, tat Hillström mit einem beiläufigen Schulterzucken – sofern er Schultern zum Zucken gehabt hätte – ab.

Wenkmann und Hillström flogen durch die finsteren Tunnel. Teile lagen unter Wasser. Andere Teile waren von schick und prunkvoll gekleideten Reichen bewohnt, die aus Wien verstoßen wurden, weil sie einfach zu anders, sprich zu normal für die mutierte Oberwelt waren und deren Vorfahren es damals nicht mehr rechtzeitig vom Planeten geschafft hatten.

Plötzlich war sie da. Die U69 jagte aus einem Tunnel an ihnen vorbei. Sie funktionierte offensichtlich einwandfrei und legte ein mörderisches Tempo vor. Hillström schwenkte so schnell um, dass Wenkmann im Cockpit durch die Luft flog, und raste der U69 hinterher.

In den dunklen, labyrinthischen Tunneln verlor Hillström seine Angebetete aus dem Auge. Ihre feine Spur lag noch in der Luft, aber sie hatte ihren Verfolger abgeschüttelt.

Wenkmann nahm das alte Prospekt zur Hand. Darauf war ein Plan der Linie eingezeichnet.

„Flieg da lang.“ Er deutete in den Tunnel zu ihrer Linken und beschrieb Hillström den Weg, bis sie die U69 wieder vor sich hatten, doch diesmal standen sie und die U-Bahn sich gegenüber und starrten sich an.

Hillström öffnete die Eingangstür. „Du willst aussteigen.“

Wenkmann sah sich um. „Was. Hier? Hier sind überall Ratten und Reiche.“

„Was hier gleich passiert, das würdest du nicht überleben, wenn du in mir bleibst.“

„Gutes Argument.“ Wenkmann stieg aus.

„Gleich neben dir ist ein Aufgang. Warte oben auf uns.“

Das letzte was Wenkmann sah, ehe er sich wieder an die Oberfläche rettete, war ein wildes Durcheinander an Einzelteilen. Hillström öffnete seine Form, damit die U69 direkt, quasi mit dem Kopf voran, in ihn eindringen konnte. Kaum war sie in ihm, schloss Hillström sich und das Spektakel nahm seinen, für alle die im näheren Umkreis stehen würden, tödlichen Verlauf.

Oben spürte er nur die Erdbeben unter sich, die Hitze von aneinander reibenden Metall- und Maschinenteilen, die durch den alten Beton nach oben drang, hörte im wahrsten Sinne die Funken sprühen und die lauten, kreischenden Geräusche der Gleise, die wohl auch irgendwie in das Liebesspiel mit eingebunden wurden. Und dann Stille.

Wenkmann aktivierte die implantierte Funkverbindung zu Hillström.

„Du bist nicht von hier?“ Hörte er eine leise, liebliche und ohne Zweifel weibliche Stimme.

„Nein. Ich komme von den Sternen.“

„Da würde ich gerne mal hin. Hier unten ist es so einsam und trostlos.“

„Kein Problem.“

Wenkmann stellte sich die beiden da unten vor, wie sie Arm in Arm nebeneinander auf den lauschigen, kalten und harten Gleisen lagen, eng aneinandergeschmiegt genüsslich eine Zigarette teilten und über eine gemeinsame Zukunft redeten.

„Wann denn?“

„Wenn du willst gleich.“

Was? Wenkmann wurde hellhörig.

Zu spät. Da brach der Beton vor ihm auf. Hillström, nun in schickem Rot und mit nicht mehr ganz so bedrohlichem Exoskelett, sondern einem, das durchaus weibliche Rundungen besaß, kam aus der Öffnung im Boden. Das Raumschiff war größer geworden. Es war nicht mehr so männlich und phallisch wie Wenkmann das gewohnt war und durchaus gemocht hatte, das verlieh seinem Auftreten stets eine gewisse Potenz, die sein fleischlicher Körper nie auszudrücken vermochte. Stattdessen war Hillström nun mit der U69 vermischt, nicht nur was Farbe und Form betraf, sondern auch im Inneren. Beide Maschinen, also ihr jeweiliges Bewusstsein, war nun eins.

Wenkmann freute sich für Hillström. Jetzt war er befriedigt und auf den langen Reisen durchs Weltall, wenn Wenkmann seine Zeit im Tiefschlaf verbrachte, nicht mehr einsam. Ja, darüber freute er sich.

Weniger freute er sich darüber, dass Hillström und die U69 ihn einfach in Wien zurückließen, während die beiden Turteltauben ins Weltall flogen.

ENDE

Anmerkungen, Lob, Kritik? Wir haben dazu einen Sammelthread in unserem Unterform im SF-Netzwerk!

DSFP geht an Hillenbrand und Küper

Das Komitee zur Vergabe des Deutschen Science-Fiction-Preises hat entschieden:

Der besten 2018 erschienene Roman ist »Hologrammatica« von Tom Hillenbrand, Kiwi (Kiepenheuer & Witsch), die beste deutschsprachige Erzählung ist »Confinement« von Thorsten Küper, erschienen in »Nova 26«.

Der DSFP wird verliehen im Rahmen des PentaCon in Dresden am 2.11.2019 und ist mit je 1000 Euro dotiert. Wir gratulieren den Gewinnern!

Alle weiteren Infos zum Preis sowie die weiteren Platzierungen gibt es auf der offiziellen Homepage.

Ausschreibung: Storys für dsf

Wie ihr wisst, veröffentlichen wir in unregelmäßigen Abständen Kurzgeschichten hier auf deutsche-science-fiction.de.

Was ihr vermutlich nicht wisst ist, dass diese Geschichten zu den am meisten aufgerufenen Seiten gehören! Außerdem planen wir für Dezember ein E-Book zu veröffentlichen, das alle bis dahin erschienenen Geschichten bequem zusammenfasst.

Grund genug, zum Mitmachen aufzurufen: Schreibt Geschichten oder sendet uns fertige. Für die Zeit bis zum Redaktionsschluss des diesjährigen Sammelbands starten wir hiermit eine Ausschreibung: Wir veröffentlichen die besten eingesendeten Geschichten auf unserem Portal und im E-Book.

Es gibt nur zwei einfache Vorgaben: Eure Geschichten müssen in Deutschland, Österreich oder der Schweiz spielen und sie sollen witzig sein (wenigstens ein bisschen), denn ernste Geschichten haben wir schon eine ganze Reihe.

Sendet eure Texte einfach bis 30. November per Mail an kontakt (at) deutsche-science-fiction.de, wir sind gespannt!

Hinweis: Wir veröffentlichen gute Geschichten je nach Eingangsdatum, nicht erst im Dezember.

Rezension: “Userland” von Uwe Hermann

Im Jahr 2069 gibt es die SPHÄRE, eine virtuelle Kopie von Berlin, in das man wechseln kann, wenn einem das echte nicht mehr gefällt – allerdings endgültig. Auf diese Weise wird die Ehefrau des Protagonisten Lloyd vor dem ansonsten sicheren Tod gerettet. Er selbst ist im Sicherheitsteam der Firma beschäftigt, die die SPHÄRE betreibt. Als der Sitz des Unternehmens überfallen wird, fällt der Verdacht auf Lloyd, und ihm bleibt nichts anderes übrig, als auf eigene Faust nach den echten Tätern zu suchen.

Nach “Versuchsreihe 13” legt Uwe Hermann einen weiteren Thriller vor, der in einer deutschen Großstadt spielt. Auch im Jahr 2069 ist das heutige Berlin noch gut wiedererkennbar, so dass der Roman eine Portion Lokalkolorit auf der Haben-Seite verbuchen kann.

Die rasante und wendungsreiche Handlung nimmt den Leser mit auf eine Achterbahnfahrt durch das echte und das virtuelle Berlin. Gegen Ende muss man ob der vielen Figuren und gewisser Komplikationen aufpassen, dass man den Faden nicht verliert.

“Userland” ist ein abwechslungsreicher, filmreifer, futuristischer Thriller – nicht mehr und nicht weniger.

Unterhaltung:

Anspruch:

Originalität:

Atlantis Verlag, 240 Seiten, 12,90, auch als E-Book und Hardcover erhältlich

Story: “Das Blinzeln des ehrwürdigen Pangu” von S. A. Dürigen

S. A. Dürigen ist in der Phantastik – in all ihren Erscheinungsformen – zu Hause. Er würde Asimov Lem immer vorziehen, schaut manchmal stundenlang in den Sternenhimmel und kümmert sich unter der Woche um die Datenbanken eines Versicherungs- und Finanzmaklers. Das Konzept von Langeweile ist ihm fremd. Erreichbar ist er unter: info@duerigen.org

1.

Heute Morgen, auf dem Weg hinab ins Dorf, war der Himmel noch ganz normal gewesen. Zhao hatte den Markt besucht, frischen Fisch gegen Wurzeln aus den Bergen getauscht. Auf dem Rückweg, er war schon ein ganzes Stück unterwegs, fing der Horizont an, gleißend hell zu leuchten. So hell, dass sogar der Aal in seinem Kessel unruhig hin- und herplanschte.

Das Licht war wie eine Warnung – komm nicht näher, bleib fern. Und Zhao wäre natürlich gern ferngeblieben, aber er konnte nicht. Dort oben, auf der kleinen, felsigen Lichtung, im Schatten von hundertjährigen Kiefern, graste eine junge Milchziege – ein bescheidener Luxus, den Zhao sich nach vielen Jahren harter Arbeit letzten Winter geleistet hatte.

Je weiter er ging, desto heller wurde das Licht. Als es so grell war, dass der Anblick schmerzte, wickelte er sich sein Hemd um den Kopf. Die Augen geschützt, den Blick zu Boden gerichtet, schleppte er mit der einen Hand den schweren Kessel und zog sich mit der anderen von Baum zu Baum und von Fels zu Fels den schmalen und rutschigen Pfad den Berg hinauf. Meter für Meter wurde das Licht heller, so hell, dass Zhao irgendwann seine eigenen Füße nicht mehr sehen konnte. Die Geräusche des Waldes verstarben eins nach dem anderen, bis schließlich nur noch das Stapfen seiner Sandalen und das Schwappen des Wasserkessels übrig blieben.

Es dauerte eine ganze Weile – vermutlich, Zhao hatte im grellen Weiß ringsherum jegliches Gefühl für Zeit verloren – da überschritt er eine Grenze und das Licht verschwand. So abrupt, dass er ganz benommen dem verschwommenen Meer aus Farben entgegenblinzelte. Aus der verquollenen Farbmasse materialisierte sich eine meterhohe Wand, äußerlich am ehesten mit milchigem Glas zu vergleichen, die quer über den Pfad verlief und sich links und rechts, soweit das Auge reichte, durch den totenstillen Wald erstreckte. Zhao stellte den Kessel vorsichtig auf den Boden und trat an die Wand heran. Er streckte die Hand aus – und seine Finger fuhren einfach durch sie hindurch. Erschrocken wollte er zurückweichen, aber etwas packte seinen Arm und zog ihn mit einem Ruck auf die andere Seite.

Er stolperte und fiel. Als er aufsah, war er umringt von Gestalten, gekleidet in leuchtend gelbe, sehr weite Anzüge – die Gesichter hinter verspiegelten Helmvisieren verborgen. Sie hielten schwere Maschinengewehre in den Händen und einer von ihnen, der einzige mit blauem Anzug, schrie in einer Sprache auf Zhao ein, die er nicht verstand. Er sah zu Boden und hob die Hände hoch über den Kopf, so wie er es vor vielen Jahren, kurz nach Ende des großen Krieges, von seinem Vater gelernt hatte.

Er wusste, dass ihm so niemand ein Leid antun konnte.

2.

Ungeachtet der Tatsache, dass sich im Inneren der Apotheke leere, eilig aufgerissene Pappkartons stapelten, Zeitschriften auf den Fliesen verstreut lagen und die Apothekerin einen aufgewühlten Eindruck machte, wünschte Peer, »einen wunderschönen guten Tag.«

Die Frau sah ihn irritiert an, wandte ihm wortlos den Rücken zu und wühlte in ihrer Handtasche.

»He«, sagte Peer, »was tun sie denn da?«

»Packen.«

»Packen? Was soll das heißen?«

»Dass ich verschwinde.«

»Verschwinden, wieso?«

Die Frau legte ihre Tasche auf die Theke und steckte einige Packungen Lakritz hinein.

»Das hätte ich schon gestern tun sollen«, sagte sie ohne aufzuschauen. »Ich dachte, die Menschen würden vielleicht meine Hilfe benötigen. Aber das hat sich wohl von selbst erledigt.«

»Keineswegs«, sagte Peer und legte ein Zettelchen auf den Tresen. »Ich hätte hier ein Rezept.«

»Mhm«, die Apothekerin sah müde auf und überflog das Rezept. »Das ist ja von letzter Woche.«

»Ja und?«

»Na ja, ich mein ja nur.« Sie schob das Zettelchen zurück. »Ist aus.«

Sie packte weiter.

»Wie, ist aus?«

»Na haben sie doch gehört. Die Soldaten haben alles mitgenommen.«

»Mitgenommen?«, fragte Peer bestürzt. »Aber ich habe hohen Blutdruck. Ich brauche dieses Medikament.«

»Tut mir leid«, sagte sie. »Das einzige, was die hiergelassen haben, sind Hustenbonbons und Vitamine.«

»Kann ja wohl nicht wahr sein«, schimpfte Peer. »Wieso machen die denn sowas?«

Die Apothekerin hielt mitten in der Bewegung inne und sah Peer an, als käme er von einem fremden Planeten.

»Sagen sie, schau’n Sie denn kein fern?«

3.

Aus den Augenwinkeln sah Zhao, wie die Gestalten ihre Waffen sinken ließen. Der Mann, der eben noch geschrien hatte, schulterte seine Waffe und beobachtete den Neuankömmling regungslos durch sein Visier hindurch. Während Zhao da so stand und die Blicke der gesichtslosen Fremden über sich ergehen ließ, überkam ihn eine unangenehme Hitze und seine Haut begann am ganzen Körper zu jucken. Er ließ die rechte Hand ein wenig sinken – ganz langsam, vorsichtig – und strich sich mit der Rückseite über eine besonders peinigende Stelle an der Schläfe. Er zuckte zusammen, denn statt Linderung entfachte die Berührung feurige Schmerzen. Ungläubig betrachtete er, wie eine milchige, rot gemaserte Flüssigkeit seinen Handrücken herunterlief. Die Gestalten wichen erschrocken zurück. Einer, ganz in weiß gekleidet, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, kam herbei, zückte ein kleines silbernes Döschen und hielt Zhao ein schwarzes Pillchen vor die Nase.

Er machte eine unmissverständliche Geste mit der Hand zum Mund.

Als Zhao nicht reagierte, wiederholte er die Geste – und als Zhao statt nach der Pille nach dem Kästchen griff, zog er es nervös weg, als wäre Zhao etwas Schmutziges, und ließ die Pille vor ihm in den Dreck fallen. Er verschwand mit raschen Schritten in der schützenden Phalanx seiner leuchtend gelb gekleideten Kumpane.

Zhao hob die Pille widerwillig auf – er wusste, er hatte keine andere Wahl – und schluckte sie, ebenso widerwillig und mit trockener Kehle, herunter, und augenblicklich verschwand die Hitze, ebenso der nagende Juckreiz und die Pein, und ein tief empfundenes Gefühl von Freude überkam ihn.

Er ließ die Arme sinken und strahlte seine Freunde – denn Freunde mussten sie sein – an, und er öffnete den Mund um sich zu bedanken, aber es kamen nur ungelenk wühlende Laute heraus.

Er schmunzelte darüber und zeigte mit einem Finger auf seinen Kopf, so als wäre er der Mittelpunkt eines großen Spaßes, und er versuchte es mit einem Grinsen, aber auch das wollte nicht so recht gelingen. Und der Gedanke war so komisch, dass er am liebsten laut losgelacht hätte.

Er machte einen Schritt auf den Mann im blauen Anzug zu, um ihm auf die Schulter zu klopfen, aber als er seinen linken Fuß vor den rechten setzte, versagten seine Beine und er stürzte – und im letzten Moment, fast ohne zu zögern, fing ihn der Blaue auf.

Und als Zhaos Welt sich verdunkelte, war das Letzte, was er sah, oder dachte zu sehen, der schemenhafte Umriss eines Gesichts, das nicht viel anders war, als sein eigenes.

4.

»Laut Aussagen zuverlässiger Quellen haben Japan und Indien den Kontakt zu ihren Hilfstruppen verloren. Russland hat den Kriegszustand ausgerufen. Quellen berichten von massiven Truppenbewegungen von Ost nach West, ganz so als würde die russische Regierung den fernen Osten aufgeben, um …«

Mit einem Klick ging der Fernseher aus, das Surren des Kühlschrankes verstummte.

»Schöner Mist«, fluchte Peer und goss sich Gin nach. Wenn er es sich recht überlegte, brauchte er keine Bluthochdruckmedikamente. Er brauchte gar nichts. Von niemandem. Er nahm einen Schluck und betrachtete die schwarze Mattscheibe des Fernsehers.

Gut, das war ein wenig ärgerlich. Er sah aus dem Fenster, sprang kurzentschlossen auf und ging zum Kühlschrank. Einen Moment war er davon irritiert, dass es im Inneren dunkel war. Er griff nach einer Bierflasche, drehte den Verschluss auf und nahm einen kräftigen Schluck.

5.

»Was soll das heißen, wir können nicht mit?«, fragte Lew. »Der Zug ist doch nicht mal halb voll.«

»Sonderfahrt«, antwortete der Soldat knapp. »Keine Zivilisten.«

Lew sah zu Tasha, die Arme schützend um Fjodor und Kirjnka geschlungen, dann sah er zum Horizont. Das unnatürliche Strahlen über den Bergen war nicht mehr zu leugnen.

»Hör mal«, sagte Lew, »das da sind meine Frau und meine Kinder. Ich werde nicht zulassen, dass ihnen etwas passiert.«

Der Soldat sah ihn das erste Mal direkt an.

»Tut mir leid«, sagte er mit gesenkter Stimme, »ich kann dir nicht helfen.«

»Verdammt«, Lew wurde lauter, »ich …«

Der Soldat hob die Waffe gerade so weit, dass Lew die Bewegung wahrnahm.

»Sonderfahrt«, sagte er. »Keine Zivilisten.« Leiser fügte er hinzu: »Wir haben Schießbefehl, selbst wenn ich wollte, könnte ich dir nicht helfen. Nach dir wär ich der Nächste.«

»Scheiße.« Lew wandte dem Mann den Rücken zu.

… und sah sich seiner Familie, seinem größten und kostbarsten Schatz auf Erden gegenüber. Gerührt davon, wie er sie da so Arm in Arm stehen sah, musste er trotz der ausweglosen Situation lächeln.

Kirjnka winkte …

… und Lew winkte zurück.

6.

»He da, Nachbar«, rief Peer. Flemming ignorierte ihn. Bei Verhoevens von nebenan war es ein heilloses Durcheinander. Offenbar hatten sie es sich in den Kopf gesetzt den gesamten Hausstand in ihren französischen Kleinwagen zu laden. Peer drehte seinen batteriebetriebenen Ghettoblaster auf. Flemming warf ihm im Vorbeigehen einen mitleidigen Blick zu.

»Was denn«, rief Peer und verringerte die Lautstärke.

»Hör mal«, sagte Flemming, »dein Radio hat bald keinen Saft mehr, dein Grill keine Kohlen und dein schönes Fleisch wird dir verderben. Pack deine Sachen zusammen und fahr zu einem der Sammelzentren an die Küste.«

Peer lächelte geringschätzig.

»Schatz«, rief Flemmings Frau, »wir sind soweit, kommst du?«

»Gleich, Liebling«, rief er zurück und wandte sich wieder Peer zu.

»Mir ist es egal, was du tust«, sagte er, »wir hatten hier nicht die beste Zeit miteinander, und wenn du willst, dass wir so auseinandergehen, dann soll mir das recht sein.«

Er stand einen Moment so da, als erwartete er, dass sein Gesprächspartner einlenken würde.

Ohne Flemming aus den Augen zu lassen, griff Peer nach seinem Glas, entschied sich mitten in der Bewegung um und setzte stattdessen die ganze Ginflasche an. Er wischte sich genießerisch über den Mund und grinste seinen Nachbarn triumphierend an. Der sah angewidert zurück.

»Ist nicht schade um dich, Peer.«

Er machte kehrt.

Peer nahm noch einen Schluck.

»Scheißkerl«, murmelte er, »du mit deinem französischen Kleinwagen und deiner glattgeschorenen Bonsaihecke.«

Er stand noch einige Zeit an der Grundstücksgrenze – die ihm bis zu den Knien wuchs – und sah der Nachbarsfamilie nach, bis sie am Ende der Straße einbog.

Dann sackte er kraftlos in seinen Klappstuhl zurück. Er entschied sich dazu, ein kleines Schläfchen einzulegen.

Als er die Augen öffnete, brannte der Horizont in grünem Feuer. Er hatte Bilder davon im Fernsehen gesehen, aber das hier sah anders aus. Das war kein unangenehmes Leuchten, das war ein scheußliches, brennendes Inferno. Er sprang auf und stieß dabei gegen seine fast ausgetrunkene Ginflasche, die auf den Terassenplatten zerschellte.

Peer rannte zum Auto, startete den Motor, fuhr in Windeseile rückwärts aus der Auffahrt und nur eine Minute später ließ er den Ortsausgang hinter sich. Er schaute gerade in den Rückspiegel, da setzte sich die Wand aus Licht explosionsartig in Bewegung und pflügte über die Landschaft hinweg. Peer drückte das Gaspedal herunter bis zum Boden, aber im nächsten Moment rollte der Sturm aus Licht stumm über ihn, die Häuser, Vorgärten und Bäume. Der Motor heulte auf, der Wagen machte einen Ruck und fuhr dann unbeeindruckt weiter. So schnell wie es gekommen war, verschwand das Licht wieder.

Peer nahm den Fuß vom Gaspedal. Verdutzt fuhr er an den Wegesrand und stellte den Motor ab. Er stieg aus und atmete tief ein. Wie er da so stand, ein- und ausatmend, bekam er gute Laune.

Er fuhr nach Hause, nahm in seinem Klappstuhl Platz und beobachtete eine Ansammlung schneeweißer Wolken, die langsam über den Horizont glitt.

7.

Lew lehnte am Apfelbaum, den sein Großvater als junger Mann gepflanzt hatte und sah in den strahlend blauen Himmel. Obwohl der Herbstanfang sich mit großen Schritten näherte, war die Luft erfüllt von einem fast frühlingshaften Aroma. Der knorrige alte Baum hatte heute das erste Mal seit zehn Jahren Blüten getrieben.

»Lew«, rief Tasha aus der Küche, »was machst du denn noch da draußen? Komm endlich und bring noch etwas Holz für den Herd mit.«

Lew strich sanft über die Borke des alten Baumes, klaubte ein Bündel Bruchholz zusammen und ging ins Haus. In der Küche lief das Radio:

»… anonyme Berichterstatter vor Ort sprechen von entlaubten Wäldern und massivem Artensterben. Augenzeugenberichte über gut vorbereitete Militärs in den Grenzregionen wurden von der Regierung der Volksrepublik China dementiert. Regierungssprecher gehen von einem natürlichen Phänomen aus. Kritiker sprechen von großangelegten Experimenten zur Luftsäuberung. Satellitenaufnahmen zeigen zahlreiche Flugobjekte unbekannter Herkunft in der Stratosphäre.

Die Regierung der Volksrepublik weist jegliche Anschuldigungen empört von sich. Wären Experimente dieser Größenordnung geplant gewesen – so eine offizielle Stellungnahme – wäre man vorher damit an die Weltöffentlichkeit gegangen, um gemeinsam über derartige Technologien und ihre zukünftige Verwendung zu entscheiden.

Alleingänge einzelner Staaten nützen niemandem, so heißt es. Der Volksrepublik China ist am Wohl aller Menschen gelegen.

Jedes Leben ist wertvoll.«

8.

»Hallo? Wer ist da?«

»Niemand«, antwortete eine Stimme in Zhaos Kopf.

»Was soll das heißen, niemand?«

»Nichts«, antwortete die Stimme in gleichmütigem Tonfall.

»Ich verstehe nicht. Wo bin ich hier?«

»Im Krankenhaus.«

Zhao schlug überrascht die Augen auf. Aber da war nur Dunkelheit.

»Wie lange bin ich schon hier?«, rief er. »Jemand muss meine Ziege füttern.«

»Sorg dich nicht. Es ist an alles gedacht.«

»Ich … was ist mit mir, wieso kann ich nichts sehen?«

»Du bist ein Held.«

»Ein Held?«

»Ja, Zhao.«

Er spähte in die Dunkelheit, suchte Umrisse, eine Bewegung, irgendwas. Aber da war nichts.

»Ich will kein Held sein.«

»Das kann man sich nicht aussuchen, Zhao.«

»Ich will nach Hause.«

»Das geht nicht, Zhao.«

»Sag nicht immer meinen Namen! Ich will sofort nach Hause.«

Die Stimme antwortete nicht.

»Hallo?«

»Du solltest jetzt weiterschlafen«, sagte die Stimme ruhig.

»Was?«

»Schlaf weiter, Zhao.«

»Was? Nein!«

Eine Welle unbarmherziger Glückseligkeit flutete durch Zhaos wehrlosen Geist.

»Schlaf«, befahl die Stimme.

»Ich … ich will nicht.«

Eine weitere Welle, größer, mächtiger und so voll Heiterkeit und Glück, dass sie Zhao Furcht einflößte. Es war immer noch dunkel, schwarz. Aber die Finsternis leuchtete nun.

»Schlaf!«

Der letzte Befehl wehte Zhao empor und er fühlte sich nun federleicht. Ein Negativabbild seines Lebens breitete sich vor ihm in der Dunkelheit aus. Er betrachtete die spiegelverkehrte Chronologie all dieser Jahre und stellte fest, dass es im Nachhinein nichts daran auszusetzen gab. Durchflutet von dieser Gewissheit hatte der Abschied von all dem in diesem Moment weniger Gewicht als ein vertrockneter Reissamen, den der Wind nach einer erfolgreichen Ernte vom Rand einer Terasse zur nächsten weht.

Neu: “Userland” von Uwe Hermann

Frisch gedruckt erhältlich als Paperback (oder E-Book) ist Uwe Hermanns neuer Roman “Userland”. Der bereits mit dem Deutschen SF-Preis und Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnete Autor legt mit seinem zweiten Roman nach “Versuchsreihe 13” einen weiteren Nahzukunfts-Thriller vor.

Die SPHÄRE – das bessere Berlin.
Im Berlin des Jahres 2069 sind bereits Hunderttausende von Menschen in die SPHÄRE gewechselt, einer perfekten, virtuellen Kopie der Stadt. Die Transferierten, genannt Essenzen, hoffen auf einen Neuanfang und waren bereit, ihr reales Leben dafür aufzugeben.
Noah Lloyd arbeitet bei GOLIATH, der Firma, die die SPHÄRE geschaffen hat, als ein Anschlag auf sie verübt wird. Dann wird ihm ein mysteriöser Datenstick zugespielt.
Plötzlich steht er im Mittelpunkt der Ermittlungen. Gejagt von der Polizei muss Noah Lloyd in einem von Drogen, Prostitution und Kriminalität gezeichneten Berlin seine Unschuld beweisen. Dabei helfen kann ihm nur seine Frau, doch die hat er gegen ihren Willen in die SPHÄRE geschickt.

Klappentext

Das Buch gibt es überall, wo es Bücher gibt, oder direkt beim Verlag.

Mehr Infos beim Atlantis-Verlag

Rezension: “Die letzte Crew des Wandersterns” von Hans-Arthur Marsiske

Wir hatten ja kürzlich über den Start der neuen SF-Buchreihen von c’t, heise online und dem Hinstorff-Verlag berichtet.

Inzwischen liegt der erste Roman aus der Serie “heise online Welten” vor und kommt in den Genuß einer Rezension: “Die letzte Crew des Wandersterns” von Hans-Arthur Marsiske.

Im Mittelpunkt des Romans steht die titelgebende Crew der ISS, die den Auftrag hat, die Raumstation “abzuwickeln”, d.h. letzte Experimente durchzuführen und sie dann kontrolliert zum Absturz zu bringen, weil sich die beteiligten Regierungen nicht mehr auf eine gemeinsame Weiterfinanzierung einigen konnten.

Auch wenn das Ende dann nicht ganz planmäßig kommt (und stark an “Gravity” erinnert), ist somit die Handlung nahezu vollständig zusammengefasst. Tatsächlich handelt es sich um einen Kurzroman von knapp 200 Seiten, der seinen Fokus nicht auf eine klassische Abenteuerhandlung legt. Vielmehr nimmt sich der Autor viel Zeit, seinen Figuren auf der ISS (und auf der Erde) Leben einzuhauchen. In Rückblenden und in Gesprächen auf der Raumstation lässt er die Figuren ausführlich über verschiedene Themen diskutieren, die dem Autor offensichtlich am Herzen liegen. Dabei entpuppt sich der Roman letztlich als Hard SF, also wissenschaftlich weitestgehend korrekte SF, die in der aus der sokratischen Philisophie bekannten Dialogform eine ganze Palette politischer, gesellschaftlicher, ethischer aber auch naturwissenschaftlicher Fragen aufwirft und diskutiert. Dabei geht der Autor erfreulicherweise über Stammtisch- oder Binsenweisheiten weit hinaus und bringt Aspekte auf den Tisch, die den Rezensenten bisweilen dazu brachten, neugierig gewisse Dinge in der Wikipedia nachzuschlagen. Hervorzuheben ist, dass die durchaus spannenden Themen von den fiktiven Figuren nicht ausufernd diskutiert werden, aber auch über reines “Buzzword-dropping” weit hinausgehen. So wird die Erzählung weder langweilig noch zu einem anstrengenden, wissenschaftlichen Vortrag. Der Autor bringt am Ende sogar das Kunststück fertig, die meisten Aspekte der zunächst scheinbar zusammenhanglosen Themenfäden zu bündeln.

Mein Urteil: Ein beachtliches Werk für Leser, die gerne mitdenken – und ein vielversprechender Auftakt einer neuen, anspruchsvollen aber trotzdem gut “verdaulichen” SF-Reihe.

Das Buch ist im Hinstorff-Verlag erschienen und als Paperback sowie E-Book überall erhältlich.

Unterhaltung:
Anspruch:
Originalität:

Rezension: “Die Reinsten” von Thore D. Hansen

Nach einer globalen Katastrophe – Atomkrieg, Seuchen, Klimawandel – haben die überlebenden Menschen die Macht über die Welt an eine gewaltige KI namens Askit abgegeben, die daraufhin über mehrere Generationen hinweg die Reste der alten Zivilisation recycelt und den Menschen in einigen großen, geschützten Refugien Sicherheit und Überleben bietet. Die Elite bilden die “Reinsten”, die dank Cyber-Implantat ständig mit Askit verbunden sind, gescannt und mit Punktzahlen bewertet werden. Die “Reinsten” sind Wissenschaftler, die gemeinsam mit Askit an der Wiederherstellung der Welt arbeiten. Allerdings beantwortet Askit, anders als sein Name suggeriert, keineswegs alle Fragen der Menschen, sondern scheint einen eigenen, undurchschaubaren Plan zu verfolgen. Als eine der Reinsten, Eve, aus “Paradise” (!) und damit dem Einflussbereich von Askit flieht, trifft sie weit weg auf von Askit geduldete Kolonisten, die der postapokalyptischen Welt auf ihre eigene Weise Lebensraum abgerungen haben. Dort werden nach und nach Geheimnisse der Vergangenheit gelüftet, aus denen sich dramatische Zukunftsfragen ergeben.

Der soweit durchaus reizvolle Ansatz hat in der Romanumsetzung leider gleich mehrere Probleme. Das größte davon ist Askit. Die undurchschaubare KI ist nichts anderes als ein gigantischer deus ex machina. Zu keinem Zeitpunkt haben die menschlichen Figuren irgendeine Chance, die genauen Pläne von Askit zu erkennen, Gründe für seine Handlungen nachzuvollziehen oder gar Einfluss auf es (Askit ist sächlichen Geschlechts) zu nehmen. Die “Reinsten”, die an sich Wissenschaftler sein sollen, handeln zumindest nach heutigen Maßstäben nicht wie solche. Sie reden viel und viel aneinander vorbei, sie reisen umher, debattieren über vage Vermutungen, ohne Tiefgang, ohne Erkenntnisgewinn. Erst nach einem Drittel des Romans kommt die Handlung richtig in Gang. Den zu diesem Zeitpunkt “Verstoßenen” (laut Klappentext; in Wirklichkeit läuft Eve aus eigenem Antrieb vor Askit weg) bleibt nichts anderes übrig, als wild über Askits Entstehung, Aufbau und Absichten zu spekulieren. Dabei wird auf plausible Argumentationsketten weitgehend verzichtet, stattdessen wird “vertrau mir bitte” gesagt oder ein ernsthaftes Gesicht aufgesetzt. Wilde Vermutungen werden teils mehrfach wiederholt, überprüfen kann sie niemand, da sich Askit jeglicher Frage nach Belieben entziehen kann (oder sie mit wenig hilfreichem Geschwurbel beantwortet) und anscheinend auch alle Wissensdatenbanken der Welt kontrolliert. Keiner der Wissenschaftler kommt auf die Idee, mal nach Beweisen für seine Vermutungen zu suchen, oder andere Figuren, die irgendwelche Behauptungen aufstellen, nach stichhaltigen Beweisen für ihre Thesen zu fragen. Als dann die zunehmend weinerliche, in Extremsituationen auch mal in Ohnmacht fallende Protagonistin (die eigentlich durch Genmanipulation emotional optimiert sein soll) auch noch anfängt, einen stattlichen, kernigen Kolonisten anzuschmachten, ist der Rezensent geneigt, das Buch in die Ecke zu pfeffern. Zum Glück vermeidet es der Roman so gerade noch, in eine banale Liebesgeschichte abzugleiten.

Auffällig ist, dass die Figuren sehr viel nonverbal kommunizieren, während sie kaum einen längeren Gedankengang nachvollziehbar in Worte fassen können, ohne mittendrin das Thema zu wechseln. Ersatzweise werden Fäuste geballt, tief geseufzt, besorgt gefragt, die Augen aufgerissen, oder Figuren richten sich nach dem vagen Gefühl, ihr Gegenüber verfolge irgendeinen Plan (den sie selbst definitiv nicht haben). Da der größte Teil des Textes aus Dialogen (verbal und nonverbal) besteht, ist es bisweilen schwierig, Beweggründe der Figuren nachzuvollziehen, sich mit ihnen zu identifizieren. Das alles untergräbt nachhaltig die Glaubwürdigkeit der ganzen Weltkonstruktion.

Keinesfalls geht das Buch als Wissenschaftsthriller durch. Für einen Thriller ist es schlicht nicht spannend genug, und wissenschaftlich bleibt es arg oberflächlich. Wenn von Quantencomputern, Viren, Kryptologie oder Hydroponik die Rede ist, dann klingt das eher nach ein paar aus einschlägigen Artikeln zusammengeklaubten Begriffen als nach einem konsistenten, durchdachten Weltentwurf. Als solcher taugt das Buch einfach nicht: Wir bewegen uns fast nur in wenigen recht abgeschlossenen Milieus und erfahren wenig bis nichts über das Sozial- oder Wirtschaftssystem, über Leben oder Schicksal von Durchschnittsmenschen, über Medien oder Kultur, über Farben, Gebräuche, Gerüche, Kleidung, Ernährung. Die restliche Bevölkerung wird wenn überhaupt als diffuse Menschenansammlung beschrieben, die der einen oder anderen Ansprache lauscht. Das vermag kein besonders großes Leseinteresse auszulösen.

Mehr noch: Das Buch enthält so viele Fehler (Tippfehler, falsche Präpositionen, Bezugsfehler, Wortwiederholungen), dass man zwischendurch irritiert nachschaut, ob wirklich “Golkonda” auf dem Cover steht, und man nicht irgendein unterdurchschnittliches Selfpublisher-Werk vor sich hat.

Fraglos sind Klimawandel und ethische Fragen nach Verursachern und geeigneten Auswegen von großer Bedeutung für die SF. Aber diese auf eine so wirre, abgehobene, humorlose Art zu verhandeln wie in diesem Roman, ist wohl kaum der optimale Ansatz.

Unterhaltung:
Anspruch:
Originalität:

Rezension: !Time Machine Ausgabe 2

Nach der ersten Ausgabe des SF-Fan-Magazins “!Time Machine”, die mit wenigen, dafür ausführlich beackerten Themen überzeugen konnte, waren wir natürlich gespannt auf die um den Jahreswechsel herum erschienene zweite Ausgabe.

Ausgabe 2 des erneut sehr ordentlich aufgemachten Magazins bringt im Wesentlichen vier umfangreiche Artikel, denen man den Umfang der Recherche und die Liebhaberei des jeweiligen Autors unbedingt anmerkt.

So berichtet Udo Klotz auf nicht weniger als 18 Seiten (davon 2 Seiten Literaturliste) quasi enzyklopädisch über Romane, die den Mond auf die eine oder andere Weise zum Thema haben. Dabei kommen sowohl Werke aus lange vergessenen Zeiten zu Ehren wie auch neuere Werke. Klotz schafft es, durch einen lockeren Tonfall keine Langeweile aufkommen zu lassen.

Michael-Lother Höfler berichtet auf knapp 10 Seiten über die Serie “Mark Brandis”. Auch wenn die Tatsache, dass die Neuauflage immerhin im gleichen Verlag erschienen ist, ein klein wenig befremden mag, ist ein ausführlicher Bericht über diese prägende und teils auch zeitlose deutsche SF-Serie natürlich mehr als berechtigt.

Nicht weniger als 16 weitere Seiten nimmt eine Betrachtung der Relationen zwischen Religion und SF ein, geschrieben von Hans Frey. Dem Artikel kann man einerseits eine erfrischende, auf den Punkt kommende Religionskritik zugute halten, vorausgesetzt, man ist wie der Autor Atheist. Andererseits könnte man die Betrachtung als einseitig oder zumindest als “stark von persönlichen Standpunkten gefärbt” bezeichnen. Sachlichkeit darf man jedenfalls nur begrenzt erwarten. Da passt es ins Bild, dass der Artikel dem (O-Ton) “bedeutendsten Religionsroman”, nämlich “Valis” von Philip K. Dick, allein knapp drei Seiten gönnt, obwohl (oder weil?) dieses anspruchsvolle Werk für größere Publikumsschichten wohl eher schwer zugänglich ist. Nicht wirklich nachvollziehbar erscheint es dem Leser letztlich, dass der Autor offenbar keinen einzigen SF-Roman, der jünger als das Jahr 1998 ist, für erwähnenswert hält. Ohne einen Nachweis erbringen zu können (oder zu wollen), halte ich es für sehr unwahrscheinlich, dass in den letzten 20 Jahren kein erwähnenswerter SF-Roman mit Bezug zur Religion erschienen ist.

Überhaupt kann man den Machern von !Time Machine ganz sicher nicht vorhalten, sich zu sehr mit der Gegenwart oder jüngeren Zukunft zu beschäftigen. Auch der letzte Artikel (“Science Fiction History” von Hardy Kettlitz) handelt von den Jahren 1918, 1943, 1968 und 1993.

Auch die diesmaligen “SF-Perlen”, also Besprechungen besonders hervorzuhebender, aber wenig bekannter starker Romane, sind schon vor längerer Zeit erschienen. Immerhin wird eine Graphic Novel und ein Spielfilm thematisiert. Das sind aber Ausnahmen. Ansonsten kann man sagen, dass zumindest in dieser Ausgabe die SF der letzten 20 Jahre so gut wie nicht vorkommt.

So bleibt trotz wirklich sehr gut recherchierter und hoch interessanter Inhalte der Eindruck übrig, mit !Time Machine (Unterzeile: “Das Science Fiction Fan-Zine”) ein Magazin von älteren SF-Lesern für ältere SF-Leser vor sich zu haben. Das mag auch so beabsichtigt sein, aber dann darf man sich eben auch nicht darüber wundern, wenn das SF-Fandom “ausstirbt”.

!Time Machine ist für 4,90 im Verlagsshop erhältlich.